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Roger-Waters-Konzert in Berlin Ich bin kein Antisemit, aber…

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Roger Waters' Konzert in Berlin, bei dem Anne Franks Name auf einer großen LED-Fläche eingeblendet wurde
Anne Frank, „Israelkritik“ und SS-Uniform – Roger Waters präsentiert sein ideologisches Weltbild auf der Bühne der Mercedes-Benz-Arena (Quelle: Nicholas Potter)

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Es dürfte nicht viele Musiker geben, die gleich zu Beginn ihrer Konzerte betonen müssen, dass sie keine Antisemiten seien. Aber die meisten Musiker sind nicht Roger Waters. Über die Lautsprecher der Mercedes-Benz-Arena hallt die Stimme des 79-jährigen Briten vom Tonband: Die Show werde in zehn Minuten beginnen. „And a court in Frankfurt has ruled that I am not an antisemite.“ Applaus und Jubel in der fast ausverkauften Arena. Der Rest des Abends wirkt aber vor allem wie ein großes „Aber…“.

Gekommen sind zu diesem ersten von zwei Auftritten in Berlin rund 10.000 Fans des Ex-Pink-Floyd-Stars. Sie sind gekommen trotz seiner antisemitischen Entgleisungen, seiner lautstarken Unterstützung der BDS-Bewegung, seiner Verbreitung russischer Kriegspropaganda, seiner Putinversteherei. Man könnte sagen: trotz Roger Waters. Oder sind sie eher deswegen gekommen?

Vor Ort sind am Mittwoch keine Gegenproteste zu sehen, dafür ein kleines antizionistisches Empfangskomitee: Auf dem Platz vor der Arena stehen BDS-Unterstützer*innen mit Transparenten und verteilen Flyer. „Juden, Israelis und Internationals stimmen alle dem Roger zu“, sagt eine. „Es sind nur die Deutschen, die ihn attackieren – das ist provinziell“. Alle stimmen zu? Nicht ganz. Die jüdische „Werteinitiative“ will mit einer Flyeraktion gegen Waters protestieren, erhält aber am folgenden Tag nach Aufforderung der Mercedes-Benz-Arena Platzverweise von der Polizei. Warum das nicht auch BDS betraf, bleibt noch unklar.

An anderer Stelle steht ein Plakat mit der Aufschrift „Roger Waters – Welcome to Germany“, dazu werden ausgedruckte Interviews mit dem Künstler gezeigt – eine kuriose Sammlung, die so auch schon auf „Querdenken“-Demos ausgestellt wurde. „Die Leute sollen seine eigenen Worte lesen und sich selbst einen Eindruck machen“, erklärt ein Mann Ende 50. Dabei ist ein wenig schmeichelhaftes Gespräch im Spiegel, in dem Waters von der mächtigen „Israellobby“ schwadroniert, den jüdischen Staat „einen Fehler“ nennt und der demokratisch gewählten Regierung der Ukraine seine Legitimität abspricht. Sprüche, die wenig tun, um den Musiker zu entlasten.

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Dass Waters laut Gericht kein Antisemit ist, stimmt übrigens nicht: Das Verwaltungsgericht in Frankfurt am Main gab lediglich einem Eilantrag des Sängers statt, in der Festhalle Frankfurt auftreten zu dürfen. Dies hatte die Stadt auf Bitte der Jüdischen Gemeinden juristisch zu verhindern versucht, nachdem zuvor die Buchung erfolgt war. Ein Schritt, der unter anderem mit der historischen Bedeutung des Ortes begründet wurde: Die Frankfurter Festhalle wurde im Nationalsozialismus für die Deportation der Juden benutzt. Auch in München wurde versucht, das Konzert in der Olympiahalle zu verbieten – das sei aber aus rechtlichen Gründen nicht möglich gewesen, heißt es in einem Stadtratsbeschluss.

In Berlin wurden Waters‘ Konzerte ebenfalls scharf kritisiert: Der neue Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) verurteilte Waters‘ Auftritte „aufs Schärfste“. Sein Vorgänger Klaus Lederer (Linke) hätte versucht, das Konzert zu verhindern, wenn es in einer kommunalen Halle stattgefunden hätte, sagte er der ZEIT. Am Tag vor dem ersten Konzert in der Hauptstadt forderte die Berliner CDU-Fraktion die Absage der beiden Auftritte. Ganz zu schweigen von den vielen jüdischen Organisationen, die eine Absage der Tour in Deutschland verlangten.

Artikel: Roger Waters auf Europatour: Wenn Schweine fliegen

Es dauert nicht lange an diesem Abend in der Mercedes-Benz-Arena, um zu sehen, was Waters‘ Kritiker*innen so sehr an ihm stört. Schon zu Beginn stellt er klar: „If you’re one of those ‚I love Pink Floyd, but I can’t stand Roger’s politics‘ people you might do well to fuck off to the bar right now.“ Wer seine Politik nicht aushält, soll sich an die Bar verpissen. Den Künstler vom Werk trennen? Selbst Waters’ Antwort dazu lautet nein.

Was folgt, ist eine bizarre dreistündige Politperformance mit monotonen Pink-Floyd-Coverversionen und populistischen Slogans. Ein ermüdender Abend mit einfachen Feindbildern und wenig Nuancen. Ein Abend, der seinen alternden Fans – durchschnittlich weiß, deutsch und um die 60 Jahre alt – genau das gibt, was sie wollen: Er verkauft Konsumkritik gegen Visa und Coca-Cola für Hunderte Euro pro Ticket, er verpackt antiimperialistische Rebellion als Stadion-Entertainment. „Resist Capitalism“ steht an einer Stelle über der Bühne, „Lock Up the Killers“ lautet ein weiterer Spruch.

Foto: Nicholas Potter

Vor allem ist es ein Abend mit klarem Weltbild. Es gibt „uns“, „die Guten“ – und die Bösen, die es zu bekämpfen gilt. „They’re evil“, flackert der Schriftzug auf der LED-Fläche über die kruzifixförmige Bühne in der Mitte der Arena, während Waters‘ „Reworking“ des Pink-Floyd-Hits „Us and Them“ ertönt. Der ominöse Feind bleibt größtenteils namenlos. Damit nutzt Waters Denkmuster, die strukturell antisemitisch sind: „They must think we’re fucking stupid!“, heißt es in einer Sprechblase im Comicstil. „Who do you mean by they?“ – „Them, up there in the penthouse, the fucking oligarchs“ – „Ah, you mean…“ – „THE POWERS THAT BE.“ Eine ominöse, übermächtige Elite, die nicht explizit benannt wird – das ist ein antisemitischer Bauplan, nach dem viele Verschwörungserzählungen funktionieren.

Waters schafft eine verschwörerische Leerstelle, die als Dogwhistle fungiert, als antisemitisch gefärbte Andeutung. Warum „die“ so brutal sind, fragt die nächste Sprechblase? Antwort: Weil „die“ unseren Widerstand zerstören und die Welt weiterhin regieren wollen. Es geht um einen mächtigen Feind, der im Dunkeln agiert, hinter den Kulissen die Fäden zieht und die eigene Existenz bedroht. Gegen „die da oben“. Es sind Feinde, die im Laufe des Abends immer wieder als entmenschlichte Gestalten dargestellt werden. Eine brandgefährliche Erzählung, die seit Jahrhunderten in Gewalt gegen Jüdinnen*Juden mündet.

Den Opfern dieser vermeintlichen Weltverschwörung will Roger Waters in Riesenbuchstaben gedenken. „Shireen Abu Akleh“ steht auf der LED-Fläche, der Name der Al Jazeera-Journalistin, die von einem IDF-Soldaten während einer Terror-Razzia in der Westbank getötet wurde. Ihr „Verbrechen“ laut Waters: „Being Palestinian“, ihre Strafe: „Tod“. Aber auch Anne Franks Name wird eingeblendet, ihr Verbrechen: „Being Jewish“. Hinzu kommen George Floyd, Breonna Taylor und andere Opfer rassistischer und antifeministischer Polizeigewalt. Für Waters offenbar alles das Gleiche, ob Shoah oder Israel.

Vor dem Song „The Bar“ erklärt Waters, dass er heute Abend „in der Bar“ sei – ein physischer und metaphorischer Ort zugleich. Auf dem Klavier liegen Schnapsgläser und eine Flasche Hochprozentiges, später stößt er mit seiner Band an. Aber die Bar sei auch ein Ort, „where they won’t throw us in prison if we have an opinion that differs from the orthodox…view“. Eine seltsame Sprechpause. Aus der größten Bühne der Hauptstadt mit Zehntausender-Publikum macht Waters einen konspirativen Ort, an dem endlich das gesagt werden kann, was sonst vorgeblich nicht erlaubt sei – ohne verhaftet zu werden. Ein Bollwerk gegen Cancel Culture und Konsequenzen. Mehr Applaus.

Foto: Nicholas Potter

Natürlich darf das Schwein an diesem Abend nicht fehlen. Nach der Pause fliegt das große aufblasbare Tier mit dämonisch beleuchteten Augen durch die Arena. Ein Symbol allen Übels auf der Welt. Der Davidstern, für den Waters in der Vergangenheit viel Kritik erntete, wurde vom Schwein entfernt. Stattdessen: Das Logo des israelischen Rüstungskonzerns „Elbit Systems“. Gemeint ist offenbar dasselbe. Er spielt dazu das Pink-Floyd-Lied „In the Flesh“, verkleidet als Waffen-SS-Mann mit roter Armbinde. Faschistoide Banner mit Hammer-Logos hängen von den Dächern der Arena. Mit einer Gewehr-Attrappe eröffnet er das Feuer auf das Publikum.

Dann ein schneller Garderobenwechsel: Die SS-Uniform ist weg, jetzt trägt Waters ein Kufiya, umgangssprachlich das „Palituch“ – ein Symbol des palästinensischen Widerstands gegen Israel. „Palestinian Rights“ wird über der Bühne eingeblendet. Großer Jubel. Weniger enthusiastisch reagiert das Publikum auf die darauffolgenden Sprüche „Trans Rights“ oder „Reproductive Rights“. Dann die Parole „Fuck the Occupation“. Kurze Zeit später wird die Sperranlage in der Westbank gezeigt, die Israel während der zweiten Intifada baute, um Selbstmordanschläge gegen Zivilist*innen zu verhindern.

BDS, die antiisraelische Boykott-Bewegung, über die Waters sonst gerne und viel redet, kommt aber heute mit keinem Wort vor. Auch zwischen den Songs erwähnt Waters Israel kein einziges Mal. Warum auch? Sein ideologisches Weltbild ist nicht nur fester Bestandteil seiner Show, es ist seine Show. Er deutet lediglich an: „Ich wollte mit euch über verschiedene Dinge sprechen, weil wir ja in Deutschland sind, es gibt also viel zu sagen, aber vielleicht machen wir das später.“

Der angekündigte Monolog fällt dann überraschend kurz aus: Gorbatschow gut, Atombomben schlecht. Noch nie klang der Weltfrieden so einfach. Über drei Stunden prangert Waters Krieg, Militarismus und Waffen an. Dass es gerade jetzt in Europa einen Krieg gibt, nachdem Russland die Ukraine brutal überfallen hat – dazu kein einziges Wort. Dabei ist seine kremlnahe Position hinlänglich bekannt. In Waters’ Bar darf man also doch nicht so offen sprechen, wie er gerne behauptet.

Kurz nach 23:00 ist der Abend endlich vorbei. Standing Ovation vom Publikum. Und vom Kritiker: zero points.

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