Seit den frühen Morgenstunden ist eingetreten, was viele bereits befürchteten: Russland startete seinen Angriffskrieg auf die Ukraine. Die Anzahl der Toten ist unübersichtlich. Zuletzt sprach das Präsidialamt der Ukraine von mehr als 40. Mittlerweile dürften die Zahlen aber weiter steigen. In den sozialen Medien sind abertausende zu sehen, die dem Krieg versuchen zu entfliehen. Während viele einfach nur dem Land hinaus wollen, haben deutsche Neonazis andere Pläne.
„Hat irgendjemand von euch Kontakt zum Asow-Regiment“, fragt ein Mitglied in einer neonazistischen Chatgruppe, „ich bin Deutscher und ich möchte für die Ukraine kämpfen und Europa verteidigen“. Der junge Mann, der in diesem internationalen Telegramchat nach einem Kontakt sucht, der ihn zum Kämpfen an die ukrainische Front bringen soll, ist ein eindeutiger Neonazi. Auf seinem Profilbild posiert er mit T-Shirts, auf denen „Sonnenstudio 88“ steht. Aus seiner Gesinnung macht der durchtrainierte Mann keinen Hehl.
Das „Asow“-Regiment ist ein 2014 gegründetes Freiwilligenbataillon, welches aber nur einen kleinen Teil des ukrainischen Militärs stellt. Es machte sich vor allem durch seine rechtsextreme Ausrichtung einen Ruf, der auch für ausländische Neonazis den Weg für eine militärische Ausbildung ebnete. Im Interview mit Belltower.News erklärte der kanadische Journalist Michael Colborne, „‚Asow‘ als Ganzes ist ausdrücklich gegen die liberale Demokratie“ und „es handelt sich um eine heterogene rechtsextreme Bewegung, die gerne eine Minderheit von Neonazis und Anhänger:innen politischer Gewalt, wie groß auch immer sie ist, in ihren Reihen hat“. Das motiviert junge Rechtsextreme.
Interview mit Michael Colborne: „Asow verdankt seine Existenz dem Krieg”
Aber die Situation ist jetzt anders. Wer heute den Weg zu „Asow“ antreten möchte, liebäugelt nicht mit einer militärischen Ausbildung, sondern weiß, dass ein Krieg wartet, in dem die Wahrscheinlichkeit hoch ist, getötet zu werden. Trotzdem machen deutsche Neonazis Werbung für diesen Weg.
Der ehemalige NPD-Funktionär Tobias Schulz, der auch unter dem Namen Baldur Landogart bekannt ist, verfügt über einen guten Draht zu den ukrainischen Milizen. In einem Schreiben an seine Community vom 13. Februar 2022 richtete er sich auch an Menschen, die an den sogenannten „Spaziergängen“ der „Querdenken“-Bewegung teilnehmen. „Wer an Stelle von einem 1000ten Corona-Spaziergang einmal an einem richtigen Kampf teilnehmen möchte, kann sich melden“, heißt es darin von seiner Seite.
Heute, wenige Stunden nach Putins Angriff auf die Ukraine, teilte Schulz auf Telegram eine Liste von Adressen und Telefonnummer für Koordinierungszentren für Freiwilligeneinheiten in der Ukraine. Er habe immer mehr Anfragen von „Kameraden“ bekommen, die sich dem Unabhängigkeitskampf anschließen wollen würden – und nennt Kontakte beim „Regiment Asow“ und deren Partei „Nationalkorps“.
An Russland-Unterstützer:innen gerichtet, veröffentlichte Schulz heute auf seinem Telegramkanal ein Statement mit den Worten: „Ihr seid nicht mehr meine Kameraden und Ihr gehört auch nicht mehr meinem Volk an“. Der Keil sitzt tief in der Neonazi-Szene – auch, weil sich viele ukrainischen Rechtsextremen näher sehen. Aber auch über die einzelnen Gruppierungen hinaus scheint es in der extrem rechten Szene zu brodeln.
Deutliche Zurückhaltung der AfD
Stellte sich die AfD noch vor zwei Tagen gegen jegliche Sanktionen gegen Russland, versucht die AfD heute ihren Standpunkt im Krieg zu finden. Zwar sehe man laut Bundessprecher Tino Chrupalla den russischen Angriff „durch nichts gerechtfertigt“, aber die sonst so gewohnte Mitteilungsfreude blieb zu den heutigen Geschehnissen überwiegend aus.
Die rechtsextreme Szene, die sich um das „Querdenken“-Milieu sammelt, hält allerdings dagegen und beteuert ihre Treue zu Russland. Die sogenannten „Freien Sachsen“, eine von Rechtsextremen und NPD-Kadern angeführte Bewegung, solidarisiert sich mit Putin – wie auch große Teile der verschwörungsideologischen Szene. Sie sehen Russlands Angriffe als Verteidigungshandlungen und übernehmen das Narrativ des Kremls.
Der Krieg in der Ukraine scheint die extrem rechte Szene intern zu zerrütten. Einige halten sich bedeckt, scheinen die Situation erst für sich ausloten zu wollen. Stramme Neonazis scheinen sich gerne im Schützengraben neben rechtsextremen Milizionären zu sehen. Die AfD und ihre Mitglieder halten sich größtenteils bedeckt. Dagegen richtet sich die Wut aus der Szene nahe der „Querdenker“ gegen eine angebliche NATO-Aggression und für eine Loyalität zu Russland. Während innerhalb der Szene die Grabenkämpfe in Chatgruppen ausgetragen werden, sterben hingegen in der Ukraine Soldat:innen und Zivilisten in einem echten Krieg.