Ihre Weltanschauung geht auf das rassistisch-antisemitische Denken der völkischen Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts zurück, das im Nationalsozialismus seinen Höhepunkt fand. Sie halten es für ein Naturgesetz, das nur eine „rein“ deutsche Abstammung den Erhalt des „Volkes“ sichern könne und die deutsche „Volksgemeinschaft“ allen anderen Menschengruppen überlegen sei. IN diesem Denken gibt es keinen Platz für Weltoffenheit, für die Vielfalt von Lebensentwürfen und die Gleichberechtigung aller Menschen. Migrant/innen und Flüchtlinge werden in der Weltanschauung der völkischen Siedler/innen ebenso aus der Gesellschaft ausgeschlossen wie Menschen mit einer demokratischen Einstellung, mit einer unterschiedlichen sexuellen Orientierung oder unkonventionellen Lebensweisen.
Ideolog/innen statt Aussteiger/innen
Die völkischen Siedler/innen entscheiden sich für ein Leben auf dem Land, um jenseits größerer Städte eine unabhängige, rückwärtsgewandte Lebensweise zu führen. In dünn besiedelten Gebieten könne sie ungestörter ihrer menschenfeindlichen Weltanschauung folgen und ihre Kinder mit weniger Einflüssen von außen erziehen. Häufig arbeiten die völkischen Siedler/innen in traditionellen Berufen wie der (Bio-)Landwirtschaft, im Kunsthandwerk oder al Hebammen und haben einen starken Bezug zum Naturschutz. Ein Leben auf dem Land und eine ökologische Produktionsweise sind noch lange kein Verweis auf völkisches Siedeln. Aber die völkischen Siedler/innen treffen in ihrer Umgebung auf viel Zustimmung, weil sich ökologisch nachhaltige Konzepte in der Gesellschaft zunehmend durchsetzen, währen ein kritisches Bewusstsein für problematische Überschneidungen zu rechten Naturschützer/innen häufig fehlt. Die völkischen Siedler/innen werden so oft nur als harmlose alternative Aussteiger/innen gesehen, Naturschutz dient ihnen aber lediglich dazu, die deutsche „Volksgemeinschaft“ und ihren „Lebensraum“ zu bewahren.
Engagiert und rechtsextrem
Wie gut sich die Siedler/innen in das Engagement von Umweltschützer/innen eingliedern können, zeigt das Vorgehen von Holger Fromm*, einem der ersten völkischen Siedler in Mecklenburg-Vorpommern. Er war Gründungsmitglied der Initiative „Gentechnikfreie Region Nebel / Krakow2, bis seine rechte Weltanschauung bekannt wurde und er aus der Initiative ausgeschlossen wurde. Der Biobauer und Agraringenieur ist NPD-Mitglied und wurde von der Landtagsfraktion der Partei als Experte bei einer öffentlichen Anhörung zur „grünen Gentechnik“ eingeladen. Und selbst Udo Pastörs, dessen politische Einstellung als langjähriger Kader der NPD, ehemaliger Bundesvorsitzender und amtierender Vorsitzender der Landtagsfraktion der NPD in MV hinreichend bekannt sein sollte, schaffte es, sich zwei Jahre lang als Mitglied der mecklenburgischen Bürgerinitiative „Braunkohle Nein!“ zu halten, bis er wegen seiner Parteizugehörigkeit ausgeschlossen wurde. Die Initiative wollte ihre „Heimat“ gegen „industrielle Großvorhaben“ verteidigen und verhindern, „Opfer von ausländischen Unternehmern“ zu werden, „die ihre Gewinne in die USA abführen und einen verarmten Natur- und Wirtschaftraum hinterlassen“.
„Nette“ Nachbarn mit Hang zum Brauchtum
In den Gemeinden treten die völkischen Siedler/innen als nette, hilfsbereite Nachbar/innen auf, die sich mit ihrer zupackende Art beliebt und letztendlich unentbehrlich machen. Sie übernehmen ehrenamtliche Positionen in Vereinen, Kindergärten oder Schulen und wenn ihre menschenfeindliche Weltanschauung bekannt wird, sind sie oft so fest in den Alltagsstrukturen verankert, dass nur schwer gegen sie vorgegangen werden kann. Ihre bisweilen sehr traditionell anmutende Kleidung – die langen Rücke der Frauen und die Zimmermannshosen der Männer – fällt nicht weiter auf. Im Gegenteil: Wenn sie an Volksfesten, (Kunsthandwerks-)Märkten oder Mittelalterfestival teilnehmen , gelten die völkischen Siedler/innen als kulturell engagiert und traditionsbewusst. Sie bezwecken mit der Pflege althergebrachten Brauchtums aber die Stärkung einer germanisch-nordischen Kultur, mit der sie sich gegen kulturelle Vielfalt und ein demokratisches Zusammenleben abschotten wollen.
Häufig stammen die Siedler/innen aus völkischen Sippen, die das extrem rechte Gedankengut schon seit Generationen weitergeben. Auch wenn sie auf den ersten Anschein harmlos erscheinen, vertreten sie ihre Weltanschauung nicht nur in Diskussionen unerbittlich, sondern im Ernstfall auch mit militärischen Mitteln: Überlebenstrainings und Wehrsportübungen, bei denen schon Kinder und Jugendliche gedrillt werden, sollen die Verteidigung der „Volksgemeinschaft“ gewährleisten.
Sie siedeln von Schleswig-Holstein bis Bayern
Die völkischen Siedlungsprojekte sind kein Kurzzeitphänomen, sondern auf eine langfristige Beeinflussung der Alltagskultur ausgerichtet. Sie finden sich in ganz Deutschland: Die Siedler/innen haben sich in Bayern, Hessen, der Lüneburger Heide, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Schleswig-Holstein niedergelassen. Sie sind bisher wenig aufgefallen und es gibt keine offiziellen Statistiken über sie, doch Beratungsstellen erhalten zunehmend besorgte Anfragen von Menschen, die mit den Siedler/innen zu tun haben.
Was tun?
Der Einfluss der Siedler/innen ist allerdings nicht ungebrochen: Immer wieder schließen sich Menschen, die mit den Siedler/innen konfrontiert sind, zusammen, um sich über ihre Erfahrungen auszutauschen, Netzwerke zu bilden und den rechten Nachbar/innen eine demokratische Alltagskultur entgegenzusetzen. Mit Öffentlichkeitsarbeit, Theaterprojekten, Kinder- und Sportfesten oder Diskussionsveranstaltungen bringen sie die Menschen auf einer gleichberechtigten, weltoffenen Ebene zueinander und sorgen für einen Zusammenhalt, der eine völkische Weltanschauung weit hinter sich lässt.
Um dieses zivilgesellschaftliche Engagement zu unterstützen, will die Broschüre „Völkische Siedler/innen im ländlichen Raum. Basiswissen und Handlungsstrategien“ über den Lebensentwurf der völkischen Siedler/innen aufklären. Was ist die völkische Weltanschauung? Welchen Stellenwert haben Bauerntum und Brauchtum für die Siedler/innen? Welchen Bezug haben sie zum Umweltschutz? Neben einem Interview mit der Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke, die sich intensiv mit dem Thema völkische Siedler/innen beschäftigt hat, bietet die Broschüre Handlungsempfehlungen, die den Umgang mit den Siedler/innen erleichtern sollen und Informationen über Beratungsstellen, die eine professionelle Unterstützung gewährleisten.
Ermöglicht wurde die Publikation durch das Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ des Bundesministeriums des Innern, das in ländlichen Gegenden eine lebendige und demokratische Gemeinwesenkultur fördert. Schon seit Beginn des Programms engagiert sich die Amadeu Antonio Stiftung in diesem Bereich und setzt sich mit dem Projekt „Region in Aktion“ für eine demokratische Kultur in ländlichen Regionen ein. Gerade dort ist es für Bürgerinnen und Bürger besonders schwer, da extrem Rechte die Alltagsstrukturen schleichende unterwandern und versuchen, das Zusammenleben zu dominieren.
Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.): Völkische Siedler/innen im ländlichen Raum. Basiswissen und Handlungsstrategien. Berlin 2014. Als pdf zum Download auf der Website der Amadeu Antonio Stiftung, www.amadeu-antonio-stiftung.de
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