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Rechtsrum in Europa Weimarer Verhältnisse in Griechenland?

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Demonstration von Chrysi Avgi (Quelle: Katerina Nikolas/Creative Commons Lizenz)

von Laura Piotrowski

Im Oktober fand der Jahreskongress der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg in Stuttgart statt. Das Thema ist brandaktuell: „Rechtsrum?! Wie begegnet Europa antidemokratischen Tendenzen?“ In mehreren EU-Ländern sitzen rechtspopulistische oder rechtsextreme Parteien in den Parlamenten, in ganz Europa hat Rechtspopulismus Aufwind. Vergangenes Jahr wurde die offen faschistisch auftretende Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) ins griechische Parlament gewählt. Anfang November scheint die politische Gewalt in Griechenland zu eskalieren. Erst ermordete im September ein mutmaßlicher Anhänger der Goldenen Morgenröte den linken Rapper Pavlos Fyssas – Künstlername: „Killah P.“. Anfang November wurden zwei Mitglieder eben dieser Neonazipartei vor dem Parteibüro in Athen erschossen – mutmaßlich ein Racheakt von Linken. Auch nach dem Mord an dem Rapper, der Griechenland erschütterte und einen antifaschistischen Diskurs entfachte, würde die Goldene Morgenröte laut Umfragen noch als drittstärkste Kraft ins Parlament gewählt werden. Nach den Morden vor dem Parteibüro fürchten Beobachter sogar ein Wiedererstarken der Partei, die zuletzt von der griechischen Regierung mit stärkeren Repressionen belegt worden war.

Weiter nördlich in Europa zog 2010 in Ungarn die nationalpopulistische Fidesz ins Parlament ein und stellt seither die Regierung, als drittstärkste Kraft ist die rechtsradikale Jobbik vertreten. Seit 2012 lässt sich in Frankreich ein Erstarken der rechtsextremen Front National verzeichnen und auch in Deutschland scheiterte die neue rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland (AfD) zur Bundestagswahl 2013 aus dem Stand nur knapp an der 5-Prozent-Hürde. Die rechtsextreme NPD sitzt mittlerweile in zwei Landtagen, in Sachsen sogar in der zweiten Legislatur. Dreht sich das politische Klima in Europa rechts herum?

Rechtspopulismus ist nicht klar umrissen

Als Einstieg zur Tagung erst mal die Ernüchterung: Man könne nicht genau definieren, was Rechtspopulismus sei, da die Bewegung noch zu neu ist, so Erica Mijers, Mitherausgeberin des Sammelbandes „Rechtspopulismus in Europa“. Sie erklärt weiter: „Der Rechtspopulismus in Europa ist eine neue rechte Bewegung und nicht einfach ein neuer Faschismus oder Nationalsozialismus. Innerhalb der Ideologie gelten andere Prämissen, statt Rassen geht es um Kultur, statt einer totalitären Ausrichtung ist der Rechtspopulismus demokratisch-parlamentarisch orientiert. Ein klarer Nationalismus bleibt aber erhalten, dieser äußert sich als Ablehnung gegen die europäische Idee und gegen eine Solidarität zwischen Nord- und Südeuropa.“

Britta Schellenberg, Autorin einer Studie zur Debatte um das Phänomen rechter Gewalt im sächsischen Mügeln, sieht das anders. Für sie funktioniert Rechtspopulismus nur mit einem klaren Anschluss an den Rechtsradikalismus. Von der Grundlage her seien beide Bewegungen ähnlich, beispielsweise verlaufe die Medienkritik von RechtspopulistInnen klar nach einem modernen antisemitischen Muster. Die Medien würden als allmächtig, verschwörerisch und intrigant dargestellt, ihre Protagonisten säßen in der rechtspopulistischen Idee an der „Ostküste der USA“.  Schellenbergs  Forschungsinteresse liegt aber mehr auf Deutschland, sie stellt die Besonderheiten der deutschen rechtsradikalen und rechtspopulistischen Szene heraus, so etwa die Tatsache, dass der Staat zu lange auf dem rechten Auge blind gewesen sei, was sich erst mit der Selbstenttarnung des Terrornetzwerks NSU zu ändern scheine.

Ursachen des Rechtspopulismus sind divers

Die Ursachen des Rechtspopulismus in Europa sind so divers wie seine Ausprägungen und Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern. Sie reichen über die Annahme einer Post-Politik über zu geringes Wohlstandswachstum bis hin zu einer Hasskultur in der Gesellschaft. Am Beispiel eines konkreten Landes soll hier näher darauf eingegangen werden.

Griechenland gilt in Deutschland als der Inbegriff des südeuropäischen Krisenstaats, hier manifestiert sich die lauteste Kritik der Deutschen. Geschimpft wird auf „Pleitegriechen“ und „Euro-Betrüger“. Und es scheint, als sei mit der Ausweitung der Wirtschaftskrise auch die Rechte wesentlich gestärkt worden: Seit 2012 sitzt die neofaschistische Partei Goldene Morgenröte im griechischen Parlament. Seitdem liest man in deutschen Zeitungen immer wieder von Angriffen auf Eingewanderte oder wohnungslose Menschen. Griechenland ist als einer der EU-Grenzstaaten schon seit Jahren mit den einreisenden Flüchtlingen überfordert, die laut Dublin-II-Verordnung aber nur in dem Mittelmeerstaat bleiben und nicht weiterreisen dürfen.

Weimarer Verhältnisse in Griechenland?

Griechenland ist eine junge Demokratie. Erst vor 39 Jahren endete die Militärdiktatur und eine parlamentarische Demokratie westlichen Vorbilds konnte sich etablieren. Professorin Vassiliki Georgiadou von der Panteion-Universität Athen sieht die Gründe für den Wahlsieg der neofaschistischen Goldenen Morgenröte im Jahr 2012 besonders in den Folgen der Wirtschaftskrise seit 2008. Das politische Angebot der Partei biete einfache Antworten auf die drängenden Fragen der verarmenden Bevölkerung und richte sich gegen die Flüchtlinge, gegen die etablierten Politikerinnen und Politiker, gegen die EU, gegen den Westen, aber auch gegen Parlamentarismus und repräsentative Demokratie. Etwa die Hälfte der Wählerinnen und Wähler sei überzeugt von der Ideologie der Partei. Strategisch hat sich die Goldene Morgenröte durchgesetzt, indem sie Hochburgen ausbildete, besonders in Gegenden mit einem hohen Anteil von Eingewanderten. Diese Menschen werden aus der griechischen Gesellschaft seit Jahren ausgeschlossen, ihnen schlage von staatlicher  wie bürgerlicher Seite der gleiche Hass und Rassismus entgegen. So werde die Goldene Morgenröte anschlussfähig für die Menschen, etabliere sich erst lokal, dann national.

Die Goldene Morgenröte stieg schon in den fetten Jahren auf

Aber: „Rechtsradikalismus in Griechenland ist kein Kind der Krise!“ widerspricht Professor Athanasios Marvakis aus Thessaloniki. Er ist ein griechischer Schwabe oder ein schwäbischer Grieche, jedenfalls erst in den 1990ern nach Griechenland eingewandert und erforscht seitdem die rechtsextremen Entwicklungen in dem Land. Für ihn ist die Ablehnung gegenüber Armen und Eingewanderten ebenso der entscheidende Kristallisationspunkt der rechten Orientierung. „Die Brutalität gegen diese Gruppen kommt aus der Mitte der Gesellschaft und genau hier hat die Delegitimierung der Demokratie begonnen. Die Faschisten der Goldenen Morgenröte sind feige, sie richten sich nur gegen die Menschen, die die Gesellschaft vorher schon schwach gemacht hat“, führt Marvakis aus. Angriffe gegen Flüchtlinge und die Entrechtung der Eingewanderten seien viel älter als die Krise. Noch nie hätten beispielsweise die pakistanischen Eingewanderten den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit wie Griechen erhalten, seit Jahren würden Angriffe gegen Ausländer dokumentiert, ebenso wie die institutionelle Brutalität des Staates, der Flüchtlinge in Lagern einsperre. Aufgebracht erklärt Marvakis, dass die Krise die Situation dieser schwachen Minderheit nur verallgemeinert habe, heute treffe Armut immer mehr Menschen, immer häufiger müssten auch griechische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger betteln, erhielten zu wenig Lohn oder verlören ihre Wohnung. Indem die Regierung die Faschistinnen und Faschisten lange gewähren ließ, hätte sie versucht, die Armen klein zu halten und so potentiellen sozialen Protest zu unterbinden. Die Faschisten seien als „vorwegnehmendes Aufstandsmanagement“ genutzt worden.

Goldene Morgenröte als Feigenblatt einer krisengeschüttelten Politik

Farvakis meint: „Spätestens seit dem Mord an Pavlos Fyssas ist das Fass übergelaufen.“ Die Regierung erkenne den Kontrollverlust, den ihr die passive Legitimation der rechtsextremen Gewalt über Jahre eingebracht habe. Andererseits könne sie das Medienecho über die faschistische Gefahr auch gut instrumentalisieren, es übertönt den sozialen Aufstand, der derzeit im Land brodelt. Jeden Tag streiken Menschen gegen schlechte Löhne oder protestieren gegen neue Sparmaßnahmen. Der Fokus auf die Neofaschisten lenkt laut Marvakis von der Austeritätspolitik der Troika ebenso wie von den rechtsradikalen Ministern in den eigenen Reihen ab. Mehrere der Kabinettsmitglieder seien in ihren Äußerungen eigentlich kaum von denen der Neofaschisten zu unterscheiden, seien früher selbst in rechtsradikalen Parteien aktiv gewesen. Der Versuch, die Goldene Morgenröte jetzt als Kriminelle Vereinigung zu verbieten, scheint nur ein weiterer Versuch zu sein, die Kontrolle zu behalten. Im Zuge der Affäre um den Mord an Pavlos Fyssas hatte die Partei gedroht, ihre 18 Parlaments-Mandate niederzulegen, was Neuwahlen und damit neues Politchaos bedeutet hätte. Die kürzlich verhafteten Mitglieder des Parlaments könnten zwar nicht direkt für die verschiedenen Morde der vergangenen Jahre verantwortlich gemacht werden, aber über die Konstruktion einer Kriminellen Vereinigung Goldene Morgenröte versucht die Regierung das Problem zu beheben. Dies geschieht laut Marvakis aber auch auf der linken Seite, genauso steige in Thessaloniki die Zahl der verhafteten Öko-Aktivistinnen und Aktivisten, die von der Regierung als Gefahr für die Kontrolle und als Kriminelle Vereinigung konstruiert würden. Wer hier an den 13. Februar in Dresden und die in Sachsen laufenden §129-Verfahren denkt, liegt sicher nicht ganz falsch.

Die Hoffnung ruht auf der Zivilgesellschaft

Trotzdem zeigt sich Licht am Ende des Tunnels. Griechenland besitzt eine Zivilgesellschaft, es gibt mehrere linke Parteien und verschiedene andere demokratische Kräfte, die sich gegen den Rechtskurs wehren. Auf diese setzen sowohl Marvakis als auch Georgiadou. Noch seien längst nicht alle Gegenden Hochburgen der Goldenen Morgenröte. Besonders Marvakis sieht in der Wirtschaftskrise auch die Chance für einen Neuanfang der griechischen Gesellschaft, die sozialen Proteste im Land böten ein enormes Potential. Es sei auch nicht verkehrt, die brutalen Rassistinnen und Rassisten der Goldenen Morgenröte endlich hinter Gitter zu bringen. Aber die staatliche Autorität müsse mehr erreichen und dürfe nicht wieder zusehen, wenn Eingewanderte ermordet oder angegriffen würden. Auch hofft Marvakis, dass sich die neue griechische Solidarität auf die eingewanderten Flüchtlinge ausdehne – mit denen so viele Griechinnen und Griechen jetzt auf einer Stufe stünden. Ebenso müsse die EU hier eine Hauptrolle spielen und Antworten auf die drängenden sozialen Fragen finden. Damit Griechenland kein neues Weimar wird.

 

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