Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Rezension und Veranstaltungsankündigung Jeffrey Herf über „Holocaust Inversion“ in der deutschen Außen- und Innenpolitik

Von|
Ausschnitt aus dem Titelbild des Buches "Unerklärte Kriege gegen Israel. Die DDR und die westdeutsche radikale Linke, 1967-1989". (Quelle: Wallstein Verlag)

Die Bundesrepublik Deutschland (BRD) hat sich nach dem Untergang der DDR große Mühe mit der DDR-Aufarbeitung gegeben. Der Bundestag setzte zwei Enquetekommissionen ein. Aus ihnen ging die „Stiftung Aufarbeitung“ hervor. Die Themen allerdings, die der Historiker Jeffrey Herf von der University Maryland in den USA bearbeitet, kommen in den Expertisen der beiden Kommissionen und in später veröffentlichten Studien kaum vor.

Herf hat mit seinem jetzt in deutscher Sprache vorliegenden Buch „Unerklärte Kriege gegen Israel“ und mit dessen 1998 publizierten Vorläuferstudie „Zweierlei Erinnerung“ ein zentrales Charakteristikum der DDR untersucht: die Voraussetzungen und Gründe der antizionistischen/antisemitischen DDR-Außen- und Innenpolitik.

Jeffrey Herf und Saul Friedländer

Herf hat sich die Methode des Historikers Saul Friedländer angeeignet, der in seinem Werk über die Shoa („Das dritte Reich und die Juden“) ausführlich die verfolgten, bedrohten, exilierten und ermordeten Juden zu Wort kommen lässt. Herf zitiert in seiner Darstellung ausführlich jene jüdischen Stimmen, die in Israel, in der UNO, in der DDR und in der alten Bundesrepublik auf die Bedrohung Israels durch die DDR, den von ihr geförderten westdeutschen Linksterrorismus, die Bedrohung Israels durch Ägypten, Syrien und andere arabische Gesellschaften, aber auch durch die PLO hinwiesen.

Herfs Bücher unterscheiden sich wegen dieser Erzählweise, aber auch ihrer Fragestellung, fundamental von Arbeiten, die dem Totalitarismus-Paradigma folgen (z. B. Karl Wilhelm Fricke), die Entwicklung der Moderne als Zugang wählen (z. B. Konrad Jarausch) oder der marxistischen Kapitalismuskritik (z. B. Jörg Roesler) anhängen. Herfs Frage lautet: Wie war es möglich, dass deutsche Kommunisten – von den Nazis hart verfolgt – sich nach der Shoa gegen die jüdischen Leidensgenossen wendeten und sogar begannen, gegen sie Krieg zu führen?

Paul Merker

Die Bedrohung jüdischen Lebens durch SED-Politik begann nicht 1945. So wie die UdSSR die Gründung Israels unterstützte und sogar Waffen liefern ließ, mit denen Israel 1948 den Krieg gegen den Überfall seiner Nachbarn gewinnen konnte, so artikulierten sich auch Politiker in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Paul Merker, Mitglied des KPD-Politbüros, wurde beauftragt, ein Gesetz zur Entschädigung und Unterstützung der überlebenden Opfer und Gegner der Nazis zu formulieren.

In der (alten) BRD unterstützte die sozialdemokratische Linke nach der Shoa den Kurs Adenauers, einen neuen Anfang der Beziehungen zwischen Juden und Deutschen, zwischen der (alten) Bundesrepublik und Israel zu finden. Am 27. September 1951 bekannte sich Konrad Adenauer für die Bundesregierung im Parlament zur Verantwortung der Bundesrepublik für die Shoa und die Notwendigkeit einer deutschen Haftung für die Verbrechen. Im Jahr 1953 wurde eine wirtschaftliche Aufbauhilfe für den jüdischen Staat im Bundestag verabschiedet.

In der DDR wurde hingegen der von Paul Merker erarbeitete Gesetzentwurf abgelehnt, die SPD zerstört und die SBZ verwandelte sich in eine als „Volksdemokratie“ verkleidete Diktatur. Merker wurde aus der SED geworfen und im Dezember 1952 verhaftet. Das ZK der SED warf Merker vor, er sei „ein Subjekt der USA Finanzoligarchie“, der die „Entschädigung der jüdischen Vermögen nur forderte, um dem USA-Finanzkapital das Eindringen in Deutschland zu ermöglichen.“ Und: „Die zionistische Bewegung hat nichts gemein mit Zielen der Humanität und wahrhafter Menschlichkeit, sie wird beherrscht, gelenkt und befehligt vom USA-Imperialismus, dient ausschließlich seinen Interessen und den Interessen der jüdischen Kapitalisten.“

Die Hasskampagne gegen Merker, Israel, sowie die aus dem westlichen Exil zurückgekehrten jüdische und nichtjüdischen Remigranten radikalisierte sich so sehr, dass im Winter 1952/53 große Teile der in der DDR lebenden Juden flohen.

Kriege gegen Israel

Dieser Umgang der DDR mit der Shoa, mit Juden und mit Israel setzt sich bis zu ihrem Ende fort. Der Vertreibung vieler Juden  folgten in den späteren Jahren Repression, Zensur und Entwürdigung. Den wichtigsten Holocaustforscher der DDR, Helmut Eschwege, verfolgte das Ministerium für Staatssicherheit in einem Operativen Vorgang (OV), dem sie den Namen „OV Zionist“ gab.

Die auf dem internationalen Parket eher unbedeutende DDR bot sich seit den 60er Jahren jenen Staaten als Partner an, denen die Unterstützung Israels durch die  BRD nicht behagte, die ideologische und militärische Kriege zur Dämonisierung und Zerstörung Israels führten. Seit Beginn der 1970er Jahre unterstützte die DDR einen Teil dieser Staaten, ebenso die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO, durch massive Militärhilfen.

Nach dem 6-Tage-Krieg, am 15. Juni 1967, begründete Walter Ulbricht diese Politik. Die „Imperialisten“ würden im Nahen Osten, wie schon in Vietnam, eine „Aggression“ ausüben, die vor allem gegen Ägypten und Syrien gerichtet sei. Die „Aggression“ Israels, so Ulbricht weiter, sei gegen den Wunsch der arabischen Länder gerichtet, ökonomische Unabhängigkeit zu erlangen und ihre Ressourcen, vor allem das Öl, vor imperialistischer Ausbeutung zu sichern.

Die Hilfen der  BRD für Israel bezeichnete Ulbricht in dieser Rede als „blutigen Hohn“ und als „zynisch“. Dass gerade Ägypten und Syrien Israel vor dem 6-Tage-Krieg massiv bedrohten und dessen Zerstörung mehrfach ankündigten, verschwieg der Vorsitzende des Staatsrats. Auch später unter Erich Honecker blieb die Dämonisierung der Juden und Israels, wie schon in der Kampagne gegen Merker, das Kennzeichen der antiisraelischen DDR-Propaganda.

Jeffrey Herf schlägt in seinen beiden Büchern auch den Bogen zur politischen Linken der BRD. Er beschreibt, dass sich parallel zur Radikalisierung der DDR-Außenpolitik 1967 eine deutliche Veränderung der Positionen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) entwickelte, die später einige seiner Mitglieder in den Terror trug. Ganz wie die Politiker der SED kooperierten große Teilen der westdeutschen Linken in den 70er Jahren mit der PLO. Ohne deren Unterstützung hätten auch die späteren westdeutschen Linksguerilleros kaum bis 1998 durchhalten können.

Als erster Forscher auf diesem Feld hat Herf wesentliche Dokumente der Kooperation der SED, der PLO und der westdeutschen Linksterroristen in der Stasi-Unterlagen-Behörde entdeckt, nämlich ein Abkommen des früheren DDR-Staatsicherheitsministeriums mit dem Sicherheitsapparat der PLO. Das Abkommen lief darauf hinaus, dass die DDR der PLO Unterstützung für ihre Schläge gegen Israel im Nahen Osten zusicherte, für die Schläge in Europa jedoch nicht. Die DDR-Führung fürchtete, man könnte solche Anschläge mit ihr in Verbindung bringen.

 „Holocaust-Inversion“

Jeffrey Herf kann, breit mit Dokumenten untersetzt, belegen, dass die terroristischen und viele nicht-terroristische Kader der westdeutschen Studentenbewegung und die DDR-Innen- wie Außenpolitik der Logik einer „Holocaust Inversion“ (Robert Wistrich) folgten, die Nationalsozialismus und Antisemitismus nicht als Probleme der Deutschen ansahen, sondern sie „universalisierten“ (Mario Rainer Lepsius), auf die USA, Israel, Zionismus, Demokratie und den Liberalismus projizierten. Mit anderen Worten dämonisierte diese „Holocaust Inversion“ Juden als Nazis, Nazi-Sympathisanten und Täter eines angeblich neuen „Holocaust“ an den Palästinensern. Durch den Hass auf Israel „befreiten“ sich ostdeutsche Kommunisten und westdeutsche Linksradikale von Verantwortung und Haftung für die Nazi-Verbrechen.

Jeffrey Herf konstatiert einen linken Antisemitismus als wesentlichen Charakterzug der DDR-Politik und als Tradition von Teilen der westdeutschen Linken. Seine Darstellungen bringen ein bislang von den allermeisten Autoren der DDR-Analyse und der Analyse des deutschen Linksterrorismus gemiedenes Thema in die wissenschaftliche und publizistische Debatte: den linken Antisemitismus nach der Shoa.

Herf folgt in seinen beiden Büchern der Auffassung, deutsche Politik sei nach 1945 gut beraten gewesen, folgendes „moralisches Minimum“ zu beherzigen: „Töte und verletze keine Juden und auch keine israelischen Juden; hilf niemandem sonst, Juden, einschließlich israelischer Juden, zu töten oder zu verletzen.“ Herf nennt dies das unausgesprochene „11. Gebot“ deutscher Nachkriegspolitik. Die Analyse Herfs und ihr Erzählton bilden eine Einheit. Vorgetragen wird ein entschieden humanistisches Plädoyer der Solidarität mit Israel.

Die deutsche DDR-Forschung ist mit den beiden vorgestellten Arbeiten nicht mehr dieselbe. Herf präsentiert einen umfassenden Wurf, der den spezifischen Charakter der DDR, nicht ausschließlich als Diktatur sowjetischen Typs, sondern gleichzeitig als eine von drei Nachfolgegesellschaften des deutschen Nationalsozialismus analysiert und gut lesbar beschreibt. Die DDR wird in Herfs Studien zum ersten Mal umfassend aus jüdischer Perspektive analysiert.

Dass eine solch breit angelegte, umfassend durch Quellen gestützte Untersuchung dieser Zusammenhänge erst jetzt vorliegt, spricht Bände über die deutsche DDR-Forschung. Bände spricht es auch über den deutschen Buchmarkt, dass außer den beiden hier rezensierten Büchern Herfs keine weiteren von ihm erarbeiteten Analysen in deutscher Sprache verfügbar sind. Er hat sein ganzes Werk der Erforschung der Shoa und der drei verschiedenen Gesichter des Antisemitismus nach der Shoa – islamistisch, rechtsradikal, linksradikal – und ihrer Geschichten gewidmet (Reactionary Modernism, 1984; War by Other Means, 1991; The Jewish Enemy, 2006; Nazi Propaganda for the Arab World, 2009).

Titelbild des Buches „Unerklärte Kriege gegen Israel. Die DDR und die westdeutsche radikale Linke, 1967-1989“.

 

Jeffrey Herf, Unerklärte Kriege gegen Israel, Göttingen 2019, Wallstein Verlag, 518 S., ISBN-10: 3835334840, ISBN-13: 978-3835334847, 39.- €

Beim Wallstein-Verlag

Jeffrey Herf, Zweierlei Erinnerung, Berlin 1998, Ullstein: Propyläen, 558 S.,  ISBN-10: 3549056982, ISBN-13: 978-3549056981 (nur noch antiquarisch zu erwerben)

Alle Informationen zur Veranstaltung am 14. Januar 2020 in Berlin:

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von www.amadeu-antonio-stiftung.de zu laden.

Inhalt laden

Weiterlesen

Eine Plattform der