Ist eine Droh-Email, unterzeichnet mit „Atomwaffen Division“, eine reale Bedrohung – oder nicht? Zwei Emails mit dieser Unterschrift erreichten am 27. Oktober 2019 die Büros der Grünen-Politiker*innen Cem Özdemir und Claudia Roth. Der Email-Text spricht, gespickt mit rassistischen Beschimpfungen, von einer „Abschussliste“, auf der Özdemir und Roth auf „Platz 1 und 2“ einnähmen, „zurzeit sind wir am Planen wie und wann wir sie hinrichten werden“. Das Bundeskriminalamt ermittelt, spricht von einer Bedrohungslage „unverändert auf einem abstrakt hohen Niveau“ (vgl. Tagesspiegel).
„Zellen des führerlosen Widerstandes“
„Atomwaffen Division“ ist ein Fall des modernen Rechtsterrorismus in Zeiten der Internetkommunikation. In diesem Fall gehört zum Konzept, dass im Zweifelsfalle jeder zu „Atomwaffen Division“ gehören kann – denn die in den USA real existierende nationalsozialistische und gewaltverherrlichende Gruppierung verfolgt das Prinzip der „Zellen des führerlosen Widerstandes“. Dieses Prinzip ist nicht neu, auch Rechtsextreme propagieren es bereits seit den 1980er Jahren. In Deutschland entstand daraus die Organisierung der rechtsextremen Szene in miteinander vernetzten, aber organisatorisch unabhängigen Kameradschaften in den 1990er und 2000ern.
Vordenker: James Mason
In den USA propagierte dieses System in den 1980er Jahren unter anderem der Neonazi James Mason (gehörte zur „American Nazi Party“, später zur „National Socialist Liberation Front“). Mason schrieb über den „führerlosen Widerstand“ und seine Ideologie dazu einen Newsletter namens „Siege“. Darin werden als Feindbilder, klassisch, Schwarze, Migrant*innen, Homosexuelle, Jüd*innen und Muslim*innen beschrieben. Es geht aber auch um Strategien: Mason befürwortete gewalttätigen politischen Aktivismus, der zu einem neuen faschistischen Regime in den USA führen sollte. Dazu sei ein Krieg gegen die Regierung und die Bevölkerung nötig, in dem Morde und „Lone Wolf“-Terrorattacken das beste Mittel seien. Einer seiner Helden ist der siebenfache Mörder Charles Manson (vgl. Spiegel).
Was „Atomwaffen Division“ daraus macht
Die amerikanischen Neonazis um den Wortführer John Cameron Denton, die „Atomwaffen Division“ als Gruppierung und Label 2015 ins Leben riefen, bewundern den 2017 untergetauchten „Siege“-Autor James Manson, machen ihn ausfindig und verkünden dann: „James Mason hat uns die Fackel übergeben.“ Sie veröffentlichen seine Schriften als Bücher, machen Podcasts mit Mason und wollen damit ein weltweites Netzwerk von nationalsozialistischen Fanatikern aufbauen, dass bereit ist für den „Race War“.
Die Ideologie von „Atomwaffen Division“
Während andere rechtsextreme Gruppierungen in den letzten Jahren dazu tendierten, direkte NS-Verherrlichung zu vermeiden, kann es den Anhängern der „Atomwaffen Division (AWD)“ nicht explizit genug nationalsozialistisch sein, was bereits ihr Logo ausdrückt, dessen Form sich auf SS-Wappen beruft. In der Mitte steht das Symbol für Kernenergie, was auf ihren absoluten Vernichtungswillen hinweisen soll.
Antisemitismus stellt inhaltlich ein zentrales Moment dar, aber auch Antifeminismus (ein Anführer nennt sich etwa im Internet als Pseudonym „Rape“) und natürlich Rassismus. Während andere rechtsextreme US-Gruppen auch einen kämpferischen Nationalismus propagieren, geht es bei AWD ausschließlich um einen „Rassenkrieg“, der die Überlegenheit der Weißen („White Supremacy“) belegen und besiegeln soll. Wenn die USA dabei Schaden nimmt, passt das ins Konzept. Zur AWD-Ideologie gehört die Strategie des Akzelerationismus, also der Wunsch nach einem bewaffneten Umsturz des momentanen Systems, den man durch eigene Gewalttaten beschleunigen und herbeiführen will (vgl. Der Rechte Rand).
Dabei stellt mörderische Gewalt ein zentrales Element dar, auch in der Selbstdarstellung. Sämtliche Websites, Social Media Foren oder Videos agieren stets auf der rhetorisch und metaphorisch höchsten Eskalationsstufe. Expliziteste abwertende Beschimpfungen durchziehen alle Veröffentlichungen. Videos zeigen Schießübungen in Wäldern und das Verbrennen amerikanischer und israelischer Fahnen. Die AWD-Mitglieder tragen dabei maskenartige Totenkopf-Tücher als Vermummung und tragen schwerste Waffen. Die nächstmögliche Eskalationsstufe ist dann nur noch die Tat.
In den USA zieht das System Morde und Terror-Pläne nach sich
In den USA gibt es „Atomwaffen Division“ seit 2015 als Gruppierung, die sich in einem rechtsextremen Forum, IronMarch.org, gegründet hat. Zwischen 25 und 80 Mitglieder soll es in den USA geben, vor allem in den südlichen Staaten (vgl. ADL, SPLC). Die Mitglieder bespielen nicht nur Soziale Netzwerke und Videoportale mit ihrem martialisch inszenierten Rechtsextremismus und verteilen Flyer an Universitäten zur Mitglieder-Gewinnung. Sie treffen sich auch ganz praktisch zu militanten Kampf- und Waffentrainings, die sie wiederum filmen und ins Internet stellen.
Aus den Gewalt-Übungen wird in den USA auch mörderischer Ernst. Seit 2017 sind durch Attentäter aus dem Umfeld von AWO fünf Menschen ermordet worden, ein geplanter Sprengstoff-Anschlag auf ein Kernkraftwerkt wurde durch Polizeiermittlungen verhindert. Die Morde zeigen, dass die Gewaltverherrlichung der Gruppe zu massiver, wenn auch nicht immer ideologisch passender Gewalt durch Anhänger führt. Zu den Opfern des AWD gehören:
- Zwei AWD-Mitglieder, die in Tampa 2017 von einem 18-jährigen „Kameraden“ ermordet werden, nachdem sie ihn verspottet hatten. Täter und Opfer wohnten in einer WG, ebenso ein weiterer AWD-Anhänger. Bei dem findet die Polizei während der Ermittlungen Initialsprengstoff, radioaktive Materialien und NS-Propaganda.
- Ein 17-Jähriger AWD-Sympathisant ermordet ebenfalls 2017 in Virginia die Eltern seiner Ex-Freundin, die den Kontakt mit dem Neonazi verboten hatten.
- 2018 ermordet ein Mann in Kalifornien einen homosexuellen jüdischen Studenten; zuvor hatte er mehrere AWD-Trainingscamps besucht und beschreibt sich selbst im Internet als „so antisemitisch, wie man nur sein kann.“ (vgl. ProPublica).
- Bei der rechtsextremen Großdemonstration in Charlottesville verprügelt ein AWD-Mitglied, das gleichzeitig US-Marine ist, eine Trans-Frau. (vgl. ProPublica).
- Und im Februar 2019 wird ein AWD-Mitglied verhaftet, dass einen Sprengstoffanschlag auf ein Kernkraftwerk plante (vgl. ExpressNews).
Aktuell gibt es in den USA allerdings Streit unter den Anhängern. An den Morden liegt das allerdings nicht. Allerdings tendieren Teile der Neonazi-Gruppe offenbar auch in Richtung eines okkultistischen und nihilistischen Satanismus, was Anderen nicht nationalsozialistisch angemessen erscheint (vgl. The Daily Beast).
Und international?
In Großbritannien wird 2018 die „Sonnenkrieg Division“ gegründet, die u.a. einen Mordanschlag auf Prince Harry und auf Polizisten planten. Im Dezember 2018 werden 3 Mitglieder festgenommen.
Eine zweite Ausgründung ist die „Feuerkrieg Division“, die 2019 ankündigt, u.a. in Irland, Kanada, Deutschland, Estland, den Niederlanden, Belgien, Norwegen, Russland und Großbritannien aktiv zu werden. Sie ruft zu Anschlägen auf Synagogen auf und zeigt Bilder selbstgebauter Sprengköpfe.
Eine weitere internationals ausgerichtete Gruppierung aus dem Umfeld nennt sich “The Base” – angelehnt an “Al Kaida”, was ebenfalls “Die Basis” bedeutet. “The Base” ist eine Neonazi-Gruppierung, die paramilitärische Trainings – “Hate Camps” – abhält. Sie steht sowohl “Atomwaffen Division” als auch “Feuerkrieg Division” nahe. Laut Social Media-Fotos ist die Gruppe in Großstädten in Nordamerika (New York, Los Angeles, Seattle), Europa, Südafrika und Australien aktiv (vgl. Vice)
Und in Deutschland?
In Deutschland gab es im Juni 2018 ein Propaganda-Video, dass deutsche Rechtsextreme motivieren wollte, sich „Atomwaffen Division“ anzuschließen, gedreht unter anderem vor der Wewelsburg, die in Nationalsozialismus „SS-Ordensburg“ war. Aufgrund der Kameraführung ist davon auszugehen, das ein AWD-Anhänger vor der Kamera agiert und einer filmt. Dies ist der einzige Beleg für Aktivisten der AWD in Deutschland. Im Video posiert der Aktivist mit einer Fahne der „Atomwaffen Division“, die angeblich so nicht käuflich zu erwerben ist und die zeigen könnte, dass diese Person mit AWD in den USA in Kontakt stand oder steht.
Zu Aktivitäten unter dem Label „Atomwaffen Division“ kommt es in Deutschland aber nur sehr vereinzelt. In der Bibliothek der Berliner Humboldt-Universität werden im November 2018, in der Bibliothek der Johann-Wolfgang-von-Goethe-Universität in Frankfurt am Main im Mai 2019 Flyer in Büchern gefunden, die zum Anschluss an die „Atomwaffen Division“ und zum Mord an Muslim*innen aufrufen.
Im Juli 2019 werden „Atomwaffen Division“ Flyer vor einer Gedenkveranstaltung zum NSU-Nagelbombenattentat in der Kölner Keupstraße verteilt.
Im August 2019 postet ein User auf Twitter ein Foto eines Plakats von einer Bushaltestelle in einem Kieler Vorort. Auf dem DIN A4-Plakat rufen „Atomwaffen Division“ zum Mord an Jüd*innen auf.
Zeitweilig hat „Atomwaffen Division Deutschland“ einen Account mit rund 120 Followern auf dem rechtsextremen „Twitter“-Klon Gab.ai. Inzwischen wurde der Account – ebenso wie die amerikanischen AWD-Accounts – selbst auf Gab.ai gelöscht.
Auf Telegram beobachtet das Projekt „De:Hate“ der Amadeu Antonio Stiftung ein Netzwerk aus pro-rechtsterroristischen Kanälen, auf denen auch „Atomwaffen Division“-Inhalte rasant geteilt und gefeiert werden. Attentäter werden dort als „Saints“ (Heilige) verehrt.
Fazit
Das heißt: Ob die Bedrohungs-Emails wirklich von Menschen kamen, die mit „Atomwaffen Division“ in Kontakt stehen, oder ob ihr nur ein in der Szene beliebtes und verfügbares Label genutzt wurde, um maximal Angst zu verbreiten, lässt sich nicht ermitteln. Es gibt Anhänger von „Atomwaffen Division“ in Deutschland, allerdings gibt es keine Erkenntnisse, wie viele oder wie bewaffnet und vernetzt sie sind. Weil aber Sympathisanten von „Atomwaffen Division“ menschenverachtende und gewaltaffine Neonazis sind, kann Vorsicht im Umgang mit solchen Bedrohungen nie verkehrt sein.
Update 11.11.2019
Zur Gestaltung der Flugblätter von Atomwaffendivision ein interessanter Twitter-Thread:
Update Atomwaffendivision Deutschland, 19.11.2019
Gute Recherche bei T-Online zu Atomwaffendivision Deutschland: Verräterische Daten aus Neonazi-Forum – Spur zur „Atomwaffen Division“ führt nach Thüringen
Zusammengefasst:
- Nach dem Leak des amerikanischen „Iron March“-Forums (Selbstbeschreibung: „Schmiede der Faschisten des 21. Jahrhunderts“) gibt es Hinweise auf die Identität eines deutschen rechtsextremen Aktivisten, der Kontakt zur „Atomwaffen Division“ in den USA hatte und mutmaßlich an der Erstellung des deutschen „Atomwaffendivisions“-Videos war.
- Es ist ein „junger Mann aus Eisenach“, A., der dort zu rechtsextermen Kameradschaftsstrukturen gehört.
- A. hatte vor dem „Atomwaffendivision“-Video schon Propaganda-Videos für andere Neonazi-Gruppen gedreht.
- Er nahm im „Iron March“-Forum den Kontakt mit amerikanischen „Atomwaffen Division“-Mitgliedern auf, erhielt auch Antworten.
- A. gibt an, Facebook-Seiten und Blogs zu betreuen, die „NS“ und „Revolt“ und „Straßenkunst“ im Namen führen.
- Die „Revolt“-Seite, 2018 neu aufgesetzt, kritisiert Verschwörungstheorien zum Attentat in Halle mit zwei Toten. Die Leute sollten akzeptieren, dass es wirklich Terror war, heißt es dort. Terror – wie von der „Atomwaffen Division“ gewünscht.
- A. hatte offenbar ab 2016 auch Kontakt zur britischen Nazi-Gruppe „National Action (NA)“ (inzwischen verboten), vor allem zu deren „Führer“ „Daddy Terror“.
- Neonazis eines so genannten „Antikaptalistischen Kollektivs“ (AKK) hatten über längere Zeit Kontakt zu „National Action“ (vgl. T-Online). Im „Atomwaffendivision“-Video werden Ausschnitte aus früheren Videos des AKK genutzt.
- A. war, das legt sein Nutzername nahe auch auf anderen Foren rechsextrem unterwegs: etwa der Gamingplattform „Steam“, auf dem „Iron March“-Ausweichseite „Facist Forge“ (Faschisten-Schmiede), und auf „xplosives“, einer Plattform für Herstellung und Umgang mit Sprengstoffen und Chemikalien (ab August 2019 offline).
- A. ist Kampfsportler und wurde beim „Schild & Schwert“-Festival in Ostritz wegen „unerlaubter passiver Bewaffung“ angezeigt. Auf Instagram postet er Bilder von Schießtrainings.
- Am 15.11.2019 gibt der „Nationale Aufbruch Eisenach“ auf Facebook ohne Begründung seine sofortige Auflösung bekannt.
- A. äußert sich auf Instgram distanzierend: „Egal, was die Presse behauptet, die AWD-Deutschland fand ich schon immer lächerlich und habe nie für diese Spastis gearbeitet.“
- Katharina König-Preuss berichtete am Freitag in einer Pressemitteilung von Hinweisen, wonach der Eisenacher möglicherweise in Kiew am „National Socialist Black Metal“-Fest „Asgardsrei“ teilgenommen hat, dem Verbindungen zur bewaffneten ukrainischen „Asow-“ Miliz nachgesagt werden.
- Das könnte weitere Bezüge nach Thürungen bedeuten, da dort auch die Band „Absurd“ um den als Mörder verurteilten Thüringer Neonazi Hendrik Möbus auf dem Programm stand. Möbus stand nach Recherchen der „Zeit“ in Verbindung mit dem mutmaßlichen Mitglied der „Atomwaffen Division“, das nicht nach Deutschland einreisen durfte (vgl. ZEIT).
- Der amerikanische „Atomwaffendivisions“-Aktivist Kyle M. (31), wollte am 14. November 2019 nach Berlin einreisen, wird aber von den deutschen Sicherheitsbehörden gestoppt, nachdem diese einen Tipp vom FBI bekommen hatten.
- Auf M. wartete am Flughafen eine Frau aus Mecklenburg-Vorpommen. Die Ostsee-Zeitung berichtet, Kyle M. habe angeben, dass er in Deutschland „heiraten und Urlaub machen“ wolle. Über die Frau liegen den Sicherheitsbehörden keine polizeilichen Erkenntnisse vor.
- Das FBI hatte aber eine andere Theorie: Sie vermuteten, dass M. eine amerikanische Anti-Nazi-Aktivistin bedrohen oder angreifen wollte, die nach Deutschland gezogen ist, weil die Attacken gegen sie in den USA zu bedrohlich geworden waren (vgl. Guardian).