Hass, Empörung und Unsachlichkeit bekommen mehr Likes als Nachfragen, Differenzieren und Abwägen. Damit wird Meinungsaustausch Glückssache: Viele Menschen haben keine Lust, mit jemand zu diskutieren, der sie erst einmal anpöbelt. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass viele empörte Menschen durchaus Interesse an Austausch und Informationen habe, wenn sie sich erst einmal beruhigen konnten. Oft reicht schon eine Nachfrage, um herauszufinden, ob ich es mit einem gesprächsbereiten Menschen zu tun habe oder mit einem Menschen, bei dem Abwertungen wie Rassismus, Islamfeindlichkeit oder Sexismus zum geschlossenen, antidemoraktischen Weltbild gehören. Aber was, wenn es sich doch um so einen Menschen handelt? Viele haben Angst, sich zu positionieren, Angst, dann selbst angegriffen zu werden. Warum schaffen wir es nicht flächendeckend einen guten, wertschätzenden Umgang zu ermöglichen?
Was würde helfen, sie wieder zu beleben?
Konsequente Moderation von öffentlichen Foren und Seiten, um eine Kommunikation mit gemeinsam zu diskutierenden Regeln und ohne Beleidigungen, Schmähungen und Abwertungen zu ermöglichen, wäre ein machbarer Start. Dann würde ich mir einen sachlichen und empathischen Umgang miteinander wünschen, der Probleme zu lösen versucht, statt sie permanent zur Eskalation zu bringen. Gesprächsbereitschaft auch mit Andersdenkenden – allerdings ohne Appeasement und mit klarer Haltung. Gegenseitige Wertschätzung und Unterstützung. Und es würde helfen, Diskussionen auch dann wertzuschätzen, wenn die Teilnehmenden hinterher nicht einer Meinung sind. Vielfalt müssen wir auch aushalten können.
Was hat das Internet damit zu tun?
Die Erkenntnis, dass Menschen Freiheit nutzen, um sie gegen die Freiheitsrechte zu wenden, scheint für viele immer noch ein Schock zu sein – und sie sprachlos zu machen, wenn es um Hass und Diskriminierung im Internet geht. Dabei wird Hass hier besonders sichtbar, weil Menschen ihn offener äußern, als sie es von Angesicht zu Angesicht tun würden. Hier erhalten etwa Rassismus und Flüchtlingsfeindlichkeit scheinbar Akzeptanz und erscheinen, als wären sie Normalität. Wenn wir nichts dagegen tun, ziehen sich Angegriffenen aus den öffentlichen Diskussionen zurück, die lauten Antidemokrat_innen gewinnen den Raum. Wir müssen als Gesellschaft Lösungen finden, die Meinungsaustausch und Engagement ohne Angst ermöglichen.
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Simone Rafael ist Kunsthistorikerin, Publizistin und Journalistn und arbeitet seit 2002 für die Amadeu Antonio Stiftung im Internet: Erst baute sei das Best-Practice-Portal für Initiativen, www.mut-gegen-rechte-gewalt.de auf, dann war sie von 2009 bis 2017 Chefredakteurin von „Netz gegen Nazis – Mit Rat und Tat gegen Rechtsextremismus“, seit 2017 leitet sie die Redaktion von „Belltower.News – Netz für digitale Zivilgesellschaft„. Daneben entwickelt sie Ideen gegen Rechtsextremismus im Internet, etwa Kampagnen, Argumentationstrainings und Projekte wie „no-nazi.net – Für sozialen Netzwerke ohne Nazis“ (heute: debate//de:hate), das Initiativen, Politik, Unternehmen, Schulen und Jugendliche im Umgang mit Hate Speech, Rechtsextremismus und Rassismus in Sozialen Netzwerken berät und schult.