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Rechtsextreme Strukturen Biedermänner und Brandstifter

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Rathaus Ludwigslust

Norbert Stern sitzt in seinem Büro gleich neben der lichtdurchfluteten Aula. Der Rektor des Elbe-Gymnasiums in Boizenburg sieht aus, wie man sich einen Lehrer vorstellt, grauer Vollbart, eckige Brille, ernster Blick. Stern hat schon so manche Störaktion der rechtsextremen NPD mitverfolgt. Unlängst war es wieder einmal so weit, direkt vor seiner Schule tauchten sogenannte Schulhof-CDs auf, das Cover bunt und fröhlich, dazu ein Mädchen mit Sonnenbrille und Kopfhörern. Alles sehr hip, alles sehr trendy. Der Inhalt mit dem Titel „Freiheit statt BRD“ ist dagegen weniger harmlos. Ein Kürzel verrät den wahren Hintergrund der Musikoffensive: AJ ist da zu lesen. Es steht für „Arische Jugend“.

Immer wieder wirbt die NPD im nordöstlichsten Bundesland mit einschlägigen Tonträgern für ihre braune Gesinnung. Die Liedtexte von Gruppen wie „Division Germania“ oder „Frontalkraft“ sind verstörend aggressiv: „Nazis nein, Nazis raus. Holt die Kotztüten raus. Hier kommt der neueste Schwank aus dem Irrenhaus.“

Das Lied „Nazihorrorschau“ ist eines von vielen, das die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien per Eilverfahren auf den Index setzte. Damit darf die CD mit einer Auflage von 25.000 Stück nicht mehr verteilt werden.
Mit dem Verbot ist für Stern das Thema keinesfalls erledigt. Seine Schüler sollen für die steten Propagandafeldzüge bestmöglich gerüstet sein. Aus diesem Grund finden an seinem Gymnasium regelmäßig Workshops über rechte Musik statt. Zudem beteiligen sich seine Schüler an der Bundesinitiative „Schule ohne Rassismus“, mit Unterschriften haben sie sich dazu verpflichtet, gegen jede Form von Diskriminierung vorzugehen. „Das Wichtigste ist die Aufklärung, die Bewusstmachung, was Demokratie überhaupt bedeutet“, sagt Stern.

Und die Aktionen zeigen Erfolg: Für engagierte Jugendliche des Elbe-Gymnasiums ist es Ehrensache, offen Flagge zu zeigen. Dann etwa, wenn die NPD auf dem Wochenmarkt in Boizenburg vis a vis des Rathauses wieder einmal mit einem Infostand auf Menschenfang geht. Die Gymnasiasten strömen dann aus, postieren sich demonstrativ vor dem Grüppchen der Ewiggestrigen. Es ist ein Zeichen des Widerstands, es gibt etliche davon im Landkreis Ludwigslust.

Couragierte Bürger gegen rechte Umtriebe

Auch in der nahe gelegenen Boizenburger St. Marien-Kirche ist die NPD zwanzig Jahre nach der Wende ein Dauerthema. Pastor Dino Steinbrink verfolgt die Umtriebe der Systemfeinde mit Sorge. Der gebürtige Bochumer spricht leise, fast schüchtern. Und doch hat er ebenfalls bereits Zeichen gesetzt, gegen die Rechten und ihre menschenverachtende Ideologie. Vor drei Jahren warf der Geistliche den (damaligen) NPD-Fraktionschef im Schweriner Landtag, Udo Pastörs, aus der Kirche. Anlass war ein Überfall auf einen Asylbewerber. Steinbrink hatte nach dem Vorfall zur offenen Aussprache geladen. Pastörs, der Hitler schon mal als „Phänomen“ bezeichnete, der „wahnsinnige Pflöcke eingerammt“ habe, fiel auch bei dieser Gelegenheit mit diskreditierenden Äußerungen auf – und musste das Gotteshaus verlassen. Kein Einzelfall: Vergangene Woche wurde Pastörs vom Landgericht Saarbrücken in zweiter Instanz zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Er hatte während einer Parteiveranstaltung gegen die „Judenrepublik“ und „türkische Samenkanonen“ gehetzt.

In Mecklenburg-Vorpommern führt die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ den „Kampf um die Köpfe“, wie sie es nennt, mit zäher Verbissenheit. Eine überragende Bedeutung kommt dabei den Kommunen zu: Hier wollen die Rechtsausleger ein „nationales Milieu“ schaffen, um das politische System der Bundesrepublik zu eliminieren. „Wir müssen gegensteuern“, sagt Pastor Steinbrink und legt seine Stirn in Falten. „Das Menschenbild der NPD widerspricht allen demokratischen Vorstellungen. Sie kehren unsere Werte um: Statt „die Würde des Menschen ist unantastbar“ gilt: „Du bist nichts, dein Volk ist alles.“
Boizenburg bietet auf den ersten Blick eine beschauliche Idylle: 10.000 Einwohner, ein kleiner Hafen an der Elbe. Zu DDR-Zeiten lag der westlichste Ort Mecklenburgs mit seinen pittoresken Fachwerkhäusern im Sperrgebiet. 1952 wurden in der Aktion „Ungeziefer“ jene umgesiedelt, die dem Regime als zu wenig systemtreu galten. Womöglich sind die Menschen hier daher besonders vorsichtig, vorsichtiger noch als anderswo.

Es sind denn auch nur eine Handvoll Boizenburger, die sich zu einem „Bunten Bündnis“ zusammengeschlossen haben, um gegen die Umtriebe der rechten Szene aufzubegehren. „Die meisten hier“, sagt einer von ihnen, „haben Angst, etwas zu unternehmen“. Und so haben die Demokratiefeinde nahezu freie Hand, den Landkreis nach ihren Vorstellungen zu verändern. Mit immer gleichen Parolen („Ausländer rein? Wir sagen nein!“) pflastern NPD-Sympathisanten ganze Straßenzüge zu, mal tauchen Hakenkreuze auf, mal Rudolf-Hess-Plakate. Als couragierte Boizenburger die Konterfeis des einstigen Hitler-Stellvertreters überklebten, hatte der Ober-Nazi nach nur wenigen Stunden den Ort wieder zurückerobert. Die NPD und ihre Handlanger – sie sind bestens organisiert.

Ländliches Versuchslabor der NPD

Auch Einschüchterung gehört zu ihrer Strategie: Kritikern werden schon mal die Autoreifen zerstochen, Briefkästen in Brand gesetzt, mal brennen ihre Fahrzeuge. Die Hemmschwelle, Gewalt auszuüben, sei in den letzten zwei Jahren gesunken, befindet Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU). In der Bevölkerung macht sich Angst breit, ihren Namen wollen viele angesichts der Übergriffe nicht in der Zeitung lesen. „Die Politik“, raunen sie dann hinter vorgehaltener Hand, „lässt uns mit dem Problem allein“.

Nachdem die NPD jahrelang an der Wahrnehmungsschwelle herumlaborierte, schaffte sie 2006 erstmalig den Sprung in den Schweriner Landtag. Eine Stärkung erfuhr die Partei nicht zuletzt durch den Zuzug zahlreicher Nazi-Kader aus dem Westen, die sich nach der Wende vornehmlich im Kreis Ludwigslust ansiedelten. Neben Udo Pastörs kam auch der Hamburger Neonazi Thomas Wulff sowie der aus Nordrhein-Westfalen stammende Stefan Köster, inzwischen NPD-Landesvorsitzender. Und die braune Besiedelung ist keineswegs zu Ende: In den Katasterämtern tauchen immer wieder Leute aus dem Umfeld der Partei auf, die für größere Objekte in der Region auffälliges Interesse bekunden.

Gezielt hat die NPD damit begonnen, die Gegend zu unterwandern. Der Kreis Ludwigslust ist für die NPD-Führungsriege so etwas wie ein Versuchslabor. Hier, sagen Beobachter, „testen sie aus, was geht“. Während Pastörs bei internen Partei-Veranstaltungen gerne den unbarmherzigen Hetzer gibt, mimen er und seine Mannen in der mecklenburgischen Provinz die aufrechten Bürger. Pastörs, gelernter Uhrmacher, ein Mann mit rasantem Kurzhaarschnitt, ist im Auftreten ausgesucht höflich, zeitweise betrieb er in dem 4000-Seelen-Dorf Lübtheen ein Schmuckgeschäft. Mit seiner Familie wohnt er gediegen in einem Herrenhaus ganz in der Nähe.

Von Springerstiefeln zur nachbarschaftlichen Umarmung

Im Alltag dienen sich die neuen Nazis der Bevölkerung geschickt an: Sie organisieren Kinderfeste, beraten Hartz-IV-Empfänger. Und sie drängen mit aller Macht in Sportvereine sowie in die Elternbeiräte von Schulen und Kindergärten. Sie sind hilfsbereit, backen Kuchen, mimen den „netten Nachbarn von nebenan“, wie eine Mutter die braune Schmeicheloffensive umschreibt.

Optisch sind die Systemfeinde schon lange nicht mehr zu erkennen. Sie tragen Hemd und Sakko – setzen auf biedere Bürgerlichkeit statt auf Bomberjacke. Und für viele macht gerade diese vermeintlich harmlose Fassade es schwer, die Schmuddelkinder zu orten. „Es gibt eine große Verunsicherung: Wie kann man sie erkennen? Wie geht man etwa bei Wahlen in Kindertagesstätten und Schulen mit ihnen um?“, sagt Anne-Rose Wergin, Projektleiterin der Amadeu Antonio Stiftung, einer Stiftung, die sich bundesweit gegen Rechtsextremismus engagiert. In Ludwigslust betreibt die Stiftung das Projektbüro „Lola“, neuerdings werden hier Trainings für Pädagogen organisiert, die mit NPD-Familien Kontakt haben. Hier können sich die Betroffenen über Vorgehensweisen und Strategien der vermeintlichen Biedermänner informieren. „Erst wenn man denen die Maske herunterreißt“, sagt Wergin, „kommt dahinter der Nazi zum Vorschein“.

Wergin kann von ihrem Büro aus auf den Marktplatz von Ludwigslust blicken. Hier wirkt alles adrett und sauber. Die Häuserfassaden sind renoviert, eine Straße mit Pflastersteinen führt zum schmucken Residenzschloss mit angelegtem Landschaftspark. Noch vor zehn Jahren marschierten vor dieser Kulisse regelmäßig Neonazis in Springerstiefeln auf. Diese Zeiten sind vorbei. An die Stelle der martialischen Inszenierung ist die nachbarschaftliche Umarmung getreten. Die aber ist nicht minder gefährlich, geht die Indoktrinierung doch eher im Verborgenen vonstatten.

Angesichts der trügerischen Ruhe sind einige Politiker denn auch bemüht, die Situation schön zu reden. Die Präsenz der rechten Kader sei kein Problem, das die Leute im Alltag bewege, befindet etwa Rainer Mach, der neue Bürgermeister von Ludwigslust. Seine Diagnose geht freilich an der Wahrnehmung vieler im Landkreis vorbei. Nicht wenige treibt das Gefühl um, dass die etablierten Parteien den rechtsextremen Gesellen zu wenig entgegen setzen.

Zugegeben, es gibt erfreuliche Initiativen: Etwa die jährliche Biker-Sternfahrt für Demokratie, die auch zum ehemaligen KZ-Wöbbelin, einer Außenstelle des einstigen KZ-Neuengamme, führt. Oder der Jugendrat der Stadt Ludwiglust, in dem junge Menschen im Kleinen lernen können, wie Demokratie funktioniert. „Durch aktive Partizipation müssen wir den Menschen die Demokratie nahe bringen“, sagt Mach. „Wir müssen sie abholen.“

Wer sich in Mecklenburg umschaut, wird freilich viele finden, die von der offiziellen Politik schon lange nicht mehr abgeholt werden. Um sie kümmert sich Thomas Ruppenthal von der Evangelischen Jugend Schwerin. Vor wenigen Wochen hat der 58-Jährige mit zwei Kollegen ein kleines Statteilbüro in Neustadt-Glewe aufgemacht.

Raus aus der Tristesse

Der Bahnhof des Ortes rottet vor sich hin, wenige Gehminuten entfernt findet sich die Otto-Lilienthalstraße. Die mehrstöckigen Wohnklötze atmen einen Hauch von Tristesse, sie sind Heimat für Alte, Arbeitslose, Menschen ohne Aufgabe und Zukunft. Es ist ein vergessener Stadtteil. Die offizielle Politik verirrt sich nur selten hierher.

Es ist 12 Uhr am Mittag, und Ruppenthal kämpft sich in den grauen Treppenhäusern von Tür zu Tür. Der Streetworker klingelt bei jenen, die von Demokratie-Sternfahrten und Bürger-Partizipation noch nie etwas gehört haben. Die meisten machen gar nicht erst auf, andere schauen müde aus ihren Wohnungen. Sie haben abgeschlossen und werden dadurch offen für eine Politik, die allzu einfache Lösungen für komplexe Probleme anbietet. Offen für die NPD.

Als Ruppenthal und sein Team hierher kamen, haben sie erst einmal den maroden Spielplatz aufgebaut, zusammen mit den Anwohnern. Väter haben gewerkelt, Mütter angestrichen. Am Ende haben sie gemeinsam gefeiert. Ein Erlebnis, das es in der Neustädter Platte nicht jeden Tag gibt. Eben das ist Ruppenthals Ansatz: Die Menschen motivieren, damit sie künftig ihr Leben wieder selber gestalten. Er ist überzeugt, dass man sie nur so wieder zurückholen kann. Rausholen aus dem Frust, der sie empfänglich macht für die rechten Biedermänner und ihre Brandstifter.

Am frühen Nachmittag kommen die Kinder aus der Platte strahlend ins Stadtteilbüro gerannt. Früher war hier eine Bäckerei untergebracht, jetzt gibt es Bücher und Spielzeug – und Menschen, mit denen sie basteln, vor allem aber reden können. Auch einige Eltern schauen ab und zu auf einen Kaffee vorbei. Schnell hat es die Runde gemacht, dass sich im Stadtteil etwas bewegt. Einige fragten sofort: „Seid ihr von der NPD?“ Deutlicher könnte das Versagen der offiziellen Politik wohl nicht formuliert werden.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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