Die letzte Woche vor dem heutigen Frauentag am 8. März war für Anti-Gender-Aktivist*innen kein Zuckerschlecken: Nachdem sich alle, die gegen Geschlechtergerechtigkeit sind, in Debatten um die Duden-Handreichung zum Gendern argumentativ warmgelaufen hatten (in der Welt von Anti-Gender-Aktivist*innen: Untergang des Abendlandes, Verhunzung der deutschen Sprache, linksextremes Umerziehungsprogramm in eine geschlechtslose Gesellschaft) (vgl. Süddeutsche.de), kam es in der letzten Woche besonders hart.
Während zum Beispiel Medien den Gender-Feind*innen eh als Hort des Linksliberalismus als verloren gelten und das Gendern bei ARD und im ZDF etwa nur noch für matte Empörung sorgt (vgl. genderleicht.de), kam es nun zum Eklat in einem hemdsärmeligen, zumindest in der Community der Traditionalist*innen männlich gelesene Handwerk: Der Auto-Hersteller „Audi“ hat sich entschieden, für die innerbetriebliche Kommunikation eine geschlechtergerechte Sprache inklusive des Genderns mit Unterstrich zu empfehlen (also nicht einmal vorzuschreiben) (vgl. Spiegel). Volkswagen denkt wohl auch darüber nach. Dass in Zukunft also neben den männlichen auch weibliche oder nicht-binäre Mitarbeiter*innen bei „Audi“ mit angesprochen werden, das schmerzt offenbar schon. Und dann hat auch noch der Bundestag beschlossen, in Zukunft Anträge und Begründungen in gendersensibler Sprache – mit Gender-Stern, Doppelpunkt oder anderen geschlechtergerechten Formen zuzulassen (vgl. Tagesspiegel).
Das Internet quillt über vor lauter Empörung. Die Absender*innen – ja, es sind Männer und Frauen – eint offenkundig das Gefühl der Angst vor Veränderung. Dabei wird niemand etwas weggenommen, wenn man Frauen und nicht-binäre Menschen auch darstellt, statt sie im generischen Maskulinum als mitgemeint zu deklarieren und damit doch unsichtbar zu machen. Die Ärztin schmälert die Kompetenz des Arztes nicht durch ihre Existenz. Und doch gibt es Menschen, die sich genau darum Sorgen machen. Leider schreien sie dazu gern „Gendergaga“ und greifen vor lauter Angst und Wut jede*n an, der anderer Meinung ist. Falls Sie mit diesen Menschen diskutieren: Wir haben ein paar Antworten zu beliebten Anti-Gender-Themen zusammengestellt.
„Männer dürfen keine echten Männer mehr sein, Frauen keine echten Frauen. Gender ist Gleichmacherei.“
Nein, Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit beschäftigt sich mit gerechterer Bezahlung, gerechterer Arbeitsverteilung in der Gesellschaft und in der Familie. Aber es ist nicht das Ziel, Männer, Frauen und diverse Menschen gleichzumachen, sondern vielmehr genau im Gegenteil Vielfalt zu leben – und dabei dafür zu sorgen, dass niemand Nachteile erleidet. Solang dies noch nicht der Fall ist, braucht es Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit.
„Warum gibt es überhaupt Gender-Wissenschaften, Frauen sind doch längst im Vorteil!“
Nein, Frauen sind nicht im Vorteil, sondern sind an vielen Stellen weiterhin benachteiligt (z.B. werden sie für gleiche Arbeit schlechter bezahlt, sind mehr in Care-Arbeit in der Familie eingebunden und haben so weniger Zeit für Karriere oder für sich, werden nicht so selbstverständliche befördert oder als Expertinnen gesehen wie Männer und selbst ein Online-Lexikon wie Wikipedia wird immer noch größtenteils von Männern geschrieben und klammert damit weibliche Weltsicht aus). Um darüber Wissen zu sammeln und vor allem, um dazu wirkungsvolle Gegenstrategien zu erschließen, brauchen wir Gender-Wissenschaften.
„Der Feminismus ist Schuld, dass Frauen keine Kinder mehr bekommen wollen und Männer verweichlicht werden.“
Wenn es Frauen und Männern gerade schwerfällt, Kinderwunsch und andere Lebenswünsche zu vereinen, müssen wir unserer Gesellschaft ändern, damit es wieder geht. Das heißt für eine gleichberechtigte Lebensweise vielleicht, dass beide Elternteile ihre Arbeitszeit reduzieren und ihre Kindererziehungszeit erhöhen können. Wenn ein Mann, der sich um seine Kinder kümmert, ein „verweichlichter Mann“ ist, sagt das nur etwas über das toxische Männlichkeitsbild des Sprechers, nicht über die Lebensführung des Bezeichneten.
„Wenn der Duden Hinweise zum richtigen Gendern gibt, geht die ganze deutsche Sprache kaputt.“
Nein, Sprache verändert sich permanent und bildet die jeweils aktuelle Lebensrealität ab. Wenn der Duden englische Ausdrücke grammatisch eingedeutscht aufnimmt, zeigt sich darin die Weiterentwicklung der Sprache in einer teilweise globalisierten Welt. Wenn der Duden nun weibliche Formen neben den männlichen Formen aufschreibt und Tipps zum schriftlichen Gendern gibt, trägt er der Tatsache Rechnung, dass Menschen das hierzulande bereits seit Jahren tun und der Duden nun eine Hilfestellung geben möchte, falls dies noch mehr Menschen versuchen möchten, weil sie geschlechtergerechte Sprache als Realitätsbeschreibung sehen.
Oder wie ein Leser uns schrieb: „Was ich aber überhaupt nicht liebe und zum „kotzen“ finde, sorry …, das ist diese Zerstückelung der Sprache. Lasst doch bitte diesen Scheiß „*innen“ sein. Das ist so falsch und überflüssig wie ein Krebsgeschwür.“
Da wir es lieben, gesellschaftliche Vielfalt abzubilden, mögen wir Sprache, die die Realität so genau wie möglich beschreibt. Wenn sich dadurch möglichst viele Menschen gesehen fühlen, umso besser. Das menschliche Gehirn ist so organisiert, dass es sogar Texte lesen kann, die kaum Wörter enthalten (vgl. etwa fehler-haft.de). An das *innen kann man sich mit Leichtigkeit gewöhnen und es sogar schätzen, wenn der Sinn erfasst wird.
Es sei denn, Sie sind eine rechtspopulistische Anti-Gender-Aktivistin wie Birgit Kelle. Dann wird es ideologisch schwierig.
„Wenn Audi anfängt zu gendern, ist das sehr albern, denn da arbeiten doch nur Männer.“
Nein, eben nicht. Aber die Argumentation zielt natürlich darauf: Müssen wir wirklich auf eine Minderheit Rücksicht nehmen? Der AfD etwa gefällt das Prinzip des Minderheitenschutzes ganz und gar nicht, deshalb postet sie ständig, warum „wir“ denn auf eine „kaum relevante Minderheit“ Rücksicht nehmen müssten.
Schön etwa der Berliner AfD-Abgeordnete Thorsten Weiß auf Twitter:
Wie der Bogen angibt, fragt er nicht, ob jemand „geschlechtsneutral“ ist – sondern ob jemand divers ist, also nicht als Mann oder Frau lebt. Warum er das fragt? Meistens wegen der Anrede. Denn da freuen sich Menschen, wenn sie so angesprochen werden, wie sie leben. Oder möchte Herr Weiß wohl als Frau Weiß angeschrieben werden und mitgemeint sein? Und dann drängt sich die Frage auf, warum das für Herrn Weiß ein Problem ist, dass es in einem Formular eine dritte Option gibt.
„Was soll das ganze Gendergaga, es gibt doch nur zwei Geschlechter.“
Nein, es gibt viel mehr geschlechtliche Identitäten, und inzwischen wird diese auch benannt. Es gibt männliche und weibliche Geschlechtsorgane, aber dazu gibt es zahlreiche Geschlechtsidentitäten, die entweder mit dem biologischen Geschlecht übereinstimmen (Cisgender) oder nicht (queer). Das anzuerkennen, wertet niemand anderes ab, sondern zeigt nur, dass man ein überlegter Mensch ist.
„Feminismus ist Männerhass. Männer sind die eigentlichen Verlierer der Gleichstellung.“
Nein, Feminismus ist der Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit, damit Männer und Frauen gleichberechtigt entscheiden können, wie sie leben wollen. Wenn Frauen genauso gehört werden wie Männer, kann das für Männer ungewohnt sein. Damit sind sie aber keine Verlierer: Denn wenn etwa Frauen mehr Verantwortung übernehmen oder mehr Geld verdienen, bekommen Männer dadurch auch mehr Möglichkeiten, ihr Leben zu gestalten.
In diesem Sinne: Wir wünschen gute Gespräche und einen schönen Frauentag!
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