Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Rechtsextreme Gewalt Nordhessen: Neonazi gesteht brutalen Überfall auf 13-jährige

Von|
Rechter Schläger mit Beil am 2.2.2003 fotografiert in Amöneburg bei Wiesbaden; Foto: Ulrich Brosa

Die Polizei konnte noch am Sonntag vier mutmaßliche Täter festnehmen, weil sich Teilnehmer des Camps die Nummer eines flüchtenden Wagens gemerkt hatten. Nach einem Bericht des Hessischen Rundfunks vom Dienstagabend hat nun ein 19-Jähriger zugegeben, mit einem Gegenstand auf das Mädchen eingeschlagen zu haben, so die Staatsanwaltschaft Kassel am Dienstag. Der Mann bekannte sich außerdem zu einer rechtsradikalen Gesinnung. Er sitzt in Untersuchungshaft, ihm wird versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Seine drei mutmaßlichen Mittäter befinden sich wieder in Freiheit.

Bei der Festnahme und Wohnungsdurchsuchung eines 23-Jährigen aus Schwalmstadt wurde ein Transparent gefunden, das zuvor auf dem Campingplatz entwendet worden war. Laut Polizei waren zwei junge Männer am Sonntagmorgen über den zweieinhalb Meter hohen Zaun des Campingplatzes gestiegen. Der 19-Jährige drang dann in das Zelt ein, während zwei weitere Männer die Heckscheiben dreier Autos einschlugen. Alle vier flüchteten dann zusammen in einem Wagen. Wie die Polizei mitteilte, wurde der Hauptverdächtige bereits kurzzeitig am Rande einer „Solid“-Demonstration gegen Rechts am Samstag in Schwalmstadt-Treysa festgenommen. Insgesamt waren drei der vier Angreifer bei dieser Gelegenheit aufgefallen.

Der Verfassungsschutz berichtete dem HR, einige der Täter vom Sonntag wären bereits als gewaltbereite Neonazis bekannt. Sie stammten aus dem Umfeld der so genannten „Freien Kräfte Schwalm-Eder“, einer lose organisierten Neonazigruppe, die in den vergangenen Monaten verstärkt in den Blickpunkt geraten ist

Überfall am Montagmorgen

Zum Tathergang am Morgen des 20. Juli hatte die Polizei am Montag zunächst mitgeteilt, ein schwarz vermummter Mann sei gegen 7.45 Uhr in ihr Zelt am Neuenhainer See in Nordhessen gestürmt und habe mit Bierflaschen auf die 13-jährige und ihren Bruder eingeprügelt. Das Mädchen musste mit Kopfverletzungen vom örtlichen Krankenhaus in die Marburger Universitätsklinik verlegt werden, ihr Bruder wurde ambulant behandelt.

Der hessische solid-Verband sprach in seiner Darstellung von mehreren Tätern, die den Campingplatz am Neuenhainer See angegriffen hätten: „Nachdem zwei vermummte Personen über den Zaun auf das Gelände eingedrungen waren, traten sie von außen auf das nächstgelegene Zelt ein, öffneten es und schlugen auf die noch Schlafenden mit massiven Gegenständen ein. Eine 13-jährige Campteilnehmerin musste daraufhin im Krankenhaus behandelt werden, ein weiterer Teilnehmer ist am Kopf verletzt worden. Auf dem Parkplatz des Campingplatzes demolierten währenddessen drei weitere Personen dort abgestellte Fahrzeuge. Dabei gingen sie willkürlich vor. Zudem wurde ein gegen Rechtsextremismus gerichtetes Banner abgerissen und entwendet. Bereits im Vorfeld kam es zu Drohungen der faschistischen “Freie Kräfte Schwalm“ gegenüber TeilnehmerInnen des Sommercamps.“

Die Jugendorganisation ’solid traf sich in dem Sommercamp von Donnerstag bis Sonntag. Der Überfall sei erst passiert, nachdem die Nachtwachen nach Sonnenaufgang schon abgezogen worden seien, sagte der Solid-Regionalsprecher Markus Lange am Montag der tageszeitung „taz“. Wachen seien eingesetzt worden, nachdem schon in der vergangenen Woche Neonazis vor dem Camp aufgetaucht seien und Fotos von den Anwesenden gemacht hätten.

Den Ermittlungen zufolge hatten die rund 50 Mitglieder des Sommercamps der Jugendorganisation der Linken am Samstag in Schwalmstadt-Treysa gegen rechte Gewalt demonstriert. Dabei sollen Rechtsextremisten provoziert haben, unter ihnen der 19-Jährige, wie Jung weiter mitteilte. Die Polizei nahm die Personalien der Störer auf. Am nächsten Morgen wurde dann das Camp angegriffen.

Täter war szenebekannt im Umfeld von Hessens Ex-NPD Chef Wöll

Die „Frankfurter Rundschau“ vom 23.7.2008  hat die Vorgeschichte des Täters recherchiert. Im Bericht von Joachim Tornau heißt es:
Der mutmaßliche Haupttäter, der bereits seit Montag in Untersuchungshaft ist und die heimtückische Attacke nach Polizeiangaben gestanden hat, ist in der rechtsextremistischen Szene bekannt: Kevin S., 19 Jahre alt, stammt aus dem Umfeld des ehemaligen hessischen NPD-Vorsitzenden Marcel Wöll in Butzbach und verbreitet über eine eigene Internetseite selbstgemachte Propaganda-Videos übelster Natur.

Seit einigen Monaten soll er sich als eine Art brauner Reisekader um die Neonazi-Kameradschaft im Schwalm-Eder-Kreis bemüht haben. Und das offenbar mit Erfolg: Auch wenn die Polizei die sogenannten Autonomen Nationalisten der „Freien Kräfte Schwalm-Eder“ nach wie vor als „relativ losen Zusammenschluss“ einstufen mag, haben sich die rechtsextremistischen Aktivitäten in der Region rund um Schwalmstadt in jüngerer Zeit vervielfacht.

Aufkleber prangen überall an Laternenmasten, Nazi-Gegner werden angepöbelt, bedroht, eingeschüchtert. „Wenn ich abends durch die Stadt laufe, wechsele ich schon mal die Straßenseite“, erzählt ein 19-jähriger Auszubildender, der seinen Namen nicht gedruckt sehen möchte. „Und es gibt Kneipen, in die ich keinen Fuß mehr setze.“

GRÜNE fordern Konsequenzen

Der brutale Angriff auf wehrlos schlafende Jugendliche zeige „die skrupellose Brutalität, mit der Neonazis Andersdenkende verfolgen“, erklärte ein Sprecher der Linkspartei. Die hessischen GRÜNEN forderten politische Konsequenzen. Die geschäftsführende Landesregierung müsse endlich anerkennen, „dass der Rechtsextremismus auch in Hessen ein gravierendes Problem darstellt und umfassende Gegenmaßnahmen durchzusetzen sind“. Die Grünen fordern ein stärkeres Augenmerk der Polizeiarbeit gerade im ländlichen Raum auf den Bereich Rechtsextremismus, eine intensive Schulung der Polizisten sowie eine zentrale Stelle zur Bekämpfung des Rechtsextremismus in der Staatskanzlei und eine gezielte Präventionsarbeit.

„Dieser Überfall ist der traurige Höhepunkt einer ganzen Reihe von schlimmen Vorfällen in Nordhessen“, stellte der damalige Fraktionsvorsitzende der Grünen, Tarek Al-Wazir, fest und wies auf mehrere andere Überfälle und das Führen so genannter „schwarzer Listen“ hin, auf denen Gegner von Neonazis aufgeführt sind. „Hier muss das staatliche Gewaltmonopol durchgesetzt werden und dem offensichtlichen Bestreben der Neonazis, in bestimmten Gegenden die Oberhand zu gewinnen, offensiv vom Staat, aber auch von der Bevölkerung entgegengetreten werden.

Al-Wazir forderte die CDU darüber hinaus auf, mit der Dämonisierung der Linkspartei aufzuhören. „Wir alle sollen und müssen uns inhaltlich und sachlich mit den Positionen der Linkspartei auseinandersetzen“. Wer sie allerdings immer wieder mit Neonazis gleichsetze, der begehe einen schweren Fehler.“

CDU sieht keinen Handlungsbedarf

Auch SPD und LINKE forderten ein entschiedeneres Vorgehen der Landesregierung gegen Neonazis. „Der Überfall in Neuental steht für uns im Kontext mit weiteren Übergriffen gegen Jusos oder andere kritische Jugendliche“, sagte SPD-Sprecher Frank Steibli. „Wir erwarten, dass die Landesregierung einer solchen Entwicklung den Kampf ansagt.“

Die Linkspartei erklärte, es gebe an verschiedenen Orten in Hessen organisiert auftretende Neonazis. Es sei höchste Zeit, dass dies auch die hessische Polizei zur Kenntnis nehme. Die hessische CDU bezeichnete den Überfall als verabscheuungswürdig und nicht hinnehmbar, warnte aber davor, den Vorfall für „platte parteipolitische Zwecke“ zu instrumentalisieren.

Landesregierung, Polizei und Verfassungsschutz bekämpften den Rechtsextremismus in Hessen bereits wirkungsvoll, sagte der CDU-Innenpolitiker Peter Beuth. Dies lasse sich auch daran ablesen, dass die Zahl der rechten Gewalttaten in Hessen deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liege. Die FDP erklärte, die hessische Polizei habe den Überfall von Neuental rasch aufgeklärt und dadurch bewiesen, dass sie auf dem rechten Auge nicht blind sei.

Ein Irrtum, berichteten MUT-Leser aus Hessen. Laut Schilderungen von Lesern und aus Initiativen sei gerade im hessischen Schwalm-Eder-Kreis Rechtsextremismus kein neues, aber ein öffentlich kaum behandeltes Phänomen. Laut einer Zusammenstellung auf www.antimanifest.de gab es im hessischen Verfassungsschutzbericht schon 2005 einen deutlichen Hinweis auf eine braune Schlägertruppe aus der Schwalm. In dem Abschnitt über „Rechtsextremisten und ihre Konzerte“ heißt es in dem Verfassungsschutzbericht:

„In Heßlar (Schwalm-Eder-Kreis) feierten am 11. November 30 bis 50 Skinheads und Neonazis in einer Grillhütte. Als die Polizei, durch einen Hinweis informiert, anfing, außerhalb des Gebäudes Personalien aufzunehmen, warfen die Rechtsextremisten Stühle und Bierflaschen vor die Tür. Sie riefen „Bullenschweine“ und verwehrten den Beamten den Zutritt. Diese setzten Pfefferspray ein und umstellten die Hütte, ein Sondereinsatzkommando nahm die Randalierer fest. In der Hütte hingen u. a. eine Reichskriegsflagge sowie ein rotes Transparent mit den Aufschriften „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist“ und „Freie Kräfte Schwalm-Eder“. Vor dem Einsatz hatten die Gruppe „Royal Hatred“ (Schwalm-Eder-Kreis) und der Liedermacher „Julemond“ (Thüringen) gespielt. Gegen die Randalierer wurden Strafanzeigen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Landfriedensbruch, Beleidigung und Sachbeschädigung gestellt.
(Quelle. Verfassungsschutzbericht Hessen 2005)

„Wer nun glaubt, dass dieser Hinweis örtlichen Verantwortlichen eine Warnung gewesen sein müsste, der irrt gewaltig“, schreibt Autor Stephan Siebrecht von antimanifest.de. Weiter reflektiert er:
„Inzwischen hätten zahlreiche, sogar immer häufiger und deutlicher werdende Vorkommnisse dazu führen müssen, dass man sich in der Schwalm mit der Problematik einer aktiven und gewaltbereiten rechtsextremistischen Gruppierung auseinandersetzt. Hierzu sprach ich am Samstag auch mit Michael Mager, Kreistagsabgeordneter der Partei DIE LINKE. im Schwalm-Eder-Kreis. Ein aufmerksamer Lokalpolitiker sollte sich angesichts hunderter oder tausender Aufkleber mit rechten Parolen im Stadtbild auch Gedanken um die Entwicklung der Jugend machen“.

Zuletzt sei es im Juni 2008 zu gewalttätigen Übergriffen gekommen:
Neonazis aus dem Umfeld der “Freien Kräfte Schwalm-Eder” hatten bei einer Abi-Fete eine junge Frau herumgeschubst und verletzt. Einen Tag später wurde ein junger Mann von einer Gruppe Rechtsextremer angegriffen.
Gegen halb zwei am frühen Morgen des 8. Juni 2008 rollen 4 PKW aus Schwalmstadt durch den eher beschaulichen Ortsteil Todenhausen der Tourismusgemeinde Frielendorf. Dann geht alles sehr schnell. Eine Gruppe von schwarz gekleideten und maskierten Jugendlichen, so Augenzeugen, verteilt sich mit apfelgroßen Steinen (laut Polizeibericht) in den Büschen rings um den Jugendclub des Dorfes, der um diese Zeit bereits geschlossen hat. Einige Todenhäuser Jugendliche bemerken die „Angereisten“ auf dem Heimweg von einer Fete in der Dorfgaststätte und gehen zum Jugendclub. Als sie dort eintreffen, kommen die Angreifer aus allen Richtungen und beginnen sofort eine heftige Schlägerei. Der Angriff bekannter Mitglieder der Neonazi-Gruppe aus Neukirchen und Schwalmstadt galt, so vermuten Todenhäuser Jugendliche, ihrem Jugendclub, in dem die Angreifer andersdenkende Gegner bzw. Opfer vermuteten…“

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

Weiterlesen

1_braune-musik-fraktion

Rechtsextreme Gewalt Rassismus als Mord-Motiv…

…aber dennoch auf freiem Fuß. Das Landgericht Halle hat zwar eineinhalb Jahre nach dem Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Sangerhausen…

Von|
anettam

Kommentar Erschütterndes aus Russland

Allein in diesem Jahr (2009) töteten Neonazis mindestens 14 Menschen in Russland, 2008 waren es 97. Menschenrechtsorganisationen und kritische Medien…

Von|
Eine Plattform der