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Solingen Tödlicher Brandanschlag von 2024 doch rechtsextrem motiviert?

Im vergangenen Jahr tötete ein 39-Jähriger eine vierköpfige Familie bei einem Brandanschlag in Solingen. Laut Ermittler*innen sei die Tat unpolitisch. Doch der Täter besaß rechtsextremes NS-Propaganda-Material und zündelte am selben Haus bereits am 9. November 2022. Wie unpolitisch kann diese Tat sein?

 
Das türkisch-bulgarisch stämmige Ehepaar Kancho und Katya Zhilova sowie ihre kleinen Töchter Galia und Emily verloren ihr Leben durch den Brandanschlag (Quelle: picture alliance / epd-bild | Uwe Moeller (Möller))

Vor einem Jahr, am 25. März 2024, setze ein mittlerweile 40-Jähriger ein Wohnhaus in Solingen in Brand. In dem Feuer starb ein türkisch-bulgarisch stämmige Ehepaar, Kancho Emilov Zhilov, sowie Katya Todorovo Zhilova und ihre beiden Töchter, Galia Kancheva Zhilova (3 Jahre) und Emily Kancheva Zhilova (1 Jahr). Dutzende weitere Bewohner*innen mit Migrationsgeschichte erlitten Verletzungen.

Viele Menschen erinnerte diese Tat an den Brandanschlag von 1993, bei dem vier Rechtsextreme fünf Mitglieder der Familie Genç ermordeten. Dennoch schlossen die zuständigen Wuppertaler Behörden rasch ein rechtsextremes Motiv aus, es gäbe keine Hinweise darauf, hieß es.

Im Januar 2025 begann dann der Prozess gegen den Tatverdächtigen vor dem Wuppertaler Landgericht. Im Februar gestand er über seinen Anwalt, für den Brandanschlag verantwortlich zu sein. Er habe vor der Tat Drogen konsumiert. 14 Tage nach dem Brandanschlag griff der Angeklagte einen Mann mit einer Machete an. Ein Zeuge berichtete hier von einem „Sieg Heil“-Ruf des Täters. Ein politisches Motiv spielte im Brand-Prozess lange keine Rolle – bis zu diesem Montag, dem 10. März.

NS-Glorifizierung und absolute Entmenschlichung

166 Bilder, die auf dem Rechner des Angeklagten gefunden und an jenem Tag im Prozess präsentiert wurden, zeichnen nun ein Bild, das an einem unpolitischen Motiv zweifeln lässt. Die Bilder zeigen Nazi-Propaganda und grausame, entmenschlichende Witzbilder. Das Solinger Tagblatt berichtet: Gasflaschen mit dem Konterfei Adolf Hitlers, mit dem Zusatz: „Dafür stehe ich mit meinem Namen“. Ein Foto von Hitler mit der Bildunterschrift: „Ohne dich ist alles doof“. Eine Aufnahme von Gefangenen in einem Konzentrationslager: „Bitte konzentriert euch“. Oder auch: ein Schlauchboot mit Geflüchteten. Bildunterschrift: „Mein Humor ist wie ein afrikanischer Flüchtling. Er kommt manchmal nicht gut an.“ Diese Bilder sind grausam, rassistisch, menschenverachtend und rechtsextrem. Dass diese beschlagnahmten Dateien ausgewertet wurden und Gegenstand der Verhandlung sind, geht auf einen Antrag der engagierten Nebenklageanwältin Seda Başay-Yıldız zurück, nicht etwa auf die Ermittler*innen selbst.

Das Material stammt vom Rechner des Angeklagten, den er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin nutzt. Daher sind die Bilder offenbar nicht zweifelsfrei dem Täter zuzuordnen. Die Lebensgefährtin sagte in einer früheren Aussage, dass der Angeklagte nicht rassistisch sei und sie die Beziehung beendet hätte, wäre ihr Rassismus aufgefallen, berichtet nd. Am Montag wurde im Prozess zudem ein Chat zwischen dem Paar thematisiert. In der Silvesternacht beklagte der Angeklagte, wegen der „Kanaken“ keinen Parkplatz zu bekommen und hoffte, dass ein „Polen-Böller“ unter ihnen „etwas mehr Schaden anrichtet“. Die Nebenklage wird nun eine erneute Vernehmung der Lebensgefährtin beantragen.

„Das kann in keiner Weise nachvollzogen werden.“

Es sei nicht verständlich, dass ein rechtes Motiv von Seiten der Behörden „gleich ausgeschlossen wurde und man sich überhaupt keine Gedanken beziehungsweise Mühe gemacht hat, um dem auf den Grund zu gehen“, kritisiert Nebenklageanwältin Seda Başay-Yıldız gegenüber Belltower.News. Gerade weil die Motivlage des Angeklagten unklar war und gerade weil in diesem Haus überwiegend Personen mit Migrationshintergrund gelebt haben, hätte man Datenträger, die bei dem Angeklagten aufgefunden wurden, auswerten müssen. „Dies hat man nicht getan. Das kann in keiner Weise nachvollzogen werden“, so die Nebenklageanwältin.

Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten zwei weitere Brandstiftungen zur Last: Am 16. Februar 2024 in einem anderen Mehrfamilienhaus im Solinger Stadtgebiet und am 9. November 2022 im selben Mehrfamilienhaus, in dem 2024 vier Menschen starben. Der 9. November ist der Gedenktag an die Novemberpogrome. An jenem Tag 1938 plünderten, zerstörten und verbrannten Nazis jüdische Geschäfte und das Eigentum jüdischer Menschen. Es war der Start der Eskalation der antisemitischen Agenda der Nationalsozialisten. Das Ziel war die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden. Alleine dieses geschichtsträchtige Datum hätte doch Ermittler*innen aufhorchen lassen müssen. Hellhörig wurden jedoch nur Aktivist*innen und Betroffene aus der Zivilgesellschaft. Zugehört hat man ihnen jedoch nicht.

Der NSU-Komplex, Mannheim, Magdeburg und nun auch wieder Solingen: Paradebeispiele dafür, wie rechtsextreme Gewalt, ja sogar Mord, in Deutschland strukturell und institutionell bagatellisiert, sogar ignoriert wird.

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