„Bin ich Missionar oder Journalist?“, fragte Bernd Wierzioch, Journalist beim MDR und ausgezeichnet mit dem CIVIS Medienpreis 2005, auf dem Podium bei den „Weinheimer Gesprächen“ am 15. und 16. April 2010. Regelmäßig findet in Weinheim ein Wissenschaft-Praxis-Dialog über die Studien zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung statt. Wie kann man Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegentreten und was lernt die Wissenschaft auch von praktischen Erfahrungen? In diesem Jahr war auch die Rolle von Medien im lokalen Raum Thema reger Diskussionen.
„Es wird nur noch reagiert, wenn was passiert ist“, erklärt die mehrfach ausgezeichnete freie Journalistin Andrea Röpke. Aufgrund ihrer Recherchen zum Thema Neonazis erhielt sie 2008 den Otto-Brenner-Preis. Beim Thema Neonazis gibt es Konjunkturen: Passiert gerade etwas besonders Dramatisches, steht die ganze Szenerie im Fokus. Nachdem in Mügeln 2007 eine rassistische Hetzjagd stattgefunden hatte, von der sich die Betroffenen bis heute nicht vollständig erholen konnten, schaute die ganze Republik auf die sächsische Kleinstadt.
Neonazis zum Frühstück
„Es hat auch was Schmudeliges“, so Röpke. Wenn dutzende Fotografen und Journalistinnen sich im Pulk tummeln, steht der Skandal im Vordergrund. Doch berichten müssen sie – schließlich will die Redaktion, dass am nächsten Tag eine Zeitung im Briefkasten der Leserinnen und Leser liegt. Und diese wollen ebenso ihre Nachrichten zum Frühstück. Doch nicht mal ein Bruchteil dieser wird gelesen. Wenn die Überschrift nicht gelingt, hat der Artikel keine Chance. Man muss dazu nur das eigene Leseverhalten beobachten. Wenn es dann auch noch um Neonazis geht, hat man schon fast verloren. Das Thema ist nicht angenehm. Nur die besonders gewaltvollen Ereignisse schaffen es die Medien. „Berichterstattung über lokale Initiativen ist sogar noch schwieriger“, so Wierzoch. „Es wird lokal erst reagiert, wenn schon bundesweit berichtet wird“, erläutert Röpke.
Nestbeschmutzer
„Lokale Zeitungen sind lokale Akteure. Das Naziproblem wird dann zum Imageproblem“, sagt Olaf Sundermeyer, freier Journalist und Autor des Buches „In der NPD. Reisen in die National Befreite Zone“. „Die üblichen Rechtfertigungen sind: ‚Wir wollen ihnen kein Podium geben‘ oder ‚Wir wollen sie nicht hochschreiben‘“, sagt Röpke. „Nestbeschmutzer ist hier das Stichwort“, so Wierzioch. Dabei sind gerade lokale Medien wichtig beim Thema Neonazis und Rassismus. Die Lokalzeitung hat eine Deutungshoheit, aber auch das kostenlose Anzeigenblatt ist nicht zu unterschätzen. Wenn es nichts gibt, wird es problematisch: „In das Vakuum der Nicht-Berichterstattung fällt das lokale Blättchen der NPD“, so Sundermeyer.
Die Normalität von Rassismus
Doch die Finanzlage sieht, wie an vielen anderen Stellen, auch in Lokalredaktionen nicht gut aus. Aber immer das Geld-Argument anzuführen, kann es doch auch nicht gewesen sein. Schließlich ist es auch eine Frage des Willens. „Es hängt an Einzelpersonen“, sagt Wierzioch. Denn wenn es diese Personen gibt, die die lokalen Zustände sehen und wichtig finden, finden sie auch in der Berichterstattung Platz. Journalismus ist Teil der Prävention und kann Wirkung haben. „Es gibt eine ganz normale rechtsextreme Jugendkultur. Das muss man immer wieder aufschreiben“, sagt Wierzioch. „Bei Hypes versuche ich mich rauszuziehen und fahre dann hin, wenn es vorbei ist“, erklärt Röpke. Denn dann geht es um die Untiefen des Neonaziproblems in der Stadt oder dem Dorf, die es erst ermöglichen, dass Aufsehen erregende Vorfälle erst passieren können. Von diesen sind dann alle schockiert. Doch das eigentlich schockierende ist der alltägliche Zustand, die Normalität von Rassismus und Diskriminierung.
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).