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Rezension „Zwickau ist meine Hölle, Zwickau ist meine Heimat“

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Jakob Springfeld hat zusammen mit dem Journalisten Issio Ehrich "Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen rechts" veröffentlicht. (Quelle: Calvin Thomas)

Wenn Jakob Springfeld in seiner Heimatstadt Zwickau unterwegs ist, fühlt er sich nicht sicher: „Es gibt mittlerweile keinen Tag mehr, an dem ich nicht dieses flaue Gefühl im Bauch habe. Es ist vielleicht nicht immer gleich Angst. Oft ist es eher ein Alarmzustand, ein Zustand erhöhter Aufmerksamkeit, der Vorsicht.“ Grund dafür sind die Erlebnisse, Anfeindungen und Bedrohungen von Rechtsextremen, die ihn und seine Freund*innen begleiten, seitdem sie politisch aktiv sind. Sie setzen sich gegen rechte Aufmärsche und Demonstrationen, für die Aufnahme von Geflüchteten, für Klimagerechtigkeit und für eine würdige Aufarbeitung des NSU-Komplexes ein. Das blieb in Zwickau nicht unbemerkt und so gerieten sie schnell auf den Radar von Rechtsextremen.

Springfeld wohnt inzwischen in Halle, wo er Politikwissenschaften und Soziologie studiert. Er blickt mit seinem Buch Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen rechts, veröffentlicht gemeinsam mit dem Journalisten Issio Ehrich, auf seine Zeit in Zwickau zurück. Seine Politisierung beginnt während der sogenannten „Flüchtlingskrise“ im Jahr 2015. Während der damals 13-Jährige die Arbeit der Kirchengemeinde für Geflüchtete unterstützt, erlebt er die rassistische Mobilisierung gegen ebenjene durch den Zwickauer Ableger von Pegida. Beim Gegenprotest ist er ersten Anfeindungen ausgesetzt. Nach und nach lernt er so das „hässliche Zwickau“ kennen, in dem er allein wegen des Tragens eines Refugees-Welcome-Pullis beschimpft wird. Seine privilegierte Position vergisst er dabei dennoch nicht: „Meinen Pulli konnte ich jederzeit ausziehen. (…) Wenn du weiß, männlich und unpolitisch bist, kannst du ein schönes, unbeschwertes Leben führen in Zwickau“.

Springfeld hat die Strukturen der rechten Szene in Zwickau durchschaut – gezwungenermaßen könnte man sagen: Er kennt die Gesichter der sogenannten „neuen“ Rechten, die sich in Gruppierungen wie der „Identitären Bewegung“, der „Jungen Revolution“ und der Kleinstpartei „Der III. Weg“ organisieren. Er berichtet auch immer wieder von Erfahrungen migrantisierter Personen wie seinem Freund Mostafa, der rassistisch beleidigt wurde, und blickt in die Vergangenheit: Die Nachwendezeit war von täglichen Angriffen und rechter Gewalt gegen alternative Jugendliche, Migrant*innen und andere nicht ins Weltbild der Rechten passende Personen(-gruppen) geprägt –­ die sogenannten „Baseballschlägerjahre“.

Trotz all der Gewalt, den demokratiefeindlichen und rechtsextremen Vorfällen bleibt Springfeld differenziert Weder bedient er das Stereotyp, dass in Sachsen sowieso alle Nazis sind, noch verharmlost er die brenzlige Lage, in der sich migrantisierte Personen und linke Aktivist*innen befinden: „Tatsächlich ist Sachsen im Vergleich zu anderen Bundesländern keine Hochburg des Rechtsextremismus, zu diesem Schluss kommen zumindest Wissenschaftler*innen. Doch Sachsen ist demnach eine Hochburg des Rassismus und der rechten Gewalt.” Springfeld betrachtet Rechtsextremismus als bundesweites Problem und bezieht sich auf den Kriminologen Bernd Wagner, der eine grundlegend verschiedene Sozialisierung rechtaußen beschreibt: Während es in der parlamentarischen Demokratie der BRD rechten und rechtsextremen Parteien möglich war, Einfluss in den Institutionen zu üben, bildete sich in der DDR eine außerparlamentarische militante Szene. Springfeld erklärt: „Gewalt und Rassismus in Sachsen sind nicht nur so groß, weil die sächsischen Neonazis besonders brutal wären, sondern weil eine gesamtdeutsche Rechte den Osten strategisch zu ihrem wichtigsten Wirkungsfeld erklärt hat.“

Das womöglich prägendste politische Ereignis in Verbindung mit seiner Heimatstadt ist für Springfeld Zwickaus Verhältnis zum NSU-Komplex. In der Stadt Zwickau lebt das Kerntrio Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos vom Sommer 2000 bis zu ihrer Selbstenttarnung am 4. November 2011. Trotz dieser Vergangenheit tut sich die Stadt Zwickau mit dem Opfergedenken sehr schwer.

Auf der einen Seite wollen Kommunalpolitiker*innen das negative öffentliche Bild von Zwickau durch das Label als „Täter*innenort“ nicht noch verschlimmern. Das seit Jahren geforderte Dokumentations- und Bildungszentrum zum NSU-Komplex wurde ebenfalls noch nicht gebaut. Begleitet wird dies wiederum durch das Problem des Rechtsextremismus: Nicht nur wurde der Gedenkbaum für Enver Simsek nach weniger als einem Monat gefällt, sondern auch weitere künstlerische Gedenkaktionen zerstört, geklaut und beschädigt. Mit der Beschreibung des gescheiterten Gedenkens zeigt Springfeld auf, wie sich verschiedene Problemlagen gegenseitig bedingen: Die Ignoranz gegenüber Rechtsextremismus als Problemlage trifft auf eine mangelnde politische und finanzielle Unterstützung für zivilgesellschaftliche oder aktivistische Initiativen. So passierte es, dass Springfeld selbst plötzlich das Gesicht des Protestes für ein würdiges Gedenken und gegen rechte Zerstörung wurde. Dennoch versucht er den Betroffenen und ihren Biografien viel Raum zu geben.

Springfeld liefert einen spannenden, persönlichen Einblick in die Zeit seiner Politisierung und wie er schrittweise realisiert, wie komplex das Problem Rechtsextremismus in Zwickau ist. Das muss er am eigenen Leibe erfahren. Auf 190 Seiten beschreibt er seinen eigenen Umgang und greift immer wieder Erfahrungen von anderen linken Aktivist*innen und migrantisierten Personen auf. So schafft er es, ein vielschichtiges Porträt der Lage des politischen Aktivismus gegen Rechts in Ostdeutschland zu zeichnen. Politische Ereignisse werden niedrigschwellig beschrieben, Springfelds Buch richtet sich vor allem an Jugendliche und junge Erwachsene, die am Anfang ihrer Politisierung stehen. Trotz der vielen negativen Erfahrungen und seiner persönlichen Bedrohungslage lässt sein Buch die Leser*in nicht hoffnungslos zurück: Das Alternative Jugendzentrum „Barrikade”, in Jakob Springfeld immer wieder zurückkehrt, kann als Symbol für die Standhaftigkeit und Konstanz linksalternativer Bestrebungen angesehen werden. Das Buch Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen rechts verbindet politische Ereignisse mit persönlichen und zeigt, dass sie untrennbar miteinander zusammenhängen.

Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen rechts, 192 Seiten, 14,99 Euro, Quadriga Verlag, ISBN: 978-3-86995-124-9. Hier bestellen.

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