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Schülerverbindungen „Teutsche Burschen“ zwischen Auspeitschungsritualen und Besäufnissen

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Schülerverbindung Saxonia Czernowitz (1922) (Quelle: Wikimedia Commons )

Vier junge Männer stehen oberkörperfrei mit dem Rücken zur Kamera in einer Reihe. Auf ihrer Haut bilden sich rote Wunden. Daneben sitzt ein weiterer Mann, grinsend. In der Hand hält er einen Lederriemen. Ein weiteres Bild zeigt zwei Personen, die einen Mann mit hinter dem Rücken verschränkten Armen kopfüber in einen Fluss tauchen. Die sieben Zuschauer grinsen.

Die Bilder, die am 16. Mai 2021 auf Instagram gepostet wurden, zeigen Ausschnitte eines Rituals zur Einführung neuer „Fuxe“, also neuer Mitglieder in die Schweizer Studentenverbindung „Wengia Solodorensis“. Die Rituale sollen eine Art Aufnahmeprüfung darstellen, aber auch ein verbindendes Moment schaffen.

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Die „Wengia Solodorensis“ interessiert sich aber nicht nur für Studenten, sondern bereits für Gymnasiasten. So schreibt sie auf ihrer Website: „Wir suchen weltoffene, liberal denkende Kantonsschüler (…). Wir bieten eine Verbindung über den Schullalltag hinaus, aus welcher sich Freundschaften ergeben, die oft ein Leben lang halten.“ Die Rede ist weiter von Netzwerken und Kontakten – das Auspeitschen am Fluss wird nicht verschriftlicht. Rechtsextrem aufgefallen ist die „Wengia Solodorensisnicht, martialische Rituale und Männerbilder werden hier aber offenkundig gepflegt.

Werbeanzeige zweier Schülerschaften im rechtsradikalen Magazin „Zuerst!“ (Abbildung mit freundlicher Genehmigung von AIDA)

Rund 150  Schülerverbindungen, teils auch Pennale Burschenschaft genannt, gibt es auch in Deutschland. Einige sind rechtsextrem zu verorten, andere eher nicht. Gymnasiasten ab 14 werden dazu animiert, sich ihnen anzuschließen. Die „Pennale Burschenschaft Normannia Winterberg zu Passau schreibt beispielsweise in einer Anzeige im rechtsextremen Magazin „Zuerst!“: „Schüler in München und Passau aufgepasst! Bist Du Deutscher? Bist Du auf einem Gymnasium im Raum München oder Passau? Willst du Kneipen und Budenfeten erleben? Bist Du bereit eine Mensur zu schlagen? [Eine Mensur ist ein ritualisierter Fechtkampf.]  Kurz: Willst Du mehr aus Dir machen als die anderen? Dann komm zu unserer Schüler-Burschenschaft in München oder Passau!“ Der Slogan unter der Anzeige: „DEUTSCH. WAHR. TREU“. Die Pennale Burschenschaft teilt sich die Anzeige mit der Schülerverbindung „Saxonia-Czernowitz“ aus München, bei der auch Neonazi und ex-AfDler Andreas Kalbitz Mitglied war. Die Anzeige zeigt, wie explizit Kinder mit dem Versprechen nach Partys und Gemeinschaft angeworben werden sollen. Zumindest wenn sie deutsch und männlich sind.

Die Schülerverbindung „Saxonia“ wurde bereits vom Verfassungsschutz ins Auge gefasst. Die Schülerverbindung „Normannia“ steht in engem Austausch mit der„Burschenschaft Markomannia Wien zu Deggendorf“, die Mitglied des rechtsextremen Verbundes “Deutschen Burschenschaften” ist und zunächst 2019 vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, doch dagegen vorging. Ein Großteil der Schülerschaften achtet jedoch darauf, nicht eindeutig als rechts lesbar zu sein:  „Jugendliche, die noch nicht wissen, dass es sich hier um extrem rechte Gruppen handelt, will man quasi schon vom Gymnasialalter einbinden.“, erklärte der Rechtsextremismusexperte Robert Andreasch des Münchner A.I.D.A.-Archivs gegen Rechtsextremismus bereits 2013.

Nach dem Eintritt muss sich der jeweilige Schüler ein Jahr verschiedenen Prüfungen unterziehen. Daraufhin wird er vollwertiges Mitglied, oder „Bursche” bis zum Abitur. Da es oft eine entsprechende Verbindung auch für Studierende gibt, können die Abiturienten gleich nach der Schule in die angegliederte Studentenverbindung wechseln.

Von diesen gibt es wiederum um die 900 in Deutschland, mit 30 Dachverbänden. Prominente Mitglieder im Berufsleben, auch „Alte Herren“ genannt,  sind unter anderem Armin Laschet, Friedrich Merz, Markus Söder oder Thomas Gottschalk. Studentenverbindungen sind nicht per se rechtsextrem, etliche jedoch schon, wie beispielsweise die 36 Mitgliedsverbindungen der „Burschenschaftliche Gemeinschaft“  in Deutschland und Österreich, die einen „volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriff” verfolgen. Dazu zählen unter anderem die Hamburger Burschenschaft „Germania“, die Deggendorfer „Markomannia“, die Münchner „Danubia“, die Berliner „Arminia“ und die Burschenschaft „Frankonia“ in Erlangen.

Burschenschaften sind ein Teilbereich der Studentenverbindungen. Sie treten nach außen politisch auf und stellen Forderungen, während andere Formen, wie katholische Verbindungen, Sängerschaften oder Damenverbindungen, zumindest dem Selbstbild entsprechend parteipolitisch neutral bleiben wollen. Doch auch ohne Parteipolitik werden gesellschaftliche Statements gesetzt: Mitglieder der katholische Studentenverbindung „Oeno-Danubia“, nahm beispielsweise am 15. Mai 2021 am „Marsch für das Leben“ in Berlin und den Passauer „40 Tagen für das Leben“-Mahnwachen gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche teil.

Die verschiedenen Studentenverbindungen und Schülerverbindungen verstehen sich als Bund auf Lebenszeit. Sie sind soziale Anlaufstelle, Vernetzungsort und Verbände zur Pflege von Bräuchen und Traditionen. Dazu gehören ein strikt binär geteiltes und normatives Geschlechtssystem, wie der weitestgehende Ausschluss von Frauen und queeren Menschen beweist. Der Sängerschafter Karsten Hohage beschreibt in seinem Buch „“Männer-WG mit Trinkzwang“: „Die Haltung der meisten klassischen Männerverbindungen gegenüber Frauen könnte man in etwa wie folgt beschreiben, wollte man das poetisch tun: Frauen sind wie das Meer – wunderschön, manchmal aufregend und wild, manchmal beruhigend und sanft. Sie fordern uns heraus, sie zu ergründen, sie zu bereisen und sie zu erobern. Nur – wie auch das Meer – wollen wir sie auf Dauer nicht im Haus haben“. Die Frauen in den verhältnismäßig seltenen gemischten Verbindungen und Damenverbindungen werden in der Szene auch als „Tittenbuxen“ abgewertet.

Rassismus, Antisemitismus und NS-Verherrlichung der Burschenschaften

Weit verbreitet sind außerdem antisemitische, völkische und rassistische Überzeugungen, wie der Streit 2011 um den sogenannten „Ariernachweis“ im größten Korporationsverband „Deutsche Burschenschaft“ zeigte. Der schwarze Student Leon Montero berichtete über verschiedene persönliche Erfahrungen in Burschenschaften. Während in einer katholischen Verbindung in Würzburg „nur“ rassistische Begriffe verwendet wurden, erzählt er von rechten Burschenschaften mit Reichskriegsflaggen an den Wänden, Verweisen auf das Abstammungsprinzip und vermeintlich scherzhaften Hitlergrüßen. In Heidelberg wird seit Mai 2021 gegen zehn Mitglieder der Burschenschaft „Normannia zu Heidelberg“ ermittelt, nachdem sie einen jüdischen Mann antisemitisch beleidigt, mit Münzen beworfen und mit Gürteln geschlagen haben sollen. Die Deggendorfer „Markomannia“ steht auf der Spenderliste eines Gedenksteins an gefallene NS-Mitglieder und faschistische Freikorps – die in den Gedenkstein eingemeißelt ist.

Selbst unpolitische oder sich als liberal verstehende Verbindungen, zeichnen sich durch eine Liebe zur Hierarchie und brachiale Traditionen aus. Die Verbindung „Wengia Solodorensis“, zu deren Aufnahmeritual offenbar das Auspeitschen neuer Mitglieder gehört, sucht beispielsweise auf ihrer Website „weltoffene, liberal denkende Kantonsschüler mit Interesse an Politik, Gesellschaft und Wissenschaft, der Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen und dem Willen, im Leben mehr als andere zu erreichen“. Von den oben erwähnten Aufnahmeritualen ist dort keine Rede. Doch diese haben einen tieferen Sinn.

Wenn eine Person besonders harte Opfer bringen muss, um Zugang zu einer Sache, oder einer Gruppe zu bekommen, hat das oft den Effekt, dass sie unterbewusst die Gruppe als höherwertig ansieht, um das eigene Opfer vor sich rechtfertigen zu können. Auch im Alltag spielen selbstzerstörerische Rituale eine Rolle. Der Student Leon Montero berichtet von fast täglichen Alkoholexzessen als „verbrüderndes Element“, für die er eigens trainieren musste, um mithalten zu können. Wer nicht mehr kann, gilt als schwach und unsolidarisch:„Es existiert ein ganzes Regelwerk, der Biercomment. Wer auf Toilette will, muss beim Präsidium um Erlaubnis bitten und zur Strafe ein Bier exen“, erzählt er.

Die verschiedenen Studentenverbindungen und politischen Burschenschaften scheinen in ihrem ganzen Habitus oft aus der Zeit gefallen zu sein. Doch genau das kann sie auch für junge Menschen zu anziehend machen: Die Verbindungen geben autoritär Strukturen vor, veraltet wirkende Werte werden hier vermittelt. Darüber hinaus bilden ein bundesweites Netzwerk, mit guten Verbindungen in die, je nach Ausrichtung der Burschenschaft und ihrer Verbündeten, konservative bis rechtsextreme Szene und Politik. Oft nehmen sie auch eine Scharnierfunktion zwischen den Szenen ein – gesellschaftlich besonders bedenklich, wenn so rechtsextreme Ideen und Narrative in konservative Kreise getragen werden.In Teilen sind solche Verstrickungen auch dem Verfassungsschutz bekannt: Vereinzelte rechtsextreme Burschenschaften werden durch den jeweiligen Landes-Verfassungsschutz beobachtet, wie zum Beispiel die Hamburger „Germania“, die „Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg” oder die Münchner „Danubia“.

Umso besorgniserregender ist es, wenn auch rechtsextreme Netzwerke versuchen, über Schülerverbindungen noch minderjährige Menschen zu ködern. Doch auch ohne rechtsextreme Ideologie hinterlassen  schmerzhafte und aufwändige Aufnahmerituale Spuren über die Gruppenbindung hinaus.. Auch wenn sich die eingangs erwähnte Schülerverbindung „Wengia Solodorensis“ nicht klar rechtsextrem positioniert, können Rituale wie Auspeitschen emotionale und physische Schäden hinterlassen.

Für weitere Rechechen zu Burschenschaften und Studentenverbindungen kann der Blog Völkische Verbindungen Kappen herangezogen werden.

 

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