Dass Beate Zschäpe eine Frau ist, prägt die Berichterstattung über den NSU. Obwohl sich die Berichterstattung im Laufe der Zeit geändert hat und sich in den verschiedenen Medien unterschiedlich gestaltet, gibt es – trotz aller Differenzen – Gemeinsamkeiten in den vergeschlechtlichten Darstellungsweisen von Zschäpe.
Seit Beginn der Berichterstattung über den NSU stehen die Täter*nnen, speziell Beate Zschäpe, im Zentrum der Aufmerksamkeit. In den Hintergrund geraten dadurch die Perspektiven und Interessen der Opfer, der Opferangehörigen und der Betroffenen, die politischen Hintergründe der Taten, andere mutmaßliche (Mit-)TäterInnen, die Rolle von staatlichen Institutionen und nicht zuletzt mehrheitsgesellschaftliche rassistische Strukturen.
Seit Öffentlichwerden des NSU hat es in der Berichterstattung Verschiebungen gegeben: Zugenommen haben Darstellungsweisen von Zschäpe, bei denen sie als politisch denkendes und handelndes Subjekt ernst genommen wird. Zugleich gibt es immer wieder zwei vergeschlechtlichte Darstellungsweisen von Zschäpe: eine bagatellisierende und eine dämonisierende. Zschäpe wird also einerseits verharmlost, indem sie wahlweise gar nicht genannt wird, als unpolitische Mitläuferin oder als Opfer der Umstände dargestellt oder verkindlicht wird. Andererseits wird sie als das personifizierte Böse, als teuflisch, dargestellt.
Wie alles begann
Direkt nach Öffentlichwerden des NSU im November 2011 dominierten bagatellisierende Darstellungsweisen von Zschäpe. Trotz der fehlenden Informationen, wer genau die Morde, Anschläge und Überfälle geplant und durchgeführt hatte, wurde Zschäpe aus der Verantwortung genommen und nicht als potenziell gleichberechtigte Haupttäterin verhandelt. Die brutalen Taten des NSU schienen nicht mit dem vorherrschenden Frauenbild vereinbar zu sein. Eine Form der Bagatellisierung von Zschäpe zeigt sich darin, dass sie in einigen Medien nicht im Zusammenhang mit den Morden genannt wird. In der FAZ vom 02.12.2011 berichtet Carstens von einem »Duo« – Böhnhardt und Mundlos –, das Kiesewetter ermordet habe. Dadurch wird Zschäpe implizit abgesprochen, Teil des NSU gewesen und mitverantwortlich für die Taten zu sein.
Dass Zschäpe in vielen Fällen nicht als Teil des NSU verhandelt und dadurch implizit entlastet und ihre Rolle verharmlost wird, entsteht auch durch die Auswahl der Bilder: Über einem Artikel in der Bild-Zeitung vom 17.11.2011 mit dem Titel »Die letzten Fotos der Killer-Nazis!« sind bspw. nur Fotos von Mundlos und Böhnhardt zu sehen, auf denen sie vermummt sind und dadurch besonders brutal wirken. Daneben wird Zschäpe als unpolitische Mitläuferin dargestellt. In der FAZ vom 04.12.2011 schreibt Anhalt etwa: »Böhnhardt und Mundlos – Beate Zschäpe, die dritte der Zelle, war anscheinend an den Morden nicht unmittelbar beteiligt – waren nicht nur mutmaßliche Serienmörder, sondern auch Rechtsextremisten«. Zschäpe wird mit der Formulierung entlastet, sie sei an den Morden nicht unmittelbar beteiligt gewesen, zugleich wird sie implizit aus dem Kollektiv der »Rechtsextremisten« ausgeschlossen, da nur Böhnhardt und Mundlos explizit als solche benannt werden. Damit wird nahegelegt: Sie habe keine extrem rechten Einstellungen und gehöre nicht zu den »Rechtsextremisten«.
Dass Zschäpe keine eigenständigen politischen Einstellungen habe, wird auch dadurch nahegelegt, dass sie über ihre (vermeintlichen oder realen) Beziehungen zu Böhnhardt und Mundlos definiert wird. So bezeichnet Wiegand sie in der SZ vom 8.11.2011 bspw. als »Freundin« von Mundlos. Auch wird immer wieder auf ihre – zumindest vermeintliche – Sexualität Bezug genommen, bspw. in der Bild-Zeitung vom 14.11.2011: »Mit Böhnhardt und Mundlos hat sie eine Dreierbeziehung: ›Mal war sie mit dem einen zugange, mal mit dem anderen‘, sagt ein früherer Bekannter.‹«
Wenn unterstellt wird, sie sei als Frau für die Reproduktionsarbeit verantwortlich gewesen, wird sie als unpolitische Mitläuferin gezeichnet; wird sie »zuhause« verortet, wird nahegelegt, sie habe mit den brutalen Taten, die außerhalb des Hauses stattfanden, nichts zu tun gehabt. In der SZ vom 26.11.2011 schreibt Leyendecker fragend: »Wie war das normale Leben im Untergrund? Wer hat gespült, wer hat den Müll runtergebracht? Trugen die Waffennarren Böhnhardt und Mundlos auch daheim schweres Gerät?« Darüber hinaus finden sich in der Berichterstattung über Zschäpe verkindlichende Darstellungsweisen: Ein Beispiel sind Bezeichnungen wie »liebes Mädel«, die in dem bereits zitierten Artikel aus der SZ vom 18.11.2011 aufgegriffen wurden, oder »nettes Mädel«, eine Formulierung von Erb in der taz vom 15.11.2011. Ein anderes Beispiel sind ausführliche Beschreibungen von Zschäpes Kindheit, wie sie Leyendecker in der SZ vom 26.11.2011 vornimmt: Zschäpes Kindheit wird bis in privateste Details beschrieben, sie erscheint dadurch als Opfer ihrer als nicht idealtypisch beschriebenen Kindheit.
Eine ungefährliche Frau auf der Anklagebank?
Auch wenn die bagatellisierenden Darstellungen im Laufe der Jahre abnehmen, finden sich auch während des Prozesses immer wieder Darstellungsweisen, mit denen Zschäpe verharmlost und aus der Verantwortung genommen wird. Ein Beispiel dafür ist die Berichterstattung über die Aussage des Mitangeklagten Carsten S. am 11.6.2013.22 S. hatte angegeben, Böhnhardt und Mundlos hätten ihm gegenüber Andeutungen über den Sprengstoffanschlag in Nürnberg gemacht. Als Zschäpe hinzugekommen sei, hätten Böhnhardt und Mundlos »Psst« gesagt und damit das Gespräch unterbrochen. Einige Medien berichteten daraufhin, S. habe Zschäpe entlastet. Die Unterbrechung des Gesprächs wurde als Hinweis gedeutet, dass Zschäpe nichts von dem Anschlag gewusst habe und nichts darüber erfahren sollte. In der FAZ vom 11.06.2013 schreibt Truscheit bspw.: »Carsten S. entlastet mit seiner Aussage womöglich die Hauptangeklagte. Unter Tränen sagt er, Mundlos und Böhnhardt hätten ihre Aktion vor Beate Zschäpe verheimlicht.« Die Aussage von S. lässt jedoch auch eine andere Interpretation zu: Es ist möglich, dass Böhnhardt und Mundlos deshalb »Psst« sagten, weil sie Zschäpes Kritik fürchteten, dass sie die Geheimhaltung der Gruppe und der Taten gefährdeten. Eine solche Lesart legt eine gleichberechtigte Mitgliedschaft des NSU nahe.
Ein weiteres Beispiel für die Verharmlosung von Zschäpe ist die Berichterstattung über den Tod ihrer Großmutter im Dezember 2016. In der Berichterstattung wurde mehrfach nahegelegt, Zschäpe nicht nur für den Tod ihrer Großmutter, sondern auch für ihre aktuelle Situation als Angeklagte im Verfahren zu bedauern. Ein prägnantes Beispiel hierfür ist der Artikel »Beate Zschäpe verliert ihre Oma – und damit ihre einzige Vertraute«, der in der SZ vom 13.12.2016 erschienen ist. Auch in der Berichterstattung über das psychiatrische Gutachten des Sachverständigen Henning Saß über Zschäpe gab es verharmlosende Darstellungsweisen. Saß schätzt Zschäpe als voll schuldfähig ein, sie habe einen »Hang zu Straftaten« und legt damit im Falle einer Verurteilung die Sicherungsverwahrung nahe. In der SZ erschien am 18.01.2017 ein Artikel, in dem Zschäpe stark verharmlost wurde. Der Titel fasst die Aussage des Artikels prägnant zusammen: »Zschäpe ist schon jetzt nicht mehr gefährlich«. Die Autorin geht davon aus, dass Zschäpe nur zusammen mit Böhnhardt und Mundlos gefährlich gewesen sei – und bedient damit Geschlechterstereotypen, nach denen Frauen nicht eigenständig handlungsfähig sind und von Männern abhängig seien.
Obwohl gerade der Fokus auf Zschäpes Erscheinungsbild immer wieder kritisiert wurde, ließ dieses Tema die Berichterstattung nicht los. Die Deutsche Presse-Agentur meldete im August 2017: »Beate Zschäpe trägt ein rot-orangenes, sommerliches Shirt mit kurzen Ärmeln, ein ungewohnt luftiges Outfit«, im Artikel ist von »Ferienstimmung« die Rede. Bild.de titelte daraufhin: »Blümchenschal und luftig rot-oranges Shirt – Zschäpe im Sommer-Look in die Sommerpause«. Die Website änderte später den Titel. Kritik kam von bildblog.de und NSU Watch. Letztere veröffentlichten auf ihrem Blog einen offenen Leser*innenbrief24 und kritisierten, der Beitrag liefere »eine Steilvorlage für das Bild der unpolitischen Mitläuferin«. »Der Teufel hat sich schick gemacht«
In einer anderen Darstellung erscheint Zschäpe als das personifizierte Böse. Diese dämonisierende Darstellungsweise findet sich v.a. im Mai 2013 in der Berichterstattung zum Prozessauftakt, etwa im Titelblatt der Bild-Zeitung vom 07.05.2013: »Der Teufel hat sich schick gemacht«. Neben der Überschrift ist ein Foto von Zschäpe abgebildet, wodurch ihre Person in direkte Verbindung zum Titel rückt – und wodurch sie explizit als »Teufel« bezeichnet wird. Durch die Bezeichnung »schick« und ihre bildliche Darstellung wird ihr äußeres Erscheinungsbild, ihre Körperlichkeit ins Zentrum gestellt. Als explizite Dämonisierungen lassen sich auch folgende Zitate aus dem zur Abbildung gehörigen Artikel werten: »Die schlimmste Rechtsterroristin in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Der Teufel hat sich schick gemacht für den Prozess des Jahres!« sowie »Fast amüsiert verfolgt Zschäpe die Scharmützel, die sich ihre Anwälte mit Richtern und Nebenklägern liefern. Der Teufel kennt keineReue.« In beiden Zitaten wird Zschäpe als »Teufel« bezeichnet. Die dämonisierenden Darstellungsweisen werden durch Beschreibungen von Zschäpes Aussehen und Auftreten vor Gericht gerahmt: »Schwarzer Hosenanzug, weiße Bluse, silberne Uhr. Wie eine Geschäftsfrau erschien Nazi-Terroristin Beate Zschäpe (38) gestern zum NSU-Prozessauftakt.«
Der starke Fokus auf Zschäpes Aussehen und ihr Auftreten vor Gericht findet sich in verschiedenen Medien. Am 07.05.2013 schreibt Truscheit bspw. in der FAZ: »Beate Zschäpe, die mit dem Rücken zu den Fotografen steht, ihren Kopf in den Nacken wirft und ihre langen rot-schwarzen Haare schüttelt und schüttelt, als wäre sie auf einer Strandpromenade und nicht in einem Gerichtssaal«. Durch die Beschreibung ihrer Haare und der damit verbundenen Dopplung des Verbs »schütteln« sowie durch den Hinweis auf eine »Strandpromenade« wird das Beschriebene leicht sexualisiert. Diese Beschreibungen ihres Erscheinungsbilds machen Zschäpe besonders sichtbar und lassen die männlichen Mitangeklagten verblassen und in den Hintergrund rücken.
Auffällig ist: Zschäpe wird nicht als überzeugte Neonazistin dargestellt. Ihre politischen Einstellungen kommen – wenn überhaupt – nur randständig vor. Das steht im Gegensatz zu Beschreibungen von Böhnhardt und Mundlos oder den Mitangeklagten Wohlleben und Eminger, deren ideologische Überzeugungen nicht infrage gestellt werden. Über Wohlleben schreibt etwa Schmidt in der taz vom 06.05.2013: »Von dem ehemaligen Türinger NPD-Funktionär Ralf Wohlleben, 38, darf man auch keine Abkehr von seiner Hassideologie erhoffen.« Damit wird seine politische Laufbahn benannt (ehemaliger »NPD-Funktionär«) und seine politische Überzeugung betont. Bei Wohlleben geht es also – anders als bei Zschäpe – nicht um seine Körperlichkeit, sein Auftreten vor Gericht und seine Sexualität.
Eine andere Berichterstattung ist möglich
Trotz der beschriebenen vergeschlechtlichten Darstellungsweisen von Zschäpe lässt sich im Verlauf der Berichterstattung eine abnehmende Polarisierung und Versachlichung beobachten. Zschäpes entlastende Selbstdarstellung im Dezember 2015 bspw. wurde medial mehrheitlich als unglaubwürdig eingestuft.25 Auch ihren späteren Versuchen, sich aus der Verantwortung zu ziehen – bspw. mittels des Gutachtens von Psychiater Joachim Bauer – wurde medial mit wenigen Ausnahmen nicht gefolgt. Ein weiteres Beispiel ist die Berichterstattung über das Plädoyer der Bundesanwaltschaft im Sommer 2017: Die Anklagebehörde bewertet Zschäpe als gleichberechtigtes Mitglied des NSU und fordert für sie eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung. Hier blieb die Berichterstattung weitestgehend distanziert-sachlich und ließ Geschlechterstereotype beiseite. Diese Entwicklung ist auf den begleitenden, kritischen Diskurs zur Berichterstattung zurückzuführen.
Bereits im November 2011 veröffentlichte das Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus einen offenen Brief und forderte »alle Medienschaffenden und WissenschaftlerInnen auf, in diesem und anderen Fällen rechtsextreme Frauen als das zu sehen und darzustellen, was sie sind: mutmaßlich rassistische, menschenverachtende Täterinnen«. Infolge des Briefes lässt sich ein Wandel in der Berichterstattung verzeichnen. Das ist ein Hinweis darauf, wie wichtig Interventionen in den medialen Diskurs sind. Auch kontinuierlich arbeitende NGOs wie NSU-Watch spielen eine zentrale Rolle: Neben der Protokollierung des NSU-Prozesses auf der Homepage nsu-watch.info finden sich dort auch geschlechterreflektierende Beiträge.
Es ist eine begrüßenswerte Entwicklung, dass sich die Berichterstattung über Zschäpe versachlicht hat – doch mit ihr geht auch eine Gefahr einher: Nach dem Urteil könnte die juristische und gesellschaftliche Aufarbeitung des NSU als abgeschlossen angesehen werden. Dadurch könnten die mutmaßlichen Beiträge anderer Beteiligter in den Hintergrund geraten – auch die von anderen Frauen, bspw. von Susann E., Corryna G., Mandy S. oder Antje P. Über den NSU hinaus ist zu hoffen, dass sich die Versachlichung auf andere Prozesse und Bereiche ausweitet, um rechten Terror und Neonazismus – auch von Frauen propagiert und durchgesetzt – rechtzeitig zu erkennen und zu unterbinden. Zugleich ist zu hoffen, dass die vergeschlechtlichte Berichterstattung über Zschäpe und andere Neonazistinnen weiter zurückgedrängt wird und stattdessen die Betroffenenperspektive und die Tematisierung von gesamtgesellschaftlichem Rassismus in den Vordergrund rücken.
Dieser Artikel basiert in großen Teilen auf dem ersten Kapitel des Buchs »In guter Gesellschaft? Geschlecht, Schuld und Abwehr in der Berichterstattung über Beate Zschäpe«, welches ergänzt und aktualisiert wurde. Charlie Kaufhold (2015),Verlag Edition Assemblage.
Ein Auszug aus der BROSCHÜRE:
Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus der
„Le_rstellen im NSU-Komplex: Geschlecht, Rassismus, Antisemitismus“.
Hrsg.: Amadeu Antonio Stiftung
Berlin 2018
Als PDF zum Download hier:
http://www.gender-und-rechtsextremismus.de/w/files/pdfs/fachstelle/leerstellen_internet.pdf
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