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Rechtsextremer Alltag in Brandenburg Wie Berliner Schüler*innen den Angriff in Frauensee erlebten

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Blick auf das Kindererholungszentrum (KiEZ) am Frauensee im Spreewald. (Quelle: Wikimedia / Xenomorphus / CC BY-SA 4.0)

Aktuell häufen sich wieder die Berichte über Rechtsextremismus in Brandenburg. Im Berliner Umland hat sich aus den gewaltbereiten Neonazi-Kids der 1990er „Baseballschläger“-Jahre eine Erwachsenen-Generation entwickelt, die gesellschaftlich etabliert ist, erfolgreich mittelständische Firmen und Geschäfte betreibt – und ihre Ideologie nicht aufgegeben hat, sondern daran arbeitet, diese an die nächste Generation weiterzugeben. Politik-, Justiz- und Verwaltungskreise reagieren darauf überraschend milde, auch bei Repressionen oder Urteilen – auch dies seit den 1990er Jahren –, sodass in Brandenburg etwas gelungen ist, was der Brandenburger Verfassungsschutz-Leiter Jörg Müller in einer Kontraste-Dokumentation so beschreibt: „Die Verbindung aus alten Rechtsextremisten, neuen Rechten, Hooligans, Türstehern und Gewerbetreibenden ergibt ein toxisches Gebilde, dass es in Deutschland so nicht häufig gibt“.

Etablierte Rechtsextreme

So betreibt etwa ein langjähriger, einschlägig auch für Gewaltdelikte bekannter Neonazi die allseits beliebte Eisdiele vor der Oberschule in Burg, deren Lehrer*innen sich in einem Brandbrief gegen die rechtsextreme Normalisierung an ihrer Schule an die Öffentlichkeit wandten, weil selbst die Schulleitung nichts mehr gegen Hitlergrüße auf dem Schulhof unternahm, Hakenkreuz-Schmierereien überall ignorierte und ebenso Beleidigungen gegen Schüler*innen mit nicht-weißer Hautfarbe und rassistische und antisemitische Memes in den Klassenchats.

Rechtsextrem Sein scheint cool und mehrheitsfähig

Laut den Lehrer*innen der Oberschule in Burg gelten die rechtsextremen Jugendlichen – wieder? Immer noch? – als die „Coolen“ an der Schule, an der sich andere orientierten. Vor allem sind sie offenbar viele: Tatsächlich sprechen die Lehrer*innen im Interview mit dem rbb von einer „ganz kleinen Gruppe“ der Nicht-Rechten: „Bei den ausländischen Schülern reden wir von nicht mehr als fünf, bei demokratisch eingestellten Schülern, die offen sagen, dass sie die rechte Haltung nicht gut finden, reden wir von vielleicht sieben, acht. Und das an einer Schule mit 500 Schülern.“ Schüler*innen bestätigt: Wer nicht mitmache, werde ausgeschlossen oder beleidigt. Also machen viele mit.

Rechtsextreme Kinder rechtsextremer Eltern

Die Eltern der Schüler*innen fallen als Ansprechpartner zu diesem Verhalten teilweise ebenfalls aus: Weil sie die Ideologie teilen. Eisdielen-Neonazi Daniel G. – nimmt in der Freizeit gern an revisionistischen „Trauermarsch“-Demonstrationen oder rechtsextremen Kampfsport-Events teil – betreibt auch das „Deutsche Haus“ in Burg als Veranstaltungsraum und Neonazi-Treff. Eltern mieteten diese Location für die Abi-Feier ihrer Kinder, auch Lehrer*innen gingen hin. So sieht eine Normalisierung des Rechtsextremismus aus, oder wie der Verfassungsschutz Brandenburg sagt, die „Entgrenzung“ (vgl. Kontraste).

Nach dem Brandbrief aus Burg melden sich auch Lehrkräfte anderer Schulen bei Beratungsstellen, die ähnliche Dinge berichten und sagen, dass sie nicht wissen, wohin mit diesen Erfahrungen. Auch unter Schüler*innen wird der alltägliche Rassismus und Rechtsextremismus diskutiert: Unter einem TikTok-Video von „Nicetoknow“ zum Brandbrief aus Burg bestätigen etliche Kommentare, dass Hakenkreuze und rechtsextreme Memes in Klassenchats ein bundesweites beunruhigendes Phänomen sind: „Dachte das normal bei uns jeden tag so“, „Hä, so ist das in jeder Schule, nur wissen und merken die Lehrer das nicht“, „einfach unsere Schule“, „Normaler Alltag bei uns (Hauptschule)“. Erschreckend.

Rechtsextreme Ideologie führt zu Gewalt: Frauensee

Burg ist also ein Beispiel, kein Einzelfall. Frauensee ist noch ein Beispiel, diesmal eines, in dem tolerierter Rassismus zur gewalttätigen Bedrohung wird. Die Ferienanlage am Frauensee ist ein beliebter Ort für Kita- und Schulfahrten und Ferienlager, kleine Holzblockhütten im Wald, am See, abgeschieden, genug Platz auch, wenn mehrere Gruppen auf der Anlage sind, Platz zum Toben und Lautsein – und einsam, wenn es nicht so friedlich zugeht. Die meisten Gäste der Anlage dürften aus dem nahen Berlin kommen und somit mit verschiedenen Hintergründen nach Brandenburg reisen, aber mit dem gemeinsamen Bedürfnis nach Natur und Entspannung.

Brandenburg, Du hast ein Problem: Eine rechtsextreme Gruppe instrumentalisiert den Angriff auf Berliner Schüler*innen für mehr Rassismus.

„Viele Koranleser“

Für die 10. Klasse der Lina-Morgenstern-Schule aus Berlin-Kreuzberg sollte der Aufenthalt im KIEZ Frauensee außerdem der Vorbereitung auf ihren mittleren Schulabschluss (MSA) dienen. Die Ankunft in Brandenburg erlebten die Kinder allerdings nicht als sehr gastlich. Eltern der Klasse berichten gegenüber Belltower.News, die Kinder hätten von der Begrüßung berichtet: „Na, ihr seid aber viele Koranleser, hoffentlich wisst ihr, dass wir hier mit Schweinefleisch kochen.“

Auf Nachfrage antwortet die Geschäftsführung der Ferienanlage, eine solche Begrüßung sei „natürlich nicht angemessen“, sie hätte aber das Gespräch mit Lehrer*innen und Schüler*innen gesucht und es sei ein Missverständnis gewesen und es sei kein Mitarbeiter der Anlage gewesen, der diese Aussage getätigt habe.

Weiterhin berichteten Eltern gegenüber Belltower.News, nachmittags sei eine Gruppe der 15- bis 16-jährigen Schüler*innen im Ort Heidesee einkaufen gewesen und vor dem Supermarkt auf dem Parkplatz von ortsansässigen Jugendlichen rassistisch beschimpft worden.

Vermummte Rechtsextreme kreisen die Berliner Schüler*innen ein

Abends folgte dann die Eskalation. Der geplante Lagerfeuer-Abend endete jäh, als die Berliner Schüler*innen bemerkten, dass eine Gruppe Menschen einen Ring um ihren Lagerplatz gezogen hatten und von allen Seiten langsam näher kam. Sie waren mit Sturmhauben vermummt – also vorbereitet – und mit Knüppeln oder Ästen bewaffnet. Lehrer*innen und Schüler*innen verrammelten sich in einer der Hütten. Die Angreifer schlugen mit ihren Waffen gegen Wände und Fensterläden und bedrohten die teilweise als muslimisch zu erkennenden Jugendlichen aus Berlin. Die Lehrer*innen riefen die Polizei, die nach im ländlichen Raum üblichen, aber quälenden 40 Minuten eintraf, was die alkoholisierten Angreifenden aber nicht augenblicklich beeindruckte. Unter Polizeischutz mussten die Berliner Jugendlichen dann vom Gelände gebracht werden und standen nachts um 3 Uhr dann wieder bei ihren Eltern vor der Tür. „Der Schock kam erst am nächsten Tag,“ erzählt ein Vater, „als allen klar wurde, was hätte passieren können.“

Ermittlungsstand: Unklar

Die Polizei nahm derweil die Personalien von 28 Jugendlichen zwischen 17 und 19 Jahren auf, die als Gäste einer Geburtstagsfeier eines Jugendlichen aus dem Nachbarort auf dem Ferienlager-Gelände waren (vgl. rbb24). Aus der Feier rekrutierte sich mutmaßlich der Kreis der Täter*innen. Ermittelt werden wegen Volksverhetzung und Bedrohung. Anfragen von Belltower.News bei der Staatsanwaltschaft Cottbus zum Stand der Ermittlungen blieben bislang unbeantwortet.

Instrumentalisierung: Sofort

Ob die angreifenden Jugendlichen in Frauensee mit organisierten rechtsextremen Szenen aus Brandenburg in Kontakt stehen, ist derzeit noch nicht zu beantworten. Andersherum folgte die Instrumentalisierung des Vorfalls auf dem Fuße. Das Mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Trebbin beobachtete, dass die rechtsextreme „Jugendoffensive Berlin-Brandenburg“ nach dem Vorfall eine rassistische und flüchtlingsfeindliche Plakataktion des „III. Wegs“ im Nachbarort Heidesee am darauffolgenden Wochenende auf Twitter teilte.

Die „Jugendoffensive Berlin-Brandenburg“ sei aber aktuell vor allem eine „Social-Media-Erscheinung“, die mal Inhalte der NPD und von deren Jugendorganisation JN postete, nun aber vermehrt auch Meldungen des III. Wegs teilte. Offenkundig suchen die Aktivist*innen also Anschluss an die rechtsextreme Parteienlandschaft.

„Väter und Söhne gemeinsam vor Gericht“

Anne Brügmann vom Verein Opferperspektive, einer Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt, kommentierte im Gespräch mit dem rbb, sie würde sich nicht über rechtsextreme Umtriebe bei den Jugendlichen in der Region wundern. „In unserer Arbeit kommt es immer mal wieder vor, dass Schülerinnen und Schüler, die gemeinsam unterwegs sind, angegriffen werden.“ Gerade Königs Wusterhausen sei in den 1990er Jahren zudem ein absoluter Schwerpunkt rechter Gewalt gewesen, so Brügmann. „Nach wie vor ist es ein Gebiet mit sehr verfestigten rechten Strukturen. Wir erleben es häufig, dass es sich bei den jungen Menschen, die als Täter bekannt werden, um die Kinder der ‚Baseballschlägerjahre‘-Generation handelt.“ Jene, die zu Beginn der 1990er-Jahre an rassistischen Ausschreitungen und Angriffen auf eine Geflüchtetenunterkunft beteiligt waren, seien ab 2015 wieder bei rechten Kundgebungen mitgelaufen – teilweise mit ihren Kindern. Bisweilen stünden Väter und Söhne gemeinsam wegen rechter Straftaten vor Gericht.

Titelbild: Wikimedia / Xenomorphus / CC BY-SA 4.0

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