Dieser Text erschienen zuerst bei der Bundeszentrale für politische Bildung
Martin Krause dominiert seinen Gegner sichtlich. Immer wieder tariert er mit seiner Führhand die Entfernung zum Gegner aus, bewegt sich gut im hell ausgeleuchteten, achteckigen Käfig, täuscht an und schlägt überraschend zu. Er ist der deutlich bessere Boxer im neunten Mixed-Martial-Arts (MMA)-Kampf des Abends beim Event „Sprawl and Brawl“ in Berlin. Sein Gegner – der Berliner Feuerwehrmann Andre Lenke – hat kaum eine Chance. Die rund 500 Zuschauer*innen sehen einen ungleichen Kampf.
Es ist das 4. Event am 12. November 2016 im Ostberliner Stadtteil Weißensee. Mehrere Wochen hat der Veranstalter das Event öffentlich beworben, vor der Halle einen Burgerstand aufbauen lassen, drinnen gab es Motorräder zu bewundern. Lenke hatte seine Unterstützer mitgebracht, die ihn lautstark anfeuerten. Doch auch Krause kam nicht alleine. Kurz nachdem der Ringrichter den Kampf nach 1:56 Minuten zugunsten Krauses abbrach, rannten gut zwei Dutzend junge Männer von den Rängen in Richtung des Käfigs. Sie skandierten „HooNaRa“.
Verbindungen zur Hooligan-Szene
Die Abkürzung steht für „Hooligans Nazis Rassisten“ und geht auf einen Zusammenschluss von sächsischen Hooligans in den 1990er und 2000er Jahren zurück, vorrangig aus Chemnitz und Zwickau. Seinerzeit galt die Gruppe in der Hooliganszene als sportlich führend in Deutschland, politisch als militant rechts. Zwar hat sie sich 2007 aufgelöst, doch die Netzwerke bestehen weiter, der Slogan hat sich in der Szene verselbstständigt. Und die Verbindung zu Krause kommt nicht von ungefähr. Er trägt den Leitspruch der Waffen-SS „Ruhm und Ehre“ groß auf seinem Schlüsselbein. Zwar tritt er für das Leipziger „Bushido Free Fight Team“ an, doch trainierte er zuvor im Boxclub Chemnitz 94 e.V.
Die etablierten Netzwerke scheinen jederzeit mobilisierbar: Im Januar 2016, am Rande des ersten Jahrestages des Leipziger Ablegers der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEgIdA) namens LEgIdA zogen knapp 250 Neonazis und Hooligans durch den alternativen geprägten Stadtteil Connewitz und zerstörten mehrere Geschäfte. Es sollte eine Machtdemonstration gegenüber der linken Fanszene von Chemie Leipzig werden. Letztlich konnte die Polizei knapp über 200 Randalierer festsetzen, unter ihnen Martin Krause.
Entdeckung der Kampfsport-Szene
Er war bei weitem nicht der einzige Kampfsportler in der klandestin organisierten Aktion. Denn extrem rechte Hooligans haben die Welt des Kampfsportes für sich entdeckt. Dabei gestaltet sich diese für Außenstehende sehr unübersichtlich. Dies liegt zum einen daran, dass Kampfsport der Oberbegriff für eine Vielzahl an Disziplinen – vom klassischen Boxen über Karate bis hin zu Taekwondo – ist und diese sich unterschiedlich organisieren. Während die Verbände der drei Genannten Mitglied im Deutschen Olympischen Sportbund sind, werden Kickboxen und MMA auf dem freien Markt organisiert. Folglich existieren mehrere Verbände gleichzeitig, ebenso wie eine ganze Reihe an Veranstaltern, die eigene Events durchführen und eigene Titelkämpfe in den unterschiedlichen Gewichtsklassen austragen.
Jedoch sind nicht alle Kampfsportarten gleichermaßen interessant für extrem rechte Hooligans. Im Judo beispielsweise finden sie sich kaum, sondern eher in den Disziplinen, die dem Straßenkampf technisch am nähesten kommen: Mixed-Martial-Arts verbindet Stand- und Bodenkampf, verschiedene Schlag-, Tritt-, Griff- und Wurftechniken. In Deutschland wurde es lange Zeit „Freefight“ genannt und ist über die vergangenen 15 Jahre stark gewachsen. Einhergehend mit einem gesellschaftlichen Fitnessboom bieten heute bundesweit mehrere hundert Studios MMA an, wenngleich nicht alle auf Wettkampfniveau.
Doch bei aller Unübersichtlichkeit wird an Ereignissen wie dem eingangs Geschilderten deutlich: Teile der Kampfsportwelt – insbesondere des Kickboxens und des MMA – haben ein massives Problem rechts außen. Auch für „Sprawl and Brawl“ ist es nicht der erste Kontakt mit derlei Klientel und Partnern. Wiederholt engagierte der Veranstalter Kämpfer, die er nach politischen Protesten wieder von der Fightcard nehmen musste. Dabei bestimmen die angekündigten Kämpfer wie in kaum einer anderen Sportart auch das Publikum. Im November 2016 in Weißensee trat das extrem rechte Label „Greifvogel“ aus dem südbrandenburgischen Lindenau in Gruppenstärke und einheitlicher Markenkleidung wie ein Werbeblock auf. Man drängt auf den Markt.
Rechte Kampfsportlabels wachsen
Das Label „Greifvogel“ steht stellvertretend dafür, wie extrem rechte Hooligans in den vergangenen Jahren ihre Versuche, sich im Kampfsport zu etablieren, intensiviert haben. Dessen Chef, Sebastian Raack, ist gut in der Hooliganszene vernetzt und verdient sein Geld mit dem Vertrieb extrem rechter Musik sowie von Kampfsportkleidung. Die Marke wurde im März 2014 offiziell registriert und gehört somit in eine Reihe an Labels, die in den vergangenen zehn Jahren entstanden und international vernetzt sind.
Denn gemeinsam mit einer Reihe an europaweiten, extrem rechten Marken vertreibt Greifvogel seine Ware u.a. über den Internetversand 2yt4u. Das Kürzel steht für die Lautsprache des englischen Slogans „Too White For You“ (dt. „Zu weiß für dich“). Dort verkaufen „White Rex“ aus Russland (gegründet 2008), „Pride France“ (2013), „Sva Stone“ aus der Ukraine (2010) und „Rodobran“ aus Bulgarien (2018) alles von Alltagskleidung wie Mützen und T-Shirts bis Kampfsportausstattung wie Handschuhe, Mundschutz und Handtücher. Symbolisch bewegt man sich zwischen eher unverfänglichen Tiermotiven und kriegerischen Bildern, deutlicher NS-Symbolik und vermeintlich germanischen als auch slawischen Runen. Mittels dieser theoriefernen, gewaltbetonten und geschäftlichen Verbindung scheinen auch frühere, rassistisch motivierte Konflikte zwischen deutschen, ukrainischen und russischen Neonazis überwindbar zu sein.
2016 stieß ein weiteres deutsches Label hinzu. „Black Legion“ wurde im Raum Cottbus gegründet und bezieht sich historisch sowohl auf eine Abspaltung des amerikanischen „Ku-Klux-Klan“ als auch auf eine kroatische Elite-Einheit der faschistischen Ustasha-Miliz, die im Zweiten Weltkrieg mit dem NS-Regime kollaborierte. Im Selbstverständnis der Marke präsentiert man sich als antikapitalistische Alternative: „Das Volk wird belogen, betrogen, kriminelle Banden regieren ganze Stadtviertel und die überwiegende Volksmasse ist ertränkt in erbarmungsloser imperialistischer Lethargie.“ So spielt neben der Feindschaft gegen Einwanderung auch Ablehnung von Modernität eine zentrale Rolle. Auch einer der Slogans von Greifvogel lautet „Strength against the modern world“. Die Romantisierung der eigenen „Naturverbundenheit“ bildet eine Klammer der Szene. So hat sich ein europaweites Geschäftsnetzwerk extrem rechter, professionalisierter Gewalt gebildet. Zumal die Verbindungen über den reinen Internetversand hinausgehen. Denn die Labels treten auch als Sponsoren und Veranstalter von extrem rechten Kampfsportturnieren auf. In Polen organisierte das Netzwerk die Reihe „First to Fight“, in der Ukraine das Turnier „Reconquista“, in Griechenland und Mazedonien das „Propatria Fest“ sowie den „Day of Glory“ in Frankreich. Hinzu kommen Turniere mit der italienischen Casa Pound sowie in Ungarn.
Kampf der Nibelungen
Auch auf dem deutschen Markt ist das Netzwerk aktiv und sponsert das extrem rechte Kampfsportevent „Kampf der Nibelungen“ (KdN), auf dem Kämpfe in MMA, Boxen und Kickboxen stattfinden. Es wurde 2013 von den „Hammerskins“ als „Ring der Nibelungen“ ins Leben gerufen, alsbald stießen Dortmunder Neonazis zur Organisation. Seither findet das Event jährlich statt, zuerst in der Pfalz, dann in NRW sowie in Hessen. Es wird klandestin organisiert wie ein extrem rechtes Konzert, um Störungen durch Ämter oder Proteste zu vermeiden. Auf den Plakaten wird lediglich eine Region als Ort angegeben. Wer teilnehmen möchte, muss eine Mail an die Organisatoren schicken, woraufhin man das Postfach erfährt, an das der Betrag für das Ticket geschickt werden soll. Dies lag stets in Dortmund. Daraufhin erhält man einen Kontakt, über den das Publikum am Tag der Veranstaltung über diverse Anlaufpunkte zur eigentlichen Veranstaltung geschleust wird.
Zog das Event in den ersten Jahren zwischen 120 und 200 Zuschauer, waren es 2017 im sauerländischen Kirchhundem um die 500, 2018 auf mehreren Events im sächsischen Ostritz wuchs es auf über 650 an. Dort fand das Event zwei mal im Rahmen des extrem rechten Festivals „Schild und Schwert“ sowie einmal eigenständig statt. So hat sich der KdN zu einem wichtigen und regelmäßigen Event des militanten Teils der extrem rechten Szene entwickelt. Denn auch die Kämpfer reisen weit an: Sie kommen nicht allein aus dem Bundesgebiet von Cottbus bis Aachen, aus Bayern und Chemnitz, sondern ebenso aus Frankreich, Russland, Tschechien, Skandinavien, Österreich und der Schweiz. Dabei trainieren die wenigsten zuhause in extrem rechten Gyms. Stattdessen kommen viele aus Kampfsporthallen, die kaum sensibilisiert sind oder kaum Berührungsängste mit Neonazis haben, in denen auch viele Menschen trainieren, die keinesfalls extrem rechts sind.
Der Name des Turniers bezieht sich auf das mittelalterliche Heldenepos des Nibelungenliedes, in dem „Siegfried der Drachentöter“ im Blut des Drachens badet und dadurch unverwundbar wird. Nur bedeckt ein Laubblatt ein Stück seiner Schulter, wo er verletzbar bleibt. Das Logo des „Kampfes der Nibelungen“ ziert folgerichtig ein kleines Blatt eines Baumes. Man sieht sich in der Tradition des nationalen Epos. Im Zentrum der Veranstaltung und seiner Kämpfer stehen derweil ein faschistisches Körperideal, Werte wie Härte und Selbstdisziplin sowie die Feindschaft zum demokratischen System. „Während bei den meisten ‚Fight Nights‘ im bundesweiten Raum die Teilnahme des jeweiligen Sportlers allzu oft mit dem abverlangten Bekenntnis zur freien demokratischen Grundordnung steht oder fällt, will der Kampf der Nibelungen den Sport nicht als Teil eines faulenden politischen Systems verstehen, sondern diesen als fundamentales Element einer Alternative zu eben jenem etablieren und in die Breite tragen“, heißt es auf der Homepage. Man sagt der Demokratie den Kampf an: „Kommt mit anderen Sportlern in Kontakt und animiert über euer Vorbild andere dazu, dem System der Versager, der Heuchler und der Schwächlinge den Rücken zu kehren.“
Bedeutung der NS-Straight-Edge-Szene
Zudem verstehen sich die Organisatoren zunehmend als Teil der NS-Straight-Edge-Szene. Dabei wird versucht, mit den Idealen von Reinheit und Stärke unter dem Slogan „Gesunder Geist – Gesunder Körper“ ideologisch an den aus dem Hardcorepunk stammenden Straight-Edge-Gedanken anzuknüpfen, Drogen und Alkohol abzulehnen. In der extrem rechten Lesart werden diese als Zeichen von Dekadenz und Zerfall der eigenen Bewegung gelesen. Als Gegenpol gelten Fitness und Stärke: „Umso mehr sehen wir den Schlüssel zum Erfolg und zur Erreichung der persönlichen Zielsetzung – egal ob im sportlichen, politischen oder persönlichem Sinne – in den Faktoren Wille, Disziplin und Fleiß“; werden folglich die eigenen Werte beschrieben. Dies bezieht sich nicht allein auf Training, sondern auch auf Ernährung und Lebensführung. So wird seit Jahren auch veganes Essen auf dem KdN angeboten und 2017 gründete sich die Trainingsgruppe „Wardon 21“, welche in eigenen T-Shirts und mit gekreuzten Armen auf Bildern posiert – das Szenezeichen für Straight Edge. Vor allem Drogen werden als moderne Verwahrlosung und Entfremdung von natürlichen Ursprüngen verurteilt und gemieden. Als das Event im April 2018 erstmals nicht klandestin, sondern als Teil des extrem rechten Festivals „Schild und Schwert“ im sächsischen Ostritz stattfand, diskutierten die Organisatoren vorab intern kritisch darüber, ob man vor einem zum Teil hoch alkoholisierten Publikum auftreten wolle. Letztlich setzte sich die Aussicht auf den finanziellen Erfolg jedoch durch.
Kampfsportfestivals als Vernetzungsmotor
Womit eine der Hauptfunktionen des Events angesprochen wäre. Der „Kampf der Nibelungen““ist nicht nur ein wichtiger Treffpunkt für rechte Hooligans, Neonazi-Kader und Teile der internationalen, faschistischen Kampfsportprominenz und dient zu deren Vernetzung. Er entwickelt sich zusehends zu einer wichtigen Finanzierungsquelle für die Szene und ihre Akteure. Tickets kosten 30 Euro, neben den Artikeln der Sponsoren werden auch indizierte Musik und Kleidung anderer Labels verkauft. Nicht zuletzt dient die Eventkultur des organisierten Kampfsportes dazu, rechtsoffene Hooligans für die Szene zu rekrutieren. Anstatt einer Parteischulung wird ihnen hier eine rechte Erlebniswelt aus Gewalt, politischem Hass und Zugehörigkeit geboten. Zusammen ergibt das ein finanziell und politisch erträgliches Festival. 2017 wurde der KdN beim Deutschen Patent- und Markenamt offiziell angemeldet. Mit dem sächsischen Event „Tiwaz“ fand sich 2018 bereits eine am KdN orientierte Veranstaltung, die Sponsoren waren die bereits Genannten.
Das Vorbild White Rex
Das europäische Vorbild für die Veranstaltung ist das russische Label „White Rex“ und seine Kampfsportreihen. Die Marke – zu Deutsch „Weißer König“ – wurde 2008 vom Moskauer Hooligan Denis Nikitin gegründet und begann mit kleineren Kampfsportveranstaltungen – 10 Kämpfer vor 20 Zuschauern – jenseits der russischen Großmetropolen. Später kamen die Turnierreihen „Birth of a nation“ und „Jungsturmleague“ hinzu, welche zum Teil als Qualifikationsturniere für Hauptevents in Moskau dienten. Daran nahmen auch deutsche Hooligans, u.a. aus Dortmund teil. Es sind Turniere für extrem rechte Schläger.
Denn Denis Nikitin pflegt enge Kontakte nach Deutschland, vor allem nach Dortmund und Köln. Seine Familie wanderte Anfang der 2000er Jahre von Russland in die Domstadt aus. Nikitin knüpfte Kontakte in die lokale Nazi- und Hooliganszene, besucht sie bis heute mehrfach jährlich. In den 2000er Jahren zog er zurück nach Russland, kam mit 22 Jahren in die dortige Hooliganszene und wurde vier Jahre später Mitglied der Hooligangruppe „Jaroslawka“ im Umfeld von CSKA Moskau, obwohl er sich selber nicht als Fußballfan bezeichnet. Er ist in der Szene tief verankert, leitete eine Kleingruppe bei den Randalen zur Fußball-EM 2016 im Hafen von Marseille.
Im Frühjahr 2017 gab Nikitin der ukrainischen Hooliganseite troublemakers.com ein ausführliches Interview, in dem er seine Verbindung nach Deutschland beschreibt: „Mit den Jungs aus Köln und Dortmund ist eine echte Männerfreundschaft entstanden. Uns verbinden die nationalistischen Ideen.“ (…) „Die AfD (die auch viele meiner Kameraden unterstützen) erreichten bei regionalen Wahlen 20%“, meinte er. Unter Nationalismus versteht Nikitin ganz im Sinne völkischer Ideologie eine weiße und wehrhafte Gemeinschaft: „Ich gebe weißen jungen Männern (und jungen Frauen) die Möglichkeit ihre Kräfte zu messen.“ Er benutzt den Begriff „weiß“ mehrfach als politische Kategorie und stellt seinen Kampfsport in den Auftrag rassistischer Mobilmachung. Daran dürfen in der männerbündischen Welt vereinzelt auch Frauen teilhaben.
Vorbereitung auf den politischen Umsturz
Das Ziel des politischen Kampfsportes besteht darin, rechte Hooligans durch Training auf einen politischen Umsturz vorzubereiten. „Meine Aufgabe ist global, ich muss alle Lebensbereiche eines modernen Menschen abdecken“, führt Nikitin in dem Interview aus. „White Rex ist eine alternative Lebenseinstellung, die ich zu 100% schaffen möchte. Mit Kleidung, Turnieren, Sportnahrung und Fitnessstudios.“ Nikitin will den ganz großen Wurf, eine Art nationalsozialistischer Komplettausrüster werden. Zu diesem Plan gehören auch die „Vandals“, eine extrem rechte Wandergruppe, die den Straight-Edge-Gedanken bei „White Rex“ hochhalten und ihre Naturverbundenheit durch Gruppenbilder mit Fahnen auf verschneiten Bergen und in tiefen Wäldern unter Beweis stellen. Alle Aktivitäten werden dabei professionell inszeniert, mit gut ausgeleuchteten Fotographien, aktionsreich geschnittenen Videos und mehreren Accounts in den Sozialen Medien, die einer deutlichen PR-Strategie folgen: Fuß fassen durch massive Präsenz. Nicht zufällig prangte der Name des Labels auf dem Plakat des KdN 2018 größer als der Titel der Veranstaltung.
Nikitin ist dabei europaweit vernetzt: Nicht nur baute er die genannten Kampfsportveranstaltungen mit auf, sondern bot auch Kampfsportseminare sowie Waffentrainings von Wales bis in die Schweiz an, pflegt gute Kontakte in die Fanszenen von Sparta Prag und Legia Warschau. 2017 besuchte er zudem die Junge Nationaldemokraten Braunschweig zum Training und war als Referent im mecklenburgischen Anklam geladen. Auch beim KdN trat er als Kämpfer und Redner auf. Mit seiner Mischung aus modernen Wehrsportübungen, internationalen Netzwerken und neofaschistischer Eventkultur steht kaum jemand derart symbolisch für die Professionalisierung rechter Gewalt wie er: Nikitin ist eine zentrale Schlüsselfigur der europaweiten Netzwerke aus extrem rechten Politaktivisten und Hooligans. Sie haben den Kampfsport für sich entdeckt.
Fazit: Professionalisierung, Gewaltkompetenz und die extreme Rechte
Neben gewaltaffinen Spektren der Fußballfanszenen und rechter Musikkultur haben sich Teile der Kampfsportwelt zum dritten Standbein einer erlebnisorientierten Rekrutierung der extrem rechten Szene entwickelt. Dabei geht die Kommerzialisierung des Kampfsportes in der extremen Rechten Hand in Hand mit der Professionalisierung des rechten Hooliganismus. Demzufolge beweist auch die extrem rechte Szene wieder einmal, dass sie fähig ist, mit gesellschaftlichen Entwicklungen Schritt zu halten, ihre Methoden und Strategien weiter zu entwickeln.
Nicht zuletzt wird durch die geschilderten Entwicklungen und Organisationen auch der Grad an Gewaltkompetenz in der Szene enorm gesteigert. Diese umfasst mehrere Aspekte: Durch Globalisierung und Migration hat sich der Kampfsportmarkt ausdifferenziert, verschiedene Disziplinen zusammengeführt. Die Fähigkeit, unterschiedliche Kampftechniken (semi-)professionell zu trainieren und anzuwenden, steigert auch die Fähigkeiten im politischen Straßenkampf. Dies geht einher mit einer bewussteren Lebensführung und Ernährung in Teilen der Szene. Folgerichtig hat der NS-Straight-Edge-Flügel großen Einfluss im extrem rechten Kampfsport, Selbstdarstellungen und Labelgründungen zeugen davon.
Zu alledem hat sich die Szene – im Zusammenspiel mit dem rechten Teil der Hooliganszene – unterschiedliche Gewaltformate erschlossen. Denn die Gewalt wird nicht nur bei Fußballrandalen angewandt, sondern auch bei Gruppenkämpfen – in der Szene als „Ackermatches“ bekannt -, im organisierten Einzelkampfsport sowie in sog. Teamfights, wo mehrere Kämpfer im Ring gegeneinander antreten. Letzten Endes haben sich Teile der Szene aus Neonazis und extrem rechten Hooligans von Straßenschlägern zu semiprofessionellen, international organisierten Kampfsportnetzwerken weiterentwickelt.
Weshalb es umso wichtiger wäre, deutlich mehr in Präventionsarbeit innerhalb der Landschaft des Kampfsports zu investieren. Denn weite Teile der Organisationen sind sich der Tragweite des Problems und seiner gesellschaftlichen Auswirkungen nicht bewusst. Dabei lassen sich in Bezug auf Veranstalter drei Haltungen gegenüber extrem rechten Aktivitäten feststellen:
Popkultur
Veranstalter wie „We love MMA“ wollen ein Event bieten, das auch Kampfsportfans jenseits einschlägiger Milieus erreicht, und distanzieren sich deutlich von extrem rechten Kämpfern. Vorab werden diese darüber informiert, dass extrem rechte Kleidungslabels sowie diskriminierende Inhalte in der Einlaufmusik nicht erwünscht sind.
Gewaltmilieu
Veranstalter wie die „Sprawl and Brawl“ oder auch die „German MMA Championship“ (was nicht die deutsche Meisterschaft ist, obwohl es so klingt) stammen selbst zum Teil aus Milieus der Türsteher, Hooligans und Rocker. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie selbst der extrem rechten Szene angehören, jedoch zeigen sie oftmals geringe Berührungsängste mit extrem rechten Kämpfern. Sie bilden die größte Gruppe der drei Kategorien. Proteste gegen Neonazis auf den Fightcards (Programmen) haben zuweilen zu Erfolg geführt;
Extreme Rechte
Veranstaltungen wie der geheim organisierte „Kampf der Nibelungen“ stammen deutlich aus extrem rechten Subkulturen. Ihre Events werden von Hooligans, Rockern und Neonazis besucht. Sie dienen der Vernetzung, Finanzierung und Rekrutierung für die eigenen Strukturen. Für demokratische Diskurse und Prävention sind sie nicht erreichbar.
Über die Landschaft der Verbände und Studios hingegen existiert bis dato kaum belastbares, politisches Wissen. Doch um eine höhere Sensibilität dem Thema gegenüber zu fördern, bräuchte es einen aktiven Kontakt der Präventionslandschaft mit ihnen sowie ein Netzwerk gegen extrem rechte Aktivitäten im Kampfsport – für die Organisationen, die eine demokratische Haltung vertreten. Von den Arbeitsergebnissen in anderen Feldern könnte dabei profitiert werden: Es geht um Hausordnungen für Kleidung, Tattoos und Musik, um Lizenzauflagen für Sponsoren und Veranstalter. Auch eine verstärkte Einbindung der Sozialen Arbeit unter fachlichen Standards in den Trainingsbetrieb wäre denkbar. Wenn sich die Präventionsarbeit diesem Feld nicht stärker zuwendet, werden Teile der Kampfsportwelt zukünftig noch mehr zu einem Rückzugs- und Übungsraum für gewalttätige Neonazis werden.
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/4.0. Robert Claus für bpb.de.
Mehr Informationen zur rechtsextremen Kampfsport-Szene erhalten Sie auf „Runter von der Matte“