Für den Belltower.News-Jahresrückblick befragen wir zivilgesellschaftlichen Initiativen und Akteur_innen über die Situation in ihrem Bundesland. Das Interview mit dem „Antifaschistischen Infobüro Rhein-Main“ führte Marvin Bernhardt.
Was waren die wichtigsten Ereignisse und Akteure in Rheinland-Pfalz im Rechtsextremismus?
Im November fanden zwei Gedenkveranstaltungen für die sogenannten „Rheinwiesenlager-Toten“ statt. Am ehemaligen Gefangenenlager der Alliierten in Remagen findet seit 2009 jährlich ein Gedenkmarsch der Rechtsextremen Szene statt. Die Neonazis sprechen von einer systematischen Ermordung Deutscher und insgesamt einer Millionen Toten in den Kriegsgefangenlagern der Alliierten, die 1945 entlang des Rheins bestanden. Seriöse Rechnungen gehen von einer Zahl zwischen 5.000 bis 10.000 Menschen aus, die dort ums Leben gekommen sind, was aber vor allem an den herrschenden Versorgungszuständen nach Kriegsende lag. Zu dieser geschichtsrevisionistischen Umdeutung kommt die Tatsache, dass in Remagen ein vom NS-Künstler Adolf Wamper geschaffene Skulptur, die „Schwarze Madonna“, als Mahnmal an die Rheinwiesenlager erinnert. Diese befindet sich neben der Friedenskapelle vor der die Rechten jedes Jahr ihr Heldengedenken abhalten und Kränze niederlegen. Auch der Gedenkmarsch eine Woche später in Bretzenheim bei Bad Kreuznach erfreut sich einer größeren Beliebtheit. Dort war der Geschichtsrevisionismus und SS-Glorifizierung der knapp 100 Teilnehmer noch offensichtlicher erkennbar als in Remagen.
Der langjährige Neonazi-„Mammutprozess“ vor dem Landgericht Koblenz gegen das „Aktionsbündnis Mittelrhein“ wurde nach über 300 Verhandlungstagen eingestellt. Ursprünglich 26 überwiegend aus Rheinland-Pfalz stammenden Neonazis, darunter Kader der Szene und NPD-Lokalpolitiker, wurde die Bildung beziehungsweise Unterstützung der kriminellen Vereinigung „Aktionsbüro Mittelrhein“ (ABM) vorgeworfen. In der etwa 1.000 Seiten dicken Anklageschrift heißt es, die Gruppe habe ein „Klima der Angst“ schaffen wollen, ihr Ziel sei die „Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ gewesen. Sechs der ursprünglich 26 Angeklagten müssen sich mittlerweile in eigenen Verfahren verantworten, vier wurden bereits verurteilt und die Verfahren von zwei der Angeklagten wurden eingestellt. Der Prozess gegen die 16 verbliebenen Angeklagten sind wegen überlanger Verfahrensdauer und dem zwangsläufigen Ruhestands des Richters, im Laufe des Jahres 2017 eingestellt worden. Die Staatsanwaltschaft teilte mit, dass sie die Einstellung des Verfahrens nicht akzeptieren wolle und Beschwerde dagegen eingelegt habe. Anfang Dezember entschied das Oberlandesgericht Koblenz, dass der Fall neu aufgerollt werden muss.
Auf Parteiebene hat die AfD ganz klar die führende Rolle der Szene in Rheinland-Pfalz übernommen. Die anderen Parteien und Akteure wie die NPD, der III. Weg und Die Rechte verloren durch die AfD immens an Aufmerksamkeit. Dennoch bestehen die vorhanden Strukturen und Netzwerke weiterhin auch wenn die Parteien auf der parlamentarischen Ebene in Rheinland-Pfalz kaum noch von Bedeutung sind. Der III. Weg tritt vor allem im nördlichen Teil von Rheinland-Pfalz und im Westerwald bei kleineren Kundgebungen auf. Im kleinen Örtchen Alzey erhielt Die Rechte vermehrt mediale Aufmerksamkeit wegen kleineren Kundgebungen und Aktionen. Nazi-Rock bleibt weiterhin ein wichtiger Bestandteil der Rheinland-Pfälzischen Szene. Das ist eins der wenigen Gebiete in denen die AfD in Rheinland-Pfalz noch nicht durchgedrungen ist. Die Rockband „Flak“ war zu Anfang die „Haus-Band“ des Aktionsbüros Mittelrhein. Der Sänger der Band, Philipp Neumann war Angeklagter im ABM-Prozess und ist zudem bestens in der Rechtsrock-Szene vernetzt. Die Band ist mittlerweile international bekannt und spielt auf den einschlägigen Konzerten der Szene. Im vergangen Jahr fanden Nazi Konzerte in Rheinland-Pfalz zudem öfter im Grenzbereich zu Frankreich statt. Im Großraum Westpfalz traten neben „Kategorie C“ auch die Rechtsrockbands „Sturmbrüder“, „Sturmrebellen“ und „Flak“ zum 20-Jährigen Bestehen der Bremer Nazi-Band auf.
Bei der Neonazi-Demo am 1. Mai in Halle waren einige Gewaltbereite der Gruppe „Aryans“ aufgefallen. Vereinzelte Mitglieder der „Aryans“ sind wohl aus dem ländlichen Raum in Rheinland-Pfalz angereist. Die Gruppe ist bundesweit vernetzt und vor allem durch ihr aggressives Auftreten bekannt.
Welchen Einfluss hat der Rechtspopulismus in Rheinland-Pfalz?
Die AfD hat einen nicht unerheblichen Einfluss auf die rechte Szene und hat die etablierten Strukturen für sich vereinnahmt. Die AfD Rheinland-Pfalz stellt sich gerne selber als den gemäßigten Flügel innerhalb der Bundespartei dar. Wichtig hierbei zu nennen sind Uwe Junge, Stefan Scheil und Joachim Paul. Das gemäßigte Image ist wohl auf Uwe Junge zurückzuführen, der bis zu Frauke Petrys Weggang als Vertrauter der damaligen Parteichefin und Unterstützter für den Partei-Ausschluss Björn Höckes galt. Mit dem Junge-Freiheit-Autor Stefan Scheil stand ein „klassischer“ Geschichtsrevisionist auf Listenplatz 5 der Rheinland-Pfälzischen AfD und hat den Einzug in das Parlament nur knapp verpasst. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Partei, Joachim Paul, ist Mitglied der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks in Bonn. Innerhalb der „Deutschen Burschenschaft“ gilt die als besonders weit rechts. Durch ihn ist die Partei zum rechten Rand der völkischen Burschenschaften vernetzt.
Der Bundestag hob die Immunität des AfD-Abgeordneten Sebastian Münzenmeier aus Rheinland-Pfalz auf. Der AfD-Politiker war im Juli 2017 wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchten Raubes angeklagt worden. Münzenmeier war bei der Bundestagswahl Spitzenkandidat der rheinland-pfälzischen AfD und hat gute Verbindungen in die Hooligan-Szene. Er war 2012 an einem Überfall von Hooligans aus Kaiserslautern auf Mainzer-Fans beteiligt und wurde vom Amtsgericht Mainz zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, ausgesetzt zur Bewährung und einer Geldstrafe von 10.000 Euro wegen Beihilfe verurteilt.
Die AfD nutzte das Jahr 2017 vor allem dafür, die vorhandenen Strukturen zu annektieren und auszuweiten. Daher ist das Bild der neonazistischen Szene in Rheinland-Pfalz eng mit der AfD verbunden. Durch die Wahlerfolge der AfD wird das Ganze gesellschaftlich legitimiert. Es bleibt abzuwarten, wie die „etablierten“ Akteure in Rheinland-Pfalz mit der Vorherrschaft der AfD weiter verfahren. In Koblenz inszenierten sich rechtspopulistische Politiker als Anführer eines nationalistischen Europas ohne die Europäische Union. Zur Veranstaltung „Freiheit für Europa“ kamen unter anderem Frauke Petry, damals noch in der AfD, Marine Le Pen vom französischen Front National, der Vorsitzende der niederländischen Partij voor de Vrijheid (PVV, Partei für die Freiheit) Geert Wilders, Harald Vilimsky von der österreichischen FPÖ, dazu Vertreter aus Italien und Großbritannien. Organisiert hat das Treffen Marcus Pretzell. Er gehört, wie auch die anderen teilnehmenden Parteien, trotz AfD-Ausstieg zur rechtspopulistischen bis rechtsextremen Fraktion “Europa der Nationen und der Freiheit” (ENF) im EU-Parlament. Etwa 5000 Menschen demonstrierten in Koblenz gegen den Kongress für ein freiheitliches und weltoffenes Europa.
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