2021 wird der Sächsischen Förderpreis für Demokratie schon zum 15. Mal verliehen. Mehr als 52 Bewerbungen von Initiativen, Vereinen und Kommunen hat die Jury in diesem Jahr gesichtet, am Ende wurden acht Bewerbungen nominiert. Am heutigen 8. November wird sich bei der Preisverleihung in Dresden zeigen, wer von den Nominierten ausgezeichnet wird. Belltower.News stellt die Nominierten vor. Heute: spreu X weizen bringt Informationskompetenz an sächsische Schulen.
Was macht spreu x weizen?
spreu X weizen. Nachrichten kritisch denken. ist ein Bildungsprojekt zur Förderung von Nachrichtenkompetenz, also der Fähigkeit, Informationen zu analysieren und kritisch einzuordnen.
Warum wurde das Projekt gegründet?
Wir müssen lernen, die Spreu vom Weizen zu trennen. Doch gerade an Schulen wird diese Aufgabe immer noch grob vernachlässigt. Hier setzt das Bildungsprojekt spreu X weizen. Nachrichten kritisch denken. an: Jugendliche sind als Digital Natives zwar kompetente Social-Media-Nutzende, jedoch selten gewappnet gegen Desinformation und Filterbubble-Effekte. Nur wenige Jugendliche wissen, wie Journalismus funktioniert, welche Unterschiede es in der Berichterstattung gibt, und was bewusst verbreitete Falschmeldungen anrichten können. Das wollen wir ändern.
Wen will das Projekt erreichen?
Unsere Bildungsangebote richten sich an Jugendliche und junge Erwachsene, zunehmend auch an Lehr- und pädagogische Fachkräfte.
Sie haben auch ein Spiel entwickelt. Können Sie das Spiel das kurz erklären?
Serious Games ist ein Konzept, das den Unterricht von heute zeitgemäßer und zielgruppengerechter macht. Spielerisches Lernen am Smartphone verbindet digitale Themen mit interaktiven Methoden. Deshalb haben wir in Zusammenarbeit mit dem Leipziger Studio RotxBlau als Workshop-begleitendes Material ein Lern- und Taktikspiel entwickelt, durch das Jugendliche lernen, welche weitreichenden Folgen jede Entscheidung im Ökosystem der Nachrichten für das gesellschaftliche Zusammenleben hat.
Unser Lernspiel „True Fake“ ist ein App-basiertes Spiel. Die Handlung findet im Setting einer Kundgebung statt. Diese Zusammenkunft wird in einer fiktiven Gesellschaft und von einer unbekannten Organisation veranstaltet. Die Nutzenden müssen in der Rolle eines Zeitzeugen auf die Stimmung der Demonstrierenden reagieren. Dabei haben sie die Wahl, ob sie Misstrauen unter den Demonstrierenden säen wollen, zum Beispiel indem sie die Protestierenden mit konstruierten Fake-News manipulieren, oder aber anhand faktenbasierter Nachrichten das Vertrauen in die Bewegung wiederherstellen. Im Laufe des Spiels lernen die User:innen, inwiefern Desinformationen als politische Strategie eingesetzt werden. Um das Spiel zu gewinnen, müssen die Jugendlichen Faktencheck-Strategien anwenden, wobei ihnen vor allem Methoden journalistischer Berichterstattung helfen.
Zusammen mit dem Spiel wird ein didaktisches Begleitmaterial zur Verfügung gestellt. Wir hoffen, dass „True Fake“ so gut an den schulischen Fachunterricht, aber auch außerschulische Kontexte, adaptiert werden kann.
Mit Ihrer Arbeit wollen Sie „Fake News“, also Desinformationen, entgegenwirken. Glauben Sie, dass besonders Sachsen Ihre Arbeit braucht? Wenn ja, warum?
Nachrichtenkompetenz, also das Wissen über Nachrichten und das Mediensystem in Deutschland, die Fähigkeit, Informationen kritisch zu bewerten, zu nutzen und ihre gesellschaftliche Relevanz wertzuschätzen, ist eine demokratische Schlüsselkompetenz. Wir müssen im Hinterkopf behalten, dass die meisten Desinformationen sich um das Thema Migration und innere Sicherheit, und seit Ausbruch der Pandemie natürlich auch Corona, drehen. Wenn wir uns nun menschenfeindliche Bewegungen wie PEGIDA oder die hohe Wahlzustimmung für die AFD in Sachsen anschauen, dann wird schnell deutlich, dass der Bedarf an Bildungsprojekten wie spreu X weizen hier besonders groß ist.
Sind Desinformationen und das „Lügenpresse“-Narrativ in Sachsen besonders? Wenn ja, warum?
Verschiedene Studien, u.a. die Mainzer Langzeitstudie Medienvertauen oder die Allensbacher Studie zur Nachrichtenkompetenz zeigen, dass das Vertrauen in etablierte journalistische Medien in Ostdeutschland vergleichsweise gering ist. Ein niedriges Medienvertrauen korreliert nachweislich mit geringer Nachrichtenkompetenz, darunter fällt die Fähigkeit, echte journalistische Nachrichten von Fake News zu unterscheiden. Menschen, die dem traditionellen Journalismus misstrauen, beziehen ihre Informationen zunehmend aus sog. Alternativen Medien, also Medien, die sich bewusst von traditionellen Medienangeboten abgrenzen und journalistische Qualitätskriterien oft missachten. Diese Menschen sind häufiger gefährdet, Fake News aufzusitzen und ihrerseits weiterzuleiten.
Sind Sie und Ihre Arbeit vielen Anfeindungen ausgesetzt? Wenn ja, können Sie Bespiele erzählen?
Bis jetzt hatten wir Glück und blieben von Drohungen oder Schlimmerem weitgehend verschont.
Sie sind für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie nominiert. Braucht Sachsen mehr Demokratie?
Ich glaube, dass wir, was unser demokratisches System in Deutschland angeht, insgesamt ganz gut aufgestellt sind. Worum ich mich eher sorge, vor allem in Sachsen, ist das Vertrauen in dieses System und in demokratische Institutionen. Außerdem spürt man hier wie in kaum einem anderen Bundesland, wie die Grenzen des Sagbaren sich immer weiter nach rechts verschieben – alles unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit bedeutet aber nicht, alles sagen zu können, was man möchte, sondern findet ihre Grenzen dort, wo Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit beginnen.
Mehr zum Projekt:
Weitere nominierte Projekte des Sächsischen Förderpreises für Demokratie 2021:
- SAfT e.V. – Zivilgesellschaft statt Nazi-Sticker
- Roter Baum Zwickau – „if the kids are united against racism“
- CSD Chemnitz will Werte offen zeigen und leben
- colorido e.V. – Mehr Demokratie statt Rassismus und Antisemitismus
- spreu x weizen: Mit „True Fake“ gegen Desinformationen
- Die Initiative „bringback our neighbours“ aus Pirna
- Das Projekt „Offener Prozess“ des ASA-FF e.V. aus Chemnitz
- Die Stadt Hoyerswerda wird nominiert, weil diese ausgehend von den rassistischen Pogromen vor 30 Jahren eine Trendwende geschafft hat.