In den vergangenen Jahrzehnten wurde in Deutschland eine beispiellose Liberalisierung und Modernisierung von Geschlechterverhältnissen erreicht, die noch vor wenigen Jahrzehnten undenkbar war. Auch wichtige frauen- und geschlechterpolitische Forderungen sind durchgesetzt worden, wie bspw. die Ehe für alle, das Gesetz zur Einführung eines dritten Geschlechtseintrags oder die Verschärfung des Sexualstrafrechts.
Antifeminismus und Sexismus sind jedoch nicht verschwunden und bleiben trotz aller Errungenschaften gesellschaftliche Realität und reale Bedrohung. Sexismus existiert auf interpersoneller, institutioneller und struktureller Ebene. Eine vollständige Selbstbestimmung der Frauen über ihren Körper, Gewalt- und Diskriminierungsfreiheit sind – obwohl im Grundgesetz garantiert – nach wie vor nicht erreicht. So sind Frauen in besonderem Maße von spezifischen Gewaltformen, wie beispielsweise Partnerschaftsgewalt, Femiziden und sexualisierter Gewalt betroffen. Sexismus verhindert darüber hinaus nach wie vor gleichberechtigte Teilhabe für Frauen: Sie verdienen weniger, leisten mehr unbezahlte Sorgearbeit und sind in Parlamenten und Vorständen deutlich unterrepräsentiert. Diese Indikatoren für Ungleichheit sind Ausdruck ungleicher Verwirklichungschancen und sie zeigen, dass Männer in einer privilegierten Position (Patriarchat) sind.
Damit das nicht so bleibt, sind die Emanzipation der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter nach wie vor wichtige Ziele einer modernen Demokratie. Diese Modernisierungs- und Liberalisierungsprozesse führen allerdings in einigen Teilen der Gesellschaft zu starken Verunsicherungen und aggressiven Abwehrreaktionen, nicht selten verbunden mit dem Wunsch, in die „gute alte Zeit” zurückzukehren. Teilweise stehen Männer der Gleichstellung gleichgültig gegenüber, teilweise begreifen sie diese gar als Bedrohung oder Kränkung, als Macht- und Autoritätsverlust. Dies greifen vor allem rechtspopulistische und rechtsextreme Kräfte auf, um die eigene autoritäre, antidemokratische Agenda in einem Kulturkampf – bzw. Geschlechterkampf von rechts durchzusetzen. Wichtige Elemente sind dabei reaktionäre Geschlechterpolitiken und antifeministische Ideologien.
Themen und Ziele des Antifeminismus
Antifeminismus richtet sich gegen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt, gegen Geschlechtergerechtigkeit und Gleichberechtigung, gegen die vermeintlich „von oben” oder von Feministinnen („Staatsfeministinnen“) gesteuerte Auflösung traditioneller, heterosexueller Familien aus Vater, Mutter und Kind(ern). Antifeministische Akteure richten sich unter dem Kampfbegriff „Umerziehung“ gegen die Erziehung zu einer selbstbestimmten Sexualität und gegen eine diverse Gesellschaft mit vielfältigen Lebensentwürfen von Frauen*, Männern* und Familien.
In einer massiven Bekämpfung von Frauen- und Geschlechterforschung drückt sich die Wissenschaftsfeindlichkeit des Antifeminismus aus. Geschlechterforschung sei Steuergeldverschwendung und ideologisch motiviert. Instrumente der Gleichstellung wie Gender-Mainstreaming oder eine geschlechtergerechte Sprache werden massiv bekämpft und deren Abschaffung gefordert. Die Gleichberechtigung von Homo- und Bisexuellen, Inter* und Trans* wird als „unnatürlich“ abgelehnt. Außerdem wird die „übertriebene“ Emanzipation gesellschaftlicher Gruppen als unnatürlich verstanden und als permanente Bevormundung und Klientelpolitik dargestellt und das Eintreten gegen Diskriminierung als übertriebene „political correctness” diffamiert.
Antifeministisches Denken folgt einem biologistischen Geschlechtermodell – beruht also auf einer vermeintlich von Natur aus gegebenen Geschlechterordnung, die damit demokratischen Aushandlungen entzogen wird — und ordnet den Geschlechtern ausgehend davon soziale Positionen in der Gesellschaft zu. Lebensweisen und Identitäten, die nicht diesem biologistischen Modell entsprechen, werden als „unnatürlich” und dekadent herabgesetzt und bekämpft.
Antifeminismus als Brücke zwischen Mainstream und unterschiedlichen politischen Spektren
Antifeminismus ist in der Gesellschaft weit verbreitet und wird zunehmend wieder salonfähig, breiter diskutiert und dadurch auch legitimiert. So zeigen die Wissenschaftler*innen der Leipziger Autoritarismusstudie von 2020, dass „jeder vierte Mann und jede zehnte Frau in Deutschland ein geschlossen antifeministisches Weltbild“ (264) aufweist und 47,3 Prozent der Männer und 28,7 Prozent der Frauen mindestens einer antifeministischen Aussage zustimmen. In der sogenannten Mitte der Gesellschaft, beispielsweise in Talkshows, an Stammtischen oder in Feuilletons großer Zeitungen, werden Feminist*innen diffamiert, sich über geschlechtergerechte Sprache aufgeregt, Gender-Mainstreaming lächerlich gemacht und gegen sexuelle Vielfalt und die Gleichheit der Geschlechter agitiert. Antifeministische Positionen können daher Menschen und breite Bündnisse in der gesamten Gesellschaft ansprechen. Antifeminismus bildet zudem auch eine Klammer zwischen sehr unterschiedlichen politischen oder religiösen gesellschaftlichen Spektren und Milieus. So können bei allen politischen Unterschieden und Weltbildern zwischen Evangelikalen, Islamist*innen oder extremen Rechten Einigkeit in der restriktiven Rollenzuschreibung von Frauen in der Gesellschaft bestehen.
Gleichstellung, Feminismus und Gender als Feindbild
Gender – also die Erkenntnis, dass das was gesellschaftlich unter weiblich oder männlich verstanden wird, (und grundlegender diese Binarität selber) Teil und Ergebnis von sozialen Aushandlungen ist – ist zu einem massiven Feindbild im Rechtspopulismus und Rechtsextremismus geworden, dere Vetreter*innen dabei den Schulterschluss mit religiös motivierten „Gender“-Gegner*innen suchen. Für die extreme Rechte steht Gender für ein „Umerziehungsprogramm“, zur Abschaffung oder „Gleichmacherei” der Geschlechter. Eine Spielart des Antifeminismus ist also der „Antigenderismus”. Dieser will nicht nur Frauen- und Geschlechterforschung bzw. Gender Studies abschaffen, sondern zieht massiv gegen die liberale Idee der biografischen und gesellschaftlichen Geschlechtervielfalt zu Felde. Unter dem Kampfbegriff der „Frühsexualisierung” wenden sich Antifeminist*innen gegen eine aufgeklärte und aufklärende Sexualerziehung.
In rechtspopulistischen und rechtsextremen Milieus finden sich verschiedene Auffassungen, was die Rolle von Frauen*, das Ziel ihrer gesellschaftlichen Stellung oder Feminismus betrifft. Sie bewegen sich zwischen zwei Polen: Einerseits ist der Feminismus ein Feindbild, der Schuld am Verfall der „natürlichen Geschlechter” sei. Rechtsextreme beklagen die Zerstörung der „natürliche(n) Geschlechterordnung“ mit fürsorgenden Müttern und soldatischen Männern durch eine „politische Geschlechtsumwandlung“ durch Feminismus und Gender Mainstreaming. Andererseits wird eine nationalistische Frauenrolle vertreten, zum Teil versteht sich eine solche Position selbst als nationaler Feminismus. Mit biologistischen und ultrakonservativen Argumentationen werden hier Mutterschaft und vermeintlich typisch weibliche Eigenschaften mit ihrem Dienst für Volk und Vaterland aufgewertet. Teilweise inszenieren sich rechtspopulistische und rechtsextreme Kräfte als Vertreter von Frauenrechten: dies aber instrumentell und immer dann, wenn anhand tatsächlicher oder erfundener sexualisierter Gewalt gegen Frauen, Rassismus oder Flüchtlingsfeindlichkeit verbreitet werden kann oder dies zur Forderung restriktiver Migrationsgesetze missbraucht wird.
Schließlich — und das ist nicht zuletzt durch den rechtsextremen Terroranschlag von Halle im Oktober 2019 deutlich geworden — werden Feminist*innen für den halluzinierten „Bevölkerungsaustausch” — eine rassistische und antisemitische Verschwörungserzählung —verantwortlich gemacht, den es notfalls auch mit terroristischer Gewalt zu verhindern gilt. Besonders hier zeigen sich gefährliche Schnittmengen zwischen Antifeminismus und Frauenhass mit Antisemitismus und Rassismus, die Radikalisierungen beschleunigen können.
Resilienz gegen Antifeminismus und Frauenhass: Was ist zu tun?
Antifeminismus ist eine zentrale Ideologie im Rechtspopulismus, der sogenannten „neuen” Rechten und im Rechtsextremismus. Ein Erstarken autoritärer, vielfaltsfeindlicher und extrem rechter Bewegungen und menschenfeindlicher Ideologien in den letzten Jahren, geht daher auch mit einem Erstarken von Antifeminismus einher. Um antidemokratischen Entwicklungen zu begegnen und die Resilienz der Zivilgesellschaft gegen Antifeminismus zu stärken, sind folgende Punkte relevant:
Benennen: Antifeminismus ist demokratiefeindlich
Geschlechtergerechtigkeit, Antidiskriminierungs- und Gleichstellungspolitiken sowie (rechtliche) Errungenschaften der Frauenbewegungen sind demokratische Grundwerte, die nicht zur Disposition stehen. Angriffe auf diese Werte sind Angriffe auf die Demokratie. Antifeminismus, Geschlechter- und Familienpolitik müssen als zentrales Mobilisierungsfeld neurechter oder extrem rechter Akteur*innen ernst genommen werden. Kaum ein anderes gesellschaftspolitisches Feld wird derart massiv, aber gleichzeitig unbemerkt angegriffen.
Systematisches Monitoring (on- und offline) und Erstellung eines Lagebildes Antifeminismus
Bisher fehlt eine Übersicht sowie ein Monitoring antifeministischer und sexistischer An- und Übergriffe. Es gibt keine systematisch erfassten und aufbereiteten Daten zur Gefährdungslage, Ausprägung, Betroffenen- oder Tätergruppen. Auch zu frauenhassenden Onlinesubkulturen und Phänomenen wie Incels, Manosphere oder PickUp-Artist ist zu wenig bekannt. Zudem fehlt Wissen um antifeministische Mobilisierungen in extrem rechten migrantischen Gruppierungen, beispielsweise bei kroatischen Ultranationalist*innen oder türkischen Grauen Wölfen.
Sexistische Gewalt als rechtsextremes Tatmotiv anerkennen und bekämpfen
Auch fehlt eine Analyse sexistischer Gewalt als rechtsextremes Tatmotiv für Gewalttaten. Misogyne und sexistische Motive finden in der Bewertung von Gewalttaten an Frauen meist wenig Berücksichtigung. Häufig ist in den Ermittlungen, Gerichtsverhandlungen in der medialen Berichterstattung von sogenannten „Beziehungstaten” die Rede. Auch in Fällen, in denen Täter mit einem gefestigten rechtsextremen Weltbild solche Gewalt ausüben, wird die sexistische Komponente eines solchen Weltbildes vernachlässigt. So weisen beispielsweise die Studie des BKA zu (häuslicher) Gewalt gegenüber Frauen eine Einteilung nach der Herkunft der Täter*innen aus, während ein mögliches rechtsextremes Einstellungsmuster innerhalb dieser Untersuchungen keine Berücksichtigung findet. Geschlechtsspezifische Gewalt und damit auch Sexismus und Misogynie als ein Element von Hasskriminalität gegen Frauen* wird derzeit nicht von deutschen Strafverfolgungsbehörden erfasst.
Bildung und Beratung gegen Antifeminismus intensivieren
Es braucht mehr Fortbildungen und Coaching, um die zivilgesellschaftliche Resilienz gegen Antifeminismus zu fördern. Dazu gehört eine beratende Begleitung für Sozialarbeiter*innen, Journalist*innen, Sicherheitsbehörden, aber auch Kommunalpolitiker*innen oder politisch engagierten Frauen* zu den Themen antifeministische Hate Speech und misogyne, sexistische Anfeindungen. Bildung gegen Antifeminismus sollte Teilnehmende befähigen und stärken mit sexistischen und antifeministischen Anfeindungen umzugehen. Nur so kann gewährleistet werden, dass engagierte Frauen* an demokratischen Entscheidungsprozessen partizipieren und ihre Themen einbringen können und damit in kommunalen Strukturen Einschränkungen zivilgesellschaftlicher Handlungsräume durch antifeministische Aggressionen verhindert werden können. Auch braucht es eine Stärkung und Weiterentwicklung geschlechterreflektierender Ansätze. Ohne eine Analyse und Kritik auch der gesellschaftlichen Bedingungen ist Phänomenen wie Antifeminismus und Sexismus oder männliches Überlegenheitsdenken im Rechtsextremismus nicht adäquat zu begegnen. Diese Mechanismen sind in Methoden der männlichkeitskritischen Jungenarbeit, in stärkender Mädchenarbeit und in der geschlechterreflektierenden Rechtsextremismusprävention zu berücksichtigen.
Intersektionalen Feminismus und Diskussionen um Gender produktiv voranbringen
Moderne Geschlechterforschung hat gezeigt, dass es einen Unterschied zwischen dem biologischen und dem sozialen Geschlecht (Gender) gibt. Damit sind eben jene Geschlechterrollen, Erwartungen, Werte und Ordnungen gemeint, die bestimmen, wie als Mann oder Frau zu leben ist. Die Hierarchisierung von Geschlecht oder Gender ist demnach nicht „natürlich“, sondern gesellschaftlich oder sozial, also von Menschen gemacht — und damit veränderbar. Verändert werden müssen stereotype und hierarchisierende Geschlechterrollen und die Abwertung von Weiblichkeit sowie Rollenerwartungen, die Menschen in starre Konstrukte stecken und mit Anforderungen überfrachten. In der Lebenswirklichkeit vieler Menschen „kreuzen” oder verknoten sich soziale Kategorien wie Gender, ethnische oder soziale Herkunft oder körperliche Befähigung. Es ist wichtig, diese Verschränkungen anzuerkennen und einzubeziehen. Es gibt zahlreiche Ansätze, Konzepte und Methoden, die unter dem Label der Intersektionalität auf die Analyse und Bekämpfung von Unterdrückungsformen hinwirken.
Last but not least gilt sich selbstbewusst die Tatsache klarzumachen, dass eine Zunahme von Antifeminismus auch Indikator von erfolgreicher Gleichstellungsarbeit ist.
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