Dabei instrumentalisieren sie die Schicksale der Flutopfer für ihre ideologischen Ziele und nutzen die Situation für die Verbesserung des eigenen Images. Hier zeigt sich: Die in der Pandemiezeit gebildeten Netzwerke der extremen Rechten bis in die (vormals) bürgerliche Mitte werden bei jeder neuen Krise aktualisiert und die markierten Feindbilder (Wissenschaft, Presse, staatliche und zivilgesellschaftliche Institutionen) stetig weiter attackiert. Spätestens jetzt sollte deutlich sein, dass die Strukturen und Narrative von Querdenken nicht mehr unmittelbar ans Pandemiegeschehen gebunden sind und für eine längerfristige Stärkung der extremen Rechten sorgen werden.
Zwischen Menschenfeindlichkeit und scheinbarer Selbstlosigkeit
In den Flutgebieten sind sowohl die „alten“, wie auch die „neuen“ Vertreter:innen der extremen Rechten aktiv: Während die NPD auf ihrer Website von Staatsversagen im Katastrophenschutz spricht, verkündet der Vorsitzende der JN, Paul Rzehaczek, auf Twitter, es gebe gute Menschen, die tatsächlich helfen und „Gutmenschen“, wie Antifaschist:innen, Geflüchtete und „studierte Emanzen“, die sich lediglich auf Twitter über die Hilfe echauffieren würden. Nur „normale Männer & Väter aus der arbeitenden Bevölkerung“ seien tatsächlich in der Fluthilfe aktiv. Auch die Neonazi-Kleinstpartei „Die Rechte“ nutzt die Katastrophe, um nicht nur gegen die Regierung zu wettern, sondern auch rassistische Ressentiments zu schüren. Aber auch EinProzent oder das Compact-Magazin beteiligen sich an Aufrufen zur Fluthilfe und verbinden diese mit nationalistischen und Anti-Establishment-Parolen.
Was die Akteur:innen verbindet: Die Inszenierung als die „wahren“ Helfer:innen in der Notlage, die sich schnell und selbstlos den Aufräum- und Rettungsmaßnahmen annehmen würden. Dabei diskreditieren sie immer die Hilfen der Regierung und richten sich zum Teil sogar gegen die offiziellen Rettungskräfte vor Ort. So berichtete die Vizepräsidentin des THW gegenüber RTL am Wochenende, die Helfer:innen würden zum Teil beschimpft oder Einsatzfahrzeuge mit Müll beworfen. Bei den Täter:innen handele es sich zum Teil um frustrierte Flutopfer, „vor allem aber Menschen aus der Querdenker- und Prepper-Szene, die sich als Betroffene ausgäben und bewusst Stimmung machten“. Auch sogenannte „Friedensfahrzeuge“, die dieselbe Lackierung wie Polizeiautos haben, aber statt „Polizei“ das Wort „Peace“ tragen, fuhren durch die Gebiete.
Dabei verbreiteten sie laut einem Tweet der Koblenzer Polizei, Falschmeldungen über Lautsprecher, nachdem die offiziellen Rettungskräfte ihre Arbeit nicht einschränken würden. Seit das rheinland-pfälzische Innenministerium frühzeitig vor einer Instrumentalisierung durch extrem rechte Akteur:innen warnte, stellen sich die Beteiligten außerdem als Opfer der medialen Berichterstattung dar. Die öffentliche Kritik an ihren vermeintlichen Hilfsaktionen nutzen sie zur Hetze gegen das „Establishment“ oder den „Mainstream“ und somit zur Stärkung der eigenen Feindbilder.
Esoterische Instrumentalisierung von Kindern
Aber nicht alle vermeintliche Fluthilfe von rechts ist direkt als solche zu erkennen. Gerade Gruppierungen aus dem „Querdenken“-Umfeld nutzen die Situation der Flutopfer vor Ort für ihre eigenen Zwecke. „Eltern Stehen Auf e.V.“ versuchten innerhalb kürzester Zeit in den Hochwassergebieten mit ihren Hilfsaktionen Fuß zu fassen. Sie riefen zu Geld- und Sachspenden auf und versuchten eine Anlaufstelle in Ahrweiler für Kinder und deren Eltern zu schaffen, wo die Kinder spielen können und von „Seelsorger:innen“ und „Psycholog:innen“ betreut würden. Hierfür gab es unter anderem Aufrufe auf Telegram und der Facebookseite. Nachdem öffentlich bekannt wurde, dass sich hinter dem Verein Akteur:innen aus dem „Querdenken“- und Coronaleugner:innen-Umfeld verbergen, warnte das rheinland-pfälzische Familienministerium, dass es sich hierbei um kein abgestimmtes Angebot handele. In dem Telegramkanal des Vereins werden verschwörungstheoretische Inhalte jeglicher Couleur bis hin zu extrem rechten Posts geteilt.
In einer Schule in Bad Neuenahr-Ahrweiler gründete „Eltern Stehen Auf“ ein sogenanntes „Familienzentrum“. Mittlerweile wurde das Zentrum geschlossen und das Jugendamt kritisierte die vorhandene Betreuung. In einem „Update“-Gespräch, dass „Eltern Stehen Auf“ am 21.07.21 auf Youtube teilten, beteuern die Verantwortlichen, dass diejenigen, die sich auf die Suche gemeldet hätten, von dem Verein selbst unabhängig und professionell ausgebildet seien. Auf verschiedenen anderen Kanälen über die der Verein seine Suche teilte, bieten auf den Aufruf hin verschiedenste Leute Hilfe an, zum Beispiel esoterische Fernheilungen oder pseudomedizinisch homöopathische Mittel. Auch diverse Heilpraktiker:innen und Laien bieten sich dort als Gesprächspartner:innen für Betroffene an.
Während einige ihre Angebote vermutlich in bester Absicht anbieten, befinden sich die Opfer der Hochwasser tatsächlich in einer Ausnahmesituation, in der professionelle therapeutische Hilfe notwendig ist. Beratungs- und Therapieangebote nicht ausgebildeter Personen könnten für die betroffenen Kinder und Erwachsenen gegebenenfalls auch später noch zu Belastungen führen. Eines der Hauptnarrative dabei ist, dass der Verein unnötig durch die mediale Berichterstattung politisiert werde, lediglich Hilfe leisten wolle und besonders Kinder vor einer Traumatisierung beschützen wolle.
„Eltern Stehen Auf“ teilte in den vergangenen Tagen auch Angebote zur einer viertägigen Ausbildung zur „Mentaltrainer:in“, „um Menschen in schwierigen Situationen mental zu unterstützen und als Lerncoach mit Kindern zu arbeiten“. Die Werbung für die knapp 2000 Euro teure Ausbildung vermittelt dabei den Eindruck eines schnellen Einstiegs in die therapeutische Arbeit, um auch in den Hochwassergebieten arbeiten zu können. Dass entsprechende Ausbildungen aber keinerlei therapeutische Qualifikationen mit sich bringen und entsprechende Absolvent:innen nicht geeignet sind, Kinder vor der Traumatisierung zu retten, wird dort selbstverständlich nicht erwähnt.
„Eltern Stehen Auf“ und Anastasia
Die Unterstützung der Kinder durch „Eltern stehen auf e.V.“ (Esa) resultiert allem Anschein nach nicht nur aus Nächstenliebe. Die nicht vorhandene Distanzierung zur extremen Rechten ist dabei nicht das alleinige Problem. Im Verein scheint es auch eine große Nähe zum Weltbild der rechtsesoterischen Anastasia-Bewegung und deren Erziehungs- und Schulkonzept zu geben. Einer der Mitbegründer von Esa ist Gerhard Praher, der auf seinem Webauftritt „Cosmic Society“ unter anderem die sogenannten Schetinin Schule in Russland vorstellt. Diese wird in den Anastasia-Büchern, auf denen die Bewegung beruht, beschrieben. Das Schulkonzept geht davon aus, dass in Kindern bereits alles notwendige Wissen vorhanden ist, deswegen wird größtenteils ohne Bücher und Lehrkräfte unterrichtet. Neben Handarbeit für die Mädchen und Kampfkunst für die Jungs werden in der internatsähnlichen Einrichtung militärische Übungen durchgeführt, sowie nationalistische Inhalte und Spiritualität gelehrt.
Im deutschsprachigem Raum wird sich unter dem Label „Freilernen“ und dem LAIS-Konzept an der Schetinin-Schule und den Anastasia-Büchern orientiert. Zu Schulgründungen nach diesen Ideen wird maßgeblich von Ricardo Leppe aufgerufen, der mehrfach in den Kanälen von „Eltern Stehen Auf“ in Form von Interviews und Verlinkungen auftaucht. Leppe propagiert nicht nur „Freilernen“, sondern ist auch Verfechter der pseudomedizinischen „Germanischen neuen Medizin“ und verbreitet diverse Verschwörungserzählungen und antisemitisches Gedankengut.
Auch in Kanäle außerhalb des „Eltern Stehen Auf“-Telegramkanals, die zur Hilfsvernetzung vor Ort dienen sollen, diskutieren Querdenker:innen und Verschwörungsidelog:innen, hetzen gegen die Regierung und teilen Reichsbürgerideologien.
Daran schließt auch Nikolai Nerling, ein rechtsextremer Videoblogger, gerne an. In einem Video, das unter anderem auf dem „Eltern Stehen Auf“-Telegramkanal verbreitet wurde, beteuert der selbsternannte „Volkslehrer“, dass die Polizei untätig sei und nicht den Opfern helfe, dann aber anrücke, sobald sie hörten, dass dort Querdenker:innen versammelt seien.
Bundesweite Mobilisierung
In die Flutgebiete selbst kommen die falschen Helfer:innen zum Teil mit eigens dafür eingesetzten Bussen. So fahren unter anderem Busse von HonkForHope von Berlin aus bis nach Ahrweiler, um Helfenden die Fahrt dorthin kostenlos zu ermöglichen. HonkForHope bietet laut eigener Aussage sonst unter anderem Busse für „demokratische und maßnahmenkritische Demonstranten zu Aktionen sowohl von Querdenken in Deutschland und Österreich als auch zu anderen friedlichen Protesten gegen die Unverhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen und rechtswidrige Eingriffe in die Grundrechte der Menschen.“ Aus einem Post geht hervor, dass die Hilfen in Ahrweiler dann durch den früheren KSK Oberstleutnant und Querdenken-Redner Maximilian Eder koordiniert werden sollen.