Im März 2020 veröffentlicht das Entwicklerstudio „Infinity Ward“ das populäre Battle-Royal-Spiel „Call of Duty – Warzone für PC und Konsole. Über 50 Millionen Spieler*innen kämpfen seit Release in dem fiktiven Landabschnitt „Verdansk“ darum, wer als Überlebende/r aus dem Kriegsgebiet entkommt. Anfang Juni änderte sich der Ladebildschirm des sich stetig wiederholenden Ego Shooters. Die sonst starren Überlebenstipps wichen einem klaren Bekenntnis für die Protestbewegung: „BLACK LIVES MATTER […] Call of Duty und Infinity Ward stehen für Gleichberechtigung und Inklusion. Wir stellen uns gegen Rassismus und Ungleichheit, die unsere Schwarze Community erträgt.“
Solidarität für Black Lives Matter – Breites Bündnis der Games-Welt gegen Rassismus
Infinity Ward steht mit diesem Bekenntnis nicht alleine. Die Liste der Publisher und Games-Entwickler*innen, die sich solidarisch mit der BLM-Bewegung zeigen, ist lang. Sowohl die großen Konsolenhersteller Nintendo, Microsoft und Sony, als auch Entwicklerstudios wie Niantic, Square Enix oder EA Sports positionierten sich auf Social Media oder der eigenen Firmenhomepage und spendeten für Black Lives Matter. Das Vorstellungsevent der heiß erwarteten Playstation 5 wurde sogar verschoben. Es gäbe gerade wichtigere Dinge, die Aufmerksamkeit verdienten. Recht hat Sony.
Auch viele Journalist*innen aus der Gamesbranche positionierten sich, platzierten klare Pro-BLM-Statements, widmeten Podcasts dem Thema Alltagsrassismus oder unterstrichen in Livestreams eine klare antirassistische Haltung, wie beispielsweise bei der Fachzeitschrift Gamestar. Der TV-Sender RocketbeansTV postete nützliche Leseempfehlungen und Follow-Tipps, während die Games-affine Plattform Reddit ein strikteres Vorgehen gegenüber rassistischen Kommentaren und User*innen ankündigte. Konkrete Schritte geht auch das Entwicklerstudio von Call of Duty Warzone. Zukünftig werden auch jene Profile aus dem Spiel entfernt, die über Sonderzeichen rassistische Messages auf das Schlachtfeld „Verdansk“ tragen. Zusätzlich wolle das Unternehmen durch eine stärkere Moderation gegen Ingame-Rassismus im Spielechat vorgehen.
Unverpixelter Hass auf Steam und Twitter
Also alles gut in den Gaming-Welten? Weit gefehlt. Natürlich gibt es auch in Videospielen und auf den Games-Plattformen viele Menschen, die auf Berichte über Rassismus mit Rassismus antworten. Im Vergleich zu klassischen sozialen Medien und anderen Teilen der digitalen Welt wird hier eher offener und unverpixelt Hass reproduziert, rassistische Gewalt relativiert oder die Solidarität mit Schwarzen Menschen verunglimpft. Problematisch sei nicht die Polizeigewalt und der strukturelle Rassismus, sondern viel eher Plünderungen und das zu lasche Eingreifen der Staatsgewalt.
Dieses einseitige Bild der Gewalteskalation findet sich auch bei Facebook, Twitter und Instagram wieder. Anders als in den klassischen sozialen Medien erfahren solche Kommentare auf Gaming-affinen Plattformen eher wenig Gegenwind. Populärstes Beispiel ist hier Steam. Die Videospielvertriebsplattform hat sich in den letzten Jahren technisch weiterentwickelt. Längst werden hier nicht mehr nur Spiele gekauft, modifiziert und Statistiken bezüglich des Spieleverhaltens angezeigt. Steam ist viel eher ein eigenes soziales Netzwerk, auf der neben dem eigenen Profil auch Gruppen, Diskussionsforen und Kommentarspalten zum Austausch bereitstehen. In der Vergangenheit fiel Steam dadurch auf, dass selbst verfassungsfeindliche Symbole auf der Plattform trotz Meldesystem präsent blieben und eine inhaltliche Moderation quasi nicht stattfand. Rechtsextremen Attentätern, wie den Terroristen von Christchurch oder Utøya wird offen in Gruppen gehuldigt und einzelne Nutzer*innen benennen ihre Profile nach den Mördern, um diese zu glorifizieren. In „Wehrmachtsfangruppen“ wird auf der Plattform der Nationalsozialismus relativiert oder Verschwörungsideologien verbreitet, wie beispielsweise die Mär vom großen Austausch von einer Gaming-Gruppe der rechtsextremen „Identitären Bewegung“. Aktuell finden sich auf Steam über 600 Profile, die sich nach dem Mörder von George Floyd benannt haben. Mal mehr, mal weniger offen werden hier durch Artworks, Illustrationen oder eine hasserfüllte Profilbeschreibung rassistische Statements postuliert.
Auch in der Steam-Gruppe „#BlackLivesMatter“ finden sich längst nicht nur Solidaritätsbekundungen für George Floyd und BLM, sondern auch unzählige rassistische Narrationen. In pixeligen Lettern posten gleich mehrere User*innen das N-Wort, andere verunglimpfen Opfer von rassistischer Gewalt mit Kommentaren wie „WHITE LIVES MATTER“ oder „george floyd deserved it“.
Von Gamergatern zur IB: Anti-Black Lives Matter auf Twitter
Ähnliche Narrative werden auch von der rechten Gamer*innen-Bubble auf Twitter verbreitet. Zum Beispiel von einem Nutzer aus dem Umfeld der sogenannten „Identitären Bewegung“, der sich selbst als Indie Game Developer von rechts beschreibt. Tweets und Videos der selbsternannten Bewegung werden geteilt und Phrasen wie „Niemals auf Knien“ oder „#BlackCrimesMatter“ verbreitet.
Auch Accounts, die sich als Gamergater verstehen, formulieren auf Twitter ein einseitiges Bild der Ausschreitungen. Neben Tweets, in denen Sympathisant*innen von BLM belächelt, oder vermeintliche postdemokratische Zustände identifiziert werden, konstruieren sie ein kriminelles Bild von George Floyd und Black Lives Matter. Unter dem Hashtag GamerGate versammeln sich seit 2014 vor allem männliche Gamer, die sich gegen eine vermeintliche „politische Vereinnahmung“ von Videospielen stellen und sich in ihrem Selbstverständnis für einen ethischeren Games-Journalismus aussprechen.
Auch wenn „Good Gaming – Well Played Democracy“ es als notwendig erachtet, dass Themen wie Diversität, Rassismuskritik oder die Aufbereitung der Shoa an Präsens in Videospielen gewinnen, lässt sich darüber streiten, wie präsent politische Debatten in Videospielen sein müssen.
Oftmals weicht hier sachliche und konstruktive Kritik antifeministischer Hassrede gegen Frauen in der Gamesbranche. Viele Gamergater stellen sich gegen eine vermeintliche politische Vereinnahmung von Videospielen. Es wird gegen die angebliche Political Correctness aufbegehrt, die den Spaß an Videospielen zerstört. Die „Bewegung“ will gegen angebliche Political Correctness aufbegehren, die den Spaß an Videospielen zerstöre.
Ein Appell für mehr digitale Zivilcourage im Gaming
Glücklicherweise gibt es aber auch abseits der großen Spieleentwickler*innen, Publisher und Games-Magazine viele Stimmen in den Gaming-Welten, die BLM unterstützen und sich aus den Communitys heraus eindeutig gegen Rassismus und Ausgrenzung aufstellen. Mehrere Millionen US-Dollar kamen bei der Spendenaktion „Bundle for Racial Justice and Equality“ zusammen. Über 1.300 Entwicklerstudios schnürten ein Videospiel- und Software-Paket und verkauften es für mindestens fünf Dollar. Die kompletten Einnahmen gehen an den „NAACP – Legal Defense and Educational Fund, Inc.“ und den „Community Bail Fund“. Bisher kamen über acht Millionen Dollar zusammen, um Projekte gegen Rassismus und Unterdrückung zu unterstützen.
Auch viele der großen Gaming Influencer*innen nutzen ihre Reichweite, um auf Polizeigewalt, strukturellen und Alltagsrassismus hinzuweisen. Auf YouTube, Twitch oder Twitter erreichen Influencer wie „HandofBlood“ oder „rewinside“ mit einer klaren Haltung tausende Jugendliche und junge Erwachsene.
Also? Solidarität vs. unverpixelter Rassismus, welche Haltung konnte in der Gaming-Welt das Rennen machen? Mit Blick auf BlackLivesMatter sind es definitiv die solidarischen und unterstützenden Stimmen, welche gehört werden. Jetzt gilt es, die vielen sinnigen Maßnahmen gegen Rassismus in den Communitys umzusetzen, damit es bei zum Beispiel Infinity Ward oder Reddit nicht bei reinen Lippenbekenntnissen gegen Rassismus bleibt. Wichtig bleibt es für Spieler*innen nicht wegzuschauen, wenn schon wieder toxische und hasserfüllte Kommentare im Spiel geäußert werden. Ganz egal ob im Voicechat, bei Steam oder im Ingamechat. #BlackLivesMatter.