Eltern oder Erzieher*innen möchten sich das oft lieber nicht wahrhaben, aber manche, auch sehr junge, Jugendlichen suchen und finden im Internet Anschluss an und Bestätigung durch rechtsterroristisch orientierte Netzwerke. Sie werden Teil der Online-Kommunikation von Menschen, die nicht nur rechtsextreme Ideologie teilen, sondern auch Attentats- und Vernichtungsfantasien, die nicht selten auch zu konkreten Planungen werden. Rechtsterroristische Online-Netzwerke existieren plattformübergreifend und umfassen Messenger-Dienste, Imageboards, Foren, Soziale Netzwerke sowie Video- und Gaming-Plattformen. In diesen Netzwerken wird Rechtsterrorismus glorifiziert, es werden potenzielle Nachahmer zu Taten angestiftet und mit Anleitungen zur Anschlagsplanung versorgt.
“Durch die Adaption popkultureller Elemente hat sich eine spezielle Ästhetik der Gewalt herausgebildet, die sich in eigenen Bildern, Sprache und kulturellen Codes zeigt. Damit spricht diese Subkultur besonders junge Menschen an. Außenstehende verstehen die Codes nicht, die Jugendlichen feiern online Gewaltexzesse und Rechtsterroristen, bis sie selbst bereit sind, sich in ihrer eigenen Community als “Heilige” verehren zu lassen – durch ein Attentat. Es startet wie ein Spiel, doch Attentate wie Christchurch und Halle zeigen, wie tödlich diese Radikalisierung enden kann erklärt Thilo Manemann, Autor der Publikation und Monitoring-Mitarbeiter des Projektes De:Hate der Amadeu Antonio Stiftung. Zu dieser Subkultur gehören neben Insiderbegriffen und Memes auch eine eigene Ästhetik, die sich in Videos als eigenes Genre unter dem Namen „Fashwave“ verorten lässt, einer Mischung aus „fascism“ und „wave“.
Rechtsterrorismus wird zur Unterhaltungskultur
Doch die poppige Aufmachung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in rechtsterroristischen Online-Communites vor allem um Mordfantasien aus rassistischen, antisemitischen, islamfeindlichen oder misogynen Gründen geht. “Rechtsterroristen sammeln Punkte und werden in Bestenlisten geführt, ihre schriftlichen Ausführungen werden weltweit verbreitet, ihre Anschläge live übertragen und von Tausenden verfolgt. Die Terroristen werden zu Helden stilisiert. Ihre Terrorakte werden wie eine Unterhaltungskultur wahrgenommen“, führt Manemann aus. Die Grenze, wann aus solchen Online-Beschäftigungen reale Gefährdungen werden, ist dabei nicht leicht zu ziehen, was den Umgang zusätzlich erschwert.
“Rechtsterroristische Online-Subkulturen sind auf dem Vormarsch – und sie werden immer gefährlicher. Obwohl sie weitestgehend anonym agieren, gelingt es den Online-Communities, den häufig desillusionierten, teilweise minderjährigen Mitgliedern der Community das Gefühl zu geben, dass sie Helden werden können – wenn sie eine rechtsterroristische Tat begehen”, erklärt Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung. „Noch während Nachahmer durch Livestream-Morden angestachelt werden, beteuern die Rechtsextremen, dass die menschenverachtenden Memes und popkulturellen Elemente der Subkultur nur eine spezielle Form von Humor seien. Auf die Verharmlosung fallen Sicherheitsbehörden viel zu oft herein.“ Mit ihrem autonomen Handeln sowie der autonomen Organisation verfolgen sie die Strategie des ‘Führerlosen Widerstandes’, der Sicherheitsbehörden vor große Herausforderungen stellt.
Terrorprävention muss Online-Subkulturen in den Blick nehmen
Doch diese rechtsterroristischen Netzwerke sind nicht nur ein Fall für Sicherheitsbehörden, sondern auch für die Zivilgesellschaft und die pädagogische Prävention – gerade, wenn es um Jugendliche geht. Denn Veränderungen im (Online-)Verhalten fallen immer noch am meisten im direkten Umfeld auf – wenn die entsprechenden Anzeichen erkannt werden. Doch was tun, wenn bei Jugendlichen in der Schule, im Freundeskreis oder in der Familie solche Interessen bemerkt werden?
Mit ihrer neuen Handreichung möchte die Amadeu Antonio Stiftung genau dabei unterstützen, rechtsterroristische Tendenzen im eigenen Online-Umfeld zu erkennen. Sie gibt einen Überblick über das Phänomen und die Funktionsweise von rechtsterroristischen Online-Subkulturen und erklärt anhand von praktischen Beispielen, wie Pädagog*innen mit Jugendlichen umgehen können, bei denen sie entsprechende Affinitäten vermuten oder finden.
Daraus ergibt sich außerdem die Notwendigkeit für
- Fortbildungen über rechtsterroristische Online-Subkulturen für Strafverfolgungsbehörden
- Stärkung von Anlauf- und Beratungsstellen für Betroffene rechtsextremer Gewalt und Angehörige (potenzieller) rechtsextremer Täter*innen
- Ausbau von Digital Streetwork, um gefährdete Jugendliche direkt in Online-Communities von ausgebildeten Pädagog*innen oder Sozialarbeiter*innen anzusprechen
- eine mediale Berichterstattung, die Tätern keine Bühne zu bietet, indem sie auf die Nennung der Täter-Namen und unerläuterte Zitate aus deren “Manifesten” verzichtet. Medien die Taten entsprechend benennen, dabei aber auf die Nennung der Täter und auf die Wiedergabe ihrer Ausführungen verzichten
Download
Die Analyse steht zum Download bereit unter
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/rechtsterroristische-online-subkulturen/
Auszüge erscheinen in den nächsten Tagen auf Belltower.news im „Schwerpunkt Rechtsterrorismus“.
Insta-Live
Am 11.02.2021 um 20 Uhr sprach Simone Rafael (Belltower.News) auf dem Instagram-Kanal der Amadeu Antonio Stiftung mit dem Autor Thilo Manemann (de:hate) über zentrale Erkenntnisse aus der Broschüre.
Webinar
Am Dienstag, den 16.02.2021, um 16 Uhr stellen Thilo Manemann und Judith Rahner von der Amadeu Antonio Stiftung die Ergebnisse der Analyse und die Handlungsempfehlungen in einem Online-Vortrag mit Q&A via zoom vor. Nötig für den Zugang ist eine vorherige Anmeldung unter netzwerke@amadeu-antonio-stiftung.de.
Schwerpunkt Februar 2021: Rechtsterrorismus
Im Februar 2021 beschäftigt sich Belltower.News vertieft mit dem Thema Rechtsterrorismus. Im Schwerpunkt sind erschienen:
- Neue Urteile gegen die „Gruppe Freital“
- Neuköllner Anschlagsserie – Täter bleiben frei, Strukturen aktiv
- Rechtsextremismus in der Bundeswehr: „Selbstermächtigung ist in der DNA des KSK“
- Neue Broschüre zu rechtsterroristischen Online-Subkulturen und Gegenstrategien
- Rechtsextreme Gewalt und Rechtsterrorismus – ein fließender Übergang
Alle Texte aus der Broschüre „Rechtsterroristische Online-Subkulturen“ auf Belltower.News:
- Rechtsextreme Gewalt und Rechtsterrorismus – ein fließender Übergang
- Ideologien und Motivation der Online-Rechtsterroristen
- Welche Rolle spielen Online-Plattformen?
- Terrorwave – Ästhetik, Sprache und kulturelle Codes
- Ästhetik, Sprache und kulturelle Codes – 2
- Rechtsterroristische Online-Strategien
- Handlungsempfehlungen: Was tun gegen Radikalisierungen in Online-Subkulturen?