Rechtsextremismus ist durchzogen von einer toxischen Frauenverachtung. Das heißt aber nicht, dass es hier nicht auch einen umgekehrten „positiven Sexismus“ gibt: Weil die männlich dominierte Szene kaum Frauen anzieht, wird allen Frauen, die sich der rechtspopulistischen und rechtsalternativen Szene annähern, größtmögliche Narrenfreiheit gewährt: So werden etwa weibliche rechtsalternative Medienmacherinnen auch ohne größere Beschäftigung mit der Ideologie schnell zu Stars – zumal, wenn sie nach rechten Kriterien „weiblich“ aussehen und leben.
Ein solcher Fall ist Lisa Licentia. Nach landläufiger Meinung attraktiv: Große Augen, lange Haare, schmale Erscheinung, Mutter dreier Kinder. Zudem ist sie noch sehr Social Media-aktiv, nutzt „Twitter“, „YouTube“, „Instagram“ und die Gaming-Plattform „Twitch“. Lisa Licentia fand sich offenbar im traditionellen Frauenbild und im Rassismus der rechtsextremen Szene wieder, beteiligte sich hier an Kampagnen, die Sexismus mit Rassismus und besonders Islamfeindlichkeit zu verschränken suchen.
Bei der Wahl ihrer politischen Partner war sie im rechten Spektrum nicht übermäßig wählerisch. Sie war nach eigenen Angaben kurzzeitig Mitglied der CDU, hatte Kontakt mit Männern aus der offen rechtsextremen Szene, dann war sie mit der „Identitären Bewegung“ aktiv, machte etwa bei der von Männern gesteuerten IB-Frauen-Kampagne „120dB“ mit (vgl. Belltower.News). Sie brach hinterher mit den „Identitären“, weil sie hier die Männer zu chauvinistisch und zu dominant fand; außerdem wäre sie mit einem türkischen Vater den „Identitären“ nicht „deutsch“ genug gewesen (vgl. Belltower.News). Doch das war ihr offenbar nicht Warnung genug: Stattdessen begann sie 2019 mit ihrem YouTube-Kanal – und wurde mit Statement-Videos und Demo-Berichten ein Star der rechtsalternativen „YouTube“-Szene. Wie schnell, zeigt die Tatsache, dass sie bereits wenige Monate nach dem Start ihres Kanals bei der AfD-„Konferenz für freie [sic] Medien“ eingeladen war (vgl. Belltower.News).
Reingerutscht in die Szene?
Wer am 28.09.2020 die „Pro 7“-Reportage „Rechts. Deutsch. Radikal“ von Thilo Mischke gesehen hat (wer nicht: Hier geht es), kennt diese Vorgeschichte nicht. Hier hat Lisa Licentia eine andere Rolle. Sie soll porträtiert werden als der YouTube-Star, der sie 2019 war, und bricht – auf der eben erwähnten AfD-Medienkonferenz – vor der Kamera zusammen. Erst auf der Konferenz habe sie begriffen, wie rassistisch die AfD und ihre Freunde wie der „Alternativjournalist“ Oliver Flesch eigentlich seien. Sie sei nur benutzt worden, nun werde sie bedroht, und ihre Kinder auch, und sie wisse nicht, wie sie da wieder hinauskommen solle. Ihre Tränen sind sehr emotionalisierend. Thilo Mischke und sein Team sind offenkundig verblüfft. Aber wie ernst kann man sie nehmen? Kann man so naiv sein, dass man in der rechtsextremen Szene aktiv ist und nicht merkt, dass diese rassistisch ist?
Als die Tränen getrocknet sind, folgen im Film weitere Interviews mit Lisa Licentia. Sie beschreibt ihren Einstieg in die rechtsalternative Medienszene: Sie habe Frauen und Kinder vor „dem Islam“ schützen wollen, und dann sei sie in diese Szene geraten, und schon wurden auch ihre Videos immer offener rassistisch und gewaltaffin. Quasi ohne ihren Willen. Das klingt typisch und ist gleichzeitig zu einfach. Auf Twitter teilt Licentia heute zahlreiche Desinformationen aus der rechtsalternativen Medienszene und beteuert, wie radikalisierend es wirke, wenn man nur noch solche Desinformationen lese. Es wirkt, also glaube sie wirklich, dass es so war. Trotzdem ist das so nicht wahr. Denn der YouTube-Kanal war ja in Wirklichkeit nicht ihr Debüt in der rechtsextremen Szene.
Der Shitstorm, der sie trifft, traf zuvor mit ihrer Hilfe andere
Ist Lisa Licentia also eine Schauspielerin, die nur so tut, als wende sie sich von der rechtsextremen Szene ab, weil sie sich durch die „Pro 7“-Produktion ein größeres, anderes Publikum erhofft? Manche werfen ihr dies jetzt vor, aber das von demokratischer Seite aus zu tun, fällt schwer. Auch deswegen, weil das einer der Top-Vorwürfe der rechtsextremen Szene gegen die YouTuberin ist. Dass sie nur eine Schauspielerin sei, ein U-Boot, dass die rechtsalternative Szene ausgehorcht habe.
Denn im Juni 2020 wird Lisa Licentias Twitter-Account gehackt, ihre Beteiligung an dem „Pro 7“-Dokumentarfilm samt ihrer Rolle sickert in die Szene durch. Online war dann gegen Licentia eine misogyne Hasskampagne riesigen Ausmaßes zu beobachten. Rechtsextreme sind keine Menschenfreund*innen und noch weniger Frauenfreund*innen. Weibliche Aktivistinnen übrigens genausowenig oder noch weniger als andere. Unter anderem warf Ellen Kositza, Ehefrau von Götz Kubitschek (Antaios/Schnellroda), Licentia vor, sie sei „Borderlinerin”, also psychisch krank. Laut Licentia hatte ihre Familie daraufhin einen Besuch vom Jugendamt mit genau diesem Vorwurf. Licentia erzählt das in einem der YouTube-Videos, die sie zu Angriffen und Morddrohungen gedreht hat. Sie wirbt für Spenden, um einen Anwalt zu bezahlen. Rechte werfen ihr Berechnung vor. „Identitären“-Kopf Martin Sellner, der sie einst unterstützt hat, nennt sie nur noch „das Subjekt“.
Es folgten Adressenveröffentlichungen, Klarnamen-Veröffentlichung, Bedrohung der Kinder – auch mit Fotos, die Licentia selbst veröffentlicht hatte, Vergewaltigungsfantasien, Rassismus über ihre Herkunft, Abwertung, weil sie alleinerziehend ist und die Kinder verschiedene Väter haben, Diskreditierung der politischen Arbeit, Androhungen von sexualisierter Gewalt, minütlich neue Hass-Beiträge in Schriftform und in YouTube-Videos, sicher auch per persönlicher Nachrichten. Das auszuhalten muss hart gewesen sein. Zugleich hat sich Lisa Licentia als rechte Publizistin an genau solchen Hasskampagnen gegen nicht-rechte Menschen, People of Colour, Journalist*innen beteiligt, ihnen also genau den gleichen Mob auf den Hals gehetzt, der sie schließlich selber traf. In der „Pro 7“-Reportage bedauert sie, an solchen Aktionen beteiligt gewesen zu sein, auch auf ihrem Twitter-Profil beteuert sie Reue. Ist das ehrlich? Zugleich berichten POCs, auf Twitter noch vor wenigen Wochen von Lisa Licentia ihren rassistischen Freund*innen zum Shitstorm präsentiert worden zu sein.
Was ist wahr?
Auch nach den Dreharbeiten hat Licentia noch von rechtsextremen Demonstrationen berichtet, rassistische Videos gedreht. Inzwischen sind diese alle gelöscht. Es sei darum gegangen, ihren Ausstieg nicht vorwegzunehmen, berichtet sie auf „Twitter“, der sollte erst mit der Dokumentation stattfinden. Die rechte Szene wusste allerdings durch den Twitter-Hack ihres Kontos bereits darüber Bescheid, dass das nur noch taktisch war. Die Angegriffenen nicht.
Eigentlich könnte die Redaktion von Belltower.News allerdings gar nicht wissen, was Lisa Licentia twittert. Alle unserer Profile – als Medium und als einzelne Journalist*innen – sind von Lisa Licentia geblockt. Sie mag naiv wirken, so naiv ist sie aber offenkundig nicht: Hier hat sie etwa ihre Recherche und Blockung von „Feindmedien“ ordentlicher gemacht als so mancher andere online aktive Rechtsextreme. Deshalb kann die Redaktion auch keinen Kontakt zu ihr aufnehmen und sie befragen und in diesem Text bleiben einige Fragezeichen.
Wer instrumentalisiert hier eigentlich wen?
Während Lisa Licentia der rechtsalternativen Medienszene vorwirft, sie instrumentalisiert zu haben, kommt es dem*r Betrachter*in der „Pro 7“-Reportage so vor, als wäre das erneut geschehen: Als Lockvogel trifft sie sich mit AfD-Pressesprecher Christian Lüth, der beim Treffen rassistische Menschenverachtung äußert, die schon vor Ausstrahlung der Sendung Schlagzeilen machte. Die AfD profitiere davon, wenn es Deutschland schlecht ginge, deshalb brauche sie eigentlich noch mehr Migrant*innen, die nach Deutschland kämen, so Lüth. Ob man die hinterher erschieße oder vergase, sei ja egal. Es ist der Höhepunkt des Dokumentarfilms. Christian Lüth verliert sein Amt bei der AfD, wortreiche Distanzierungen folgen. War das Glück für den Journalisten? Kalkül der Protagonistin? Definitiv aber ist es eine Dokumentation des selbstverständlichen, dehumanisierten Rassismus zumindest in Teilen der AfD, wenn sich diese unbeobachtet fühlen.
Lisa Licentia gibt selbst an, sich nun in einem Aussteigerprogramm zu befinden. Es ist ihr und ihrer Familie zu wünschen, dass das stimmt. Gleichzeitig ist offensichtlich, dass sie die Finger nicht von der Bühne lassen kann, die das Internet bietet. Trotz aller Hassangriffe twittert, filmt und streamt sie weiter. Inhaltlich scheint es so, als bemühe sie sich, zugleich Teile des alten, rechten Publikums zu halten und zugleich neue Zuschauer*innen von ihrem „Ausstieg“ zu überzeugen. Doch echte Ausstiegsarbeit braucht Zeit und inhaltliche Distanzierung von rechtsextremer und rassistischer Ideologie. Lisa Licentia möge sich ersteres nehmen, um letzteres zu erreichen.