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Rezension Welche antimodernen Diskurse gefährden die Demokratie heute?

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Ausschnitt aus dem Titelbild des Buches "Gesichter der Antimoderne", herausgegeben von Martin Jander und Anetta Kahane. (Quelle: Nomos-Verlag)

 Martin Jander und Anetta Kahane legen, in Fortsetzung ihres Bandes „Nach Auschwitz: Schwieriges Erbe DDR“ (2018) (vgl. Belltower.News, hagalil.com) , einen weiteren Beitrag zur – wie es im Untertitel lautet – „Gefährdung demokratischer Kultur in der Bundesrepublik Deutschland“ vor. 14 bekannte Fachautor*innen steuern 16 Beiträge bei.

Anetta Kahane erinnert an die Shoah als „singulärem Menschheitsverbrechen“, die in den Jahrzehnten danach neue Formen des Antisemitismus zur Folge gehabt habe. Juden wären weiterhin genötigt, „zwischen Unsichtbarkeit bzw. Anpassung und Hass zu wählen.“ Der Antisemitismus als Wahngebilde, so wie ihn bereits Adorno in zahlreichen Studien bereits vor über einem halben Jahrhundert analysiert hat (u.a. in seinem bis heute zitierten Radiovortrag „Erziehung nach Auschwitz“, 1966), komme weiterhin ganz ohne Juden aus. Das Bemühen jüdischer Gruppen und Institutionen um eine Öffnung, eine Sichtbarkeit, trotz der damit einhergehenden eigenen Gefährdung, habe im Kontext der deutschen Fähigkeit zur Verleugnung der Schuld immer neue Angriffe auf Juden ausgelöst; sogar jüdischen „Wissenschaftlern wurde die Objektivität abgesprochen“. Ihre Bücher wurden nur selten – und wenn ja mit Verspätung – verlegt. Die sehr verspäteten Publikationen der Studien von Hilberg sind ein eindrückliches Beleg hierfür. Je stärker den Juden im Kontext des antisemitischen Wahns eine ungeheuerliche Macht zugeschrieben wurde, desto stärker war die „hochmütige Verachtung“. Für Wehrhaftigkeit, so schreibt Kahane wenige Seite weiter, sei da kein Platz. Juden und Jüdinnen, die Antisemitismus benennen, würden nur noch als  Störenfriede wahrgenommen und öffentlich kategorisiert.

Die tiefgründigsten und lebendigsten Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung – solche Wertungen sind ihrer Natur nach subjektiv – , die in den letzten Jahren vorgelegt worden sind, stammen von dem in Mannheim aufgewachsenen und in Israel lebenden Soziologen Natan Sznaider. Die Problematik eines „Blick(es) auf Antisemitismus“, auch eines soziologischen, überhaupt dürfte offenkundig sein. Die Interpretation ist vor allem auch vom eigenen politischen Standpunkt abhängig – Antisemiten sind „immer die Anderen“, der Diskurs diene vor allem als politischer Blitzableiter. Dementsprechend sind die verschiedenen Theorien des Antisemitismus oder – je nach ideologischer Position – des „Rassismus“ vor allem ein „programmatischer Selbstbedienungsladen“, um den hässlichen und unzweifelhaft virulenter werdenden Antisemitismus ideologisch zu verorten: Als „rechts“, als „links“, als islamistisch. Das sehr rechte, selbsternannt „israelpatriotische“ hiesige Lager in seiner mentalen Schlichtheit und moralischen Fragwürdigkeit ereifert sich besonders gerne darin, den eher bieder auftretenden Außenminister Heiko Maas als antisemitischen Vasallen Irans in Tweets zu denunzieren und in Karikaturen dessen vorgebliche Ähnlichkeit mit Eichmann zu inszenieren. Bilder und hysterische Inszenierungen, die an die monatelang anhaltenden Angriffe gegen den israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin erinnern – der verständigungsbereite ehemalige General Rabin wurde von Rechtsradikalen auf Hetzplakaten in Israel immer wieder mit SS-Kleidung gezeigt. Die Hetze mündete in Rabins Ermordung durch einen rechtsradikalen Israeli am 4.11.1995 in Tel Aviv.

Dementsprechend werde der hiesige Diskurs über Antisemitismus von der „fatalen Dichotomie zwischen Alarmisten und Leugnern“ geprägt. Die Gründung des Staates Israel als „mystisches Grundereignis, das politisch übersetzt wurde“, verlieh dem ewigen Antisemitismus ein neues Betätigungsfeld. Aus soziologischer Perspektive habe der jüdische Soziologe Georg Simmel bereits Anfang des 20. Jahrhunderts alles Wesentliche gesagt: Es sei gerade die jüdische Vertrautheit, die sie zu Fremden gemacht habe. Sznaiders weitere Ausführungen sind lesenswert und knüpfen an den Leitgedanken des Sammelbandes von Jander und Kahane an:  Juden und Jüdinnen wurden seit der französischen Revolution zum „Symbol aller modernen Paradoxien“, zu Außenseiter*innen der Moderne. Ihre Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft rief Hass und projektive Verdächtigungen und Hass hervor wie auch ihre Entschlossenheit, auf ihre Eigenart zu beharren. Sznaiders weitere Ausführungen zur jüdischen Identität und israelischen Selbstverständigung, die er als „durchaus zionistisch“ bezeichnet, sind wirklich anregend. Der Antisemitismus sei vor allem „der Hass auf das Universale und auf das Partikulare der modernen menschlichen Existenz“. Nathan Sznaider gehört zu den wenigen Autoren, dessen Ausführungen zum Antisemitismus und zu Israel in seiner Eigensinnigkeit und Autonomie wirklich lohnen.

Das Ankommen in der Moderne bedeute für Juden und Jüdinnen – der Begriff der „Moderne“ wird im Vorwort dieses Sammelbandes als zentrale erkenntnisleitende Kategorie betont –  , sich ihrer Geschichte bewusst zu sein, die eigenen Texte, auch die religiösen Texte, zu lesen. Die innere Orientierung an den religiösen Geboten biete die Chance, „in dieser komplexen Welt die richtige Entscheidung treffen zu können.“

Ausführlich geht sie auch auf die Bedeutung des Staates Israel für den israelbezogenen Antisemitismus ein. Israel bilde die zentrale „Projektionsfläche für modernen Judenhass“. Der wehrhafte Staat Israel, ja die bloße Existenz Israel reize die judenfeindliche Stimmung an. Objektiv sei jedoch die Existenz des Staates Israel das „Ende der Schutzlosigkeit für Juden aus aller Welt“ (S. 59), wie Kahane zutreffend feststellt. Auch die allgegenwärtige Diskussion um BDS stehe für den antimodernen Charakter der Debatte und habe mit der realen Lebenssituation der Palästinenser nichts zu tun. Die Globalisierung selbst werde als „jüdisches Komplott“ gesehen, wie etwa auch die Vielzahl der antisemitischen Inszenierungen und Plakate auf Coronaleugner-Demonstrationen zeige.

Martin Kloke, der in den vergangenen Jahrzehnten viel über „linken Antisemitismus“ publiziert hat, beschreibt an zahlreichen Beispielen „christliche Zionisten“, also Philosemiten mit ausgeprägter „Liebe“ zu Israel, wie auch die Gegenrichtung: Prominente Vertreter der Kirche, die sich durch eine ausgeprägte Kritik an Israel auszeichnen. Als eindrückliche Beispiele werden Verlautbarungen etwa von Bischof Gregor Maria Hanke benannt, der nach einem Besuch in Yad Vashem und Ramallah im Jahr 2007 von den „Ghettos von Ramallah“ sprach. Die für Außenstehende nur schwer entwirrbare Szene der christlichen „Israelpatrioten“ wird detailreich beschrieben. Der Überschlag vom Philosemitismus zum Antisemitismus wird mehrfach im Detail beschrieben. Interner Klärungsbedarf innerhalb der Kirchen wäre geboten, ist jedoch nicht zu erwarten.

Ido Zelkovitz beschreibt den „deutschen Arm der Fatah: Die Generalunion Palästinensischer Studenten (GUPS)“. Die 1959 in Kuweit gegründete Fatah vertrat von Beginn an das Konzept des bewaffneten Kampfes; ihren ersten Anschlag in Israel verübte sie am 1.1.1965. Insbesondere Anlehnungen an die „antikolonialistischen“ Schriften von Frantz Fanon senkten die Hemmschwelle auch für linke deutsche Gruppierungen, sich ab dem Jahr 1967 für den militärischen Kampf gegen Israel zu begeistern. Die Universitätsstadt Frankfurt wurde ab den 1960er Jahren zum Zentrum der Fatah sowie der Gups; prominente palästinensische Vertreter wie Hani al-Hassan, Abdallah al-Afranji, Yahya Ashur und Amin al-Hindi werden vorgestellt. Einen Schwerpunkt der Mitgliederwerbung der GUPS bildeten interne Vorträge, ab 1967 gab sie eine deutschsprachige Zeitschrift heraus. Einige ihrer Mitglieder beteiligten sich später an Terrorattentaten. Als die Beteiligung der GUPS am Münchner Olympia-Attentat 1972 nachgewiesen wurde wurde die Gups verboten; es kam zu „vielen Ausweisungen“ (S. 303).

Ismail Küpeli analysiert den türkischen Nationalismus als „antipluralistische Ideologie“. Dominierendes geschichtsleugnendes Mantra für diese türkisch-nationalistische Szene in der Bundesrepublik ist die bis heute anhaltende Leugnung des türkischen Völkermordes an den Armeniern. Die Türkisierung führte in den 1920er und 1930er Jahren zu einer Auswanderung zwischen 150.000 und 200.000 Juden aus der Türkei. Antisemitische Verschwörungsideologien erfreuen sich bis heute einer großen Beliebtheit. Türkisch-nationalistische Vertreter sind heute in der Bundesrepublik ein fester Bestandteil palästinensischer und linker antizionistischer Protestveranstaltungen.

Der bekannte Antisemitismusexperte Samuel Salzborn, nebenbei Antisemitismusbeauftragter der Stadt Berlin, analysiert anhand einer Auswertung von Stasi-Unterlagen ein nur wenig bekanntes Thema: Die enge Verknüpfung des Ministeriums für Staatssicherheit mit dem westdeutschen Rechtsterrorismus. Während im eigenen Land, der DDR, Rechtsextremismus als nicht existent erklärt wurde bemühten sich zumindest 42 Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi um Kontakte zu Rechtsextremisten. Der Stasi ging es hierbei ideologisch sowohl um die Denunziation der Bundesrepublik als einem weitgehend rechtsradikalen Land als auch um die Durchleuchtung von Rechtsextremisten, die sich auch gegen die DDR wandten und z.T. auch Gewaltakte gegen die DDR durchführen wollten. Im Detail wird die enge Zusammenarbeit mit bekannten, teilweise unmittelbar in Terrortätigkeiten involvierten Rechtsextremisten wie Manfred Roeder, Odfried Hepp und Arnulf-Winfried Priem beschrieben.

Insbesondere das terroristische Agieren von Hepp – welcher heute in befremdlicher Weise in Fernsehportraits geradezu „sympathisiert“ wird – sowie dessen Hepp-Kexel-Gruppe zeige „das ganze Ausmaß der ideologischen Korruptheit des DDR-Regimes“. Hepp arbeitete als Rechtsextremist auch direkt, was im Detail nachgezeichnet wird, mit palästinensischen Terrorgruppen (PLO und PLF) zusammen, in deren Lager er sich ausbilden ließ. Diese Kooperation verdeutliche, dass der Antifaschismus der DDR „nicht nur ein Mythos war“, sondern beweise, dass die DDR auch aktiven Anteil am neonazistischem Terrorismus in der Bundesrepublik hatte. In einer weiteren dichten Studie dokumentiert Salzborn den Rechtsradikalismus und Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik seit der Shoah. Nazigruppierungen wie die „Stille Hilfe“ sowie die ODESSA kam eine zentrale Funktion zu, um untergetauchte bzw. verurteilte NS-Täter zu schützen sowie um junge Leute für den Neonazismus zu rekurrieren – erfolgreich, wie die NSU-Mordserie, aber auch die seit Jahrzehnten bestehende neonazistische und vulgär antisemitische Szene etwa in Dortmund belegt (vgl. Störungsmelder).  Der bis heute anhaltende (wenn auch in den letzten zwei Jahren bröckelnde) Erfolg dieser neonazistischen Gruppierung ist vor allem, wie ein Rückblick auf die vergangenen 30 Jahre zeigt, ein Dokument des Scheiterns der politisch und polizeilich Verantwortlichen. Der demokratische Antifaschismus wurde in Dortmund kleingehalten und isoliert, die militanten und gewaltbefürwortenden Neonazis hingegen ließ man weitgehend gewähren.

Weitere Beiträge des Sammelbandes seien nur erwähnt: Fabian Bechtle & Leon Kahane schreiben über das Denken in antimodernen Bildern; Stefan Lauer, Redakteur bei Belltower.News, über Gewalt gegen Flüchtlinge, zu lesen als „Schwarmterrorismus“. Der Journalist Alan Posener über „Die merkwürdige Liebe der Rechten zu Israel“ – s. Kaufhold (2016: Eine Rechte für Israel?, hagalil.com) – sowie, in einem zweiten Beitrag, über das bestenfalls befremdlich-skurril anmutende „rechts-linke“ Ehepaar Lethen und den „Kampf des deutschen Volkes“. Susanne Bressan, die seit Jahren über die Biografie Gudrun Ensslins forscht (was durch eine Analyse der Schwester Christiane Ensslin sinnvoll ergänzt werden könnte) analysiert – wozu es inzwischen ausreichend Material gibt – über die „antifaschistische“ Ideologie der RAF.

Der in Israel lehrende Medienwissenschaftler Tobias Ebbrecht-Hartmann schreibt über „Israel und der bundesdeutsche Linksterrorismus“, hierüber hat er bereits mehrfach publiziert (vgl. hagalil.com). Sein weitgehendes Alleinstellungsmerkmal ist hierbei die Verwendung auch von aktueller israelischer Fachliteratur sowie israelischer Zeitungen.

Vielfach diskutiert worden ist die Entführung in Entebbe 1976, bei der die beteiligten deutschen Terroristen Kuhlmann und Böse zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Passagieren selektierten (vgl. hagalil.com  – eine Feststellung, die in hiesigen antizionistischen Kreisen für ausgeprägte Empörung und wortreichen Widerspruch gesorgt hat (Neues Deutschland, 25.6.2016) . Für den ehemaligen israelischen Premier Begin riefen diese Szenen Erinnerungen an die deutschen Vernichtungslager hervor: „Ein Deutscher, ein linker Nazi, steht da und zeigt mit seinem Finger: diese zur Linken und jene zur Rechten.“ Diese Erinnerungen wurden auch in mehreren israelischen Medien beschrieben wie auch von ehemaligen israelischen Geiseln geteilt. So Julie Oiserant, die sich unmittelbar nach ihrer Befreiung in dieser Weise erinnerte: „Am Abend, direkt nach dem Abendessen, kam der deutsche Entführer mit einer Liste in der Hand herein. Er begann, Namen vorzulesen. (…) Es war eine schreckliche Situation, dieser starke deutsche Akzent und die Selektion.“ Die bei der Befreiungsaktion getöteten Kuhlmann und Böse wurden in Uganda mit ihren arabischen Pseudonymen auf einem Märtyrer-Friedhof begraben.

Ulrich Schuster, der sich langjährig der linken Bewegung zurechnet, unternimmt aus der Perspektive des teilnehmenden Beobachters eine „Besichtigung linksradikaler Gewalt“, womit er sich nicht zwingend Freund*innen machen wird.

Abgeschlossen wird der Band durch einen umfangreichen historisierenden Beitrag des Mitherausgebers Martin Jander zu „Djhihadismus, Antisemitismus und Demokratie“. Die Aufgabe der europäischen Gesellschaften könnte es sein, „Antisemitismus in ihren Gesellschaften und im Rest der Welt zurückzudrängen und Israel gegen seine Feinde zu schützen“ , lautet sein Resümme.

Martin Jander & Anetta Kahane (Hrsg.):
Gesichter der Antimoderne. Gefährdung demokratischer Kultur in der Bundesrepublik Deutschland.
Baden-Baden, Nomos Verlag 2020
347 Seiten
69 Euro

https://www.nomos-shop.de/nomos/titel/gesichter-der-antimoderne-id-96859/

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