Was verbindet einen bayerischen Unternehmer und einen Dortmunder Kampfsportler mit einem österreichischen Infokrieger und einem thüringischen Koch? Sie alle versuchen auf TikTok, Rechtsextremismus populär zu machen. Alexander Deptolla, Patrick Schröder, Martin Sellner und Tommy Frenck sind nur einige der zahlreichen Rechtsextremen mit TikTok-Accounts. Einige, wie der neurechte IB-„Infokrieger“ Martin Sellner, wurden längst wieder von der Plattform gesperrt und versuchen dennoch, mit klandestinen Dritt-Accounts, erneuten Zugang zu gewinnen. Wiederum andere wie NPD-Funktionär und Unternehmer Patrick Schrödersetzen auf eine crossmedialen Strategie und recyclen ältere Materialien von Plattformen wie Youtube (hier macht er u.a. „FSN TV“). Andere wie der Thüringer Neonazi-Koch Tommy Frenck haben momentan gar keine Strategie, sondern setzen primär auf Content-Masse. Egal, wie unterschiedlich die Strategie ist, das Ziel scheint allen sicher zu sein: Reconquista TikTok! Also: TikTok erobern.
Tag mich, Kamerad!
Accounts mit Hitler-Bärtchen und Frakturschrift gratulieren Björn Höcke zu seiner neuen Schafzucht. Derweil spielen Rechtsextreme wie Balaclava Graphics und Patrick Schröder offenes Versteckspiel und “taggen” sich gegenseitig in ihren Urlaubsvideos, während Steven Feldmann, seinerseits auch Dortmunder Kampfsportler und Rechtsextremist, mit TikTok-Livestreams gutes Geld verdient. Das rechtsextreme Milieu ist auf TikTok angekommen und breit aufgestellt. Neonazis kooperieren über die Grenzen ihres eigenen Milieus mit Neurechten, Kampfsportler*innen, Hooligans, völkischen Siedler*innen, Rechtsrocker*innen- oder parlamentarischen Rechten. Doch anders als bei Facebook, Twitter oder Instagram zeigen sie auf TikTok, in welcher Beziehung genau sie zueinander stehen, wenn sie miteinander über Dritte lästern, zu Tanz-Challenges kichern oder sich gegenseitig den Rücken stärken. Denn bei TikTok entscheidet die parasoziale Beziehung, also qua die Nähe und Vertrautheit zwischen Influencer*in und Follower*innenschaft, über den Erfolg eines Kanals. Deswegen sind auch Rechtsextreme sehr bemüht, sich von ihrer Schokoladenseite zu zeigen. Es gilt nämlich, junge Anhänger*innen zu begeistern und so zu gewinnen.
Warum Tik Tok?
Menschenfeindlichkeit, Gewaltanstachelungen sowie Geschichtsrevisionismus lassen sich problemlos in „häppchen-großen“ 15-Sekündern verbreiten. Da kann wohl selbst der unkreativste Neonazi seiner Fantasie vom viralen Influencerdasein frönen. So warnt der brandenburgische Verfassungsschutz davor, dass diverse rechtsradikale Akteur*innen die Chancen der Plattform längst für sich erkannt hätten. Laut offiziellen Angaben nutzen fast 20 Millionen Nutzer*innen deutschlandweit monatlich die Plattform. Davon sind 41 Prozent Jugendliche. Rechtsradikale verstehen TikTok also auch als Nachwuchs-Rekrutierungsplattform.
Hinzu kommt, dass die Plattform Moderationslücken für rechtsextreme Inhalte aufzuweisen scheint. Dies zeigt eine TikTok-Analyse des us-amerikanischen Untersuchungsausschusses vom 6. Januar, die in einem Selbsttest auf der Plattform innerhalb von nur 75 Minuten des Scrollings auf rechtsextreme Inhalte stieß. Eine Media Matters Untersuchung zu amerikanischen Rechtsextremist*innen auf TikTok zeigt auch eindrücklich, wie nicht radikalisierte Nutzer*innen, die den von TikTok vorgeschlagenen Follow-Empfehlungen folgen, leicht mit rechtsextremen Konten und Inhalten in Berührung kommen und diese zunehmend angezeigt bekommen. In Deutschland fehlen vergleichbare Studien bisher. Die Menge an Accounts und Content lassen aber auf ähnliche Verbreitungsmechanismen schließen. Hinzu kommt, dass TikTok als Social Media-Plattform immer noch häufig unterschätzt wird. Antidemokratische Kräfte können sich so ohne große Widerstände ausbreiten.
Rechtsextreme Aktivist*innen
Finstere Mienen und ernste Worte – rechtsextreme Aktivist*innen kultivieren einen nüchternen Ton, um Rassismus auf TikTok zu popularisieren. Unter ihnen tummeln sich auch bekannte Szenegrößen wie der Internetaktivist der „Identitären Bewegung“, Martin Sellner, der mit seinen verdeckten Accounts seine TikTok-Sperre umgehen möchte. Auf seinem Kanal „Die Endzeit“ publizierte Sellner bis vor kurzem ganz klandestin Slideshow-Videos, also Videomitschnitte, in denen er nie zu sehen, sondern lediglich zu hören war. Wir sagen es bewusst bis vor kurzem, da der Kanal „Die Endzeit“ Anfang März 2023 von TikTok wieder gelöscht wurde. Dennoch kreierte Sellner einen ganz eigenen Stil, echauffiert sich etwa pathetisch über die Festnahme Michael Ballwegs und stöhnt derweil über den „Clown-Staat“ Deutschland. Mit Memes, schnellen Schnitten und dramatischer Musik – macht er einmal wieder Menschenfeindlichkeit populär.
Andere treten da weit pingeliger auf, so auch der neurechte Aktivist Gernot Schmidt und das rechte Kollektiv „Deutschland Total“. Die setzen nämlich auf strenge Erklärbär-Videos, in denen sie neurechte Kampfbegriffe wie „Migration Fading“, „Energiekrise“ oder „Asyl-Apokalypse“ fast schreiend erklären. Das Prinzip hinter ihrem auf „ernst“ gemachten Auftreten lautet: Anstacheln und Aufwiegeln.
Im Vergleich dazu wirkt der rechtsextreme Multitasker Patrick Schröder auf TikTok sehr gelassen, wenn er nett in die Kamera lächelt. Dieser gilt in der rechtsextremen Szene als erfolgreicher Unternehmer, der mit seinem Label „FSN – frei, sozial, national“ von Rechtsrock-Platten bis zu Mode für amtierende Neonazis verkauft. Darüber hinaus ist Schröder stolzer Besitzer seiner eigenen rechten Modemarke „Ansgar Aryan“ und mit „FSN – Revolution“ auch sowas wie ein Internet-Medienmogul. Seine zahlreichen Interessen und vielseitigen Unterfangen spiegelt er nun auch auf TikTok. So postet Schröder auf TikTok neben recycelten FSN-Youtube-Videos auch Video-Interviews mit anderen Neonazis oder Merch-Vorschläge vom neuen „Ansgar Aryan“-Winterjäckchen.
Doch nicht alle sind so gelassen wie Schröder. Die Aktivist*innen der rechtsextremen Schweizer Jugendgruppierung „Junge Tat“ zeigen sich in zahlreichen Videos vermummt und aktionistisch. Mit schrillen Tönen und in bildgewaltigen Videos mobilisieren sie auf TikTok und inszenieren ihre lokalen Plakataktionen medienwirksam. Zwar haben die einzelnen Akteur*innen der „Jungen Tat“ nicht viele Follower*innen, dafür sind sie viele. Zahlreiche vermummte Kleinst-Accounts überschwemmen TikTok, und das nach Hydra-Prinzip: Schlägt man einem den Kopf ab, sprießen zehn weitere an seiner Stelle.
Hooligans und Kampfsportszene
Schon seit Jahren ist es ein Anliegen verschiedener Neonazis, sich in der Kampfsportszene zu professionalisieren. Mit brachialen Bildinszenierungen und Mitschnitten von Kampfsportturnieren versuchen Rechtsextreme wie Alexander Deptolla vom „Kampf der Nibelungen“ vor allem junge männliche Zuschauerschaften zu begeistern. Ihre Accounts featuren häufig blutige Kämpfe, bewerben Turniere und inszenieren ein martialisches Männlichkeitsbild. Aktivist*innen der Kampfsportszene wissen auch, um die Bedeutung rechtsextremer Vernetzung und laden in Video-Interviews regelmäßig andere Neonazis ein. So wird auch der Rechtsextre und NPD-Funktionär Thorsten Heise von Alex Deptolla über die Zukunft des Rechtsextremismus interviewt.
Andere wie Steven Feldmann, seinerseits Dortmunder Kampfsportler und Neonazi, produzieren regelmäßige Livestreams, in denen sie ihre Kameraden featuren. Zusammen mit Patrick Schröder, versuchen diese rechten Aktivist*innen, einen „netten Eindruck“ zu machen. Ihre Strategie ist es, den „netten Nazi von nebenan“ zu spielen. Dass TikTok für sie eine extrem hohe Relevanz hat, zeigt sich auch im Feature-Video von Steven Feldmann mit Alex Deptolla. Dort sprechen die Kampfsportveranstalter unter anderem auch darüber, wie sie die rechtsextreme Ideologie massentauglich machen können und erkennen dabei den Wert von Video-Plattformen wie Youtube und TikTok an. So sagt Feldmann: „Und klar ist, wenn man Videoformat wie Youtube nutzt, wo es klar ist, dass Kurzvideos davon auf TikTok landen – einer Plattform, die gefühlt jeder nutzt in Deutschland [sic].“
Parlamentarische Rechte auf TikTok
AfD und NPD-Politiker*innen wissen, dass sich Crossmedialität lohnt, also Profile auf vielen Social Media-Plattformen. Sie versuchen, alle möglichen Accounts von Facebook bis Telegram zu bedienen – um ihre Botschaften massenwirksam zu streuen. Vor allem die AfD verbreitet über zahlreiche Accounts Inhalte auf TikTok. Wie keine andere Partei nutzt die AfD TikTok sehr intensiv, denn laut Funk-Recherche nutzen etwa ein Drittel der Partei, also über 80 Abgeordnete, die App. Ulrich Siegmund, Matthias Helferich, Matthias Büttner, Roger Beckamp oder Miguel Klauß sind dabei nur einige der Abgeordnete, die mit TikTok Erfolg haben. Mit Hunderten von Videos schaffen sie Reichweiten in Millionenhöhe. Was die AfD-Nutzung von TikTok im Vergleich zu anderen stark unterscheidet, ist der komplette Verzicht darauf, nach Plattformregeln zu spielen. Medienstratege und Politikberater Martin Fuchs nennt das eine “Facebookisierung von TikTok”, also einer Content-Produktion, die nicht der Kurzvideologik entspricht. Die AfD-Funktionär*innen polarisieren häufig mit recycelten Bundestagsvideos, rassistischen Äußerungen zur Migrationspolitik, Dekontextualisierungen und Übertreibungen zur Energiekrise und dem russischen Angriffskrieg. Ihre Videos wirken vor allem aufgrund ihrer stark polarisierenden und emotionalisierenden Inhalte. Paradoxerweise schaffen es Abgeordnete wie Alice Weidel, Nahbarkeit und Authentizität herzustellen – obwohl sie nur recycelte Inhalten postet, die ursprünglich für Facebook gedacht waren. Auffällig ist, dass einige der AfD-Funktionär*innen auf ihre offiziellen Titel oder ihre Parteizugehörigkeit in der TikTok-Bio komplett verzichten und inkognito auftreten.
Während die AfD auf TikTok angekommen scheint, üben NPD-Chef Frank Franz oder die Freien Sachsen noch in ihrer neuen digitalen Sandkiste. Zur Verdeutlichung: die Freien Sachsen erreichen auf Telegram eine durchschnittliche Engagement-Rate von 50,7 % bei knapp 150.000 Follower*innen für ihre Posts, während sie auf TikTok bei 9 % bei knapp 8.000 Follower*innen liegt. Ähnlich auch bei Frank Franz von der NPD, der wenig bis gar nicht relevant ist. Die Größe der Partei und das Medienbudget scheinen jedoch kein Argument für den Erfolg auf der Plattform zu sein. Als Beispiel dient hier der Vergleich zum Verschwörungsideologen und einsamen Parlamentarier, Jürgen Todenhöfer. Mit seiner One-Man Partei ist Todenhöfer auf TikTok dennoch ziemlich erfolgreich bei knapp 170 Tausend Follower*innen.
Rechtsextreme Influencer*innen auf TikTok
Sie tanzen, flexen ihre Muskeln vor der Kamera, gestalten “Point-of-View”-Videos (dt. “Mein Ansicht zu…”), stitchen Inhalte von Dritten, um ihre Propaganda zu verbreiten (stitchen ist TikTok-Kommentierung in Videoform). Rechtsextreme TikTok-Influencer*innen – auch Hatefluencer*innen genannt – wie Michel.Nrx, sind jung, medienaffin und mit Social Media-Plattformen aufgewachsen. Darüber hinaus kennen sie sich sehr gut mit Infokrieg und diversen Internet-Ästhetiken aus, da sie größtenteils wahrscheinlich selbst online radikalisiert wurden. Ihre Sprache ist gespickt mit Dog-Whistles, also chiffrierter Sprache, die unter dem Radar fliegt. Ihre Zuschauer*innen feierndie jungen rechten Influencer*innen für ihren “Mut”, der “progressiven Agenda” zu trotzen. Häufig besitzen sie Likes in Millionenhöhe und View-Zahlen im oberen fünfstelligen Bereich. Maßgeblich wird ihr Erfolg durch das Beherrschen der Bildsprache und der Sounds ausgemacht. Rechte Influencer*Innen wissen genau, welche Trends sie aufgreifen sollten. Sie arbeiten Format-optimiert, nutzen die neuesten Remix-Sounds und Audio-Mitschnitte und wissen, dass sie sich mit Gesicht zeigen müssen – um Erfolg zu haben.
Ihre Videos sind bildgewaltig, bestehen häufig aus einem Mix aus rechten Memes, vermeintlich “traditionellen” Bild-Collagen, die deutsche Wälder und Schlösser zeigen, sowie Mitschnitten in der Szene beliebten Filmen wie Fight Club, Joker oder Drive. Diese Influencer*innen sind es, die AfD-Politiker*innen wie Björn Höcke eine immense Rolle beimessen, wenn sie ihn als “Giga-Chad”, also als starken Alpha-Mann, darstellen. Wilhelm dem II., Friedrich Nietzsche oder Ernst Jünger werden häufig als „MEN“, also wahre Männer dargestellt, die über die verweichlichten „BOYS“ (Jungs) dominieren. Immer wieder werden fiktive Bedrohungsszenarien gesponnen, die diese jungen Männer dazu nötigten, sich zu verteidigen. Oft heißt es dann “Defend Europe” oder “Defend the family”, das Feindbild muss gar nicht direkt adressiert werden. Diese Kommunikation hat System. “Defend Europe” ist ein Beispiel für Umwegskommunikation, die es erlaubt, die implizierte Geflüchtetenfeindlichkeit “Europa vor Migration verteidigen” auszusparen.
Rechtsterrorismus und Plattform-Akzelerationisten
Sockenpuppen- und Troll-Accounts spülen regelmäßig Videos von Amokläufen auf TikTok. Immer wieder versuchen Akzelerationist*innen mit rechtsterroristischen Propaganda-Materialien wie dem “Siege”-Manifest von James Mason, Jugendliche auf der Plattform zu radikalisieren. Ein Bericht des ISD zeigt, dass zahlreiche Videos rechtsextremer Terrorist*innen und Amokläufer wie vom Attentäter von Christchurch, vom Attentäter von Utoya oder vom Incel-Attentäter von Isla Vista und vielen anderen auf TikTok verbreitet werden*. Wie eine Recherche von Belltower News nahelegt, fungiert TikTok dabei nicht nur als Werbefläche für Rechtsterrorismus, sondern scheint für einige Nutzer*innen auch der Zugang in abgeschiedene Onlinebereiche zu sein – mit Link-Verweisen in Discord- oder Telegram-Gruppen. Dabei werden die Inhalte als Köder oder Visitenkarten für Rechtsterrorzellen wie die der Atomwaffen Division verwendet. TikToks Plattformpolitik ist streng, was derartige Inhalte angeht, deswegen greifen Rechtsterrorist*innen auch hier zu Umwegkommunikation. So werden Amokvideos unter Tags wie “airsoft” oder “gaming” gepostet, um Löschungen und Plattformsperren zu umgehen.
Im ersten Teil wollten wir uns hiermit die Bandbreite rechtsextremer Akteur*innen auf TikTok vorstellen. In Teil 2 schauen wir uns das Mobilisierungspotential genauer an und in Teil 3 unserer Recherche betrachten wir die Bildsprache von rechtsextremen Creator*innen auf TikTok. Teil 2 und 3 erscheinen in den nächsten Tagen.
* Wir nennen die Namen der Attentäter nicht, weil wir nicht zum rechtsextremen Kult um diese Menschen beitragen wollen, den die Täter in ihren rechtsextremen Taten angestrebt und gewollt haben.
Lesen Sie alle 3 Teile der Serie „Rechtsextremismus und TikTok“:
Diese Analysen sind entstanden im Rahmen des Projektes pre:bunk der Amadeu Antonio Stiftung. pre:bunk bietet Digital Streetwork auf TikTok an – für jugendliche Plattform-Nutzer*innen und gegen Desinformationen und Hass.
Hier gibt es mehr Infos zum Projekt:
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/projekte/prebunk-digital-streetwork-im-videoformat/
Hier der pre:bunk-TikTok-Kanal:
https://www.tiktok.com/@prebunk