Der Aufstieg der AfD zur zweitstärksten Kraft nach den Landtagswahlen in Sachsen ist die Folge politischer Versäumnisse über Jahrzehnte. Das Ausmaß rechter Gewalt wurde jahrelang ebenso verharmlost wie das Versagen der Behörden bei der Aufdeckung des NSU, der lange unentdeckt im Freistaat untertauchen konnte. Nicht zuletzt die rassistische und rechtsradikale „Pegida“-Gruppierung seit Jahren dazu bei, dass Sachsen bundesweit ein Image als Hochburg des Rechtsextremismus anhängt.
Doch immer nur auf Sachsen zu schimpfen und immer nur zu kritisieren, was hier schief läuft, macht letztendlich nichts besser. Vielmehr müssen wir diejenigen stärken, die hier trotz widriger Umstände nicht aufgeben und weiter für Demokratie kämpfen. Denn die Pegida-Wutbürger*innen und AfD-Sympathisant*innen sind ist nur ein Teil der sächsischen Gesellschaft,, auf der anderen Seite gibt es hier sehr engagierte und mutige Menschen, die sich für Vielfalt und Menschlichkeit einsetzten und das zum Teil unter schwierigen Bedingungen. Nur leider schenkt die Öffentlichkeit ihnen in der Regel zu wenig Beachtung. Am 12. November 2019 wurde ihnen in Dresden jedoch ein ganzer Abend gewidmet. Im Festspielhaus Hellerau wurde zum 13. Mal der sächsische Förderpreis für Demokratie verliehen.
„Dorf der Jugend“ – Gelebte Utopie in Grimma
Der mit 5.000 Euro dotierte Hauptpreis geht an diesem Abend an das „Dorf der Jugend“, ein Projekt des Fördervereins für Jugendkultur und Zwischenmenschlichkeit aus Grimma. Das Dorfprojekt ist eine von und für Jugendlichen geschaffene Utopie in der sächsischen Provinz. Vom Skatepark, einem Gemüsegarten, einer Fahrradwerkstatt bis hin zu einem Festival verwirklichen junge Menschen dort ihre eigenen Ideen. Wegen seiner dezidiert antirassistischen Ausrichtung sieht sich das Dorfprojekts immer wieder rechtsradikalen Angriffen ausgesetzt.
„Kontaktstelle Wohnen“ und Filmclub von der Rolle e.V
Einer von vier Anerkennungspreise ging an das Projekt „Kontaktstelle Wohnen“ in Leipzig von Zusammen e.V.. Hier unterstützen engagierte Menschen Geflüchteten bei der Suche nach Wohnungen.
Ein weiterer mit 1.000 Euro dotierter Anerkennungspreis geht an diesem Abend an den Filmclub von der Rolle e.V. mit dem Projekt „Queere Aktionstage /Queer Area“ aus Görlitz. Die Gruppe engagiert sich für mobiles Kino und hat dabei vielfach queere Perspektiven im Blick, um diese auch in ländlichen Regionen in Sachsen sichtbar zu machen.
„Wahlkampf für die Demokratie“ und „2262 – Europa im Krieg“
Auch die „Buntmacher*innen“ und ihr Projekt „Lichterwege/ Wahlkampf für die Demokratie“ aus Chemnitz werden an diesem Abend mit einem Anerkennungspreis geehrt. In einem von populistischen, überwiegend polemisch geführten Wahlkampf in Sachsen zogen die Buntmacher*innen in zweier Trupps von Haustür zu Haustür und machten Wahlkampf für die Demokratie.
Ein weiterer Anerkennungspreis ging an Augen auf e.V: mit dem Projekt „2262 – Europa im Krieg“. In ihrer Kunstaktion stellen sie 2.262 Paar Schuhe aus. Sie sollen an die laut UNHCR alleine im Jahr 2018 2.262 ertrunkenen Menschen im Mittelmeer erinnern. Die Aktivist*innen versinnbildlichen den Kern des moralischen und politischen Skandals im Mittelmeer. Ihre Kunstperformance zeigten die Aktivist*innen auch am Eingang des Festspielhauses in Hellerau, so dass alle Besucher*innen des Abend durch ein Meer aus 2.262 Paar Schuhen zum Eingang liefen.
Sonderpreise für die Uhrenmanufaktur NOMOS und die Stadt Thalheim
Einen Sonderpreis erhielt am Abend die Uhrenmanufaktur NOMOS aus Glashütte im Osterzgebirge. Ihre Geschäftsleitung veröffentlichte im September 2018 einen offenen Brief, in dem sie eine klare Haltung gegen Rechtsradikale bewies. Doch wer sich in Sachsen so eindeutig zur Demokratie bekennt wie das Unternehmen, trifft oft auf heftigen Widerstand. Das Unternehmen bietet mittlerweile innerbetriebliche Argumentationsworkshops für Mitarbeitende an. „Ein Klima von Intoleranz und Rassismus werden wir bei NOMOS Glashütte nicht dulden“, so die Geschäftsleitung.
Der Kommunenpreis ging an diesem Abend an die Stadt Thalheim im Erzgebirge mit dem Projekt „Machen statt Meckern“. Der Bürgermeister Nico Dittmann und sein Team aus der Stadtverwaltung bringen die Bürger*innen der Gemeinde durch verschiedene Aktionen wieder näher an die Demokratie heran. Angesichts des demografischen Wandels, versucht die Kommune besonders junge Menschen für demokratische Prozesse zu begeistern. „Demokratie ist nicht einfach. Sie ist verdammt harte Arbeit“, so der Bürgermeister Dittmann, als er den Preis entgegennimmt.
Lothar Ungerer: „Mit rechtsextremen Parteien und Politikern ist kein Staat zu machen“
„Der demografische Wandel erfordere Anpassungen und eine Ausgestaltung ist kompliziert“, meint auch Professor Lothar Ungerer, Bürgermeister der sächsischen Stadt Meerane in einer Rede. Seine Kommune erhielt 2017 den Kommunenpreis für ihr herausragendes Engagement gegen Rechtsextremismus. „Für trennscharfe politische Analysen benötigen wir ein breiteres Vokabular; spezifische Phänomene müssen exakt beim Namen genannt werden“, fordert er angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen im Umgang mit Rechtsradikalen und Rechtsextremen. „Mit rechtsextremen Parteien und Politikern, die diesen Staat verachten, ist kein Staat zu machen. Die Partei AfD ist nicht eine Alternative im System, sondern versteht sich als Alternative zum System.“
Cem Özdemir: „Ich verneige mich vor euch“
Nachdem alle Preise ihren wohlverdienten Preisträger*innen übergeben wurden, bedankte sich auch Grünen-Spitzenpolitiker Cem Özdemir als Laudator bei den Preisträger*innen und allen weiteren engagierten Menschen: „Ich verneige mich vor euch“.
Der Sächsische Förderpreis für Demokratie wird ausgelobt von der Amadeu Antonio Stiftung, der Freudenberg Stiftung, der Sebastian Cobler Stiftung, der Cellex Stiftung, der Dirk Oelbermann Stiftung und der Stiftung Elemente der Begeisterung.