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Redpill, Blackpill, Pinkpill Mit „Female Dating Strategy“ zur „hochwertigen” Frau

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(Quelle: Unsplash)

„Bitte sage zu Coffee Dates als erstes Date immer nein“, erklärt eine junge Frau mit ernstem Blick ihren Followerinnen auf TikTok. Denn, so fährt sie fort: Männer, die ihr Date lediglich zum Kaffee trinken einladen, wollen einfach nur mal gucken, ob man sich gegenseitig gut findet. Und das ist eigentlich ein Hinweis darauf, dass er nicht viel Geld in das Date investieren möchte – und wahrscheinlich noch mehr unverfängliche Kaffee-Dates mit anderen Frauen geplant hat!

Denn das Ziel von Dates sollte nicht sein, finalisiert die TikTokerin, die als Coach für „Weiblichkeit, Soft Life und moderne Eleganz“ arbeitet und ein Buch zu „weiblicher und männlicher Energie“ im Selbstverlag auf Amazon publiziert hat, ein paar angenehme Stunden zu haben und im besten Falle festzustellen, dass man sich wieder sehen will. Sondern: herauszufinden, ob es sich um einen „High Value Man“ handelt und ihm zu zeigen, „dass er eine Königin vor sich hat“. Und kein Flittchen, dass er schon mit einem Kaffee für fünf Euro für sich begeistern kann. Sie ist Vertreterin der sogenannten „Female Dating Strategy“-Szene. Diese war lange Zeit primär im englischsprachigen Raum aktiv, aber wie dieses TikTok zeigt, ist sie inzwischen auch in Deutschland angekommen.

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Diese Vorstellungen von Dating als gezielter Strategie, die sich anhand erlernter Tipps und Tricks meistern lässt, kommt Menschen, die sich mit der antifeministischen Pick-Up-Artist-Community beschäftigt haben, nicht unbekannt vor. Männliche „Dating Coaches“ – in der Regel kaum etwas anderes als manipulative Vergewaltigungsapologeten – gibt es schon seit geraumer Zeit. „Female Dating Strategy“ ist zwar nicht haargenau das weibliche Pendant zu Pick-Up-Artists, aber Parallelen gibt es leider durchaus – und das, obwohl die Community eigentlich gegründet wurde, um sich gegen die manipulativen und misogynen Techniken zu wappnen.

Eigentlich klingt der Grundgedanke des 2019 gegründeten gleichnamigen Subreddits ganz vernünftig. Es geht darum, Frauen zu vermitteln, dass sie sich nicht mit einem nur an Videospielen interessierten Kindskopf, der im Haushalt keinen Finger krümmt, keine Ahnung davon hat, wo die Klitoris ist und dessen Vorstellung eines idealen Dates aus „zusammen auf der Couch Netflix gucken“ als Partner zufrieden geben sollten. Stattdessen sei das Ziel ein erfolgreicher, vielseitig interessierter, attraktiver und liebevoller Partner – ein sogenannter „High Value Male“. Um einen „HVM“ ergattern zu können, muss eine Frau die „Pinkpill“ schlucken, ihre „Pickmeisha“-Attitüde ablegen, ihre „weibliche Energie“ maximieren, um letztendlich zu einer „Queen“ und „High Value Woman“ aufsteigen zu können („Eine ‚Pickmeisha‘ ist eine Frau, die sich komplett verbiegt, um einem Mann zu gefallen, oft zum Schaden ihrer eigenen Identität“, wie das Subreddit erklärt).

Nun sind die Grundgedanken der „Female Dating Strategy“ gar nicht mal so falsch: Bedauerlicherweise sind viele heterosexuelle Männer recht desinteressiert an einer gleichberechtigten Aufteilung von Reproduktionsarbeit, haben eine durch misogyne Pornographie deformierte Vorstellung von Sex und verlagern die komplette emotionale und mentale Beziehungsarbeit auf ihre Partnerinnen. Mehrere Userinnen berichten, dass die FDS-Community ihnen dabei geholfen hätte, sich von einem manipulativen Partner zu trennen oder ein gesundes Verhältnis zum eigenen Körper zu entwickeln. Aussagen wie „Habe keinen Sex, dem du nicht enthusiastisch zustimmst“ oder „Die Behauptung, dass Frauen ab 30 unattraktiv und aufgebraucht sind, ist sexistischer Blödsinn“ sind objektiv richtig.

Doch wer sich die Bewegung ein wenig genauer ansieht, merkt schnell, dass es nicht um Feminismus geht, sondern viel mehr um Neoliberalismus und letztendlich doch sehr traditionelle Geschlechterrollen.

Dates sind ein Stahlbad: Tipps für einen High Value Man

Bevor Frauen auf dem 250.000 Mitglieder starken Subreddit posten dürfen, wird ihnen angeraten, das komplette „Female Dating Strategy“-Handbuch zu lesen, den über Patreon finanzierten Podcast zu hören und Mitglied im FDS-Forum zu werden. Das Handbuch gibt einen Einblick in die Grundregeln der Bewegung – und erklärt, wie sich deren Anhängerinnen einen der begehrten „High Value Männer“ angeln können. Viel Feminismus findet sich darin leider nicht.

Ein „High Value Man“ ist ein Mann, der „einen hohen Wert zu deinem Leben beiträgt“. Er soll respektvoll, finanziell abgesichert, den Akttraktivitätsstandards der Frau entsprechen – ein großer Unterschied zur Redpill-Community ist, dass die FDS-Szene die Subjektivität von Schönheit anerkennt. „Er soll dich genuin glücklich machen“, so das sehr vernünftige Fazit des Beitrags. Anders als bei der Redpill-Community, die Frauen lediglich als Mittel zur Selbstbestätigung und als Beweis für eine erfolgreiche „Performance“ hegemonialer Männlichkeitsvorstellungen sieht und weniger als eigenständige Individuen betrachtet, ist das Ziel der „Pinkpill“ eine emotional erfüllende Beziehung, die auf gegenseitiger Anerkennung und Respekt basiert.

Dennoch sollte das finale Ziel von Dating die heterosexuell-monogame Ehe sein. Männer, die nicht daten, um zu heiraten, fallen aus dem „High Value Male“-Status heraus. Zudem müssen „High Value Men“ den ersten Schritt beim Dating machen, um ihr Interesse zu bekunden – was dann doch ein recht antiquiertes Geschlechterbild reproduziert. Und obwohl es rein theoretisch darum gehen sollte, den „idealen Mann“ für die individuelle Frau zu finden, sollen diese Männer dann doch letztendlich der traditionellen Rolle als finanziell abgesicherter Ernährer entsprechen. Dies ist inhärent klassistisch, da es proletarischen und prekarisierten Männern abspricht, adäquate Partner sein zu können und so, genauso wie die Redpill-Ideologie, romantisches Glück und die „Wertigkeit“ eines Subjekts an seinen Finanzstatus knüpft. Letztendlich stellt die „Female Dating Strategy“ also vor allem eine Kommodifizierung von Beziehungen dar, sei es die Beziehung zu sich selbst oder die zum Partner.

Aus Spaß daten? Das ist kein Queen-Mindset. [Quelle: Reddit]

Zurichtung unter dem Patriarchat? Selber Schuld, Süße!

Zudem wird es weniger Männern selbst angelastet, sexistisch, chauvinistisch oder faul zu sein und von der Gesellschaft im Allgemeinen und Frauen im Besonderen zu erwarten, ihre patriarchalen Anspruchshaltungen zu erfüllen. Feindbild sind mindestens genauso oft Frauen, die diese Männer – angeblich – darin bestärken. Feminismus stellt bei „Female Dating Strategy“ mehr ein individuelles Mindset dar, um sich vor ungleichwertigen und toxischen Beziehungen zu schützen. Die oberste Prämisse ist, „die eigenen Bedürfnisse vorne an zu stellen“. Wer dies als egozentrisch und rücksichtslos interpretiert, sollte sich fragen, wieso. Denn nach wie vor wird Mädchen und Frauen von klein auf vermittelt, die eigenen Bedürfnisse hinter denen von anderen – vor allem Männern – anzustellen. Sie als wichtig zu erachten und zu verteidigen, ist ein notwendiger Schritt feministischer Emanzipation. Dennoch ist diese damit vielleicht auf individueller, aber nicht gesamtgesellschaftlicher Ebene erreicht. Gerade die gesamtgesellschaftliche Befreiung von internalisierter patriarchaler Ideologie muss immer feministischer Anspruch sein; der ist bei FDS jedoch nicht gegeben.

Dies führt in der Szene leider regelmäßig zu Victim Blaming gegenüber Frauen, die nicht die Energie haben, sich aus patriarchalen Gewaltverhältnissen zu befreien. Diese hätten schlicht nicht das „Queen-Mindset“, und seien demzufolge eigentlich selbst Schuld an ihrer Situation. Dies trifft einerseits die bereits erwähnten „Pickmeishas“, andererseits Sexarbeiterinnen. Das antifaschistische Subreddit „Against Hate Subreddits“ hat außerdem mehrere Beweise für die Transfeindlichkeit der FDS-Community und vor allem der Moderatorinnen gesammelt.

Trans Frauen können anscheinend auch keine High Value Women werden. [Quelle: Twitter]
Im feministischen Kampf ist zwingend notwendig, sich zu fragen, wieso Frauen ihre eigenen Interessen im Geschlechterkampf hinten anstellen. Die Antworten sind komplex und oftmals traurig: Wunsch nach patriarchaler Anerkennung, gesellschaftliche Zurichtung, Verdrängung der erfahrenen Gewalt, internalisierte Misogynie und in der Regel schlicht mangelndes feministisches Bewusstsein. So wird innerhalb der FDS-Community aus einer legitimen Kritik an der Sexindustrie und an Freiertum eine Abwertung von Sexarbeiterinnen. Aus einer feministischen Auseinandersetzung mit der Frage, wieso Männer BDSM-Praktiken nutzen können, um frauenfeindliche Fantasien als Kink verkleidet ausleben zu können (was BDSM aber niemals inhärent ist!) wird simplifiziertes Verurteilen vermeintlich devianter Sexpraktiken – und somit eine Entmündigung weiblicher Sexualität. High Value-Queens wird angeraten, keinen Sex beim ersten Date zu haben, da dies Männern vermitteln würde, sie seien leicht zu haben – dies spricht Frauen Spaß an unverbindlichen Sex ab. Im schlimmsten Fall wird Frauen, die in unzufriedenen bis missbräuchlichen Beziehungen verbleiben, eine Mitschuld an ihrer Situation attestiert, anstatt sich mit der Komplexität von emotionaler Abhängigkeit in häuslichen Gewaltverhältnissen zu befassen.

Anstatt also eine radikale Kritik am Geschlechterverhältnis oder cismännlicher Sozialisation zu üben, ist die Lösung bei „Female Dating Strategy“ letztendlich die von Absicherung, Vorsicht und Selbstoptimierung, um sich einen der „guten Männer“ zu angeln. Zahlreiche Maskulinisten und Incels ziehen „Female Dating Strategy“ als vermeintlichen Beweis für die vermeintliche Arroganz und Verkommenheit von Frauen heran. Immer wieder werden Beiträge der Community in Männerrechts-Subreddits geteilt und hämisch kommentiert. Trotz der zahlreichen berechtigten Kritikpunkte, die es an dem Phänomen gibt, entlarvt sich die Empörung der Männerrechtler sehr schnell als Projektion und Misogynie. Denn auch wenn die Pinkpill-Ideologie Ausdruck neoliberaler Selbstzurichtung ist: vom Verschwörungsdenken, dem Autoritarismus und der Menschenverachtung der „Redpill“ ist sie dann doch ziemlich weit entfernt.

Von Engelsnasen und Looksmaxxing

Die „High Value Frau“ muss natürlich auch dem Rest der Welt permanent ihren Wert beweisen. Das bedeutet: Beruflicher und finanzieller Erfolg, normschönes Aussehen, jede Minute wird in die Verbesserung investiert. Dies steht einer genuinen Selbstliebe und Akzeptanz diametral entgegen, da diese auch Raum für Scheitern, Trauern und auch einfach mal verkatert auf der Couch herumliegen, Schokoladenkekse futtern und schlechte Reality-Serien gucken bieten sollte. Der neoliberale Zwang zur Selbstoptimierung zur „High Value Women“ ist weniger feministisch, als das Unterordnen unter die Ideologie permanenter Selbstverwertbarkeit.

Besonders deutlich macht dies das „Vindicta“-Subreddit, das über 58.000 Userinnen verzeichnet und das Ziel hat „Schönheit, Attraktivität und Anziehungskraft“ zu optimieren. Die Seite ist „Looksmaxxing“, „Moneymaxxing“ und „Personalitymaxxing“ gewidmet, also der Optimierung von Aussehen, Geld und Persönlichkeit. Auch wenn das „Looksmaxxing“ ein Konzept aus der Incel-Community ist, hat Vindicta zumindest stellenweise progressive Tendenzen: Der Beitrag mit den meisten „Upvotes“ thematisiert Solidarität unter Mädchen, andere Beiträge kritisieren die Propagandamaschine der Schönheitsindustrie. Es gibt harmlose Tipps in Sachen Ernährung oder Fitness, die vollkommen ungefährlich sind und sich nicht von denen in x-beliebigen Frauenzeitschriften unterscheiden. Aber ähnlich wie bei der „Looksmaxxing“-Szene werden körperliche Makel unter der Lupe seziert und Tipps ausgetauscht, wie sich diese verbessern lassen. Dies geht bis zum „Hardmaxxing“: der plastischen Chirurgie. Dies mündet also wiederum in der Affirmation eines Geschäftszweiges, der primär auf der Verunsicherung von Frauen basiert.

Fast schon phrenologisch diskutieren Userinnen über „Engelsschädel“ und „Hexenschädel“: erstere zeichnen sich durch eine Stubsnase, konvexe Augenwinkel und ein hervorstrebendes Kinn aus. Merkmale des als unansehnlich erachteten Hexenschädels sind eine prominente, nach unten strebende Nase, zur Stirn gerichtete Augenwinkel und ein fliehendes Kinn. „Vindicta“ teilt Frauen in unterschiedliche, nach „Sexyness“, „Niedlichkeit“ und „Eleganz“ kategorisierte Idealtypen ein: die „Diva“ (als Vergleich werden Megan Fox und Rhianna herangezogen), die „Rose“ (Emma Watson, Natalie Portman, Lupita Nyong’o) oder die „Salonlöwin“ (Michelle Pheiffer, Salma Hayek, Prinzessin Diana). Auffällig ist: all diese Frauen entsprechen gesellschaftlich vermittelten Idealbildern von Weiblichkeit, die für Frauen ohne Vermögen, Fitnesstrainerin und PR-Agentur unerreichbar sind. Das Zelebrieren von weiblichem Scheitern, wie es die „Femcel“-Community auf TikTok betreibt, kann also als Gegenbewegung zu den Girlbosses von Female Dating Strategy und Vindicta betrachtet werden.

Screenshot aus dem „Vindicta“-Reddit

Es ist nicht überraschend, dass die Konzepte von „Female Dating Strategy“ und „Vindicta“ von weiblichen „Dating Coaches“ aufgegriffen wurde, die Frauen – gegen Geld – beibringen, so lange an der eigenen Person zu feilen, bis die Klientin zur perfekten Frau mutiert ist, die dann auch einen adäquaten Partner für sich gewinnen kann. Dass am Ende finanzielle Bereicherung anstatt universalistischem Freiheitsanspruch steht, macht recht deutlich, dass die Bewegung so feministisch nicht sein kann.

Vor allem aber zeigt die Pinkpill-Bewegung generell eines auf: die Traurigkeit heterosexueller Paarbeziehungen im patriarchalen Geschlechterverhältnis. Diese lässt sich aber nicht durch Coaching und Looksmaxxing überwinden, sondern nur durch den feministischen Kampf.

 

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