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Schwarze Sonne Neonazis posieren am Jahrestag des Anschlags vor Ulmer Synagoge

Am 5. Juni provozierten Neonazis aus dem Umfeld der Partei „Neue Stärke“ mit einer Schwarzen Sonne vor der Synagoge in Ulm – am Jahrestag des Anschlags auf das Gebäude. Es war eine Machtdemonstration, die hoffentlich Folgen hat: Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen.

 
Neonazis marschieren vor Ulmer Synagoge auf (Quelle: Pixabay, Screenshot)

Kurz nach 19 Uhr betraten am Sonntag, dem 5. Juni, vier Personen den Platz vor der Synagoge in Ulm. Sie waren vermummt und hielten zwei Banner in die Höhe. Auf einem eine Schwarze Sonne, auf dem anderen ein White-Power-Spruch. 

Der Ulmer Rabbiner Schneur Trebnik war zur Tatzeit nicht in der Synagoge anwesend, wurde aber im Nachhinein von Nachbarn über den Vorfall informiert, berichtet er Belltower.News. „Ich bin erschrocken darüber, dass sie ihre Aktion am helllichten Tag ausgeführt haben“, erzählt er. Auf den Überwachungskameras konnte er sehen, wie die Täter durch das schnelle Handeln der Nachbarn verjagt wurden. „Schon im Jahr zuvor ist es einem Passanten zu verdanken, dass nichts Schlimmeres passiert ist.“ Auch hier hat eine schnelle Reaktion eines Spaziergängers verhindert, dass es zu mehr als einer symbolischen Tat kam. Denn genau ein Jahr zuvor, am 5. Juni 2021, versuchte ein damals 45-jähriger türkischer Staatsbürger aus Ulm, die Synagoge in Brand zu setzen. Er scheiterte. Der mutmaßliche Täter setzte sich in die Türkei ab und wurde bisher nicht zur Verantwortung gezogen. Ort und Zeitpunkt für die jüngste neonazistische Machtdarstellung in Ulm sind daher kaum zufällig gewählt.

Schwarze Sonne: Erkennungszeichen moderner Neonazis

Selbstbewusst posierten die vier Männer an jenem Abend mit den beiden Bannern. Auf dem einen ist eine große Schwarze Sonne abgebildet, ein Erkennungszeichen unter Neonazis weltweit. Die Schwarze Sonne kann als eine Zusammensetzung von zwölf Sig-Runen oder als zwölfarmiges Hakenkreuz verstanden werden. Das Symbol, ein Kunstprodukt der SS, gilt als Ersatz für das verbotene Hakenkreuz.

Die Mär vom Genozid an weißen

Auf der zweiten Fahne war die Aufschrift „White Lives Matter – Stop the white Genocide“ zu lesen, dazu das Symbol der „White Power“-Bewegung. Die gefährliche Verschwörungserzählung vom angeblichen Genozid an Weißen, rekurriert auf den rechtsextremen Mythos des „Großen Austausches“, wonach eine böse, satanische Macht (meist sind hier Jüd:innen gemeint) durch „Rassenmischung“ und moderne Geschlechterbilder das weiße Volk auslöschen will. Diese Erzählung haben in den vergangenen Jahren international zahlreiche Rechtsextreme zum Anlass genommen, um blutige Terrortaten zu begehen.

Offenbar spielten die vier neonazistischen Männer von Ulm genau darauf an. Einiges an dieser rechtsextremen Provokation deutet darauf hin. Zum einen ist die Schwarze Sonne ein internationales Zeichen der Neonazi-Szene und war sowohl im Manifest des Christchurch-Täters abgebildet, der 2019 in zwei Moscheen 51 Menschen tötete. Das Symbol für „White Power“ vor einer Schwarzen Sonne wurde auch in den Dateien vom Täter aus Halle gefunden, der 2019 einen Anschlag auf die Synagoge in Halle geplant und dann zwei Menschen in der Umgebung erschossen hat. Auch der Rechtsterrorist von Buffalo (USA), der im Mai 2022 zehn Menschen tötete, veröffentlichte ein zutiefst rassistisches und antisemitisches „Manifest“, auf dessen Deckblatt eine Schwarze Sonne abgebildet ist und fantasiert von „Massenmigration“ und „weißem Genozid“.

Zum anderen trägt das zweite Banner einen englischen Spruch. Englisch ist die Sprache der international vernetzen Cyber-Nazis, zu deren Kreis auch viele rechtsterroristische Mörder gezählt werden und die hier verehrt werden wie Heilige. Für die klassische Neonazi-Szene ist es eher unüblich, mit englischsprachigen Bannern zu posieren.

Der angebliche weiße Genozid als Ursache für Rechtsterroristen

Der Täter von Halle sagte zu Beginn seiner Terrortat 2019 in einem Livestream: „Der Feminismus ist die Ursache für sinkende Geburtenraten im Westen und die dienen als Rechtfertigung für die Masseneinwanderung, die Wurzel aller Probleme sind die Juden“. Er spricht dieses einstudierte Pamphlet zur Erklärung seines rechtsextremen Weltbildes in Englisch. Was er damit meint: Ein angeblicher Genozid an dem weißen Volk müsse verhindert werden. Der Attentäter von Poway in Kalifornien (USA) der im April 2019 in einer Synagoge um sich schoss, eine Frau tötete und drei Menschen verletzte, veröffentlichte einen antisemitischen und rassistischen Brief, in dem von einem angeblichen „Genozid an der weißen Rasse“ die Rede ist. Dass die vier jungen Männer aus Ulm nun genau jenes Symbol und jenen Spruch verwenden, ist wohl kaum zufällig.

Identität von zwei der mutmaßlichen Täter bekannt

Wie der Rechercheblog Rechte Umtriebe in Ulm jetzt berichtet, sind ihm zwei Identitäten der mutmaßlichen Täter bekannt. Es sind Personen aus dem Umfeld der neu gegründeten neofaschistischen Partei “Neue Stärke Partei (NSP)”: Alex H. und Arthur. Alex H. gibt auf Social Media an, zur NSP-Abteilung in Stuttgart zu gehören und laut Rechte Umtriebe in Ulm gehört auch Arthur zur neuen Kleinstpartei. Der prahlte auch im Internet indirekt mit der Machtdemonstration vor der Synagoge.

Die nationalsozialistisch ausgerichtete Neue Stärke wurde im November 2021 gegründet und ist das Produkt einer Abspaltung von ehemaligen Kadern des III. Wegs. Seit einigen Jahren macht der III. Weg wie auch neuerdings die Neue Stärke Partei rechtsextreme Jugendarbeit, um junge Menschen für ihre faschistische Ideologie zu begeistern. Auch die Täter aus Ulm scheinen sehr jung. 

Ermittlungen wurden eingeleitet

Zwar ist mit dem Gepose der Neonazis niemand physisch zu Schaden gekommen. Mit dieser Aktion wollen die vier Männer jedoch Jüd:innen einschüchtern. Es war eine Machtdemonstration. Obwohl sie durch das schnelle Eingreifen der Nachbarn zügig verjagt wurden, bleibt zurück, dass Neonazis am helllichten Tag mit faschistischen Symbolen vor einer Synagoge in Deutschland posieren konnten. Wie die Polizei gegenüber Belltower.News bekannt gab, wurden Ermittlungen eingeleitet. 

Wurde neonazistische Musik vor der Synagoge abgespielt?

Die Staatsanwaltschaft Ulm gab gegenüber Belltower.News bekannt, dass sie derzeit wegen Volksverhetzung und Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen ermitteln. Jedoch sind weder das Zeigen der Schwarzen Sonne noch das Banner mit dem englischen Spruch in Deutschland verboten. In jener Situation sei für die Öffentlichkeit hörbare Musik abgespielt worden, gibt die Staatsanwaltschaft gegenüber Belltower.News an. Der Sachverhalt werde derzeit noch geprüft. Die Ermittlungen richten sich momentan noch gegen Unbekannt. 

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