Belltower.News: Am 14. Juni 2020 zog die „Karawane der Vernunft“ mit über 30 Fahrzeugen von Zittau nach Bautzen. Wie kam es zu dieser Aktion?
Dorothea Schneider: Ab Mai dieses Jahres haben sich zunächst Menschen entlang der B96 versammelt, um gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Mit der Zeit kam es zu einer Vermischung des Publikums. Neben den Kritiker*innen reihten sich auch immer mehr Menschen des rechten Spektrums ein, sodass zahlreiche Reichsflaggen und Symbole der „Identitären Bewegung“ regelrecht zu einem „Flaggenmeer“ führten. Die Medien hatten diese Entwicklung zunächst nicht ausreichend ernst genommen und berichteten z.B. von der Verwendung von „Fahnen verschiedenster Epochen Deutschlands“, was bei uns zu Frust führte. Also haben wir eine Austausch-Runde für diejenigen geschaffen, die sich gegen Rechtsextremismus und Verschwörungsideologien und für Toleranz und Weltoffenheit einsetzen wollten. Mit dabei waren u.a. der DGB Ostsachsen, das Theater Zittau, der „Augen auf e.V.“ und Jugendclubs und viele mehr aus der Region.
Wofür steht Ihre Initiative und was möchten Sie Bürger*innen vermitteln?
Wir stehen dafür, dass jede*r das Recht auf Meinungsäußerung hat und diese kundtun darf. Jedoch stehen wir auch dafür, Achtung davor zu haben, was man sagt und dementsprechend Äußerungen zu hinterfragen. Wir wollten aufzeigen, dass rechtsextreme Parolen und Meinungsäußerungen nicht unbeachtet bleiben und wir ihnen keine Plattform geben möchten, da sich ihre Strukturen gegen demokratischen Werte, Weltoffenheit und Toleranz richten.
Gibt es einen bestimmten Grund für die Attraktivität der B96 für Rechtsextreme und bestehen die Proteste weiterhin?
Schon zu DDR-Zeiten war die B96 eine beliebte Route für Proteste und Initiativen, da sie bis nach Sassnitz an der Ostsee führt und dementsprechend immer viel befahren ist und auch von Tourist*innen Aufmerksamkeit bekam, weshalb sie wohl auch von den Rechtsextremen im Mai 2020 gewählt wurde. Diese Proteste finden immer noch statt, allerdings hat sich das Publikum geändert. Zum einen erkläre ich es mir damit, dass Teilnehmende, die zu Beginn teilnahmen, nicht mit dem rechtsextremen Bild in Verbindung gebracht werden wollten. Zum anderen lässt sich eine Art „Professionalisierung“ feststellen: Es gibt nun eine Hymne, die in den Fahrzeugen unter dem Motto „Sachsen zeigt Gesicht“ abgespielt wird, Drohnen begleiten den Korso, die Schilder sehen professioneller aus und es sind sogar noch mehr rechtsextreme Symbole zu sehen. Mittlerweile finden die Proteste etwas konzentrierter statt, sodass sich an bestimmten Plätzen meist 20 bis 30 Menschen versammeln.
Wie wurde die „Karawane der Vernunft“ von den Bürger*innen aufgenommen?
Zunächst muss man sagen, dass die Aktion über die Landkreisgrenzen hinaus sehr positiv aufgenommen und kommentiert wurde. Uns erreichten über 100 Postkarten mit Zuspruch und lieben Worten dazu, wie mutig und wichtig unsere Aktion sei. In der Region um Zittau und Bautzen selbst allerdings trafen wir oftmals auf Unmut, da Anwohner*innen unsere Aktion als Gegenangriff auf die Proteste im Allgemeinen sahen und nicht auf die Verwendung und Verbreitung rechter Denkweisen und Symboliken. Sie sahen es zum Teil als unnötig an, da die Proteste bis dahin friedlich verlaufen seien. Schon vor der Aktion wurden unsere Aufrufe und Werbeplakate größtenteils zerstört und entfernt. Während der Karawane haben wir Anfeindungen erlebt, sodass nach einigen Teilnehmenden gespuckt und geschlagen wurde. Danach wurde sogar das Haus und Auto von Teilnehmenden mit Hakenkreuzen beschmiert.
Wie gehen Sie mit solchen Anfeindungen um?
Bei einigen Angriffen und Beschädigungen konnten Täter*innen ausfindig gemacht werden, sodass wir Anzeigen stellen konnten. Mit so einem Gegenwind haben aber auch bestimmte Träger*innen und Sponsor*innen nicht gerechnet, sodass einzelne Akteure und Menschen begannen, sich zurückzuziehen und sich zu distanzieren. Nichtsdestotrotz stehen wir zu unserer Aktion und damit zu unseren Werten und Überzeugungen. Selbst eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Geschäftsführung des Theaters Zittau seitens der AfD verteidigte diese mit der Begründung, auch Theater hätten eine politische Verantwortung und diese möchte sie übernehmen.
Die B96-Proteste gehen weiter. Haben auch Sie weitere Aktionen geplant?
Derzeit sind wir mit der Aufarbeitung der Aktion beschäftigt und werden dazu weiteres Material auf Facebook oder einer eigenen Webseite sammeln. Wir beobachten die Proteste weiterhin, insbesondere jetzt, da sich die Beschränkungen erneut verschärft haben. Außerdem muss man anmerken, dass die Polizei und zuständige Ordnungsbehörden nun verstärkt vor Ort sind und Kontrollen durchführen.
Sie sind für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie nominiert. Braucht Sachsen mehr Demokratie?
Ja, unbedingt. Dazu muss man gar nicht mehr sagen. Es fehlt oftmals auch einfach noch an Wissen, was genau Demokratie ist und an dem Bewusstsein dafür, wie sie gelebt werden kann und soll.
Die Preisverleihung findet am heutigen 10. November 2020 um 18 Uhr statt – pandemiebedingt leider nicht im Staatsschauspiel in Dresden, sondern digitalt. Mehr dazu hier:
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