„Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für weiße Kinder sichern.“ So lautet das eindeutige Ziel der „Eisenjugend Schweiz” („Iron Youth Schweiz”). Es ist ein Zitat des US-amerikanischen Rechtsextremisten David Lane, welcher unter Anhänger*innen der „White Supremacy“-Ideologie eine Ikone ist.
Als „White Supremacy” (Englisch für „weiße Vorherrschaft“, „Überlegenheit der Weißen“, dt. auch Suprematismus) werden im englischsprachigen Raum rassistische Ideologien bezeichnet, welche auf der Annahme beruhen, dass „Europide“ anderen menschlichen „Rassen“ prinzipiell überlegen seien und ihre privilegierte Stellung daher gewährleistet werden müsse.
Die „Eisenjugend Schweiz” bezeichnet sich als Schweizer Abteilung der „Iron Youth“, einer neonazistischen US-amerikanischen Gruppierung, die hauptsächlich über den Messenger „Telegram” kommuniziert.
Vorbilder in den USA
Die US-amerikanische „Iron Youth“ geht auf die Tradition der „Amerikanischen Nazipartei“ (ANP) zurück, die in den 60er und 70er Jahren einen esoterisch-religiösen Kult um den Nationalsozialismus aufbaut und in Adolf Hitler einen Märtyrer der „Weißen Rasse“ sieht. In Videos der „Iron Youth“, die auf der bei Rechtsextremen beliebten Videoplattform „BitChute“ geteilt werden, geht es vor allem um drei Dinge: Israelfahnen verbrennen, Waffen und Hakenkreuze. Es wird ein apokalyptisches Bild gezeichnet, in dem die „weiße Rasse“ (und vor allem der „weiße Mann“) wehrhaft werden müsse, da sie sich in einem „Rassekrieg“ befände.
Es werden Parallelen zur „Prepper-Szene“ deutlich, in der sich Anhänger*innen ebenfalls auf das Ende der modernen Zivilisation vorbereiten und zudem bewaffnen. Als Erklärung für die Apokalypse werden Verschwörungsideologien herangezogen, sowie antisemitische und rassistische Stereotype und Feindbilder geteilt.
Unübersehbar ist zudem die ideologische Nähe zur in den USA gegründeten, aber inzwischen weltweit agierenden „Atomwaffen Division“ (AWD), welche als eine der gefährlichsten rechtsextremen Organisationen der Gegenwart gilt. Mitglieder und Sympathisanten der „AWD“ begingen in den USA seit 2017 fünf Morde, ein geplanter Sprengstoffanschlag auf ein Kernkraftwerk wurde verhindert.
Der „Rassenkrieg“ der Eisenjugend
Die „Eisenjugend Schweiz“ beginnt ihren „Rassenkrieg“ im Dezember 2019 auf dem sozialen Netzwerk „Twitter”. Im Januar 2020 folgen ein Blog sowie ein „Telegram”-Kanal. Alle Kanäle sind mittlerweile gelöscht.
Die „Öffentlichkeitsarbeit“ gestaltet sich unterschiedlich: Auf „Twitter” und „Telegram” werden, überwiegend auf Englisch, die ideologischen Grundsätze und die „politischen Ziele“ über kurze Beiträge oder düstere Bilder vermittelt. „Offline“ tritt die „Eisenjugend“ bisher nur mit rassistischen und antisemitischen Aufklebern im Frühjahr 2020 an den Züricher Universitäten in Erscheinung.
Im März 2020 veröffentlicht die „Eisenjugend“ ein Propagandavideo, welches, ganz im Stile des US-amerikanischen Vorbilds, einerseits die Stärke und andererseits den Hass der Gruppe demonstrieren soll. Eine Person mit Sturmmaske verbrennt eine EU- sowie eine Israel-Flagge. Im Folgenden posiert eine Person oberkörperfrei vor einer Schweizer Flagge (auch eine Reichskriegsflagge ist zu sehen). Das Ganze findet in einer alpinen bewaldeten Landschaft statt und ist mit epischer Musik unterlegt. Offensichtlich soll ein heroisches Bild erzeugt werden, welches den gewaltvollen Umgang mit dem deklarierten Feind verbunden mit eigener „Wehrfähigkeit“ darstellt.
Die Ideologie der „Eisenjugend”
Die Ideologie setzt sich zusammen aus einer esoterischen Verehrung des Nationalsozialismus, mit der einer radikaler Antisemitismus und Rassismus einhergeht und einer verschrobenen Romantisierung der Natur. Auf dem Blog wird verkündet: „Schweizer heißt es Weiss [sic!] zu sein“.
Dahinter steckt der bekannte Verschwörungsmythos des „Großen Austauschs“, der besonders in der sogenannten „Neuen Rechten“ Anwendung findet: Regierungen oder (meist jüdisch dargestellte) „Mächte“ würden gezielt die „weiße Bevölkerung“ gegen weniger kritische/regierungstreue Migrant*innen austauschen, damit sie es leichter hätten, ihre Macht zu erhalten. Rechtsextreme Terroristen, wie der Attentäter von Christchurch, der 2019 in Neuseeland 51 Menschen in zwei Moscheen erschoss, berufen sich ebenfalls auf den Mythos vom „Großen Austausch“. Die „Eisenjugend“ teilte auf ihrem „Telegram”-Kanal das Manifest des Christchurch-Attentäters mit der Empfehlung, es zu lesen, da es „hochaktuelle Themen“ behandle.
Der sogenannte „Volkstod“ wird im Zuge des „Großen Austauschs“ als apokalyptisches Szenario präsentiert, welches es abzuwenden gälte. Zum Beispiel mit einer Steigerung der Geburtenrate, wie es in einem Blogeintrag der „Eisenjugend“ heißt. Damit verbunden ist ebenfalls ein antifeministisches und reaktionäres Frauenbild: Frauen hätten die einzigartige Fähigkeit Kinder zu bekommen und sollten sich daher ausschließlich dieser „natürlichen Fähigkeit“ widmen, anstatt mit Männern auf dem Arbeitsmarkt zu konkurrieren, heißt es in einem „Twitter”-Beitrag.
Zwischen Kunst und Kampfsport
Wie viele Mitglieder der „Eisenjugend“ angehören und wer die Personen sind, bleibt unklar. Der Schweizer „Tages-Anzeiger“, der sich in einer Reportage detailliert mit der Gruppierung auseinandersetzt, identifizierte allerdings einen 19-jährigen Mann, der an der Züricher Kunsthochschule studiert und vermutlich der Urheber verschiedener Videobotschaften im „Telegram”-Kanal der „Eisenjugend“ ist. Der Kunststudent hat sich der Recherche zufolge in den letzten Jahren zunehmend radikalisiert, mehrere Waffen angeschafft und sich besonders dem Aufbau von Muskelmasse gewidmet.
Die „Eisenjugend“ besitzt keine sonderlich große Reichweite, was ihre radikale Ideologie aber nicht weniger gefährlich macht, da sie nicht nur Waffen besitzen, sondern auch bereit wären, diese einzusetzen. Dem „Tages-Anzeiger“ zufolge bestehen darüber hinaus Verbindungen zu weiteren rechtsextremen Gruppen in der Schweiz. Im besagten Propagandavideo trägt einer der Akteure eine Sturmmaske mit dem Aufdruck „NJS“, was für die ebenfalls neue Gruppe „Nationalistische Jugend Schweiz“ steht.
Auf Passivität folgen Hausdurchsuchungen
Die Behörden hatten sich bisher passiv verhalten. Der Schweizer Nachrichtendienst teilte dem „Tages-Anzeiger“ mit, die Gruppierung sei zwar bekannt, aber eine „operationelle Tätigkeit“ sei nicht geplant, da „ein ideologischer oder politischer Hintergrund von Personen (beispielsweise Neonazis)“ nicht ausreiche. Dafür müssten „effektive Gewaltbezüge (d. h. das Verüben und Fördern von oder der Aufruf zu Gewalt)“ vorliegen. Die Passivität der Behörden führte zu Kritik aus der Kommunalpolitik. Der Winterthurer Gemeinderat Roman Hugentobler kommentierte gegenüber dem „Tages-Anzeiger“: „Wenn die Eisenjugend anstatt „Rassenkrieg“ das Wort „Jihad“ verwenden würde, gäbe es wohl einen riesigen Aufschrei. Und Hausdurchsuchungen.“
Aber zu diesen kam es jetzt: am 12. August wurden bei zwei Hausdurchsuchungen mehrere Waffen sichergestellt. Die betroffenen Personen sind nach Angaben des „Tages-Anzeigers“ zwei 19-jährige, von denen einer der besagte Kunststudent sei.
Wie es mit der „Eisenjugend“ weitergeht, ist unklar. Allerdings bleibt die Erkenntnis, dass es weiterhin ein zunehmendes Problem mit jungen Männern gibt, die sich auf Basis von rassistischem und antisemitischem Gedankengut radikalisieren. Durch eigene Bewaffnung entsteht eine reale Gefahr für die Bevölkerung, da sich die Männer nicht nur mit rechtsextremen Terroristen solidarisieren, sondern diesen nacheifern.
Die Attentäter von Halle und Hanau haben wiederholt gezeigt, dass es keine große organisierte Struktur vor Ort benötigt, um für Terror und Tod zu sorgen. Es reicht eine Person, die sich als Teil einer größeren Bewegung sieht und das durch eine toxische Community im Internet und in Bezug auf vergangene Taten bestätigt bekommt.