27.01.2021: Der Generalbundesanwalt erhebt Anklage wegen des Vorwurfs der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gegen Susanne S.-G., außerdem wegen Bedrohung mit einem Verbrechen, Störung des öffentlichen Friedens durch die Androhung von Straftaten und Verstöße gegen das Waffengesetz.
Laut Generalbundesanwalt bereitete sie spätestens ab Ende Mai 2020 aus einer rechtsextremen und rassistischen Grundhaltung heraus einen Brandanschlag auf Amtsträger oder Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland vor. Sie erwarb im Internet Literatur zum Umgang mit Sprengstoffen und unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen. Weiter beschaffte sie sich für den Bau von Brandsätzen benötigte Materialien, darunter Benzin, Kartuschen mit einem Propan/Butan-Gasgemisch, Feuerwerkskörper und Zündschnüre. Im Sommer 2020 spähte die Angeschuldigte Polizeibeamte und einen fränkischen Mandatsträger als mögliche Anschlagsopfer aus. Dabei kundschaftete sie die Privatfahrzeuge und Wohnungen der Betroffenen aus. Zuvor hatte die Angeschuldigte in der Zeit von Anfang Dezember 2019 bis Anfang März 2020 insgesamt sechs anonyme Briefe an den oben genannten sowie einen weiteren fränkischen Mandatsträger, einen muslimischen Verein und einen Verein zur Flüchtlingshilfe versandt. Alle Briefe enthielten schlagwortartig die ernsthafte Ankündigung von Tötungsdelikten zum Nachteil der Empfänger. Um diesen Drohungen noch mehr Nachdruck zu verleihen, legte die Angeschuldigte in fünf der Briefe jeweils eine scharfe Pistolenpatrone bei.
Der Prozess findet am Oberlandesgericht München statt.
- https://www.generalbundesanwalt.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/aktuelle/Pressemitteilung-vom-27-01-2021.html
Über eine der Bedrohungstaten von Suanne G.-S. haben wir am 27.03.2020 berichtet:
Erstveröffentlichung des Textes: 27.03.2020
Rechtsextreme Frauen werden oft übersehen – in der eigenen Szene und in der Öffentlichkeit. Aus diesem Schutz schreiten sie zur Tat: Jetzt sind mehrere Fälle ans Licht gekommen, in denen Frauen methodisch und geplant durch Bedrohungen Schrecken verbreitet haben.
Die Heilpraktikerin, die eine Moschee und politische Gegner*innen mit Munition bedroht
Am 05. März 2020 erhält der Türkisch-Islamische Moscheeverein in Röthenbach (Mittefranken) ein skurril anmutende Drohpost: Eine Gutscheinkarte mit Schweinekopfmotiv, in die ein Satz gestempelt ist: „Ihr werdet niemals sicher sein!“. Bedrohlich ist die Beilage: Eine scharfe Patrone. In der Moschee, die 430 Mitglieder zählt, hatte zuvor eine Gedenkfeier für die zehn Opfer des rassistisch motivierten Anschlags von Hanau stattgefunden.
Interessanterweise ist es nicht die erste Drohpost dieser Art: Auch zwei Kommunalpolitiker aus dem Nürnberg Land und eine soziale Einrichtung erhielten nach Angaben der Kriminalpolizei Schwabach seit Anfang Dezember 2019 gestempelte Bedrohungen auf Glückwunschkarten, teilweise mit beigelegter scharfer Munition.
Die Moschee in Röthenbach war bereits zuvor islamfeindlich angegriffen worden. Im April 2017 marschierte ein damals 35-Jähriger in “auffälliger” Montur vor die türkische Moschee am Röthenbacher Bahnhofsplatz. Auf seiner Kleidung waren Hakenkreuze angebracht, sein Arm zum Hitlergruß gestreckt. Dabei rief er immer wieder „Sieg Heil“ und „Heil Hitler“. Besorgte Besucher*innen der Moschee riefen die Polizei. Auch in Anwesenheit der Beamt*innen drohte er immer wieder, dass er „die Dreckstürken alle umbringen würde“, weil er Muslime hasse. Nach seiner Festnahme soll Kevin R. zur Polizei gesagt haben, dass es gut gewesen wäre, ihn zu verhaften. Er hätte sonst alle umgebracht. Er würde lieber selbst sterben, als dass die ganzen Muslime weiterleben dürfen. (vgl. Bayern-Reporter).
Wer verschickt Drohbriefe, die die Empfänger*innen in Angst und Schrecken versetzen? Gerade, wenn scharfe Munition dazukommt, denken viele eher an rechtsextreme, männliche Jäger oder Soldaten – doch diesmal war es eine Heilpraktikerin. Die Sonderkommission der Kriminalpolizei ermittelte den dm-Markt, indem die 54-Jährige die Karten für die Drohschreiben einkaufte, und überprüfte die gemeldeten Waffenbesitzer in der Umgebung. Außerdem ließen sich offenbar Drohanrufe zur Verdächtigen zurückverfolgen, die von einer Telefonzelle im Nürnberger Land durchgeführt wurden (vgl. Bayern-Reporter).
Bei einer folgenden Hausdurchsuchung bei Susanne G.-S. fand die Polizei eine Schablone für die Schrift, ähnliche Glückwunschkarten. Außerdem wurde „umfangreiches Beweismaterial sichergestellt, das auf eine beständige rechtsgerichtete Gesinnung schließen lässt“.
Wie lässt es sich erklären, dass eine mittelalte Heilpraktikerin aus Leinburg liebevoll mit Schablone Hassbotschaften auf Glückwunschkarten pinselt, um sich am Leid der Empfänger*innen zu freuen? Susanne G.-S. betreibt eine Heilpraktikerinnen-Praxis in Leinburg, bot dort laut Eigenangaben u.a. Homöopathie, Wirbelsäulen- und Gelenktherapie, Schröpfkopftherapie, Antlitzdiagnostik, Zungendiagnostik und Atlastherapie. Sie betreute offenbar auch langjährig (mindestens ab 2011 und bis 2018) die Sportler*innen des örtlichen Sportvereins. Gleichzeitig ist Susanne G.-S. offenkundig langjährige Aktivisten der Neonazi-Partei „Der III. Weg“. Fotos von Demonstrationen in Plauen („„Gerechtigkeit für alle Deutschen“), Bamberg („Ein Licht für Dresden“) und Wunsiedel („Heldengedenken“) zeigen die grauhaarige Aktivistin als Ordnerin – eine Rolle, die auch in der Neonazi-Szene niemand erhält, der sich nicht bereits bewährt hat.
Allerdings ist über ihr weiteres rechtsextremes Engagement nichts bekannt – offenbar hält Susanne G.-S. kein Amt inne in der Partei, übernahm auch kein Sprecherinnen-Funktionen. Für rechtsextreme Frauen gilt oft eine doppelte Unsichtbarkeit – in den eigenen Reihen und in der Öffentlichkeit. Im Falle von Susanne G.-S. führt das offenkundig zu den Bedrohungstaten – entweder, um als Akteurin ernst genommen zu werden, oder im Gefühl der Sicherheit, dass die Unsichtbarkeit rechtsextemen Frauen oft gibt, weil sie nicht so stark als Bedrohung wahrgenommen werden wie männliche Rechtsextreme. Doch wer bewaffnet ist, bei dem spielt eine körperliche vermeintliche Schwäche oder kleinere Struktur keine Rolle mehr. Susanne G.-S. besaß selbst einen kleinen Waffenschein, der nach Polizeiangaben aber nicht mehr gültig sei. Doch auch mit dem Waffenschein hätte sie die verschickten Patronen nicht legal kaufen können. Woher die Munition stammt, ist noch Teil der Ermittlungen (vgl. BR). Die Verdächtige ist nicht in Untersuchungshaft, sondern auf freiem Fuß. Ob dies bei einem männlichen Täter mit Waffenerfahrung auch der Fall wäre?
Auch „Reichsbürger“-Frauen sind bewaffnet und bedrohen gern: Mehr als Papierterrorismus
Bewaffnete Frauen gab es übrigens auch in den Reihen der „Reichsbürger“-Gruppierung „Geeinte deutsche Völker und Stämme“, die jüngst von Bundesinnenminster Horst Seehofer verboten wurde (BTN berichtete:)
Wie jetzt bekannt wurde, stellten sich die Mitglieder des Vereins als stärker bewaffnet heraus, als die Polizei vermutet hatte – vor allem die weiblichen. Bei einer Endfünfzigerin im nordrhein-westfälischen Gummersbach der Gruppe fand die Polizei unter anderem drei abgesägte Schrotflinten, drei Armbrüste, zwei Macheten und eine Zwille.
Als Einsatzkräfte die Wohnung einer Anhängerin der Gruppierung in einem Vorort von Dresden durchsuchten, wurden sie nach dpa-Informationen von deren hochbetagter Mutter bedroht. Sie soll vom Nachbargrundstück aus ein Luftgewehr auf sie gerichtet haben.
Bei einer in Berlin ansässigen Frau, die im Namen der Gruppe Videos über Youtube verbreitet, soll ein Dokumentendrucker gefunden worden sein. Dokumentendrucker sind auf Dokumentechtheit zertifiziert, um Manipulationssicherheit für Dokumente etwa im Justizbereich oder in Meldeämtern herzustellen.
Die „Geeinten deutschen Völker und Stämme“ waren seit 2017 vor allem durch bizarre und aggressive Drohbriefe an Behörden und Politiker aufgefallen, die das Ziel hatten, „Amtsträger persönlich einzuschüchtern“. Laut Bundesinnenministerium bringen die Mitglieder des Vereins „durch Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus ihre Intoleranz gegenüber der Demokratie deutlich zum Ausdruck“. In den vergangenen Jahren sei die Gruppierung unter anderem durch „verbalaggressive Schreiben“ aufgefallen. Darin sei den Adressaten „Inhaftierung“ und „Sippenhaft“ angedroht worden. Das „Höchste Gericht“ der Gruppe drohte Regierungsmitgliedern mit Klagen wegen der „Zersetzung hoheitlicher Staatlichkeit“. Die Gruppierung stellte eigene Stempel her und hatte sich als Zahlungsmittel als eine Art Phantomwährung geschaffen.
Diese Strategie bezeichnet man auch als Papierterrorismus. Das meint die Methode von Reichsbürger*innen und Staatsverweigerer*innen, Behörden mit seitenlangen Eingaben in Schriftform, per Fax und E-Mail zu überfluten, um sie damit in ihrer Arbeitskraft zu schwächen und zu behindern. Bei den „Geeinten deutschen Völker und Stämme“ wurde die Grenze zur Bedrohung dabei deutlich überschritten.
Eine federführende Aktivistin ist dabei Heike Werding aus Melle, selbsternannte „Präsidentin der reorganisierten ‚Gemeinde Osnabrücker Landmark e.V.‘ “ und „Generalbevollmächtigte der geeinten deutschen Völker und Stämme“, die in Drohschreiben an Behörden und Politiker*innen eine Erfüllungen fand. Unter anderem schickte sie als „Generalbevollmächtigte der geeinten deutschen Völker und Stämme“ im September 2017 ein Fax an Bundeskanzlerin Angela Merkel und ordnete höchst richterlich unter anderem ein Zutritts- und Tätigkeitsverbot in den Gebäuden des Deutschen Bundestags an. Der Wahlkampf sei zu beenden und die Bundestagswahl abzuschaffen, weil sie illegal seien: Das „Unternehmen Bundesrepublik Deutschland mit allen Filial- und Tochterunternehmen ist aufgrund fehlender Verwaltungsrechte sowie Täuschung im Rechtsverkehr mit sofortiger Wirkung zu schließen.“ Bei Verstößen drohe Merkel Sippenhaft, was bedeute, dass „zum Schadensausgleich drei Generationen der lebenden Vorfahren und drei Generationen der Nachkommen in die finanzielle Verantwortung gezogen werden“. Auch über das Strafmaß gibt das Schreiben Auskunft: mindestens 9.000 Feinunzen Gold (vgl. Sonnenstaatland).
Interessante Reportage zu Heike Werding:
Drohbriefe stellen eine einfache umzusetzende Methode dar, um politische Gegner*innen oder rassistisch, antisemitisch oder islamfeindlich ausgewählten Gruppen in Angst zu versetzen, in ihrer Handlungsfähigkeit zu lähmen und in ihrem Engagement einzuschüchtern. Offenbar ein attraktives Betätigungsfeld für rechtsextreme Frauen – zumal die Waffenfunde in der rechtsextremen Szene immer wieder unterstreichen, dass es schwer auszumachen ist, welche Bedrohungen eine ernsthafte Gefahr darstellen. Umso wichtiger sind konsequente strafrechtliche Ermittlungen, wie in diesen beiden Fällen.