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RT Deutsch zu Gast im LKA Sachsen hat ein Problem mit „Linksextremismus“ findet der Leiter der Soko Rex

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Neonazis in Chemnitz 2018 (Quelle: KA)

„Sachsen hat ein Extremismus-Problem – und zwar ein allumgreifendes“, so beginnt ein Beitrag auf dem YouTube-Kanal „Der Fehlende Part“ des russischen Propagandasenders RT Deutsch vom 22. November. RT Deutsch ist der deutschsprachige Ableger des vom russischen Staat finanzierten Senders RT, der ehemals „Russia Today“ hieß. Der Beitrag beginnt in der Anmoderation damit, dass Extremismus „oft mit dem rechten Rand in Verbindung gebracht wird“. Auch der Islamismus würde häufig genannt, so die Moderatorin Jasmin Kosubek. „Linksextremismus“ würde hingegen von vielen als geringeres Übel wahrgenommen. „In Sachsen sieht man das anders“. Und das findet der staatliche russische Propagandakanal sichtlich gut.

Es werden Beispiele von linker Gewalt aus Dresden und Leipzig angeführt, bei denen mutmaßlich Linke Anschläge auf Baustellen verübten. Anschließend werden Passant*innen in Dresden gefragt, ob Dresden ein Rechtsextremismus- oder ein Linksextremismus-Problem habe. All die weißen Menschen vor der Kamera bestreiten, dass Sachsen ein Rechtsextremismus-Problem habe. „Es gibt überall ein paar durchgeknallte Leute“, sagt ein Passant über rechte Gewalt, das seien so wenige und da hänge man sich immer so dran auf, kritisiert er. Auf die Frage, wie er den Linksextremismus in Sachsen einschätze, antwortet er aufgebracht: „Viel schlimmer“, die würden einfach alles kaputt machen.

Um die Aufklärungsquote linker Gewalt zu erhöhen, wurde im Freistaat die Sonderkommision Linksextremismus (Soko LinX) ins Leben gerufen. Sie soll ihre Arbeit am 1. Dezember aufnehmen. Anlass für die Maßnahmen sind mehrere Brandanschläge auf Baufirmen in ganz Sachsen, Anlagen und Fahrzeuge der Bahn, Immobilienfirmen in Dresden und Leipzig, gegen eine Prokuristin sowie Polizisten und Polizeigebäude in Leipzig. Dann taucht ein unerwarteter Interviewpartner in dem Beitrag auf: Dirk Münster. Münster ist leitender Kriminaldirektor und Chef der im Juli neu eingerichteten Sonderkommission Rechtsextremismus (Soko Rex). Er ist also Leiter einer sächsischen Abteilung zur Bekämpfung und Radikalisierungsfrüherkennung von Rechtsextremen.

Im Interview kritisiert Münster „eine mediale Wahrnehmung von Sachsen, die ein starkes Gewicht auf den Rechtsextremismus legt.“ Schaue man sich die Statistiken zu Gewaltdelikten an, gebe es einen leichten Überhang bei politisch motivierter Gewalt von links, „und das schon seit vielen Jahren“, so der Beamte, der in Sachsen eigentlich für die Bekämpfung rechtsextremer Straftaten verantwortlich ist.  Was er mit „einem leichten Überhang“ genau meint, ist nicht ganz klar. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik 2018 stieg „linksextreme“ Kriminalität um 5 Prozent auf 701 Delikte. Rechtsextreme Straftaten stiegen um 12,5 Prozent und lagen 2018 bei 2.278 Fällen.

Linke Straftäter*innen seien planvoller, organisierter und überlegter, das würde die Ermittlungen in diesem Bereich erschweren, kritisiert der Beamte weiter. Meint er damit, linke Straftäter*innen seien planvoller, organisierter und überlegter als extrem rechte Täter*innen? (Diese Frage wurde auf Nachfrage leider nicht beantwortet.) Als der rechte Mob in Chemnitz im Herbst 2018 die ganze Republik in Atem hielt, waren wir alle Zeuge der enormen Mobilisierungsfähigkeit der rechten Szene und das spricht für eine extreme Organisiertheit – und nebenbei bemerkt, Chemnitz liegt in Sachsen. Während dieser Wochen in Chemnitz, als Neonazis zeitweise das Gewaltmonopol inne hatten, kam es immer wieder zu gezielten Übergriffen auf Menschen, die als politische Gegner*innen oder als nicht Deutsch ausgemacht wurden. Auf Nachfrage bei der entsprechenden Stelle beim LKA Sachsen versicherte uns der Pressesprecher: „Der Inhalt unserer Antworten ist im Beitrag richtig wiedergegeben und bedarf daher keiner weiteren Erläuterung.“

Kronzeuge ist ein Aktivist der „Identitären Bewegung“, gegen den wegen Volksverhetzung ermittelt wird

Der RT-Beitrag wird allerdings noch absurder: Es kommt ein Opfer von linksextremer Gewalt zu Wort und das ist ausgerechnet ein Aktivist der rechtsextremen „Identitären Bewegung“, die vom Verfassungsschutz wegen ihrer Bestrebungen beobachtet wird. Maximilian Thorn ist in der IB Bautzen aktiv und hat als Aktivist zumindest lokale Berühmtheit erlangt – spätestens, seit er am 17. Juni 2019 bei „Pegida“ in Dresden als Redner auf der Bühne stand und die Polizei nach seiner Rede wegen des Verdachts der Volksverhetzung ermittelte. Thorn hatte hier Rassismus und Islamfeindlichkeit verbreitet und am Ende seiner Rede in die Menge gerufen: „Es ist Jagdzeit.“ In dem RT-Beitrag berichtet Thorn davon, wie er in der Mensa der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) in Leipzig angegriffen wurde.

RT wird im Verfassungsschutz-Bericht im Punkt Spionage genannt

Dieser YouTube-Beitrag wirft die Frage auf, wieso ein führender Beamter, der eigentlich für den Bereich rechtsextreme Gewalt zuständig ist, in einem Interview des Propaganda-Mediums RT Deutsch vor Linksextremismus warnt. Interessanterweise fand das Interview in den Räumen des LKA statt, in dem auch das Polizeiliche Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrum (PTAZ) untergebracht ist. Und das obwohl der staatliche russische Propaganda-Kanal RT im Verfassungsschutzbericht 2018 im Bereich „Spionage und sonstige nachichtendienstliche Aktivitäten“ genannt wird. Der Verfassungsschutz wertet RT als einen der wichtigsten russischen Medien-Akteure, der „die Öffentlichkeit auf subtile Weise zu beeinflussen“ versucht. Und dieser Sender war nun zu Gast im sächsischen Polizeilichen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrum. Auf die Frage, wieso ein russisches Propaganda-Medium Zutritt zu diesen Räumlichkeiten bekommt, wo der Sender doch selbst im Verfassungsschutzbericht erwähnt wird, antwortete der Sprecher der Polizei Sachsen leider nicht. Und auch auf die Frage, ob Herr Münster und das LKA RT Deutsch für ein sachliches Medium halten, bekamen wir keine konkreten Antworten. Der Sprecher des LKA teilte uns lediglich mit: „Wir selektieren hier ganz sicher nicht zwischen den einzelnen Medienvertretern, entsprechend den gesetzlichen Verpflichtungen und grundlegender rechtsstaatlicher wie demokratischer Prinzipien. Über die Objektivität der Berichterstattung der Medien, haben wir hier nicht zu befinden.“ Wenn demnächst der antisemitische YouTuber „der Volkslehrer“ oder der Neonazi Sascha Krolzig mit seiner faschistischen Zeitung „N.S. Heute“ beim LKA vorbei käme, stünde das LKA Sachsen dann auch für ein Interview zur Verfügung? Über die Objektivität der Berichterstattung wolle man hier ja nicht werten.

Auch angesichts der Soko LinX, die am 1. Dezember 2019 ihre Arbeit aufnehmen wird, scheint es ein wenig, als würden wir in Sachsen einen Rückfall in alte Muster erleben (Die Frage, ob Münster ebenfalls Chef der Soko LinX wird, blieb unbeantwortet). Auch in den 90er Jahren, der Zeit nach der Wende, erlebte Deutschland eine Welle rechtsextremer Gewalt, mit zahlreichen Todesopfern. Als damals rassistische und rechtsextreme Gewalttaten in einem Übermaß sichtbar wurden, gingen Behörden lieber dazu über, das Problem zu verharmlosen, statt es ernsthaft anzugehen. Rassistische Täter*innen wurden als Lausbuben dargestellt, die im Suff mal einem Schwarzen aufs Maul hauen. Dieses Phänomen sehen wir auch noch heute – und das in einem Jahr in dem wir drei Todesopfer rechter Gewalt zu beklagen haben, den Schlagerfan Jana L. aus Halle und Kevin S., ein glühender Fan des Halleschen FC sowie den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU).

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