Die Themen „Klimakrise“ und „Rassismus“ bringen häufig dieselben Personen auf die Palme. Schon vor dem Erscheinen von „Klimarassismus. Der Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende“ wurde in sozialen Medien hämisch gegen den Begriff „Klimarassismus“ polemisiert – was zeigt, dass dieses Buch zur rechten Zeit kommt.
Auf struktureller Ebene beschreibt der Begriff „Klimarassismus“ den Autoren Matthias Quent, Christoph Richter und Axel Salheiser zufolge „die Externalisierung der ökologischen Kosten des industriellen Wohlstands des mehrheitlich weißen Westens auf Kosten mehrheitlich nicht weißer Regionen und Menschen“. Es handelt sich demnach um eine Form des strukturellen Rassismus. Das heißt: Es kommt nicht auf die Absichten oder Überzeugungen der Beteiligten an, sondern auf die Folgen ihres Handelns oder Nichthandelns. Darüber hinaus bezeichnet „Klimarassismus“ aber auch die „ideologischen und strategischen Hintergründe der Antworten der Rechten auf die Folgen des Klimawandels und auf Forderungen nach Klimagerechtigkeit.“ Klimarassismus ist für viele nicht zuletzt deswegen ein Reizthema, weil „die Anerkennung der Fakten des menschengemachten Klimawandels“ auf das Eingeständnis hinausläuft, „dass die glorifizierte ‚abendländische‘ Zivilisation“ auch in postkolonialen Zeiten weiterhin „auf Ausbeutung und Zerstörung beruht“.
Diese Strukturen, Strategien und Ideologien werden auf knapp 250 Seiten in 13 Kapiteln vorgestellt und untersucht. Direkt zu Beginn weisen die Autoren darauf hin, dass es sich nicht um einen von abstrakten „Menschen“ gemachten Klimawandel handelt, sondern dass der Klimawandel in großen Teilen industriegemacht und eng mit unserer kapitalistischen Lebens- und Wirtschaftsform verknüpft ist. Da dies dem moralischen Selbstbild der meisten Menschen unvereinbar ist, gehört zu dieser Lebensform eine Ideologie, die es dauerhaft ermöglicht „die Welt auf Kosten der Schwächsten zu ruinieren und dafür keine Verantwortung zu übernehmen“. Dabei wird schnell klar, dass dies nicht nur auf den rechten Rand, sondern auf große Teile der Gesellschaft zutrifft. Gleichzeitig wird die Individualisierung der Verantwortung für die Klimakrise, etwa in Form der Berechnung des „ökologischen Fußabdrucks“ problematisiert, da dies den systemischen Charakter des Problems verschleiere.
In ihrer Analyse des Klimarassismus bringen die Autoren eine Vielzahl von Feldern zusammen: Zentrale naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel werden wiedergegeben und als Teil eines globalen Wirtschaftssystems beschrieben, das auf der Hervorbringung verleugneter Ungleichheiten beruht. Neben der im Kontext der Klimakrise viel diskutierten Generationenungerechtigkeit wird aufgezeigt, wie Klimaungerechtigkeiten sich an den Merkmalen race, class und gender zeigen: Strukturell leiden Nicht-Weiße, arme und nicht-männliche Menschen demnach mehr an den Folgen des Klimawandels als andere. Da unsere Lebensweise diese Ungerechtigkeiten hervorbringt und immer weiter verschärft, lautet den Autoren zufolge die Frage, die „Antiökologismus, Rassismus und radikale Rechte antreibt […]: Was wird aus uns, wenn der Rest der Welt sein Recht auf Chancengleichheit einfordert?“
Damit diese Frage nicht zu laut wird, delegitimiert ein Netzwerk aus Neoliberalen, Rechtslibertären und radikaler Rechten in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft seit Jahrzehnten den wissenschaftlich fundierten Diskurs um den Klimawandel und die Möglichkeiten einer ökologischen Wende. Ein großer Teil des Buchs widmet sich der Analyse des Zusammenhangs und der Geschichte bestimmter Strömungen des Neoliberalismus, Klimawandelleugnung oder -verharmlosung und radikaler Rechter. Dabei stützen sich die Autoren auf zahlreiche journalistische Recherchen und verbinden diese mit Analysen zur globalen, europäischen und deutschen Rechten. In diesem Rahmen werden die Interessen, die Ideologie, die Argumente und die Strategien dieser Netzwerke offengelegt.
Zu diesen Strategien gehört das Verbreiten von oft antisemitischen Verschwörungserzählungen. Die Autoren weisen darauf hin, dass die besagten Netzwerke zwar zuweilen „wie eine Verschwörung derjenigen, die Verschwörungserzählungen verbreiten“ erscheinen. Dieser Schein darf jedoch nicht über den systemischen Ursprung des „rechten Desinformationsprojekts“ hinwegtäuschen: „Die Handelnden in dieser ‚Verschwörung‘ sind beliebig austauschbar, weil sie unseren gesellschaftlichen Strukturen entwachsen.“
Insbesondere wird deutlich, dass Klimarassismus kein auf die extreme Rechte beschränktes Phänomen ist, sondern weite Teile der Gesellschaft durchzieht und durch diese wirksam ist. Deswegen kommt „die größte Bedrohung für eine schnelle und aktive Klimapolitik nicht primär aus dem Lager der radikalen klimaleugnenden Antiökolog:innen, sondern aus dem breiteren politischen Spektrum der ‚Klima-Bremser‘“, die aber durch radikale Rechte befeuert werden. So ist es zu erklären, dass „das Problem des industriegemachten Klimawandels und die Lösungsstrategien seit einem halben Jahrhundert auf dem Tisch liegen“ und doch viel zu wenig geschehen ist.
Das Buch „Klimarassismus“ zeigt auf, dass der Kampf gegen die ökologische Wende und damit die Klimakrise selbst „rechte Projekte“ sind, die auf einer antiegalitären Ideologie beruhen und die Demokratie gefährden. Da Elemente dieser Ideologie in der gesamten Gesellschaft anzutreffen sind, lässt sich ein großes Mobilisierungspotential für die globale Rechte ablesen, mit dem die Verteidiger*innen der Demokratie sich dringend auseinandersetzen müssen. Indem aufgewiesen wird, dass die ökologische Wende durch eine Minderheit blockiert wird, wird aber auch aufgezeigt, dass es möglich ist, Mehrheiten für die ökologische Wende zu gewinnen. Das Buch „Klimarassismus“ benennt Strategien und Argumente der klimarassistischen Netzwerke und hilft so, die politische Urteilskraft nicht nur im Umgang mit eindeutig Rechten, sondern auch mit vermeintlich harmlosen „bürgerlichen“ Positionen zu schärfen.
In Anbetracht des Ausmaßes des durch Klimarassismus verursachten Leides und der systemischen schieren Unmöglichkeit, nicht daran teilzuhaben („Wir handeln klimarassistisch, weil wir es können und weil wir es nicht anders können“) legt das Buch die Überlegung nahe, die Billigung des Leidens nichtweißer Menschen für Kapitalinteressen als zentrale Formation zeitgenössischer rassistischer Ideologie im Sinne notwendig falschen Bewusstseins zu begreifen. Gerade aufgrund der abstrakten Vermittlung durch globale Märkte und die Atmosphäre gerät dies schnell aus dem Blick und es ist ein Verdienst von Quent, Richter und Salheiser, diese Zusammenhänge mit ihrem Buch für ein breites Publikum aufzuweisen.
Joël Ben-Yehoshua ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Projekt „Wie umgehen mit Rassismus, Sexismus und Antisemitismus in Werken der Klassischen Deutschen Philosophie. (Selbst-)Kritische Philosophiegeschichte als Projekt einer ‚Public Philosophy’“ und promoviert zum Thema Lügen und Antisemitismus. Darüber hinaus ist er affiliierter Wissenschaftler am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) Jena.