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Rechtsextremismus in Hessen Interview — Immer wieder Einzelfälle

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Symbolbild (Quelle: Unsplash)

Der Täter hatte zwischen dem Herbst 2018 und Sommer 2019 bei insgesamt zwölf Häusern des „Mietshäusersyndikats“ und anderen linken Projekten Feuer gelegt. Wie der Journalist Hanning Voigts für die Frankfurter Rundschau in Erfahrung brachte, habe die Frankfurter Staatsanwaltschaft die Ermittlungen bereits im April 2021 eingestellt: es habe keinen hinreichenden Tatverdacht gegeben. Zwar sitzt der mutmaßliche Täter wegen anderer Verbrechen inzwischen im Gefängnis, für die Opfer seines fanatischen Hasses auf Antifaschist:innen und Feminist:innen ist dies jedoch ein schwacher Trost. Noch bitterer: Die Betroffenen wurden nicht einmal über die Einstellung informiert, sondern mussten aus der Zeitung davon erfahren.

Belltower.News sprach mit Tom Schmitz von der Initiative „Feurio“ über die Angriffe, die Radikalisierung des Täters, und das Versagen der Behörden.

Belltower.News: Lieber Tom, was sind die Hintergründe der Gründung eurer Initiative?
Tom Schmitz: Der erste Brandanschlag wurde am 14. September 2018 auf das Hausprojekt „Knotenpunkt“ in Schwalbach ausgeübt. Der Täter hatte im Außenbereich des Hauses Feuer gelegt, welches auf die Scheune und das Haupthaus übergriff. Insgesamt verursachte der Brand über 200.000 Euro Sachschaden, über 200 Feuerwehrleute waren im Einsatz. Der Teil Schwalbachs, in dem das Hausprojekt liegt, ist zudem eng mit alten Fachwerkhäusern bebaut, es bestand also die legitime Gefahr dass das Feuer auf andere Gebäude überspringt. Antifaschistische Strukturen in Hessen organisierten zum Glück sehr schnell finanzielle und psychische Unterstützung für die Betroffenen, und legten damit den Grundstein für die Initiative.

Am 13. November 2018 folgten dann zwei weitere Anschläge, diesmal in Frankfurt-Rödelheim, an dem linken Zentrum und besetzten Haus „Die Au“ und dem Hausprojekt „Assenland“. Der Täter legte Feuer an den Außenwänden der Gebäude, aufgrund der jahreszeitlich bedingten Witterung zum Glück ohne Erfolg. Zwei Tage später wurden eine Hütte im Vorgarten der „Au“ und ein Wagen, den der Täter dem Projekt zugeordnet hatte, angezündet, zum Glück auch hier ohne Erfolg. Daraus bestätigte sich die Vermutung, die wir bereits nach Schwalbach hegten: dass es sich um eine Anschlagsserie handeln muss, die sich gegen linke Projekte richtet. Wir begannen also, uns zu vernetzen und den Schutz unserer Lebensräume zu organisieren, zum Beispiel in der Form von Nachtwachen.

Am 12. November 2018 wird beim feministischen Wohnprojekt „Lila Luftschloss“ im Frankfurter Nordend Isoliermaterial und Kunststoff angezündet, 20 Personen müssen wegen der starken Rauchentwicklung von der Feuerwehr evakuiert werden. Am 3. Dezember wird ein als Gartenlaube verwendeter Bauwagen in der „Schwarze 79“ in Hanau in Brand gesteckt. Am 9. und am 10. Dezember folgen Anschlagsversuche auf das „Café ExZess“ in Frankfurt-Bockenheim, die von den Anwesenden gelöscht werden konnten.

Wir hatten für den 22. Dezember eine Soli-Demonstration in Frankfurt organisiert, um auf rechte Gewalt in Hessen aufmerksam zu machen. Noch am Vorabend überschlugen sich die Ereignisse: Der Täter wurde zum ersten Mal auf frischer Tat ertappt.

Was ist über den mutmaßlichen Täter bekannt?
Am 21. Dezember wurde Joachim S. im Hanauer Projekt „Metzgerstraße“ gestellt. Er hatte dort den Kneipenabend besucht und ist von dort aus in die Werkstatt des Hauses eingedrungen und hatte dort Feuer gelegt. Das Feuer konnte gelöscht und der flüchtige Täter von den anwesenden Gästen gestellt werden, er wurde dann auch direkt der Polizei übergeben – die ihn bereits am Folgetag wieder auf freien Fuß setzte.

Die von den Angriffen Betroffenen haben die Recherche zu dem Täter selbst in die Hand genommen und festgestellt, dass S. bereits 2015 dutzende Hausprojekte des Mietshäusersyndikats belästigt hatte: Er hatte systematisch die öffentlich einsehbaren finanziellen Bilanzen der Projekte nach Formfehlern durchsucht und diese der Bundesfinanzaufsicht gemeldet. Das weist auf eine enorme Obsession hin, linke und feministische Projekte zu attackieren. Dies jedoch ohne Erfolg; wir gehen davon aus dass die Brandanschläge sein Versuch waren, „richtig“ zur Tat zu schreiten.

Dennoch war der 1972 geborene Mann, soweit wir wissen, zuvor in keinem der verschiedenen Spektren der organisierten Rechten aufgefallen oder war auf Nazidemos aufgetaucht. Gut möglich ist, dass er sich in den letzten Jahren, also im Zuge des politischen Erfolgs der AfD oder von Initiativen wie Pegida radikalisiert hat. Auch die Rechtsaußenpartei AfD unterstützte er, zuletzt mit einer Spende von etwa 1700 Euro, einen knappen Monat vor dem ersten Anschlag.

Wie sind diese Taten dann gesamtgesellschaftlich einzustufen?
In Frankfurt hat eine Koalition aus CDU, FDP, AfD und der rechtsradikalen Kleinspartei Bürger für Frankfurt systematische Hetze gegen linke Zentren betrieben. Die CDU hatte zum Beispiel gefordert, die Au und das linke Kulturprojekt „Klapperfeld“ zu räumen oder die Verträge zwischen der Stadt und dem „ExZess“ aufzukündigen. Auch die Zeitung Frankfurter Neue Presse veröffentlichte regelmäßig reißerische und diffamierende Artikel. Wir sind uns sicher, dass es auch diese Stimmung war, die Scholz dazu mobilisierte, zu Tat zu schreiten. Die geistigen Branstifter:innen im Stadtparlament tragen unseres Erachtens eine direkte Mitverantwortung für die Taten. Die Erkenntnis, dass sie durch ihre konstante Hetze gegen die linke Szene Frankfurts eine Mitschuld an den Taten trugen, scheint dann sogar bei der CDU durchgesickert zu sein: Wohnbeeindruckt von den Geister die er selbst gerufen hatte, bekannte der sicherheitspolitische Sprecher der CDU Christoph Schmitt in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau zu den Anschlägen sogar, er stünde hinter den Bewohner:innen der „Au“.

Wie sah die polizeiliche Einstufung der Tat aus?
Die Polizei hat nach der ersten Festnahme geleugnet, dass es eine Verbindung zu den anderen Brandstiftungen gab. Die versprochenen Brandermittlungen erfolgten erst Wochen später, und es wurde nach dem Anschlag auf die „Metzgerstraße“ kein Kontakt zu den anderen betroffenen Projekten aufgenommen. Die Behörden haben erst nach öffentlicher Kritik reagiert. Generell wurde das Verfahren entpolitisiert: weder der Seriencharakter der Taten, noch dass es sich um gezielte, rechts motivierte Gewalt gegen Linke handelt, wurde thematisiert.

Was ist nach der Festnahme im Dezember 2018 passiert?
S. wurde nach der Festnahme im Dezember direkt wieder aus der Haft entlassen. Er hielt danach ein halbes Jahr die Füße still, hat die Brandanschlagsserie dann aber am 21. Mai2019 wieder aufgenommen. Es traf ein Haus des feministischen Projekts „Lila Luftschloss“, diesmal im Frankfurter Ostend. Auch hier wurden die anderen betroffenen Projekte und das Mietshäusersyndikat nicht informiert, das wurde wieder alles durch interne Vernetzung geregelt. Am 26. Juli 2019 hat der Täter mit hilfe von Brandbeschleuniger am „Lila Luftschloss“-Haus im Nordend, das er bereits im November angezündet hatte, noch ein Feuer gelegt. Aufmerksame Passant:innen haben die Feuerwehr gerufen und S. gestellt und der Polizei übergeben – die ihn wieder laufen lässt. In einer Pressemitteilung erklärt die Frankfurter Polizei dann, sie prüfe einen Zusammenhang mit den anderen Taten. Und obwohl S. bereits zum zweiten Mal auf frischer Tat ertappt wird und die Wahl der Ziele und der Seriencharakter eindeutig Aufschluss über die Motivation des Täters geben, wird diese von den Behörden aber nicht erkannt, geschweige denn thematisiert.

Hessische Behörden stehen generell in der Kritik, was ihren fahrlässigen Umgang mit Rechtsterrorismus angeht. Wie waren eure Erfahrungen als Betroffene?
Unser  Vertrauen war nicht sonderlich hoch. Zu sehen, wie wenig Energie in die Ermittlungen gesteckt wurde, war trotzdem erschütternd. Es stellt sich auch die Frage, wieso S. immer wieder auf freien Fuß gesetzt worden ist. Er wurde schon in den 2000ern wegen mehrfacher Brandstiftung in Darmstadt zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt – es handelt sich also um einen Wiederholungstäter. Nach dem Anschlag auf das „Lila Luftschloss“ hat S. dann noch weiter Brände gelegt, aber nicht auf linke Projekte. Er wurde insgesamt acht Mal inhaftiert und dann sieben Mal wieder freigelassen, erst nach der achten Festnahme im Dezember 2019 wurde er in U-Haft gesteckt. Wenn man das mit den Repressionen gegen Linke vergleicht – zum Beispiel die „Drei von der Parkbank“ in Hamburg, denen nicht einmal eine Tat nachgewiesen werden kann, die aber in U-Haft sitzen, zeigt das auf, dass da in Deutschland mit zweierlei Maß gemessen wird. Wieso ein rechter Brandstifter trotz einschlägiger Verurteilung und obwohl er mehrfach auf frischer Tat ertappt wurde, immer wieder laufen gelassen worden ist, konnte uns bisher niemand plausibel erklären.

Was ist dann aus diesem Verfahren geworden?
Es gab zwischen November 2020 und Januar 2021 einen an sieben Prozesstagen verhandelten Prozess zu insgesamt 16 Brandstiftungen, die meisten davon zwischen Oktober und November 2019. Nur zwei der Fälle behandelten Anschläge auf linke Projekte, bei denen er direkt erwischt worden war. In diesem Verfahren haben Staatsanwaltschaft und Gericht den Prozess massiv entpolitisiert, den Täter als Narzissten oder Alkoholiker pathologisiert und den rechtsextremen Tathintergrund verschleiert. Seine Denunziationskampagne gegen linke Projekte und seine Spenden an die AfD waren gar nicht Teil des Verfahrens, auch nicht die Mengen an antifeministischem, rassistischen, sexistischen, linkenfeindlichen Bilder und Chats auf seinem Handy, das ja ebenfalls auf ein geschlossen rechtes Weltbild hinweist. Die Staatsanwältin hat offen gesagt, dass es keine politische Motivation gab, was ein Schlag ins Gesicht aller Betroffenen ist, und sich auch auf die öffentliche Wahrnehmung auswirkt. Aber sowas hat in Hessen ja Tradition.

Das sind ja alles nur Einzelfälle! Wie ging die Sache dann aus?
Im Januar 2021 endet der Prozess, in dem, wie gesagt, nur zwei der Anschläge auf linke Projekte thematisiert wurden. S. wurde immerhin zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt. Bei den noch offenen Verfahren – und das sind immer noch zehn Anschläge auf linke Projekte – wurden die Ermittlungen im April 2021 eingestellt. Wir als Betroffene wurden nicht informiert, es gab auch keine Pressemitteilung zu der Einstellung des Verfahrens; was eine Farce ist angesichts der Tatsache, dass die Frankfurter Polizei gefühlt zu jedem Fahrraddiebstal eine Pressemitteilung publiziert. Wir haben erst am 10. Dezember, also erst ein halbes Jahr später, aus der Presse von der Einstellung erfahren. So wird mit den Betroffenen von Rechtsterrorismus und rechter Gewalt umgegangen: man hält es nicht mal für notwendig, die Opfer von zehn Brandanschlägen darüber in Kenntnis zu setzen, dass eine weitere juristische Aufarbeitung nicht mehr zu erwarten ist.

Zum Glück haben sich die Projekte untereinander solidarisch gegenseitig unterstützt; wir haben Öffentlichkeit- und Pressearbeit gemacht, insgesamt wurden über 200 Artikel zu dem Fall publiziert, wir hatten tolle Unterstützung durch die hessische Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt, „Response“. Aber Menschen, die von rechter Gewalt betroffen sind und nicht auf solche Netzwerke zurückgreifen können, haben quasi keine Chance, aufzuzeigen, dass sie nicht zufällig attackiert worden sind, sondern gezieltes Opfer einer Tat gegen migrantisierte, jüdisch, queer oder links gelesene Menschen wurdent. Trotz unseres Engagements konnten wir nicht durchsetzen, dass die juristische und polizeiliche Ebene benannt hat, dass es sich hier um rechten Terror handelte, und das lässt tief blicken – vor allem angesichts der zahlreichen Vorfälle zu rechten Netzwerken innerhalb der hessischen Behörden. Antifaschistische Strukturen leisten wesentlich bessere Aufklärungsarbeit über Neonazis, als es der Verfassungsschutzbericht überhaupt könnte und Opferberatungsstellen leisten wesentlich bessere Hilfe und Betreuung, als wir sie je von der Polizei erwarten können. Das hat der Prozess um die Brandanschlagsserie leider wieder aufs Neue gezeigt.

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