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Reichsbürgerprozess Bobstadt Die Kurkuma-Verschwörung

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Aktueller Zustand des Tatorts, also des Hauses, in dem Ingo K. gewohnt hat. (Quelle: BTN/NP)

Am 10. Mai soll die Verhandlung um 13:30 Uhr im Sitzungssaal 2 des Prozessgebäudes beginnen. Der 55-jährige Zeuge Torsten H. betritt den Saal und nimmt auf dem Zeugenstuhl Platz. Der Mann ist groß und stämmig – und von Beruf Polizist. Er hat grau-weißes Kurzhaar und einen Bart. Fünf Minuten später führen zwei Polizisten den Angeklagten mit Fesseln in den Saal. Anschließend wird die Sitzung eröffnet.

Nach der Belehrung des Zeugen fragt der Vorsitzende Richter, wann und wo er den Angeklagten kennengelernt habe. Torsten H. berichtet, 2015 habe er seine Tochter zum Muay Thai (Thaiboxen) in Igersheim (Main-Tauber-Kreis) angemeldet. Da habe er den Kampfsporttrainer Ingo K. kennengelernt. Die Tochter habe zweimal pro Woche trainiert. Nach einem halben Jahr habe auch er mit dem Training begonnen. Ein- bis zweimal pro Woche habe er trainiert. Nach dem Training sei er mit Ingo K. ins Gespräch gekommen. „Fünf bis zehn Minuten“, schätzt der Zeuge: „Wir haben uns halt unterhalten.“

Vom Thaiboxen zum Wikinger-Gedankengut

Im Saal spricht Torsten H. von „Ingo“. Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters erklärt er, im Training habe der Angeklagte gesagt, er sei „der Ingo“. Der Zeuge berichtet, später habe das Training nicht mehr in Igersheim, sondern in einem Fitnessstudio in Bad Mergentheim stattgefunden (Main-Tauber-Kreis). Insgesamt habe er von 2016 bis zum Frühjahr 2020 trainiert. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie und dem Einsetzen der Corona-Schutzmaßnahmen durfte das Training nicht mehr stattfinden. Während der Pandemie habe er den Kampfsporttrainer nur ein Mal in einem Einkaufsmarkt getroffen.

„Die sagen uns nicht alles“

Als der Vorsitzende Richter nach der Dauer eines Kampfsporttrainings fragt, antwortet der Zeuge, ein Training habe rund zwei Stunden gedauert. Er wiederholt, nach dem Training hätten die beiden lediglich „fünf bis zehn Minuten“ auf dem Parkplatz geredet. „Smalltalk“. Über Tagespolitik und das Wetter. Es sei deutlich geworden, dass er „ein bisschen Wikinger-Gedankengut“ hat. Ingo K. habe viel über seine Mutter erzählt. So habe er berichtet, sie koche „Heiltees“. Von deren Wirkung habe er geschwärmt. Sein allgemeiner „Tenor“ gegenüber Politik und Medien sei gewesen: „Die sagen uns nicht alles“. Und: „Es steht nicht alles in der Presse.“

Chemtrails, Kurkuma, BRD GmbH und Aliens

Ein Mal habe Ingo K. über Chemtrails gesprochen. Chemikalien würden in den Flugzeugtreibstoff gemischt, um der Menschheit zu schaden. Zudem habe er ein Mal über die Ingwerpflanze Kurkuma geredet: Ein Löffel Kurkuma pro Tag sei äußerst gesund. Um zu verhindern, dass die Menschen mithilfe des Gewürzes ein gesundes Leben führen, sei Kurkuma aus sämtlichen Einkaufsmärkten entfernt worden. Der Zeuge merkt an, er habe in einem Einkaufsmarkt nachgeschaut und Gegenteiliges festgestellt: Man konnte reichlich Kurkuma erwerben. Des Weiteren habe er behauptet, die „BRD“ sei eine „GmbH“ und Aliens, die „in den Appalachen [Gebirgszug im Osten Nordamerikas, TB] in Höhlen hausen“ würden, regierten die USA.

Auf der Suche nach Geflüchteten in Bunkern

Ein Mal habe Ingo K. vermutet, „sie sagen nicht alles über die Einwanderungswelle“. Deshalb wolle er „mit ein paar Kumpels“ am „nächsten Wochenende“ nach „Thüringen oder Sachsen“ fahren, um nach Bunkern mit Flüchtlingen zu suchen. Ihm habe er angeboten, an der Fahrt teilzunehmen. Später zitiert der Vorsitzende Richter die Aussagen des Zeugen in seiner polizeilichen Vernehmung. Damals habe er ausgesagt, Ingo K. habe behauptet, die Bundesregierung habe „Millionen arabischer Flüchtlinge“ in Bunkern versteckt, um sie „auf einen Schlag“ auf die Deutschen „loszulassen“. Torsten H. kommentiert, er habe sich durchaus vorstellen können, dass Ingo K. hinfahren und suchen würde. Er selbst habe „andere Dinge zu tun“.

„Sympathischer Typ“, bloß mit Verfolgunswahn

Der Vorsitzende Richter fragt, wer die Themen angesprochen habe. Der Zeuge antwortet, Ingo K. habe die Themen ins Spiel gebracht. Auf die Nachfrage des Vorsitzenden Richters, wie der Zeuge mit den Themen umgegangen sei, sagt er, die Gespräche seien im Falle eines Widerspruchs schnell beendet gewesen.

Über den Angeklagten urteilt er, dass er ein „sympathischer Typ“ und „guter Trainer“, aber „ein bisschen abgedreht“ gewesen sei. Der Vorsitzende Richter spricht den Zeugen auf eine Aussage aus seiner polizeilichen Vernehmung an. Der Angeklagte soll gegenüber Torsten H. geäußert haben, er werde „von Geheimagenten beobachtet“. Der Zeuge bekräftigt, Ingo K. habe gesagt, er sei „eh schon beim Verfassungsschutz bekannt“. Die Aussage habe er bloß zur Kenntnis genommen. Er habe nicht nachgefragt, nicht reagiert.

Im Prozess betont er: „Ich bin ein ganz normaler Streifenpolizist“. Und weiter: „Ich habe da nur mein Training gemacht.“ Später fragt der Vorsitzende Richter, ob der Angeklagte gewusst habe, dass er ein Polizist ist. Der Zeuge nickt. Auf die Frage, ob Ingo K. über die Polizei im Allgemeinen gesprochen habe, überlegt der Zeuge. Ein Mal habe der Angeklagte gesagt, die Polizist*innen seien „gute Jungs“. Aber: „Ihr schafft für die Falschen“. Über seine Waffensammlung habe Ingo K. nie geredet. Er habe bloß gesagt, er besitze aufgrund seiner Tätigkeit im Sicherheitsgewerbe eine Waffe.

Der Reichsbürger als „Bekanntschaft“ des Polizisten

Der Vorsitzende Richter sagt, der Zeuge habe in seiner polizeilichen Vernehmung erzählt, Ingo K. sei bloß eine „Bekanntschaft“. Für eine Freundschaft sei er „zu anstrengend“. Torsten H. präzisiert, die Unterhaltungen seien anstrengend gewesen. „Reichsbürger“ seien „wie religiöse Fanatiker“. Im Laufe des Prozesstages fragt der Vorsitzende Richter mehrfach, ob die Äußerungen aus dem reichs- und verschwörungsideologischen Spektrum erst nach dem Tod der Mutter des Angeklagten gefallen seien. Die Mutter ist Ende 2018 gestorben. Ihr Tod hat den Angeklagten, das gab Ingo K. im zweiten Prozesstag an, schwer getroffen. Der Zeuge vermutet, die Äußerungen seien größtenteils nach dem Tod gefallen.

„Ein lustiges Glitzern in den Augen“

Eine Richterin fragt, wie viele Menschen das gemeinsame Training besucht haben. Der Zeuge schätzt, zwischen drei und zehn. Die meisten Teilnehmer*innen seien rund 20 Jahre alt gewesen. „Fast alle“ hätten eine Migrationsgeschichte gehabt. „Über die Hälfte“, präzisiert er. Dann fragt die Richterin, ob der Zeuge mit Beginn der Corona-Pandemie eine Veränderung des Angeklagten beobachtet habe. Der Zeuge schildert, Ingo K. habe erzählt, Corona sei „auch so ein Ding, wo sie nicht alles sagen“. Er habe die Corona-Schutzmaßnahmen abgelehnt. Ob er wider die Corona-Schutzmaßnahmen gehandelt habe, weiß der Zeuge nicht. Allerdings habe er, als der Zeuge ihn im Einkaufsmarkt getroffen hat, eine Maske getragen.

Die Richterin wirft ein, der Angeklagte solle behauptet haben, Corona sei in einem Labor gezüchtet worden, um die Bevölkerung zu reduzieren. Der Zeuge berichtet daraufhin, Ingo K. habe im Falle eines Widerspruchs abgewunken. Obwohl Ingo K. ein „lustiges Glitzern in den Augen“ hatte, wenn er derartige Geschichten erzählte, habe der Zeuge gedacht, er glaube die Geschichten.

Die „Berserker“ und der „Thing“

Die Richterin fragt nach dem „Wikinger-Gedankengut“. Der Zeuge erläutert, Ingo K. habe gefordert, Entscheidungen sollten im „Thing“ gefällt werden. Der „Thing“ ist eine Versammlung nach germanischem Recht. Beeindruckt habe Ingo K. von „Berserkern“ mit „übermenschlichen“ Kräften gesprochen. Die „Berserker“ seien „unbesiegbar“ gewesen.

Die Staatsanwältin hält vor, der Zeuge habe in seiner polizeilichen Vernehmung ausgesagt, der Angeklagte sei „rechts, extrem rechts“, und will wissen, wie der Zeuge zu seiner Einschätzung kam. Torsten H. sagt, er würde „Reichsbürger“ als „rechts“ bezeichnen. Spöttisch merkt er an, einerseits sei Ingo K. gegen Asylsuchende, andererseits seien Migrant*innen in seinem Kampfsporttraining gewesen. Rechtsanwältin Combé hakt nach, wie der Angeklagte mit den Menschen im Training umgegangen ist. Der Zeuge schildert, Ingo K. habe keinen Unterschied zwischen den Teilnehmer*innen seines Trainings gemacht. Über die Nachricht, Ingo K. habe in Bobstadt geschossen, sei er „überrascht“ gewesen und „aus allen Wolken gefallen“.

„Ossi-Humor nicht verstanden“

Nun hat der Angeklagte die Möglichkeit, Fragen zu stellen. „Grüß Dich“, setzt er an. Das Gespräch über die Bunker sei „anders verlaufen“. Der Vorsitzende Richter wirft ein, er dürfe keine Stellungnahme abgeben, sondern müsse eine Frage stellen. So fragt der Angeklagte, ob der Zeuge noch wisse, wie das Gespräch verlaufen sei. Der Angeklagte schiebt nach, man habe „ab und zu aneinander vorbeigeredet“. Torsten H. habe seinen „Ossi-Humor nicht verstanden“. Der Angeklagte stammt aus dem sächsischen Plauen. Er fragt, ob der Zeuge seine Aussagen ernstgenommen habe. Der Zeuge antwortet: „Mal ja, mal nein“. Ein Dialog entsteht, freundschaftlich und recht locker. Am Ende sagt der Angeklagte: „Schönen Gruß an alle!“

Der zweite Zeuge bleibt fern – das ist teuer

Nach Fragen des Rechtsanwalts Seifert wird Torsten H. entlassen. Nun soll der Zeuge Joachim K. aussagen. Nach einer Pause stellt der Vorsitzende Richter fest, der Zeuge sei „ordnungsgemäß“ geladen worden – „aber bis 15:22 Uhr nicht erschienen“. Und: „Eine Entschuldigung liegt nicht vor.“ Die Staatsanwältin fordert, ihn „zwangsweise vorzuführen“. Nach einer Beratung des Staatsschutzsenats verkündet der Vorsitzende Richter, über eine Vorführung werde „später entschieden“. Der Zeuge Joachim K. erhält ein Ordnungsgeld von 450 Euro (bzw. drei Tage Ordnungshaft) und muss die Kosten seines unentschuldigten Fernbleibens tragen. Um 15.26 Uhr ist die Sitzung beendet.

 

Bisher erschienene Prozessberichte zum Reichsbürger-Prozess zu Bobstadt:

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