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„Siege“ James Masons Anleitung zum „Rassenkrieg“ für die „Atomwaffen Division“

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In der Mitte hockt James Mason, der Autor von "Siege" die Pflichtlektüre der "Atomwaffen Division"

Einige Szenen der Rechtsextremen versuchen stetig, neue Rekorde der Entmenschlichung zu erreichen. Ganz vorne mit dabei ist momentan die sogenannte „Atomwaffen Division“ (AWD), ein eher loser Zusammenschluss junger, onlineaffiner Männer, der 2016 erstmals bekannt wurde und  sich rechtsterroristische Anschläge herbeisehnt, um Chaos zu verbreiten. Das größte Feindbild sind Jüdinnen und Juden. Während andere rechtsextreme Gruppierungen in den letzten Jahren dazu tendierten, direkte NS-Verherrlichung zu vermeiden, kann es den Anhängern der „Atomwaffen Division“ nicht explizit genug sein. Das drückt  bereits ihr Logo aus, dessen Form sich auf SS-Wappen beruft. In der Mitte steht das Symbol für Kernenergie, was auf ihren absoluten Vernichtungswillen hinweisen soll. Es ist quasi die Aneignung von nationalsozialistischer Ideologie durch eine vom Internet und Online-Games geprägten männlichen Jugend, angereichert um Anarchie und Okkultismus. Die Terrorgruppe verfolgt das Prinzip der „Zellen des führerlosen Widerstandes“. Kein neues, aber bei militanten Neonazis ein durchaus beliebtes Konzept. Auch der mordende NSU sah sich als eine solche Zelle.

„Siege“ – Die Bibel der gewaltbereiten, jungen und internetaffinen Neonazis

Wie es sich für eine Neonazi-Gruppe gehört, orientiert sich auch die „Atomwaffen Division“ an einem Führer. Ihr Guru  ist der Rechtsextreme James Nolan Mason, der auch das Standardwerk für diese Gruppierung lieferte – „Siege“ („Die Belagerung“). Der 1952 in den USA geborene Mason trat bereits im Alter von 14 Jahren in die „American Nazi Party“ (ANP) ein. Mit 16 Jahren plante er, seinen Schulleiter und weitere Lehrer*innen seiner High-School zu ermorden, wurde von einem Parteikameraden jedoch überzeugt, stattdessen lieber die Schule zu verlassen, um im Parteibüro der Nazi-Partei zu arbeiten.  

„Siege“ ist eine 563-Seiten umfassende eine Sammlung von Newslettern, die der gut vernetzte Mason in den Jahren 1980 bis 1986 schrieb. Er formuliert hier seine dystopischen neonazistischen Überlegungen. In diesen Terrorschriften ermutigt er seine Leserschaft dazu auf, willkürlich Anschläge und Morde zu begehen. Ziel solle es sein, die Gesellschaft zu destabilisieren. Man solle sich keinen großen Gruppen anschließen, sondern eher klandestine Terrorzellen gründen. Die Feindbilder sind Schwarze, Migrant*innen, Homosexuelle, Jüd*innen und Muslim*innen. Es geht aber auch um Strategien: Mason befürwortet gewalttätigen politischen Aktivismus, der zu einem neuen faschistischen Regime in den USA führen solle. Dazu sei ein Krieg gegen die Regierung und die Bevölkerung nötig. Ziel ist ein „Rassenkrieg“, der die angebliche Überlegenheit der Weißen („White Supremacy“) belegen und besiegeln soll.

„a terrorist organization cannot be a public organization“ (Mason in „Siege“)

Deutsche AWD-User auf Instagram

Für Mason sind Hitler und Charlie Manson Reinkarnationen von Jesus

Neben Adolf Hitler übt der Serienmörder und Sektenführer Charles Manson eine große Strahlkraft auf Mason aus. Zunächst korrespondierte Mason mit Mitgliedern von Charles Mansons „Familie“, seinen Anhänger*innen, und ab 1982 dann auch mit Manson persönlich, der seit 1969 eine lebenslange Haft verbüßte, da er seine Anhänger*innen aufforderte, Morde in Los Angeles zu begehen, mit dem Ziel einen „Rassenkrieg“ zwischen Weißen und Schwarzen auszulösen. Im Gefängnis hat sich Manson ein Hakenkreuz auf die Stirn ritzen lassen. 

„What did it in the end for Jesus, Hitler and Manson is found in what they SAID and in what they DID.“ (Mason in „Siege“) 

In direkter Zusammenarbeit mit dem inhaftierten Charles Manson gründete Mason 1982 die neonazistische Gruppe „Universal Order“, um seine Botschaften zu verbreiten. 1992 wurden die Siege-Newsletter zusammengefasst und unter gleichem Namen in Buchform veröffentlicht. Seither ist „Siege“ zu einer Art Insider-Kultlektüre für Neonazis geworden. 

Die Wiederentdeckung von „Siege“ durch die Cybernazis

Wiederentdeckt und einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wurde „Siege“ allerdings erst Jahre später, mit dem Aufkommen eines neuen internetbasierten weißen Nationalsozialismus in den USA um das 2016. Das Buch gelang in die Hände einer Gruppe Radikaler, die in Masons „Siege“ genau das Ausmaß an Menschenverachtung und neofaschistischer Anarchie fanden, das sie suchten. Für die 2015 in den USA gegründete und seit 2016 aktive „Atomwaffen Division“ ist Mason mittlerweile zum Idol geworden und „Siege“ ist ihre Pflichtlektüre. 

Ein Meme, das den Werdegang eines enttäuschten jungen Mannes zeigt, der nach Enttäuschungen bei der AWD landet

„Future terrorists are of course free to adopt any name they choose so long as it denotes unity of all White forces.“ (Mason in „Siege“)

Laut der US-NGO „Southern Poverty Law Center“ (SPLC) tauchte „Siege“ schließlich erstmals prominenter im „Iron March“-Forum auf.  Bis 2017 war „Iron March“ eine Website, auf der sich weltweit Neonazis vernetzten. Das Forum war auch der Geburtsort der „Atomwaffen Division“. Zwischen 2015 und 2017 stieg die Erwähnung von „Siege“ im Forum drastisch an, so das SPLC. Auf Social-Media-Kanälen der Alt-Right wurde der Hashtag #ReadSiege zum Trend. Besonders nach der „Unite the Right“-Demonstration in Charlottesville im August 2017 empfanden immer mehr Neonazis „Siege“ als wegweisend dafür, wie sinnlos öffentliche Demonstrationen und politische Partizipation seien. Vielmehr begannen sich immer mehr junge Neonazis für die Theorien in „Siege“ zu interessieren. Ein ehemaliges Mitglied der AWD meinte, dass die Gruppe Masons „Siege“ wie eine Bibel befolge, so das „International Centre for Counter-Terrorism“ (ICCT).

Meme aus Kreisen der AWD

Akzelerationismus: Die Beschleunigung des Umsturzes Mittels Terror

Teil der von Mason durch „Siege“ propagierte Ideologie ist es, Chaos zu sähen. Anders als die Alt-Right will die „Atomwaffen Division“ nicht Teil der politischen Kultur sein, um das System zu ändern. Vielmehr will die „Atomwaffen Division“ das “System” bzw. die liberale Gesellschaft zerstören, um beides zu überwinden. Diese Ideologie arbeiten darauf hin, einen „Tag X“ zu erreichen, an dem “das System” beziehungsweise die Gesellschaft ins Chaos stürzt. Ein zentrales Ideologiefragment ist die Philosophie des Akzelerationismus (Beschleunigung). Die Akzelerationist*innen wollen mit Mitteln des Kapitalismus den Kapitalismus stürzen, das aber nicht mit klassischen Mitteln der politischen Partizipation, wie Demonstrationen und Wahlen. Ihre Strategien stammen aus den digitalen Subkulturen. Per se ist diese Philosophie nicht rechts, jedoch sehen AWD-Aktivisten in ihr ein willkommenes ideologisches Fundament für ihren Traum: Den Umsturz durch den Zusammenbruch des in ihren Augen jüdischen und nicht zu rettenden politischen Systems durch gezielte Terrorattacken zu beschleunigen.

„Revolutionary discipline must mean that WE will be the single survivor in a war against the System. A TOTAL WAR against the System.“ (Mason in „Siege“ 1985)

Akzelerationismus, wie ihn die AWD versteht

Faszination für das Chaos

Inmitten des Chaos, so die Annahme, könnten die Neonazis die “weiße Masse” mobilisieren, um so die Macht an sich zu reißen, um einen „White Power“-Staat zu errichten. Zur Erreichung dieses anarchistischen Zustandes sind den Neonazis eigentlich alle Mittel und Gruppen recht. So hegen sie zum Teil eine Faszination für radikale Kommunist*innen sowie für den sogenannten „Islamischen Staat“.

Meme

„And so the Jews keep the ‘Hitlermania‘ going because it is highly profitable for them to do so“  (Mason in „Siege“)

Eines der bindendsten Elemente von AWD ist ihr Antisemitismus, der im Wunsch nach Vernichtung aller Jüd*innen mündet. Aber auch Antifeminismus und Rassismus sind zentrale Elemente ihrer Ideologie. Teile der Gruppe haben zudem einen okkulten satanistischen Glauben. 

Ekelhaftes Meme aus dem Dunstkreis der AWD

Während andere rechtsextreme US-Gruppen auch einen kämpferischen Nationalismus propagieren, geht es bei AWD ausschließlich um einen „Rassenkrieg“, der die Überlegenheit der “Weißen” („White Supremacy“) belegen und besiegeln soll. Und Gewalt stellt dabei ein zentrales Element dar, auch in der Selbstdarstellung. Das Neonazi-Netzwerk ist in unabhängigen Zellen von wenigen Personen organisiert, nach dem Prinzip des „führerlosen Widerstands“. In konspirativen Chats tauschen die „Atomwaffen“-Fans Guerilla-Handbücher und Bombenbauanleitungen aus. Das Schießen lernen die Neonazis in „Hate Camps“, die etwa in der Wüste von Nevada stattfinden, mitunter angeleitet von Ex-Militärs, so berichtet der SPIEGEL. Hier werden Mitglieder für den „RaHoWa“ (Racial Holy War; heiliger Rassenkrieg) in Guerilla-Taktiken angeleitet. Propagandamaterial davon landet meist im Internet. 

Darstellung der „Atomwaffen Division“

Die Aktivisten setzen in ihrer Darstellung im Netz stets auf bildliche, rhetorische und metaphorische Eskalation. Expliziteste abwertende Beschimpfungen durchziehen alle Veröffentlichungen. Videos zeigen Schießübungen in Wäldern und das Verbrennen amerikanischer und israelischer Fahnen. Die AWD-Mitglieder tragen dabei maskenartige Totenkopf-Tücher als Vermummung und tragen schwerste Waffen. Die nächstmögliche Eskalationsstufe ist dann nur noch die Tat.

Und aus den Gewaltübungen wurde in den USA bereits schon mörderischer Ernst. Seit 2017 sind bereits fünf Menschen durch AWD-Attentäter ermordet worden, ein geplanter Sprengstoff-Anschlag auf ein Kernkraftwerkt wurde durch Polizeiermittlungen verhindert. 

„When terrorism by Whites becomes a true menace to the System then Big Brother will begin locking them up en masse. This will become educational for many of today’s ‘leaders‘.“ (Mason in „Siege“)

Fünf Morde durch die „Atomwaffen Division“ 

Ein AWD-Mitglied tötete 2017 zwei weitere AWD-„Kameraden“ und gleichzeitig Mitbewohner, da sie ihn verspotteten, nachdem er zum Islam konvertierte. In ihrer WG fand die Polizei während der Ermittlungen Initialsprengstoff, radioaktive Materialien und NS-Propaganda. Ebenfalls 2017 ermordete ein 17-Jähriger AWD-Sympathisant in Virginia die Eltern seiner Ex-Freundin, die ihr den Kontakt mit dem Neonazi verboten hatten. 2018 ermordet ein Mann in Kalifornien einen homosexuellen jüdischen Studenten; zuvor hatte er mehrere AWD-Trainingscamps besucht und beschreibt sich selbst im Internet als „so antisemitisch, wie man nur sein kann.“ Im Februar 2019 wird ein AWD-Mitglied verhaftet, der einen Sprengstoffanschlag auf ein Kernkraftwerk plante. Die Morde zeigen, dass die Gewaltverherrlichung der Gruppe zu massiver, wenn auch nicht immer ideologisch passender Gewalt durch Anhänger führt. 

Internationale Ableger der „Atomwaffen Division“

Doch die AWD ist nicht nur in den USA aktiv, ähnliche Gruppen entstanden in Australien („Antipodean Resistance“), Kanada („Northern Order“), Großbritannien („Sonnenkrieg Divison“), Osteuropa („Feuerkrieg Division“) und Skandinavien („Nordische Widerstandsbewegung“). Seit Juni 2018 existiert auch eine „Atomwaffendivision Deutschland“. Laut Innenministerium beobachte man das Treiben der Gruppe „intensiv“. Laut SPIEGEL würden deutsche Sympathisanten bereits seit 2017 im Austausch mit ihren Gewaltidolen in den USA stehen. Mitglieder der Gruppe aus den Vereinigten Staaten reisten nach England, Polen, Tschechien, in die Ukraine – und die Bundesrepublik.

Propaganda-Video von "Atomwaffen Division": Mit Totenkopf-Maske vermummter Anhänger mit Flagge vor der Wewelsburg.
Zumindest zwei belegte Fans hat „Atomwaffen Division“ in Deutschland. Den mit der Fahne und den hinter der Kamera. Videostill aus dem Propaganda-Video, Juni 2018.

„Atomwaffendivision Deutschland“

Deutsche Aktivisten oder zumindest Sympathisanten behaupteten, sie verfügen über „beste Kontakte in die USA“. Im November 2018 tauchten an der Humboldt-Universität in Berlin Flugblätter mit Hakenkreuzen auf. Darunter stand die vollmundige Aufforderung an Studierende, sich auf den „brutalsten Bürgerkrieg der Geschichte“ vorzubereiten und sich der „Atomwaffendivision Deutschland“ anzuschließen. Es folgten weitere Flugblattaktionen in einem Lesesaal der Universität in Frankfurt am Main und im Mai 2019 in Köln, kurz vor dem Jahrestag des NSU-Nagelbombenanschlags, bei dem 2004 in der Keupstraße 22 Menschen verletzt worden waren. Die Überschrift auf dem Flyer: „Botschaft an die Moslems in Deutschland“. Gezielte Angriffe würden „bald starten“.

Was wurde aus James Mason?

Und was geschah mit James Mason? In den Jahren 1988 und 19991 fiel Mason zweimal auf, als die Polizei sein Haus in Ohio durchsuchte und dabei kinderpornographisches Material beschlagnahmte. 1992 bekannte Mason sich schuldig, er wurde verurteilt, musste jedoch nicht in Haft. Von jungen Teenagerinnen ließ Mason dennoch nicht die Finger. Im Mai 1994 wurde Mason erneut verhaftet wegen sexueller Misshandlung eines Minderjährigen, die Anklage wurde jedoch später wieder fallengelassen. 1994 drohte er seiner 16-jährigen Ex-Freundin und ihrem neuen Freund, einem jungen Latino, mit einer Schusswaffe. Mason wurde verhaftet und zu einer Haftstrafe verurteilt.

Während seiner Zeit im Gefängnis wandte sich Mason immer stärker dem Christentum zu und schrieb eine Reihe von Büchern zum Thema. Darunter auch „The Theocrat“ (2000), ein Vergleich von Bibelstellen mit Passagen aus Hitlers „Mein Kampf“. Seitdem die AWD „Siege“ für sich entdeckt hat, ist James Mason – nicht überraschend – ihr Star. Seine Wohnung in Denver ist zum Treffpunkt für AWD-Mitglieder geworden. Hier posiert er mit NS-Devotionalien und stellt sich für Propaganda-Aufnahmen zur Verfügung.  
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