Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Rechtsextreme Prepper Das „Nordkreuz“-Verfahren wurde eingestellt, doch das Netzwerk ist weiterhin aktiv

Von|
Symbolbild: Das „Nordkreuz“ organisiert Schießtrainings und bunkert Waffen und Munition
Symbolbild: Das „Nordkreuz“ organisiert Schießtrainings und bunkert Waffen und Munition (Quelle: Kony Xyzx/Pexels)

Nach mehr als vier Jahren hat der Generalbundesanwalt Ermittlungen gegen zwei Mitglieder des rechtsextremen Prepper-Netzwerks „Nordkreuz“ eingestellt – ohne Pressemitteilung, ohne großes Medienecho. Der Deutschen Presse Agentur (dpa) verriet ein Sprecher des Generalbundesanwalts Ende Januar 2022, dass das Verfahren bereits Anfang Dezember 2021 beendet worden sei – mangels hinreichenden Tatverdachts.

Dabei wog der Vorwurf schwer: Der Anwalt Jan-Hendrik H. und der Kriminalpolizist Haik J. sollen eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet haben, hieß es zu Beginn der Ermittlungen. Sie standen also unter Verdacht, einen Terroranschlag zu planen. Das „Nordkreuz“-Netzwerk soll sich für den Zusammenbruch der Staatsordnung, für den „Tag X“ vorbereitet haben. Ein Tag, der durch eine Naturkatastrophe oder Krieg, aber aus ihrer Sicht wahrscheinlicher durch den Zuzug von Geflüchteten ausgelöst wird. Ein Tag, an dem sie bewaffnet und bereit sein werden.

Die Prepper, viele ehemalige oder aktuelle Soldaten, Reservisten und Polizisten, haben Lebensmittel, Waffen, Leichensäcken und Ätzkalk gehortet. Sie haben massenhaft Munition gebunkert, die teilweise aus Polizeibeständen gestohlen wurde. Sie haben Feindeslisten von politischen Gegner:innen erstellt und Pläne geschmiedet, wie sie diese mit Bundeswehr-Lastwagen abtransportieren und internieren könnten. Von Erschießungen soll die Rede gewesen sein, so sagen es Menschen, die mit den Vorgängen betraut sind, der taz. Bei einem Gespräch soll auch das Wort „Endlösung“ gefallen sein.

Auf Anfrage von Belltower.News sagt eine Sprecherin des Generalbundesanwaltes zur Einstellung des Verfahrens, dass „sämtliche Ermittlungsergebnisse und Indizien im Rahmen einer Gesamtschau“ berücksichtigt worden seien. „Vor diesem Hintergrund war insbesondere das Erfordernis des festen Entschlossen-Seins zur Tötung von anderen Personen nicht mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu belegen“, so die Sprecherin weiter. Ebenso wenig hätten die hiesigen Ermittlungen einen Anfangsverdacht für die Bildung einer terroristischen oder kriminellen Vereinigung ergeben. Eine Begründung, die angesichts der sehr konkreten Pläne der rechtsextremen Prepper-Gruppe schwer nachvollziehbar ist.

Ein Soldat namens Hannibal

„Nordkreuz“ ist Teil des sogenannten „Hannibal“-Netzwerks – genannt nach dem Benutzernamen des früheren KSK-Elitensoldaten und Rechtsextremen André S. Ab etwa Herbst 2015 erstellte S. regionale Telegramgruppen, um Gleichgesinnten in der Polizei und Bundeswehr zu koordinieren. Zum Netzwerk gehörte die Chatgruppen Nord, Ost, Süd und West sowie Gruppen für Österreich und die Schweiz. Auch der Verein „Uniter“ gehört zum Netzwerk, der vornehmlich aus aktiven und ehemaligen Polizisten und Bundeswehrangehörigen besteht und seit 2020 als rechtsextremen und verfassungsfeindlichen Verdachtsfall vom Bundesamt für Verfassungsschutz eingestuft. Das Netzwerk organisierte Schießtrainings, legte sogenannte Safe Houses fest – sichere Treffpunkte mit Waffenlagern für den „Ernstfall“. Planten sie einen bewaffneten Umsturz?

Der rechtsextreme Bundeswehrsoldat Franco A. war Mitglied der Gruppe „Süd“. Er führte ein Doppelleben mit einer falschen Identität als syrischer Geflüchteter und spionierte offenbar mögliche Ziele aus – auch die Tiefgarage der Amadeu Antonio Stiftung. Als er 2017 eine von ihm versteckte Pistole am Wiener Flughafen zu holen versuchte, wurde er festgenommen (siehe Belltower.News). Aktuell steht er in Frankfurt am Main noch vor Gericht. Die Anklage: Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Als André S. alias „Hannibal“ erfuhr, was Franco A. vorgeworfen wurde, gab er die Anweisung, alle Chats zu löschen (siehe taz).

In Norddeutschland gehörte neben der Telegram-Gruppe „Nord“ von André S. auch die Chats „Nord.Com“ und „Nordkreuz“. Diese wurden vom Marko G. gegründet, früher Fernspäher und Fallschirmspringer, später SEK-Mitglied in Mecklenburg-Vorpommern – ein auf Geiselbefreiung trainierter Präzisionsschütze. Marko G. ist AfD-Mitglied. Schon zu seinen SEK-Zeiten soll sich G. laut Polizeikolleg:innen auffällig für den Nationalsozialismus und insbesondere für die SS interessiert haben, „ohne die nötige Distanz“ erkennen zu lassen (siehe Spiegel). Marko G. brachte Bücher über die Wehrmacht und die SS zur Arbeit mit, er trug auch T-Shirts mit rechtsextremen Sprüchen (siehe taz). Kolleg:innen beschwerten sich – mündlich und schriftlich. Doch die Vorgesetzten unternahmen nichts, sie beförderten ihn: Marko G. wurde für den gehobenen Dienst fortgebildet.

Viele Zeugen, wenige Konsequenzen

Marko G. ist eine Schlüsselfigur des „Nordkreuz“-Netzwerks – eine rund 30-köpfige Gruppe, die im Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommern 2020 als rechtsextrem eingestuft wird. Doch im Ermittlungsverfahren gegen Jan-Hendrik H. und Haik J. galt er lediglich als Zeugen – wie alle anderen „Nordkreuz“-Mitglieder auch. Bis heute ist Marko G. der einzige aus dem Netzwerk, der überhaupt verurteilt wurde: Ende 2019 bekam er in Schwerin eine Bewährungsstrafe – weil er illegal eine Maschinenpistole und zehntausende Schuss Munition gehortet hatte, nicht etwa, weil er Mitglied einer kriminellen Vereinigung gewesen sei oder eine schwere staatsgefährdende Gewalttat geplant habe.

Stattdessen fokussierte die Bundesanwaltschaft ihre Ermittlungen auf den Rechtsanwalt Jan-Hendrik H. und den Kriminaloberkommissar Haik J. Jan-Hendrik H. pflegte laut taz guten Kontakt zum AfD-Landtagsabgeordneten Holger Arppe, der Anfang 2018 aus der Partei ausgeschlossen wurde, nachdem er in internen Chats von der Hinrichtung politischer Gegner:innen sprach (siehe Belltower.News). Bei Geburtstagsfeiern hinter seinem Haus soll Jan-Hendrik H. ein Wettschießen veranstaltet haben. Der Preis: Ein Wanderpokal, benannt nach Mehmet Turgut, dem fünften von neun Mordopfern der NSU-Mordserie (siehe Süddeutsche Zeitung). Haik J. ist AfD-Mitglied und arbeitete in Holger Arppes Wahlkreisbüro. Laut dem BKA hatten Marko G. und Haik J. in Chatgruppen rechtsextreme Nachrichten geschickt. Sie sollen Flüchtlinge „Invasoren“ genannt haben, gegen die man notfalls mit Waffengewalt vorgehen müsse.

Im August 2017 durchsuchte das BKA Wohnungen und Büros der beiden Männer sowie mehrere Zeug:innen in Mecklenburg-Vorpommern. Ermittler:innen fanden Personendossiers in einem Aktenordner – mit Fotos und detaillierten Informationen wie Kontaktpersonen. Zu den 29 Namen im Ordner gehörten Landtagsabgeordnete der Linkspartei sowie Menschen, die sich gegen rechts engagieren oder das Gedenken für das Rostocker NSU-Mordopfer Mehmet Turgut organisierten. Im April 2018 folgte eine zweite Durchsuchung bei acht Zeug:innen. Ermittler:innen fanden später rund 25.000 Namen und Adressen auf Listen von „Nordkreuz“-Mitgliedern. Über seinen Dienstcomputer soll der Polizist Haik J. Meldedaten von politischen Gegner:innen ausspioniert haben. Doch Jan-Hendrik H. und Haik J. blieben auf freiem Fuß.

Alles Einzeltäter?

Beobachter:innen von „Nordkreuz“ sind nicht überrascht, dass die Ermittlungen gegen Jan-Hendrik H. und Haik J. nun eingestellt wurden. Ein Kenner von rechtsextremen Strukturen in der Bundeswehr und Polizei ist der Journalist Dirk Laabs. In seinem 2021 erschienenen Buch „Staatsfeinde in Uniform. Wie militante Rechte unsere Institutionen unterwandern“ beschreibt er ausführlich die verschiedenen Verbindungen des „Hannibal“-Netzwerks. „Es ist natürlich enttäuschend, passt aber ins Bild, denn eine Unwucht ist ja augenfällig“, sagt er gegenüber Belltower.News über die Ermittlungen.

Im Jahr 2020 führte der Generalbundesanwalt zum Beispiel 150 Terror-Verfahren gegen islamistische und ausländische Gruppen – und ein einziges gegen eine einheimische rechtsextreme Vereinigung, die „Gruppe S.“. „Und das, obwohl man angeblich seitens der Behörden erkannt hat, dass aktuell die größte Gefahr von der rechtsradikalen Szene ausgeht“, so Laabs weiter. „Das passt nicht zusammen“. Die Behörden gehen zwar gegen isolierte Gruppen vor – „aber wenn es etwa um Extremisten in den Behörden geht, verliert man offenbar schnell die Lust“. Als Beispiel nennt Laabs das Verfahren gegen Marko. G.: „Im bislang einzigem Prozess gegen ein ‚Nordkreuz‘-Mitglied hatte die örtliche Staatsanwaltschaft schon eindrucksvoll beschrieben, dass die Bundesanwälte kein Interesse an neuen Erkenntnissen zu Nordkreuz hatten.“

Auch Martina Renner, Bundestagsabgeordnete der Linken und Fraktionssprecherin für antifaschistische Politik, zeigt sich wenig überrascht über die jüngste Entwicklung im „Nordkreuz“-Verfahren. „Wer die halbherzigen Ermittlungen verfolgt hat, konnte voraussehen, dass diese Einstellung kommen wird“, sagt sie Belltower.News. „Wir sehen hier das Gegenteil konsequenter Verfolgung extrem rechter Netzwerke und deren terroristischer Planungen“. Es bleibe der Verdacht, die zögerliche Strafverfolgung sei dem Umstand geschuldet, dass unter Beschuldigten und zentralen Akteuren mehrere Polizeibeamte waren, so Renner. „Im Ergebnis werden so rechtsterroristische Strukturen nicht bekämpft, sondern gestützt“.

Das Verfahren gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. nennt Dirk Laabs ein Positivbeispiel: „Da war und ist die Bundesanwaltschaft sehr hartnäckig“. Doch der Vorgang habe einen Haken: „Man hat sich dort am Ende nur auf Franco A. konzentriert und ist auf sein Umfeld, gegen mögliche Unterstützer etwa in der KSK, jedenfalls nicht transparent und konsequent vorgegangen“. So wird Franco A. als Einzeltäter gesehen.

Unter den Augen des Verfassungsschutzes

In der Zwischenzeit ist „Nordkreuz“ weiterhin aktiv. Auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag antwortete die Bundesregierung im Juli 2021, dass sie von einem Fortbestand des Netzwerkes ausgehe. Die Bundesregierung schätze das Gefahrenpotenzial von Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden als besonders relevant ein, heißt es weiter. Die Verfassungsschutzbehörden hätten ihre Bemühungen um die „Detektion potenzieller Netzwerke von Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden“ deutlich verstärkt, so die Bundesregierung weiter.

Doch Martina Renner wirkt wenig überzeugt. „Das Netzwerk ist unter den Augen des Bundesamtes für Verfassungsschutz entstanden und weiter aktiv“, sagt sie. „Die Behörden müssen alle vorhandenen Informationen zusammentragen und ein erneutes Verfahren anstrengen. Ich erwarte auch, dass sämtliche waffenrechtliche Erlaubnisse, auch zum Betrieb des für ‚Nordkreuz‘ zentralen Schießstandes, entzogen werden“. Damit meint Renner „Baltic Shooters“, einen Schießplatz in Güstrow, der vom Frank T. betrieben wird – bis 2017 „Nordkreuz“-Mitglied.

Ähnlich sieht es Dirk Laabs: „Es ist völlig unklar, wie intensiv dort überhaupt ermittelt worden ist. Also: Hat man die Erkenntnisse aus verschiedenen Verfahren zusammengeführt? Konnte man auf die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes zurückgreifen, hat man sie genutzt? Alles unklar“. Auch unklar bleibt die Frage, ob der Kriminaloberkommissar Haik J. nun wieder in den Dienst darf oder gegebenenfalls schon lange wieder im Dienst ist.

Die Entscheidung des Generalbundesanwalts, das Verfahren einzustellen, kommt zu einem besonders brisanten Zeitpunkt. An der polnisch-belarussischen Grenze harren Geflüchtete unter zutiefst unmenschlichen Bedingungen aus, viele wollen nach Deutschland. Die Ukraine wird von russischen Truppen auf allen Seiten umzingelt. „All das wird nicht dazu führen, dass die ‚Nordkreuz‘-Mitglieder von Vorbereitungen für einen ‚Tag X‘ abrücken“, sagt Dirk Laabs. „Die ganzen Entwicklungen triggern sie“. Auf den „Tag X“ vorzubereiten sei aber jetzt offiziell aus Sicht des Generalbundesanwaltes kein Problem, solange sie nicht beweisbar auf den Umsturz hinarbeiten. Doch wenn die Krise kommt, stehen die Prepper bewaffnet und bereit.

Weiterlesen

Skandaltruppe: Das Kommando Spezialkräfte

Schwerpunkt Rechtsterrorismus „Selbstermächtigung ist in der DNA des KSK“

Der Journalist Dirk Laabs recherchierte zwei Jahre lang zu Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden. Entstanden ist das Buch „Staatsfeinde in Uniform: Wie militante Rechte unsere Institutionen unterwandern“. Ein Gespräch über bewaffnete Preppernetzwerke, die Skandale um das Kommando Spezialkräfte (KSK), die Mitschuld des Militärischen Abschirmdienst (MAD) – und dessen Bedeutung für die Mordserie des NSU.

Von|
Gegenfeuer: Das KSK, eine Eliteeinheit des Bundeswehr, wird teilweise aufgelöst.

KSK wird teils aufgelöst Kramp-Karrenbauer gegen den Korpsgeist

Das immer wieder rechtsextrem aufgefallene Kommando Spezialkräfte (KSK) soll teilweise aufgelöst werden. Diese überraschende Entscheidung kündigte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am Dienstag an. Der Beschluss folgt einer Reihe von rechtsextremen Vorfällen in der sogenannten Eliteeinheit der Bundeswehr.

Von|
Eine Plattform der