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Reichsbürgerprozess Bobstadt Hobbys – Buddhismus und Waffen

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Der Angeklagte Ingo K. am ersten Verhandlungstag vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. (Quelle: picture alliance / EPA | THOMAS NIEDERMUELLER / POOL)

Das Interesse schwindet merklich: Am 26. April sitzen bloß zehn Menschen im Publikum. Sie schweigen und warten. Ein Flüstern ist zu hören. Um 14 Uhr soll der Prozesstag im Sitzungssaal 2 beginnen. Es ist 14.05 Uhr: Ingo K. wird mit Hand- und Fußfesseln in den Saal geführt. Er hält, wie am zweiten Prozesstag, ein Bündel mit Zetteln in seinen Händen. Ein Polizist nimmt die Fesseln ab, der Angeklagte nimmt Platz und sortiert die Zettel.

Nachdem der Vorsitzende Richter die Sitzung eröffnet hat, ergreift Rechtsanwalt Seifert das Wort. Er teilt mit, sein Mandant wolle seine Angaben vom zweiten Prozesstag ergänzen. „Grüß Gott, Hohes Gericht“, beginnt der Angeklagte. Er schildert, er sei ein Jahr in Haft, die Hälfte in Einzelhaft. Der Prozess sei eine „neue Situation“. Einige Fragen habe er „nicht richtig beantworten“ können. „Ich will mich bei allen entschuldigen“, ergänzt er.

Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, ob er ein Hobby habe, sagte Ingo K. am zweiten Prozesstag, er habe neben seiner 60-Stunden-Arbeitswoche keine Zeit für Hobbys gehabt. Jetzt sagt er, „natürlich“ habe er Hobbys. Er spiele Schach, studiere „alte Schriften“ (u.a. „Runenschrift“) und Physik (u.a. Stringtheorie). Mit einer „Mischung aus Buddhismus und vedischer Religion“ habe er seinen Glauben gefunden. Da er viel Zeit hatte, habe er sich „durch die Geschichte gewühlt“ und sich „interessehalber“ mit Verschwörungserzählungen befasst. Ingo K. erzählt, er wollte „mit Leuten drüber reden“. Aber: Er habe „keine Stellung bezogen“.

Der Vorsitzende Richter wirft ein, K. habe gegenüber einem Sachverständigen geäußert, sein Hobby seien Waffen gewesen. Daraufhin räumt der Angeklagte ein, ihn hätten erst Kriegsschiffe, später Schusswaffen interessiert. Aber: Er wollte lediglich „dranrumbasteln“. Als der Vorsitzende Richter wissen will, wann das Interesse für Schusswaffen aufkam, entgegnet der Angeklagte: „Irgendwann hatte ich das Geld, mir Waffen zuzulegen.“ Irgendwann? Laut Ingo K. vor rund sieben Jahren. Der Vorsitzende Richter fragt ihn, ob er die Waffen legal oder illegal erworben habe, mindestens neun Schusswaffen wurden bei der Hausdurchsuchung sichergestellt. Ingo K. gesteht, er habe nur seine Dienstwaffe legal – und die übrigen Waffen illegal erworben.

Die Dienstwaffe – K. war zeitweilig in der Securitybranche tätig – habe 700 Euro gekostet. Die illegalen Waffen, meist „Sammlerstücke“ aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, sollen zwischen 1.500 und 2.500 Euro pro Stück gekostet haben. Der Angeklagte sagt, „Stück für Stück“ habe er die Waffen gekauft. Eine Schusswaffe pro Jahr, schätzt er. In einem „abgeschlossenen Raum“, der „massiv verkleidet“ war, habe er die Waffen gelagert. Das Rauminnere habe er gepflegt. Es sollte „ordentlich aussehen“. Mehrfach betont Ingo K., er sei von der Technik „begeistert“. Auf die Frage einer Richterin, wieso er neben den Waffen auch Munition besorgt habe, wenn er nur an der Technik der Waffen und nicht am Schießen interessiert gewesen sei, hat der Angeklagte keine Antwort parat.

Der Vorsitzende Richter und die Staatsanwältin konfrontieren den Angeklagten mit zahlreichen Behördenschreiben. Ein Schreiben vom 30. Dezember 2021 von K. sei an die Bußgeldstelle Bad Mergentheim (Main-Tauber-Kreis) gerichtet. Im Schreiben ist die Rede von der „Firma Bundesrepublik Deutschland“ und vom „besetzten Gebiet“. Der Angeklagte behauptet, das Schreiben sei „lustig“ und „provokant“. Er sei „neugierig“ gewesen, wie die Bußgeldstelle reagiere. Den Brief habe sein Vermieter Heiko A. aufgesetzt. „Ich hab’s nicht begriffen“, sagt Ingo K. über den Inhalt.

In drei weiteren Schreiben vom 18. Mai 2017, 31. Dezember 2021 und 24. Januar 2022 steht „Ingo (K.), Mensch, Deutscher durch Geburt“ in der Kopfzeile. Was das bedeuten soll? Weiß der Angeklagte nicht. Die Schreiben aus 2021 und 2022 enden mit der Unterschrift „Ingo aus dem Hause K.“. Was das bedeuten soll? Weiß der Angeklagte auch nicht. Es ist vom „Oberkommando der Alliierten“ und vom „SHAEF-Mandat“ die Rede. Es heißt, die „Firma Bundesrepublik Deutschland“ sei in Delaware, einem Bundesstaat an der US-amerikanischen Ostküste, registriert.

Der Vorsitzende Richter zeigt das Schreiben aus 2021 auf der Leinwand. Der Text ist durchgestrichen, handschriftlich ist das Wort „ungültig“ notiert. Der Angeklagte erklärt, dies sei nicht seine Handschrift. Aber die Unterschrift „könnte meine sein“. Die Schreiben aus 2021 und 2022 habe sein Vermieter Heiko A. aufgesetzt. Er selbst habe darin nur eine „Provokation“ gesehen. „Ich kenne mich damit nicht aus.“ Und: Es sei ihm „alles viel zu hoch“. Insgesamt wirkt Ingo K. nervös und ungeduldig, als er mit seinen Briefen an die Behörden konfrontiert wird. Einem Polizisten deutet er an, eine Zigarette rauchen zu wollen.

Der Vorsitzende Richter fragt den Angeklagten, ob er einen „Reichsbürger“-Ausweis besitze. Ingo K. räumt ein, „aus Neugierde“ habe er einen Ausweis für 30, 35 Euro bestellt. Er habe feststellen müssen, dass das ein „Scherzartikel“ ist. Er habe „nie verstanden“, „dass das jemand ernst meinen kann“. Der Kauf des Ausweises sei „schon länger her“. Der Vorsitzende Richter bringt ein Schreiben aus dem Jahr 2016 ein. Der Angeklagte erklärt, dieses Schreiben sei mit dem Ausweis verschickt worden. Später fragt der Vorsitzende Richter, ob er den Ausweis im Jahr 2018 in einem Schützenverein gezeigt habe. Ingo K. antwortet, er habe den Ausweis dem Vereinsvorsitzenden in dessen Privathaus gezeigt. Nur „spaßeshalber“. Jedoch soll der Vereinsvorsitzende erzählt haben, Ingo K. habe ihm den Ausweis nach einem Schießtraining gezeigt. Daraufhin habe er zu verstehen gegeben, „dass er damit nichts zu tun haben will“. Der Angeklagte widerspricht. Das stimme nicht.

Als der Vorsitzende Richter den Angeklagten fragt, ob er mit Behörden „auf Kriegsfuß“ stehe, erklärt er, „ich habe mir nicht alles gefallen lassen“, und nennt ein Beispiel aus 2017: Damals habe er das Büro einer Richterin im Bad Mergentheimer Amtsgericht besucht, um sie bezüglich eines Haftbefehls zur Rede zu stellen. Er behauptet, die Richterin habe „hysterisch“ und „übertrieben“ reagiert. Ihre Reaktion sei „nur eine Show“ gewesen. Zwar sagt er, dass er seinen Hund und sein Taschenmesser mitgeführt hat. Aber er habe das Messer an der Einlasskontrolle abgegeben – und sein Hund sei „sehr lieb“. Stolz präsentiert er ein Foto.

Der Vorsitzende Richter nennt ein Beispiel aus 2022: Nachdem das Hauptzollamt Heilbronn ein Schreiben an den Angeklagten geschickt hatte und Ingo K. wissen wollte, warum der Zoll zuständig sei, habe er per Telefon angekündigt, zum Zollamt zu fahren. Im März 2022 sei er – unterstützt vom Vermieter Heiko und seinem Sohn Max A. – nach Heilbronn gefahren. Er habe im Zollamt behauptet, das „Beamtentum“ und die „Regierungseinrichtungen“ besäßen „keine Gültigkeit“. Baden-Württemberg sei kein Bundesland, in Berlin sei die Mafia an der Macht. Er soll betont haben, dass er aus Sachsen komme. „1989 seid ihr nochmal davongekommen, das nächste Mal kommt ihr nicht mehr davon!“ Ingo K. entgegnet, das habe er nicht gesagt. Kurze Zeit später räumt er ein, er habe „sowas Ähnliches gesagt“. Der Vorsitzende Richter schildert, Ingo K. habe den Versuch, das Gespräch zu beenden, ignoriert, bis zu Durchsetzung des Hausrechts und dem Einsatz der Polizei. Der Angeklagte widerspricht: Es sei keine Polizei vor Ort gewesen, sie „war gar nicht notwendig“.

Die Staatsanwältin bekräftigt, mehrere Zeug*innen hätten ausgesagt, Ingo K. habe die Existenz der Bundesrepublik geleugnet. So habe eine Person berichtet, er habe von der „Bundesrepublik GmbH“ gesprochen. Die Welt werde „von Außerirdischen regiert“, er werde „von Geheimagenten beobachtet“. Der Angeklagte erwidert, er habe „nur drüber geredet“ und habe „nicht behauptet, dass es so ist“.

Nach einer halbstündigen Pause wird die Sitzung mit einer Einlassung der Verteidigung zum Waffenbesitz fortgesetzt. Rechtsanwalt Seifert sagt, alle Waffen und Patronen, die in der Anklageschrift genannt werden, gehörten seinem Mandanten. Einzig eine Doppelschrotflinte gehöre A. – ob seinem Vermieter Heiko oder dessen Sohn Max, weiß der Angeklagte nicht. Unklar bleibt in der Sitzung, ob die Schrotflinte, wie die Richterin behauptete, in der Wohnung des Angeklagten sichergestellt wurde. Nach einer Beratung gibt Rechtsanwältin Combé bekannt, ihr Mandant verzichte auf die Rückgabe seiner Waffen und Munition.

Der Vorsitzende Richter verliest den Zentralregisterauszug des Angeklagten. Der Auszug hat vier Einträge. Der erste Eintrag ist brisant: Ingo K. wurde am 11. Juni 2018 vom Amtsgericht Kandel (Rheinland-Pfalz) verurteilt. Er hatte an einer Demonstration „gegen die verfehlte Migrationspolitik“ teilgenommen. Auf der Demonstration hatte er sein Gesicht vermummt und Handschuhe mit Schutzprotektoren getragen. Derartige Handschuhe haben im Rahmen einer Demonstration den Charakter einer Waffe, weshalb die Handschuhe eingezogen wurden. Das Urteil: eine Geldstrafe in Höhe von 1.800 Euro. Nach der Verlesung des Zentralregisterauszugs ist die Sitzung um 16:54 Uhr beendet.

Bisher erschienene Prozessberichte zum Reichsbürger-Prozess zu Bobstadt:

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