Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Rechtsalternativ radikalisiert Lebenslange Haft für Mörder von Idar-Oberstein

Von|
Blumen, Kerzen und Botschaften an das Opfer liegen an einer Tankstelle in der Innenstadt in Idar-Oberstein. Ein Angestellter der Tankstelle war am Samstagabend von einem mit einer Pistole bewaffneten Rechtsextremen erschossen worden. (Quelle: picture alliance/dpa | Thomas Frey)

Im Prozess um den Mord an einer Tankstelle in Idar-Oberstein ist der Angeklagte zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Landgericht im rheinland-pfälzischen Bad Kreuznach sah es als erwiesen an, dass der Täter Mario N. im September 2021 einen 20-jährigen Tankstellenmitarbeiter im Streit über die Einhaltung der Corona-Maskenpflicht erschossen hatte. Zudem sprach das Landgericht N. wegen unerlaubten Schusswaffenbesitzes schuldig.

Das Landgericht folgte in seinem Urteil dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Anders als von Staatsanwaltschaft und Nebenklage gefordert, stellte das Gericht keine besondere Schwere der Schuld fest. Die Verteidigung hatte im Laufe des Prozesses den Tatvorwurf des Mordes zurückgewiesen. Die Anwälte des Angeklagten hatten auf Totschlag mit erheblich eingeschränkter Schuldfähigkeit des Angeklagten, der nach Schätzung eines Gutachters rund zwei Promille Alkohol im Blut hatte, plädiert. Nach Ansicht von Staatsanwaltschaft und Nebenklage ist der Angeklagte trotz erheblichen Alkoholkonsums bei der Tat voll schuldfähig. Gründe für mildernde Umstände sah sie nicht, die Verteidigung dagegen schon.

Ein Maskenverweigerer wird zum Mörder

Die Tat hat bundesweit Entsetzen ausgelöst. Es war der traurige Höhepunkt einer sich zunehmend radikalisierenden Pandemieleugner-Szene. Am 18. September 2021, einem Samstagabend, betritt der damals 49-jährige Mario N. ohne Maske eine Tankstelle in Idar-Oberstein und will einen Sechserpack Bier kaufen. Der 20-jährige Alexander W. ist Student und arbeitet an der Kasse. Er weist Mario N. auf die Maskenpflicht hin und verweigert den Kauf. N. verlässt daraufhin mit einer drohenden Geste die Tankstelle. Fast zwei Stunden später kommt er zurück. Diesmal trägt er eine Maske unter dem Kinn. Wieder will er Bier kaufen und stellt das Sixpack auf den Tresen. Dann erschießt er den Kassierer gezielt von vorne in den Kopf. W. ist sofort tot.

Mario N. sagte nach der Tat, die Corona-Pandemie belaste ihn stark. Er habe sich immer weiter in die Ecke gedrängt gefühlt und habe ein „Zeichen“ setzen wollen. „Dabei schien ihm auch das Opfer verantwortlich für die Gesamtsituation, da es die Regeln durchgesetzt habe“, so Staatsanwalt Fuhrmann.

Online-Aktivitäten zeichnen den Weg in die Radikalisierung

Chatverläufe von Mario N. gaben Einblicke in dessen Radikalisierung. Er äußerte sich abfällig über Geflüchtete, Greta Thunberg, Fridays-for-Future-Aktivist*innen, Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn, die Bundesregierung und deren Corona-Politik äußerte.

Ähnliches zeigt auch sein Twitterfeed, der Belltower.News vorliegt. Seine Kommunikation verrät hier außerdem, dass sich Mario N. bereits vor Beginn der Pandemie, in rechtspopulistischen und rechtsextremen Online-Kreisen bewegte. Sein letzter Tweet ist von Oktober 2019. Der spätere Mörder begab sich auf Twitter aktiv in die Kommunikation. Seine Feindbilder sind klar umrissen: Er verbreitet gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wie Rassismus, Flüchtlingsfeindlichkeit und Behindertenfeindlichkeit, Hass auf Parteiendemokratie und politisch Andersdenkende, wie „Die Antifa“. Immer wieder nutzt der Täter auch Beschimpfungen und gewaltvolle Sprache, pöbelt andere in Diskussionen an. Sein antidemokratisches und antimodernes Weltbild lässt sich anhand seines Accounts sehr gut ablesen. Auch ein Radikalisierungsprozess ist deutlich sichtbar: Seine Aussagen werden potenziell immer unversöhnlicher – auch wenn Gewaltfantasien schon früher ein Thema sind.

Hier die gesamte Belltower.News-Recherche noch einmal zum Nachlesen: 

Mario N. zeigte sich auf Twitter als Fan der amerikanischen Alt-Right und schreibt auch direkt an den damaligen Präsidenten Donald Trump. Er konsumiert Medien wie BILD, rechtspopulistische Medien wie die „Junge Freiheit“, „Tichys Einblick“ oder die „Achse des Guten“ oder den „Deutschlandkurier“. Mario N. interagiert auf Twitter mit AfD-Politiker*innen wie Björn Höcke und Beatrix von Storch und AfD-nahen Akteuren wie Birgit Kelle oder Erika Steinbach. Er bewegt sich demnach bereits vor der Pandemie in einem Feld rechter bis rechtsradikaler Propagandist*innen. Es ist das schleichende Gift der Radikalisierung, das Akteure von AfD bis hin zu rechtspopulistischen Meinungsmachern ihrem Publikum verabreichen. Am 18. September 2021 wird Mario N. zum Mörder.

In seiner letzten Erklärung vor der Urteilsverkündung hat der Angeklagte noch einmal betont, wie sehr ihm die Tat leidtue. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Verteidigung und Staatsanwaltschaft können dagegen in Revision gehen.

Weiterlesen

Eine Plattform der