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School-Shooting Der Schwarze Incel-Mörder von Nashville

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Nach dem Mass Shooting an der Antioch Highschool in Nashville kommt der Schulalltag zum Erliegen. (Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | George Walker IV)

Ein 17 Jahre alter Teenager hat am Mittwoch, dem 22. Januar, an der Antioch High School in Nashville, Tennessee, eine Mitschülerin ermordet und sich dann selbst getötet. Zwei weiterer Schüler wurde verletzt. Seine mutmaßliche Social Media-Präsenz und ein 52 Seiten langes Manifest, welches er auf seinem X-Account veröffentlicht hatte, legen nahe, dass die Tat von Incel-Ideologie und der rechtsextremen akzelerationistischen Bewegung motiviert war.

Incels, das sind junge Männer, deren Ideologie sich durch Frauenhass, Selbsthass und Fatalismus auszeichnet. Eine weit verbreitete Fehlannahme ist, dass Incels eine weiße Subkultur seien. Dies stimmt nicht – laut Selbstangaben der User auf dem größten Incel-Forum ist ungefähr die Hälfte nichtweiß. So wie auch der Täter von Nashville.

Nicht-weiße Incels

Nicht-weiße Incels zeichnen sich jedoch durch einen tiefsitzenden internalisierten Rassismus aus, der zu dem ohnehin bei Vertretern dieser digitalen Subkultur virulenten Selbsthass beiträgt. Paradox ist, dass der Täter auch rechtsextreme Inhalte vertritt. Auf seinem mutmaßlichen Instagram-Profilbild trägt er ein Shirt der Neonazi-Band „Burzum“, bezeichnet sich als „letzten, wahren Rhodesier“ und postete ein Bild, auf dem sein Gesicht mit einem SS-Totenkopf verdeckt wird. Ein anderes zeigt ihn in einem Pullover des Incel-Musikers „Negative XP“. Auf einem dritten Bild trägt er ein T-Shirt, auf dem eine bewaffnete Anime-Figur vor dem Konzentrationslager Auschwitz abgebildet ist.

Ähnlich widersprüchlich ist sein Manifest, das der Täter als “N*****cel Manifesto“ betitelt hat (das N-Wort ist ausgeschrieben) und auf dessen erster Seite eine schwarze Sonne prangt, in deren Mitte sich die rassistische Karikatur eines Schwarzen befindet, welche häufiger in rechtsextremen Imageboard-Kontexten verwendet wird.

Schwarze Incels machen einen recht geringen Teil der Community aus, aber einige Punkte finden sich in ihren Foren-Einträgen immer wieder. Darunter fallen die These, dass „jüdischer Einfluss“ Schwarze Menschen durch Kulturindustrie wie Hip Hop korrumpiert und „degeneriert“ hätte. Schwarze Incels, darunter auch der Schütze von Nashville, grenzen sich stark von anderen Schwarzen Menschen ab. Sie werden entweder als stereotype „Gangster“ abgewertet oder, wenn es sich um antirassistisch engagierte BPoC handelt, wegen deren Linksintellektualismus als Vertreter*innen einer kulturmarxistischen Agenda kritisiert. Hier finden also Selbsthass, internalisierter Rassismus und Antisemitismus in einer mörderischen Ideologie zusammen. Antisemitische Verschwörungsnarrative und Stereotypen nehmen mehrere Seiten des Manifests ein.

Hommage an den Christchurch-Täter

Außerdem zelebriert er den Terroristen des gegen Muslime gerichteten Christchurch-Attentates. Sein Manifest ist in seiner Form durchaus eine Hommage an das des Christchurch-Terroristen: Memes, eine Question & Answer-Sektion, zynisches „Shitposting“, also Falschaussagen, mit dem Ziel, die Leser*inennschaft zu irritieren.

Die Instagram-Bio des Täters gibt Aufschluss über seinen ideologischen Hintergrund und seine rechtsterroristische Einstellung. (Quelle: Screenshot)

Er geißelt die verweichlichte, moderne Gesellschaft, ein klassisches Moment faschistischen Denkens und inszeniert sich selbst als eine Art nietzscheanischen Übermensch, was sich immer wieder in den Texten von Terroristen oder Amokschützen findet. Sie glauben, sie würden über den Dingen und anderen Menschen stehen, und nehmen sich somit das Recht, ihnen Gewalt anzutun, diese Gewalt wird zudem als Notwendigkeit glorifiziert. Die Welt muss von als „minderwertig“ erachteten Menschen gereinigt werden – und wer ein Anrecht auf Leben hat, bestimmt der Täter. Weitere Aspekte sind Frauenhass und Transfeindlichkeit.

Akzelerationismus

Sein Manifest enthält gezielte Anleitungen zu Terrorakten und referenziert andere akzelerationistische Werke. Dies ist üblich für Akzelerationisten, eine Untergruppe von Rechtsterroristen. Sie hängen der Strategie an, die bürgerliche Gesellschaft durch Terrorakte zu zerrütten, um sie dann in einem rechtsextremen Putsch übernehmen zu können. Interessant ist jedoch der Incel-Einschlag: Er gibt Incel-Terroristen konkrete Tipps, wie sie ihr Äußeres vor der Tat verbessern können („Crimemaxxing“, eine Referenz auf den Incel-Begriff „Looksmaxxing“).

Der Täter hat sich vermutlich online radikalisiert. Er nennt den Neonazi und Incel Nick Fuentes als einen Einfluss seiner Ideologie und bezeichnet sich als „Groyper“ – der Eigenname von Fuentes‘ Anhängern. Sein Manifest ist gespickt mit Memes und Referenzen auf gleichgesinnte Täter. Viele von ihnen sind Neonazis und Incels, er bezeichnet sie, wie in der Community üblich, als „Heilige“ und Inspiration. Ein Abschnitt im Manifest fällt auf: „Mir ging es so schlecht, ich wollte mich selbst töten, ich konnte es nicht mehr ertragen. Ich bin ein wertloser Untermensch, eine lebende, atmende Schande.“

Ein Kernelement der Incel-Ideologie ist der Selbsthass. Der Weg daraus führt entweder über Suizid oder einem Racheakt an einer Gesellschaft. Gewalt scheint ihnen meist als legitime Rache gegenüber der ihnen so ungerechten Welt – anderen muss das Leid angetan werden, um die eigene Zerrissenheit wiedergutzumachen.

Das bittere ist: Dies wird vermutlich nicht das letzte Mass Shooting sein, das die USA in diesem Jahr heimsuchen wird, sondern eines von vielen. Unter der Präsidentschaft Trumps wird es keine stärkeren Waffengesetze geben, genauso wenig wie Maßnahmen gegen die Radikalisierung gekränkter junger Männer. Im Gegenteil: Nick Fuentes und Donald Trump haben bereits miteinander zu Abend gegessen. Und weiterhin werden US-amerikanische Eltern sich täglich fragen müssen, ob ihre Kinder lebendig aus der Schule nach Hause kommen.

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Im Gespräch: Die Autorin Veronika Kracher

Interview mit Veronika Kracher „Incels sind die Spitze des patriarchalen Eisbergs“

„Incel“ steht für „involuntary celibate“ – zu Deutsch „unfreiwillig zölibatär“. So heißt eine globale Online-Community, in der Zehntausende frustrierte junge Männer ihrem grassierenden Frauenhass freien Lauf lassen. Die Autorin Veronika Kracher hat die Szene in ihrem am 6. November 2020 erscheinenden Buch „Incels: Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults“ genauer untersucht. Im Gespräch mit Belltower.News erzählt sie, warum Antifeminismus die Einstiegsdroge in rechtsradikales Denken ist, Incels oft an Selbsthass leiden und die Incel-Szene lediglich die Spitze des patriarchalen Eisbergs ist.

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