Jeder vierte Mann und jede zehnte Frau in Deutschland hat ein geschlossen antifeministisches Weltbild. Immerhin 47,3 Prozent der Männer und 28,7 Prozent der Frauen stimmen mindestens einer antifeministischen Aussagen zu, wie beispielsweise „Durch den Feminismus werden die gesellschaftliche Harmonie und Ordnung gestört“. Zu diesem Schluss kommt die Leipziger Autoritarismus-Studie 2020. Die Studie untersucht autoritäre und rechtsextreme Einstellungsmuster und nahm 2020 das erste Mal „Antifeminismus“ mit in die Untersuchung auf.
Die Forscher*innen definieren den Begriff „Antifeminismus“ für ihre Untersuchungen als „Gegnerschaft zu feministischen Emanzipationsbestrebungen“, stellen aber auch fest, dass sich dieser zunehmend grundsätzlich gegen eine Vielfalt sexueller, geschlechtlicher und familiärer Lebensformen richtet. Demnach lehnen Antifeminist*innen also nicht nur die Ziele der feministischen Bewegung ab, sondern auch Familien, die nicht aus Mann, Frau und Kindern bestehen, Menschen die nicht in heterosexuellen Beziehungen leben, oder sich nicht im binären Geschlechtersystem einordnen wollen oder können.
In der Studie fällt auf, dass Antifeminismus oft auch mit anderen Einstellungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit verschränkt ist. Menschen, die antifeministisch eingestellt sind, hegen also ebenfalls oft antisemitische, rechtsextreme oder autoritäre Auffassungen.
Die Haltung zu feministischen Zielen ist aber auch eine Frage des Alters: generell neigen ältere Menschen stärker zu Antifeminismus. So stimmen beispielsweise „nur“ elf Prozent der 18 bis 29-jährigen Männer der Aussage zu, dass „Im Bemühen um die Gleichstellung von Mann und Frau über das Ziel hinausgeschossen“ wird. Dem gegenüber stehen 24 Prozent der Männer über 70, die dieser Aussage zustimmen.
Hass gegen Frauen im Netz
Was als Einstellungen in Studien gemessen wird, zeigt sich im Internet oft in Form von Hasskommentaren und Bedrohungen. Die NGO „Plan International“ kam 2020 bei einer Befragung von über 14.000 Frauen und Mädchen, in 22 Ländern zu dem Ergebnis, dass über die Hälfte der befragten Mädchen und Frauen schon einmal online Hass erlebt hat. Auf Social-Media ist Misogynie offensichtlich noch präsenter als offline: 50 Prozent der Studien-Teilnehmerinnen gab an, dass sie online mehr Belästigung erleben als abseits des Bildschirms. Auch hier zeigt sich: Misogynie und Sexismus treten oft mit anderen menschenfeindlichen Ansichten gemeinsam auf. So gaben 37 Prozent der Befragten an, die sich selbst als Teil einer ethnischen Minderheit sehen, dass sie aufgrund dieser Tatsache belästigt wurden. 42 Prozent der Mädchen und Frauen die sich selbst unter dem Begriff LGBTIQ+ identifizieren, gaben an, dass sie aufgrund dieser Gruppenzugehörigkeit Ziel von Hass im Internet wurden.
Auch eine Menschenrechtsfrage
Amnesty International kam zwischen 2016 und 2017 in einer groß angelegten und repräsentativen online-Studie zu ähnlichen Ergebnissen wie Plan International. Die Menschenrechts-NGO verzeichnete, dass 23 Prozent der befragten Frauen und Mädchen schon einmal Hass im Netz erlebt haben. Die Folgen greifen oft tief in das Leben und die Psyche der Betroffenen ein. So gaben ganze 41 Prozent an, dass sie nach dem Online-Angriff Angst um ihre körperliche Unversehrtheit hatten, 24 Prozent bangten auch um die Sicherheit ihrer Familie, 55 Prozent erlebten nach Online-Angriffen Panikattacken, 63 Prozent entwickelten Schlafprobleme und 61 Prozent gaben an, ein geringeres Selbstwertgefühl zu empfinden. Diese psychischen Folgen wirkten sich auch auf das Nutzungsverhalten der Frauen aus.
Es kommt häufig zu einer Art „Silencing-Effect“, bei dem Frauen nach Hasserfahrungen aufhören, sich online zu äußern. Knapp drei Viertel der Frauen änderten nach den Hass-Erfahrungen ihre Online-Aktivitäten, zum Beispiel, indem sie sich in Inhalt und Form ihrer Postings einschränkten. 32 Prozent der Betroffenen hörten sogar ganz auf, online ihre Meinung kundzutun. Hier zeigt sich, wie Frauen durch Hate-Speech aktiv aus dem Online-Raum verdrängt werden und so weniger am politischen Meinungsaustausch teilhaben. Denn insbesondere Twitter ist eine zentrale Plattform für politische Meinungsbildung, Diskurs und Vernetzung im Online-Raum. Das sieht auch Amnesty International so. Die aktuellen Zustände auf Twitter schaden laut der Menschenrechtsorganisation dem Recht von Frauen, sich frei und gleich zu äußern. Die NGO warf Twitter außerdem vor, nicht genug gegen den Hass zu tun. Der Konzern habe gemäß den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte die Verantwortung, aktiv für die Menschenrechte der Nutzer*innen einzustehen. Doch die Plattform reagiere nicht genug auf Meldungen über Hassattacken und komme seiner Verantwortung dementsprechend nicht ausreichend nach.
Sowohl die Leipziger Autoritarismus-Studie, als auch die Untersuchungen von Plan International und Amnesty International zeigen: Antifeminismus und Misogynie sind sehr real, sehr weit verbreitet sind und haben oft sehr starke Auswirkungen auf die Psyche der Betroffenen. Die Studien setzen damit auch der oft geäußerten Diffamierung, dass es sich bei Klagen über Hate-Speech und Antifeminismus um „Befindlichkeiten“ handele, etwas entgegen.
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