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Ruhrtriennale „Israelkritik“ über alles

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Stefanie Carp (l), Ruhrtriennale-Intendantin, und Isabel Pfeiffer-Poensgen (r, parteilos), Kultur- und Wissenschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen. (Quelle: picture alliance/Ina Fassbender/dpa)

Seit 2018 und dem Beginn der Intendanz von Stefanie Carp macht die Ruhrtriennale vor allem mit einem Thema Schlagzeilen: Antisemitismus. 2018 stand die Band Young Fathers im Fokus. Die schottischen Musiker unterstützen die BDS-Bewegung, einen internationalen Zusammenschluss von Aktivist*innen, die verlangen, Israel wirtschaftlich, kulturell und akademisch zu isolieren. Israelische Waren sollen boykottiert werden, Künstler*innen sollen nicht in Israel auftreten, israelischen Künstler*innen keine Bühnen außerhalb des Landes geboten werden und israelische Akademiker*innen sollen isoliert werden. All das als Reaktion auf die israelische Besatzungspolitik. So stellen es die Aktivist*innen in der Öffentlichkeit dar. Die Gründerväter und Mütter der Bewegung gehen allerdings um einiges weiter. Sie sprechen Israel gleich ganz das Existenzrecht ab. 

Nachdem die Verbindung der Young Fathers zu BDS bekannt wurde, kam es zu Protesten. Daraufhin sagte Carp den Auftritt wieder ab, bis sie die Band nochmal einlud, die dann von sich aus auf den Auftritt verzichtete. Die Reaktion darauf war schließlich eine Diskussionsrunde beim Festival zum Thema „Freiheit der Künste“, ganz als ob Kritik an antisemitischen Positionen die Kunstfreiheit verletzen würde. Carps Engagement hatte Konsequenzen. Nordrhein-Westfalens Landtag beurteilte die BDS-Bewegung als Reaktion auf den Triennale-Eklat als antisemitisch. Außerdem wurde Carp Jürgen Reitzler als Stellvertreter zur Seite gestellt, womöglich als Garant dafür, dass Antisemitismus nicht weiter eine Bühne bei der Ruhrtriennale bekommt. Die parteilose Kulturministerin Nordrhein-Westfalens, Isabel Pfeiffer-Poensgen, war nun der festen Überzeugung, dass die Intendantin „die Bedeutung des Themas nunmehr stärker im Blick hat und antisemitische Aktionen und Gruppierungen im Rahmen der Ruhrtriennale keine Plattform finden werden“. Die Ruhrtriennale wird mit öffentlichen Geldern von der Kultur Ruhr GmbH veranstaltet, die wiederum dem Land NRW und mehreren Städten im Ruhrgebiet gehört. Die Kulturministerin ist gleichzeitig die Aufsichtsratsvorsitzende. 

2019 also ohne Skandal? Das funktionierte bedingt. Diesmal lud Carp die israelische Regisseurin Ofira Henig ein, die extrem kritische Positionen zu Israel hat und das Land für einen faschistischen Staat hält. Ein breiter Aufschrei blieb aus. 

2020 ist nun das letzte Jahr von Carps Intendanz beim Festival und auch diesmal gibt es wieder einen Skandal. Carp hat den kamerunischen Soziologen und Historiker Achille Mbembe eingeladen. Für Mbembe ist Israel ein schlimmeres Apartheidregime, als es Südafrika jemals war. Lorenz Deutsch, kulturpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag hat sich dazu in einem offenen Brief an die Intendantin geäußert. Laut Deutsch hat Mbembe eine Petition an die Universität in Johannesburg unterzeichnet, die Verbindung zur Ben-Gurion-Universität im südlichen Israel zu beenden. Die Petition stammt aus dem Jahr 2010 und gehörte zum „Academic Boycott of Israel“ einer Untergruppe von BDS. Mbembe selbst lehrt an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg.

Deutschs Vorwürfe an den Soziologen gehen allerdings noch weiter. In einem Artikel von 2016 setzt der Wissenschaftler das Apartheidsregime in Südafrika mit der Situation der Palästinenser*innen in Israel gleich. Dabei belässt er es aber nicht, laut Mbembe sei die „israelische Apartheid“ „weitaus tödlicher“, als sie in Südafrika jemals gewesen sei. Das schreibt er in einem fünf Jahre alten Vorwort zum Buch „Apartheid Israel: The Politics of an Analogy“. Diese Erzählung ist äußert beliebt in Kreisen von BDS, hat allerdings nichts mit der Realität zu tun. Ian Halperin ist ein investigativer Journalist und Filmemacher. 2017 veröffentlichte er „Wish You Weren’t Here“, einen Film über den BDS-Aktivisten und Pink-Floyd-Musiker Roger Waters und sein problematisches Verhältnis zu Israel und Jüd*innen. Bei wenigstens einer Pink-Floyd-Show flog ein aufblasbares Schwein, auf das Hakenkreuze und der Davidstern gemalt waren, über die Menge der Konzertbesucher. Halperin ist der Apartheids-Behauptung der Israel-Gegner*innen nachgegangen und sagt der britischen Zeitung Observer: „Ich habe Mandela getroffen. Ich habe all die Anführer getroffen, die für die Befreiung Südafrikas gekämpft haben. Waters weiß nicht, wovon er spricht. Südafrikaner fühlen sich von seinen Aussagen beleidigt.“

In einem Aufsatz für die Zeitschrift Radical Philosphy vergleicht Mbembe schließlich das südafrikanische Apartheidsregime mit dem Holocaust und kommt zum Schluss, beide seien „emblematische Manifestationen“ einer „Separationsfantasie“. Eine Relativierung des Holocaustes, durch die Parallelsetzung der Apartheid und einem Regime, das 6 Millionen Juden und Jüdinnen ermordete. In der Logik dieses Arguments werden „die heutigen Juden Israels […] an die Stelle der nationalsozialistischen, weißen Verbrecher“ gesetzt, so Deutsch. Auch in diesem Text ruft Mbembe zum Boykott und zur Isolation Israels auf. Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung äußert sich in der Berliner Morgenpost: „Achille Mbembe hat in seinen Schriften das Existenzrecht Israels in Frage gestellt und überdies auch das Apartheid-System Südafrikas mit dem Holocaust verglichen – was sich angesichts der beispiellosen Verbrechen in der NS-Zeit und insbesondere angesichts der historischen Verantwortung Deutschlands dafür, verbietet.“ Klein sieht „erheblichen Schaden“ für die Ruhrtriennale, sollte Mbembe tatsächlich die Eröffnungsrede halten. 

Auch die Kulturministerin zeigt sich wenig erfreut und zweifelte gegenüber der Welt an, ob die Einladung Mbembes im Einklang mit dem BDS-Beschlusses des Landtags steht. Am Donnerstag, den 16. April. tagte nun der Aufsichtsrat der Kultur Ruhr GmbH. Stefanie Carp soll hier ihre Beweggründe darlegen. Die große Eröffnung der Triennale mit der Rede des Soziologen sollte in der Bochumer Jahrhunderthalle stattfinden. Bochums Oberbürgermeister distanzierte sich mittlerweile von Carp, mit Blick auf die Kontroverse um die Young Fathers sagte er: „Beim zweiten Mal fällt es schon schwer, an Zufall zu glauben. Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass das Land als Hauptgeldgeber der Ruhrtriennale sich dies ein zweites Mal bieten lässt.“

Mbembe gibt an, er habe keine Verbindungen zu BDS. Zu den anderen Vorwürfen äußerte er sich nicht, der offene Brief von Deutsch sei eine rassistische „Diffamierungskampagne“. Stefanie Carp rückt bisher nicht von ihrer Position ab. Mbembe würde weiterhin die Eröffnungsrede halten und sich vorbehalten gegen „die Kampagne“ gerichtlich vorzugehen.

Sicher ist dabei vor allem eines: 2020 markiert das letzte Jahr von Carps Intendanz. Ihre Nachfolgerin wird die Schweizer Regisseurin Barbara Frey. Es bleibt also die Hoffnung, dass die nächsten Jahre eine Ruhrtriennale ohne israelbezogenen Antisemitismus bieten könnten.

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