Posen & Positionieren – Menschenfeindlichkeit als Distinktionsmerkmal
Filter sind auf TikTok ein beliebtes Tool, um Videos ansprechender und ästhetischer zu gestalten. Rechtsextreme Accounts nutzen diese Funktion oft, um ihre Inhalte visuell ansprechender zu gestalten und um ihre Botschaften zu verstärken. Dabei werden Filter eingesetzt, die oft eine düstere oder bedrohliche Stimmung erzeugen. Beispielsweise können Schwarz-Weiß-Filter verwendet werden, um die Videos bedrohlicher wirken zu lassen, oder Farbfilter, die die Nationalfarben des Dritten Reiches widerspiegeln, um eine Verbindung zu rechtsextremen Ideologien herzustellen.
Multimodalität bezieht sich darauf, wie verschiedene Modalitäten – wie Text, Bild, Ton und Bewegung -, in einem Medium kombiniert werden, um eine Botschaft zu vermitteln. Rechtsextreme Accounts nutzen diese Technik oft, um ihre Botschaften effektiver zu kommunizieren und um ihre Zielgruppe emotional anzusprechen. Die Vermutung liegt nahe, dass auch ästhetisch mit der Plattformlogik brechende Inhalte viral gehen können, weil diese so affektbehaftet sind, dass Nutzer*innen diese anschauen, statt einfach direkt weiter zu swipen.
Insgesamt ist die Ästhetik rechtsextremer Accounts auf TikTok darauf ausgerichtet, eine visuell ansprechende Darstellung von rechtsextremen Ideologien und Bewegungen zu bieten. Dabei werden Filter, Sounds und multimodales Storytelling eingesetzt. Hauptsache, das Video löst eine starke emotionale Reaktion bei den Zuschauern aus. Das garantiert Views.
Rechtsextreme Ikonografien und Nazikitsch
Anmutige Adler und finster wirkende Wölfe als Videohintergründe, Aufnahmen von einsamen Waldwegen und romantischen Bergspitzen, Wikinger-Outfitideen für den nächsten Konzertbesuch – das alles ist Teil einer Ästhetik, die von Rechtsextremen auf TikTok kultiviert wird. Mitunter verfolgen die antidemokratischen Akteur*innen mit den skurril wirkenden Inszenierungen auch die Ausweitung ihrer menschenfeindlichen Ideologie auf das alltägliche Leben. Doch auch Filter, Folklore und Duette zahlen in die Erlebniswelt Rechtsextremismus mit ein. Dadurch wird die Ideologie für politisch labile Menschen erfahrbar und nahbar gemacht.
Seit einem knappen Jahrzehnt versuchen rechtsextreme Jugendorganisationen wie die Identitäre Bewegung, Brücken zu anderen völkischen oder neonazistischen Gruppen zu schlagen, um Rechtsextremismus zu konsolidieren und ihren gemeinsamen Hass auf die Mitte der Gesellschaft auszuweiten. Dafür schaffen Akteur*innen des rechtsextremen Spektrums eine bildgewaltige Kommunikationssprache, die in den sozialen Medien ampliziert werden soll. Diese rechtsextreme Ikonografie arbeitet mit spätromantischen, antiken und pastoralen Darstellungen, die Heimat als Sehnsuchtsort inszenieren. Gleichzeitig werden aber auch Internetästhetiken wie Dark MAGA, Fashwave oder Gnomecore hinzugezogen, um gegen die als dekadent oder verkommen gesehene Moderne vorzugehen.
Diese Internetästhetiken sind auch in die Praxis rechtsterroristischer Online-Zellen übergegangen. Akzelerationist*innen wie die Atomwaffen-Division, aber auch Schizopilled-Subgruppen arbeiten im Internet mit Neonfarben, VHS-Glitch Effekten und 80er-Jahre-Ästhetiken, um die Moderne zu Fall zu bringen. Wenn man den Blick auf TikTok wendet, lassen sich all diese rechtsextremen Ikonografien wiederfinden. So zirkulieren auf der Unterhaltungsplattform immer wieder Videos, die Fashwave-Elemente enthalten, die spätromantische Landschaften mit als „dekadent“ oder „entartet“ wahrgenommenen Bilder kontrastieren. Dabei dienen vor allem Slideshow-Karussells als Projektionsflächen des Hasses. Mit schnellen Einblendungen zeigen Rechtsextremist*innen auf TikTok, was für sie „gut“ ist und was „schlecht“. Heilvolle Tradition trifft auf verkommene Moderne, starke Soldaten auf verweichlichte Cucks, standhafte Tradwifes auf als unheilvoll wahrgenommene Gender-Konfuse.
Die ikonografischen Darstellungen sind auf TikTok divers und das hat auch Sinn. Rechtsextremist*innen, allen voran Neurechte, versuchen sich durch ihre vermeintliche ästhetische Pluralisierung divers zu zeigen, in der Hoffnung, dass sie durch ihr schlechtes Mimikry-Spiel junge Rezipient*innen begeistern. So erhoffen sich diese Akteur*innen, durch das Wolf-im-Schafpelz-Spiel eine digitale demokratische Gesellschaft zu unterlaufen. So wird man bei rechtsextremen Ikonografien nie Kunst um der Kunst willen finden, vielmehr haben Kunst oder Ästhetik immer auch das primäre Ziel der Infiltration vor Augen.
Heimattümelei in TikTok-Sounds
Das Lied „Erika“ ist ein beliebter Sound auf TikTok. Das Marschlied des Komponisten Ferdinand Nielebook, bekannt als Herms Niel, erfreute sich nicht nur als NS-Propaganda-Liedgut in den 1930ern großer Beliebtheit, sondern ist heute ein beliebtes Sound-Meme auf TikTok. Dieses ist gleich mehrfach auffindbar. Das Lied besingt die deutsche Heimat und die Liebe zu besagter Erika. Als Internet-Meme geisterte es bereits durch die Foren und Boardkultur seit 2010. Die Videos auf TikTok mögen nicht alle Bezüge zum 2. Weltkrieg oder NS-Ideologie haben, aber zahlreiche Videos zeigen eindeutige Symboliken und Bilder der Wehrmacht. Eine beliebte Strategie, um NS-Verherrlichung zu verbreiten, ist die Inszenierung der Accounts als geschichtsinteressiert. Dies wird über den Accountnamen oder einem Disclaimer in der Profilbio gekennzeichnet. Bezeichnend ist, dass die Sounduploads weit über Deutschland hinaus populär zu sein scheinen.
Um jedoch aus der Blase zu treten, wird nicht nur zu Rechtsrock gelipsynct oder auf Marschmusik aus der NS-Zeit zurückgegriffen, oftmals bedient man sich auch moderner Popsongs oder trendender Sound-Memes.
Besonders Popsongs oder TikTok-Charts werden verwendet, um den Algorithmus auszutricksen, dabei verfolgen sie eine Selbstverharmlosungstaktik, die den Zuschauer*innen suggerieren möchte, dass die Inhalte nur halb so schlimm sind. Nette Popsongs können doch keine menschenfeindlichen Videos verdecken, oder?
Gleichzeitig gibt es eine Nische, vor allem aus dem akzelerationistischen oder rechtsterroristischen Spektrum, die ganz bewusst mit kognitiver Dissonanz arbeitet. Sie möchten eine verzerrte Realität erzeugen, in der ihre menschenfeindliche Ideologie als Heilmittel für die Krankheit der Moderne betrachtet werden kann. Die Musik markiert Feinde und ist ein stilistisches Mittel für eine reaktionäre Auslegung der „Spätmoderne“, die sie als verkommen und dem Untergang geweiht sehen.
TikTok Reels von Rechtsterrorist*innen verwenden dabei verzerrte Soundeffekte, die mit Disharmonien arbeiten, oder stark synthetisch modulierten Song-Einlagen, mit dem Ziel, unangenehme Gefühlszustände und emotionale Störungen bei ihren Zuschauer*innen zu erzeugen. Sie nehmen zum Beispiel bekannte Popsongs, deren Tonspuren sie be- oder entschleunigen, ergänze diese mit Downbeats und hinterlegen das Ganze mit verstörenden Bildern von Terrorist*innen wie Anders Breivik, Ted Kaczynski oder dem Incel-Mörder Elliott Rogers. Ihr Ziel ist, Terrorist*innen, aber auch rechtsextreme Persönlichkeiten wie etwa James Mason (der Autor von “Siege”) als Heilbringer für eine kranke Welt darzustellen.
Selbstmemeifizierung als Taktik
Teufelshörner, Clownsgesichter und Pickelhauben Filter. AR-Filter (Augmented Reality = erweiterte Realität) werden von Rechtsextremist*innen auf TikTok bewusst als Selbstverharmlosungstaktik angewendet, um Nahbarkeit zu generieren. Sie suggerieren Zuschauer*innen damit, dass sich auch bloß Menschen sind, die sich sogar selbst nicht so ernst nehmen. Damit sollen Hemmschwellen sinken und Berührungsängste durch Sympathien ersetzt werden. Immer wieder nehmen sich auf TikTok auch neonazistische Szenegrößen wie der NPD Aktivist Patrick Schröder selbst aufs Korn, in dem sie sich über ihren neuen Haarschnitt lustig machen. Durch synthetische Medien wie AR Filter, Sticker, KI optimierter Videokorrekturen bekommt die Strategie des „netten Nazis von nebenan“ eine neue Tragkraft. Rechtsextremist*innen vermarkten erfolgreich eine alternative Wirklichkeit, in denen ihre menschenfeindliche Ideologie zur persönlichen Meinung deklariert und ihr Hass als berechtigte Wut inszeniert wird.
Diese Taktik ist ein Auswuchs des Memetic Warfare, also des Meme-Kriegs, einer Informationskriegsstrategie, die auf ein Fluten des Internets mit problematischen Bildern setzt. AR-Filter, synthetische Medien wie modulierte Stimmen und KI generierte Videos sind die logische Fortführung dieses metapolitischen Unterwanderungsversuches, in dem es gilt, menschenfeindliche Diskurse im vorpolitischen Raum online zu verbreiten.
#GRWM, Kamerad!
“Get ready with me“ beschreibt einen TikTok-Trend, in dem Creator*innen sich vor der Kamera mit Make-up und Outfits in Schale werfen. GRWM sind ein integraler Teil von TikTok-Kommunikation und werden von zahlreichen Creator*innen auch als Modus benutzt, um über politische Themen zu sprechen. So werfen sich diverse Akteur*innen in Schale und diskutieren gleichzeitig über das politische Tagesgeschehen bei laufender Kamera. Dass sich auch Rechtsextremist*innen den Trend zu eigen machen wollen, ist naheliegend. Vor allem weiblich gelesene Micro-Influencer*innen aus dem extrem rechten Spektrum machen sich GRWM-Videos zu eigen. So präsentieren rechte Influencer*innen ihre feschen Schildmagd-Outfits für das nächste Neofolk-Konzert, kombinieren Rechtsrock-Shirts mit passenden modischen Accessoires, oder nähen ihre völkischen Dirndl-Kleider für die Clout. Auch hier ist das Ziel der Subversion und Infiltration klar.
Schlussgedanken
In unserer Artikelreihe “Rechstextremismus auf TikTok” haben wir uns mit rechtsextremen Akteur*innen, ihren Mobilisierungsstrategien und ihrer Ästhetik beschäftigt. Die Mosaik-Rechte hat sich auf der Plattform der Generation Z eingefunden und in Teilen schon ein sehr erfolgreiches Angebot geschaffen. Notorisch gewalttätige, volksverhetzende und verurteilte Neonazis, anonym auftretende terrorverherrlichende Akzelerationst*innen und ideologisch gefestigte Akteur*innen der neuen Rechten nutzen die Plattform gezielt, um junge Menschen zu rekrutieren und ihre menschenfeindlichen Ideologien zu verbreiten.
In den Community Guidelines gibt TikTok an, kein hasserfülltes Verhalten, Hassrede oder das Bewerben von hasserfüllten Ideologien zu erlauben. Bei unserer Recherche sind wir jedoch Inhalte gefunden, die größtenteils auch gegen die Community Guidelines der Plattform verstoßen, aber mindestens als jugendgefährdend verstanden werden können. TikTok fällt unter das Netz DG (Netzwerkdurchsetzungsgesetz), allerdings scheint in Anbetracht der jungen Zielgruppe und der lückenhaften Moderation zusätzlicher politischer Druck notwendig, genauso wie Angebote, die auf der Plattform über menschenfeindliche Phänomene aufklären.
Lesen Sie alle 3 Teile der Serie „Rechtsextremismus und TikTok“
Diese Analysen sind entstanden im Rahmen des Projektes pre:bunk der Amadeu Antonio Stiftung. pre:bunk bietet Digital Streetwork auf TikTok an – für jugendliche Plattform-Nutzer*innen und gegen Desinformationen und Hass.
Hier gibt es mehr Infos zum Projekt:
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/projekte/prebunk-digital-streetwork-im-videoformat/
Hier der pre:bunk-TikTok-Kanal:
https://www.tiktok.com/@prebunk