(Un)Gerechtigkeit und gefühlte Spaltung
Das Thema Gerechtigkeit beziehungsweise Ungerechtigkeit scheint für viele Sachsen wichtig zu sein. So sind beispielsweise 55 % der Befragten der Meinung, dass Ostdeutsche Bürger*innen zweiter Klasse seien. Ebenso denken 57 %, dass es in Deutschland ungerecht zugehe. Gefragt nach den Gründen, geben die meisten eher materielle Ursachen wie Löhne oder Renten an. Zugleich empfinden viele Befragte, dass die Gesellschaft insgesamt auseinander driftet. 62 % sehen den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Sachsen schwinden. Gefragt nach den Gründen, antworten beispielsweise 18 %, dass dies an der Aufteilung in Impfbefürworter*innen und Impfgegner*innen liegen würde. Hier sieht man gut, dass das Gefühl einer Spaltung nicht nur mit materiellen Werten einhergeht, sondern auch Folge unterschiedlicher Werte oder Meinungen sein kann.
Auf vielen Demonstrationen der Pandemie-Leugner*innen wurde auch immer wieder das Narrativ von „Denen da oben“ und „Wir hier unten“ bedient. Spaltung ist also nicht nur ein soziologisches Phänomen, es kann auch Ergebnis einer spalterischen Agitation sein. Einige Sachsen stellen durchaus fest, dass Rechtsextreme die Gesellschaft spalten und gefährden. Im Sachsen-Monitor geben immerhin 10 % der Befragten an, dass die Bekämpfung des Rechtsextremismus das derzeit größte Problem sein.
Demokratie zwischen Vertrauen und Misstrauen
Viele Menschen in Sachsen misstrauen demokratischen Institutionen, aber auch den sächsischen Medien. Besonders groß ist das Misstrauen gegenüber Politiker*innen. So glauben beispielsweise 70 % der Befragten, dass sie keinerlei Einfluss auf das Handeln der Politik haben, ebenso denken 62 %, dass sich Politiker*innen nicht um das Gemeinwohl kümmern würden. Diese Zahlen sind aus demokratie-praktischer Sicht alarmierend. Einerseits ist bekannt, dass Menschen, die sich macht- oder einflusslos fühlen, eher zum extrem rechten oder verschwörungsideologischen Denken neigen, andererseits mündet schwindendes Vertrauen in die Politik bei manchen in Hass und Gewaltvorstellungen gegenüber Politiker*innen.
Auch eine weitere Zahl des Sachsen-Monitor ist erschreckend: So sagen 9 %, dass sie bereit wären, mit Gewalt für ihre politischen Ziele zu kämpfen. Vor dem Hintergrund der derzeit wieder anlaufenden Montags- oder Wochenendproteste machen diese Zahlen Angst. Misstrauen in die Politik kann, muss aber nicht, auf demokratiefeindlichen Grundgefühlen basieren.
73 % der Sachsen sagen zum Beispiel auch, dass die Regierung keine soziale Ungleichheit abbauen würde. Hier ließe sich zumindest zeigen, dass Politik durchaus in Sachsen Programme aufgelegt hat, die das Ziel haben, soziale Ungleichheiten zu verringern. Zugleich braucht es sicherlich auch eine realistische Einschätzung, was Politik in diesem Feld leisten kann.
Schwindendes Vertrauen in die Medien
In der heutigen Zeit ist es sehr wichtig, sich aus seriösen Quellen zu informieren. Für die meisten Menschen in Deutschland und in Sachsen sind dies die öffentlich-rechtlichen Medien und die jeweilige Tageszeitung. Dort arbeiten in der Regel Menschen, die das Handwerkszeug des Journalismus gelernt haben und die sich gewissen ethischen und professionellen Prinzipien verschrieben haben. Dem gegenüber stehen die sogenannten Alternativ-Medien, die häufig nichts anderes als Meinungsmache oder Desinformation verbreiten.
Aus dem Sachsen-Monitor können wir ablesen, dass das Vertrauen der Sachsen in klassische Medien schwindet. Nur 26 % geben an, den Medien zu vertrauen. Etwas widersprüchlich zu dieser Zahl ist dann ein anderer Wert. Hier geben 63 % an, dass sie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vertrauen würden. Nach ihrem Vertrauen wurden die Befragten auch hinsichtlich anderer Institutionen gefragt. Neben Politik und Medien waren in der Pandemie besonders Wissenschaftler*innen wichtig. Erfreulicherweise geben 71 % der Befragten an, dass sie diesen vertrauen würden. Dass dies 29 % offenbar nicht tun, ist zugleich beunruhigend.
Demokratie oder „starke Hand“?
Im letzten Abschnitt unserer Analyse widmen wir uns den Ergebnissen zu politischen Einstellungen der Sachsen. Zwar geben die meisten Sachsen an, dass sie mit der Demokratie als System zufrieden sind, gefragt nach der konkreten Umsetzung in Deutschland und Sachsen ergibt sich aber ein differenziertes Bild. So wünschen sich beispielsweise 12 % der Sachsen eine Diktatur. Hier tritt auch ein Gefälle zwischen den Regionen auf. Im Osten und Westen des Landes sowie generell in den ländlichen Gegenden ist dieser Wunsch stärker als im Norden oder in den Großstädten des Freistaates.
Mit Blick auf die aktuelle Politikvorstellung tendieren viele Sachsen zu autoritären Lösungen. 63 % wünschen sich eine „starke Hand“, 36 % sind sogar der Meinung, es brauche nur eine einzige Partei. Solche Vorstellungen sind auch immer wieder Thema auf den Montags- oder Wochenendprotesten. Hier werden demokratische Politiker*innen als Volksverräter gebrandmarkt, weil diese beispielsweise eine Politik vertreten, welche den Demonstrierenden missfällt.
Geringe Akzeptanz von Minderheiten
Mehr als 30 Jahre nach der Wende muss damit festgestellt werden, dass manche Sachsen das Prinzip einer modernen, pluralen Demokratie noch immer nicht verstehen oder schlicht und weg ablehnen. Wer autoritäre, homogene Politikansätze verfolgt, hat in der Regel auch wenig Verständnis für gesellschaftliche Minderheiten. So ist es nicht verwunderlich, dass die Bedeutung der sogenannten Minderheitenpolitik von vielen Sachsen extrem überschätzt wird. 45 % sind der Meinung, dass in Deutschland zu viel Wert auf die Rechte von Minderheiten gelegt wird. Vor dem Hintergrund der noch immer gravierenden Diskriminierung diverser Gruppen zeigen diese Zahlen, dass viele Sachsen diese Realitäten nicht anerkennen wollen.
Weniger Menschenfeindlichkeit – doch keine Entwarnung
Im Sachsen-Monitor wird auch die Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit erfasst. Hier zuerst die gute Nachricht: Manche Zustimmungen zu menschenfeindlichen Ansichten sind rückläufig. Andererseits sind viele Ergebnisse nach wie vor Anlass zur Sorge. 16 % der Sachsen denken, dass Juden zu viel Einfluss in der Welt haben. 14 % meinen, dass Weiße zu Recht führend in der Welt seien und 51 % denken sogar, dass Langzeitarbeitslose ein schönes Leben auf Kosten der anderen führen. Diese Zahlen machen deutlich, dass nach wie vor einiges zu tun bleibt, um beispielsweise mit politischer Bildung Aufklärung zu leisten. Eine Demokratie braucht grundlegend gleichwertige Verhältnisse sowie die Akzeptanz von Grundrechten für alle in einem Land lebenden Menschen.
Zum Schluss noch eine erfreuliche Zahl: 88 % der Sachsen finden, dass politische Bildungsarbeit an Schulen wichtig ist. 80 % sind dieser Meinung in Bezug auf Erwachsene. Das sächsische Büro der Amadeu Antonio Stiftung legt einen großen Schwerpunkt seiner Arbeit auf beide Aufgabenfelder. So bleibt zu hoffen, dass mit diesen Angeboten auch weiterhin dafür geworben werden kann, nicht nur Gerechtigkeit, sondern auch Gleichwertigkeit als Grundwert des Zusammenlebens in Sachsen zu etablieren.
Benjamin Winkler leitet das Büro der Amadeu Antonio Stiftung in Sachsen.
Das Foto wird unter der Creative Commons Lizenz CC BY 2.0 veröffentlicht.