Nach Vorwürfen des Machtmissbrauchs gegen den ehemaligen Bild-Chef Julian Reichelt, einem Compliance-Verfahren und einem vernichtenden Artikel in der New York Times, trennte sich der Springer-Verlag von seinem wohl prominentesten Mitarbeiter. Die Beeinflussung der Öffentlichkeit will Reichelt aber nicht aufgeben. Er hat ein neues Zuhause auf YouTube gefunden.
Beinahe täglich veröffentlicht er auf seinem Kanal „Achtung, Reichelt!“ seit April 2022 Videos. Oft geht es gegen die Grünen, gegen die Bundesregierung, gegen Migrant*innen und gegen Geflüchtete. Ähnlich wie schon in der Bild-Zeitung. In einer Eigenbeschreibung heißt es auf YouTube: „Wir sind der schärfste Widersacher von Spin, erdrückenden Narrativen, Ideologien, Bigotterie und Scheinheiligkeit in der Politik.“ Unter den am meisten geklickten Videos finden sich Titel wie: „Grüne Nichtskönner Lang, Nouripour & Co.: Die faulsten Deutschen regieren das Land der Fleißigen!“ und „Energiekrise: Darum sollen Deutsche jetzt im Müll wühlen // Grüne wollen Bananen-Stasi“. Nicht nur die Titel klingen wie plumpe populistische Hetze, auch die Inhalte sind dementsprechend. Das Wachstum, Stand April: 335.000 Abonnent*innen, und die Klickzahlen, insgesamt über 72 Millionen Aufrufe, sind beachtlich. Mit Journalismus hat das jedoch nichts mehr zu tun.
Reichelts Vorbild: Tucker Carlson und Fox News
„Achtung, Reichelt!“ ist dabei nicht innovativ, sondern stark am rechtspopulistischen Meinungsjournalismus des amerikanischen Nachrichtensenders Fox News angelehnt, analysierten jüngst Kolleg*innen der Amadeu Antonio Stiftung auf Belltower.News. Insbesondere die rhetorischen Mittel des ehemaligen Fox News Talkers, Tucker Carlson, „scheinen den Ex-BILD-Chef überzeugt zu haben.“ Ähnlich wie Carlson fokussiere sich auch Julian Reichelt auf den Kulturkampf. Genau wie die AfD inszeniert er sich als Stimme des Volkes. Das ist absurd, war er doch jahrelang einer der einflussreichsten Journalisten Deutschlands, mit besten Kontakten in Politik, Kultur und Wirtschaft. Doch beide, Carlson wie Reichelt, sind Vertreter dieser herrschenden Klasse.
Anders als andere rechte „Alternativ-Medien“ bezieht sich Reichelt jedoch wenig positiv auf die AfD. Vielmehr scheint es ihm um rechtslibertäre Inhalte zu gehen und darum, die CDU weiter nach rechts zu rücken. Ein Video trägt etwa den Titel: „Grün, grüner, Union: Warum die CDU wieder rechts werden muss“.
Gloria von Thurn und Taxis: „Wir haben eigentlich gar keine Demokratie mehr“
Ab und an lädt sich Reichelt Gäste in seine Sendung. Jene Gäste haben dabei den Zweck, Dinge zu sagen, die sich selbst ein Julian Reichelt nicht traut. Unterstützt wird Reichelt in seinem Format vor der Kamera unter anderem von der Unternehmerin Gloria von Thurn und Taxis. Regelmäßig tritt sie bei „Achtung Reichelt!“ als Gesprächspartnerin auf, um dann gegen modernen Feminismus, politische Korrektheit und Migrant*innen zu wettern und um Queerfeindlichkeit zu verbreiten.
Regelmäßig gibt die Fürstin ihr Demokratieverständnis zum Besten: Sie spricht davon, dass Gewaltausbrüche davon zeugen, „dass die Demokratie gar nicht mehr existiert, dass sie demontiert wird, und zwar mit massiven Schritten. Wir haben eigentlich gar keine Demokratie mehr“. Abtreibung ist für die Christin „nichts anderes als das Sakrament der Atheisten“.
„White Guilt“ im Zweiten Weltkrieg und antisemitische Dogwhistles
Doch die Adelige ist nicht die Einzige, mit der Reichelt seine YouTube-Sendezeit teilt und die kontinuierlich Zweifel an der Demokratie sät. Regelmäßiger Gast ist auch Eva Lotte Louise Vlaardingerbroek, eine rechte Kommentatorin aus den Niederlanden. „Unsere linken Eliten wollen, dass Deutschland abgeschafft wird, der Nationalstaat abgeschafft wird, um ein großes vereinigtes Europa herzustellen“, behauptet sie etwa bei Reichelt. „Die Elite“ wolle nicht, dass sich Migrant*innen an die deutsche Kultur anpassen, „sie wollen, dass Deutschland sich anpasst“. Wie sonst kann man solche Aussagen bezeichnen als rassistisch und demokratiefeindlich?
In einem anderen Video von 2022 fordert die rechte Meinungsmacherin Vlaardingerbroek, Deutschland solle seine „White Guilt und das Trauma des Zweiten Weltkriegs“ loslassen und „Globalisten“ haben eine „schlimme Agenda“. Da kann Reichelt noch so oft seine Solidarität mit Israel beteuern, solange er es zulässt, dass die Forderung nach einem Ende des Gedenkens an NS-Verbrechen und Verbreitung von antisemitischen Dogwhistles zulässt, bietet er krassem Antisemitismus eine Bühne. Vlaardingerbroek ist dabei nicht nur regelmäßiger Gast bei Reichelt, sondern war auch in Tucker Carlsons Sendung auf Fox News regelmäßig zu sehen.
Prominente Gäste, auch aus der Politik
Eine weitere Person, die sich nicht zu schade ist, als Interview-Gäste in Reichelts-Resterampe-Format zu gehen, ist Schlagersänger Ikke Hüftgold, der etwas zu seinem sexistischen Lied „Layla“ sagen durfte. Aber auch Politiker geben sich dem Irrsinn Reichelts hin – etwa Wolfgang Bosbach, der bis 2017 für die Union im Bundestag saß, Frank Schäffler, der derzeit für die FDP im Bundestag sitzt und CDU-Stadtrat (Neukölln) Falko Liecke.
Daneben wird das Reichelt-Team vor der Kamera noch von weiteren Personen unterstützt. Etwa von Giovanna Winterfeldt, einer Berliner Synchronsprecherin, die politisch besonders seit der Corona-Pandemie auffiel, da sie sich hier frühzeitig am verschwörungsideologischen Protest von „Friedlich zusammen“ beteiligte. Synchronsprecherin ist sie mittlerweile nicht mehr, da sie seit März 2023 bei Reichelt untergekommen ist.
Ehemalige Bild-Kolleg*innen machen es Reichelt nach
Darüber hinaus gibt es noch Kolleg*innen, die Reichelt von Springer zu YouTube gefolgt sind – obwohl Reichelt im Herbst 2021 ein Abwerbeverbot mit dem Springer Verlag unterzeichnete. Unter ihnen etwa Willi Haentjes, Sebastian Vorbach, Julius Böhm, Judith Sevinç Basad und Ralf Schuler. Haentjes habe bei Bild zuletzt Rollen im Redaktionsmanagement eingenommen, sei zuletzt Head of Newsdesk bei Bild gewesen, berichtet Medieninsider. Böhm scheint bei Reichelt als Reporter unterwegs zu sein. Auch die sich dem Kampf gegen alles vermeintlich woke verschriebene Judith Sevinç Basad, verließ die Bild im Juni 2022. Sie warf dem Springer-Konzern vor, „vor der unerträglichen Tyrannei der woken Aktivisten eingeknickt“ zu sein. Einen Monat später landete Basad bei Reichelt.
„Stimmt! Der Nachrichten-Talk“
Ralf Schuler und Sebastian Vorbach haben nun je eigene YouTube-Sendungen, im Titel, so wie es sich in dem Krakele um Reichelt gehört, mit Ausrufungszeichen. Sebastian Vorbach moderiert mittlerweile das YouTube-Format „Stimmt! Der Nachrichten-Talk“. Dieses Projekt wirkt wie eine eins zu eins Adaption des „Viertel nach Acht“-Politik-Talk-Formats von Bild TV, das wiederum eine Kopie einer Talkshow im alt-right Sender Fox News ist.
In „Stimmt! Der Nachrichten-Talk“ diskutieren nun mehr oder weniger rechtsoffene Gäste mit den hauseigenen YouTube-Journalist*innen über die altbekannten Themen, vermeintlich gewalttätige migrantische Jugendliche, die angeblich schädlichen Corona-Schutzmaßnahmen und über das herbeigeredete Versagend der Grünen.
Auch zu Gast: Maaßen und Ballweg
Ralf Schuler ist hingegen die Hauptfigur seines eignen Interviewformats: „Schuler! Fragen, was ist“. Der ehemalige Bild-Mitarbeiter Ralf Schuler verließ Bild, weil die ihm angeblich zu queerfreundlich sei. In einem Brief an Verlagschef Döpfer schrieb Schuler davon, dass er nicht „für eine politische Bewegung und unter ihrer Flagge“ arbeiten wolle.
Seit Ende 2022 empfängt der ehemalige Leiter der Parlamentsredaktion von Bild nun recht illustre Gäste in „Schuler! Fragen, was ist“. Unter ihnen etwa Wolfgang Kubicki, Bundestagsvizepräsident und stellvertretender FDP-Vorsitzender, Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Herbert Reul, CDU-Innenminister in Nordrhein-Westfalen, Joachim Herrmann, Bayerns Innenminister, Kristina Schröder, ehemalige CDU-Familienministerin, Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer, Michael Ballweg, Ikone der verschwörungsideologischen Corona-Proteste und Hans-Georg Maaßen, ehemaliger Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz.
„Pleiteticker – Vom Achtung, Reichelt! Team“
Doch Reichelt setzt in seinem Kulturkampf nicht alleine auf Video-Inhalte. Der Blog „Pleiteticker“ beschreibt sich auf seiner Website wie folgt: „Hier berichten wir über die Realität in diesem Land, über das, was Robert Habeck nicht für möglich hält oder nicht sagen will. Pleiteticker.de wird die Chronik dieser Wirtschafts-Krise, die direkt vor den Augen des unfähigsten und untätigsten Wirtschaftsministers aller Zeiten stattfindet.“ In den kolumnenartigen Texten und in Social-Media tauglichen Kurz-Videos sind besonders junge Menschen als Verfasser*innen sichtbar. Auffällig: Viele von ihnen tauchen parallel als Autor*innen bei „Apollo News“ auf.
„Apollo News – Das unabhängige Jugendmagazin für den freien Westen“
„Apollo News“ gibt es in seiner derzeitigen Rechtsform seit Anfang 2022. Die Verantwortlichen verstehen den Blog als „Jugendjournalismus“, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, in Kooperation mit dem neurechten Medium Tichys Einblick, „Nachwuchsjournalisten jenseits des links-grünen Mainstreams auszubilden“. Jüngst wurde der Text umgeändert. Nun werden die Seminare nicht mehr „in Kooperation mit Tichys Einblick“ durchgeführt, sondern „in Kooperation mit Pleiteticker.de“.
Geschäftsführer und Gründer ist Max Mannhart. Viele aus der „Apollo News“-Redaktion waren zunächst in der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft und haben dort unter anderem Publizistik-Seminare mit Henryk M. Broder absolviert. Auf der Website der neurechten Nachwuchsjournalist*innen erklären sie ihre Motivation, für die rechte Sache zu arbeiten. Dort fallen dann Sätze wie: „Weil ich auch noch in 20 Jahren mit meinem Auto rumfahren möchte“, „weil ich die Nase voll von meinen linken Mitschülern und Lehrern habe“, „weil ich möchte, dass meine Kinder auch noch das Konzept von echtem Fleisch kennen lernen“, „weil ich keine Lust habe auf einen links-grünen autoritären Sojastaat“.
Das Firmengeflecht: Rome Medien GmbH und VIUS SE & Co. KGaA
„Apollo News“ agiert offenbar unabhängig von Reichelt, Überschneidungen scheint es hier lediglich personell zu geben. Anders sieht es bei den anderen Formaten aus. Die Frage, die sich hier stellt: Wie wird das alles finanziert? Bisher setzt Reichelt weder auf Spenden, noch auf ein bezahlbares Abo-Modell, doch irgendwie müssen die Mitarbeitenden, die digitale Infrastruktur und das Equipment doch finanziert werden. Und da kommt womöglich ein konservativer Milliardär ins Spiel: Frank Gotthardt, der nicht nur Hauptgesellschafter der Eishockeymannschaft der Kölner Haie ist, sondern mit zwei Regionalsendern auch im TV-Geschäft tätig ist. „Reichelt und Gotthardt haben nicht nur ihre Liebe zum Eishockey gemeinsam, sie machen offensichtlich Geschäfte zusammen“, so heißt es in einem ZAPP-Beitrag.
Seit Ende März 2022 ist Reichelt Geschäftsführer der Produktionsfirma Rome Medien GmbH. Ihr Zweck laut Handelsregister: „Die Produktion, die nationale Verbreitung und Vermarktung von Medieninhalten durch diverse Verbreitungskanäle (z. B. Online, Mobile, Lineares TV)“, das Stammkapital beträgt 25.000 Euro. Rome Medien zeigt sich für „Achtung, Reichelt“ und für den „Pleiteticker“ verantwortlich, zumindest laut Impressum.
Im Impressum von „Schuler! Fragen, was ist“ und „Stimmt! Der Nachrichten-Talk“ steht jedoch ein anderes Unternehmen, nämlich die VIUS SE & Co. KGaA. Eine Firma, mutmaßlich aus dem Unternehmensgeflecht des Milliardärs Frank Gotthardt.
Rome Medien und VIUS teilen sich dabei eine Adresse, die Lobeckstraße 30 in Berlin. Zunächst war Rome Medien noch in der Knesebeckstraße ansässig, zog dann aber mit Anzeige im Handelsregister vom November 2022 um. Schuler selbst gab jedoch nach seinem Wechsel zu YouTube als neues Tätigkeitsfeld „Politikchef Rome Medien GmbH“ an, auch Meedia berichtete darüber.
Das Unternehmensgeflecht von Gotthardt
Die Verstrickungen in diesem unübersichtlichen Unternehmensgeflecht von Reichelt und Gotthardt beginnen mutmaßlich im Oktober 2021. Hier wurde die „Gotthardt-Firma Nius SE“ gegründet. Aufgrund der Verwechslungsgefahr mit dem Medienimperium des Rechtspopulisten Silvio Berlusconi wurde die Firma im Herbst 2022 in VIUS Managment SE umbenannt. Die VIUS Management verwaltet wiederum VIUS SE & Co. KGaA. T-Online bezeichnet VIUS als „Medienunternehmung Gotthardts“.
VIUS SE & Co. KGaA soll für die „Erstellung, Verbreitung und Verwertung von audiovisuellen Inhalten, insbesondere im Nachrichtenbereich; die Entwicklung und den Betrieb von Online-Plattformen, insbesondere auch von Messengerdiensten und Sportwetten“ verantwortlich sein. VIUS Management, die VIUS SE verwalten, stellt die Server für die Domains von Rome Medien zur Verfügung, so Medieninsider.
Schaut man sich das Firmengeflecht rund um die Formate (mit Ausnahme von „Apollo News“) an, liegt die Vermutung nahe, dass Gotthardt als Finanzier Reichelts auftritt. T-Online berichtete als erstes Medium über die Hinweise. Gotthardts Kontakte in die Politik scheinen gut zu sein. Er selber ist Ehrenvorsitzender des CDU-Wirtschaftsrats. Bisher haben jedoch weder Reichelt noch Gotthardt eine Zusammenarbeit bestätigt noch verneint, so berichtet es das Medienmagazin ZAPP.
Scharnierfunktion
Reichelt ist derzeit dabei, eine Art Pseudo-Meinungsjournalismus aufzubauen, den es in dieser Form in Deutschland nicht gab. Vorbild: USA. Es geht um einen angestrebten Kulturkampf, gegen Errungenschaften der Moderne. Dabei setzt Reichelt auch auf ein junges Team, das auch auf Social-Media-Plattformen den Diskurs weiter nach rechts verschieben soll.
Rechts(extreme) Alternativmedien dürfen durch Reichelts Erfolg hoffen, nun ihre Themen besser im sogenannten „Mainstream“ platzieren zu können. Den prominenten Gästen, besonders aus der Politik, sollte dabei klar sein, dass sie durch ihre bloße Anwesenheit in diesen Formaten dazu beitragen, die Inhalte, die hier verbreitet werden, salonfähig zu machen.