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Sondierungspapier Ihr seid keine echten Deutschen

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Die Parteien verständigen sich darauf, verfassungsrechtlich prüfen zu lassen, ob „Terrorunterstützern, Antisemiten und Extremisten, die zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufrufen, die deutsche Staatsbürgerschaft“ entzogen werden kann, sofern sie eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen (Quelle: pixabay)

CDU, CSU und SPD haben die Sondierungsphase zu einer möglichen Koalition abgeschlossen. In einem elfseitigen Dokument halten die Parteien erste Entscheidungen fest. Besonders ein Punkt sorgt dabei für viel Entsetzen unter Menschen mit Migrationsbiografien. Die Parteien verständigen sich darauf, verfassungsrechtlich prüfen zu lassen, ob „Terrorunterstützern, Antisemiten und Extremisten, die zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufrufen, die deutsche Staatsbürgerschaft“ entzogen werden kann, sofern sie eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen.

Deutschen bei Straffälligkeit den deutschen Pass zu entziehen, schlug Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz bereits im Januar vor, noch zu Wahlkampfzeiten. Im Interview mit der Welt am Sonntag fordert Merz: „Es müsste (…) eine Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft möglich sein, wenn wir erkennen, dass wir bei straffällig werdenden Personen einen Fehler gemacht haben.“ Wer sich nicht an die Regeln hält, könne nicht bleiben: „Und um Anschläge oder weitere Straftaten zu vermeiden, müssen ausländische Straftäter spätestens nach der zweiten Straftat ausgewiesen werden.“ Dieser gefährliche Vorschlag findet nun also Einzug in das Sondierungspapier der möglichen neuen Koalition aus Union und SPD.

Was bedeutet dieser Vorschlag? Eine doppelte deutsche Staatsbürgerschaft wäre damit faktisch weniger wert als die eines „deutsch-deutschen“ Staatsbürgers. Dieser Vorschlag betrifft Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Laut dem Mediendienst Integration liegt die Zahl der Personen, die neben der deutschen noch mindestens eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen, zwischen 2,9 und 4,3 Millionen. Der Mikrozensus 2023 ergab, dass es rund 2,9 Millionen deutsche Doppelstaatler*innen gibt, von denen über 70 Prozent eine weitere europäische Staatsbürgerschaft haben. Sie alle betrifft der Vorstoß der Sondierung.

De facto geht es hier um eine Unterscheidung in Geburts-Deutsche und Pass-Deutsche. Die einen sind sicher in Deutschland, die anderen können bei einem Vergehen ihre Heimat verlieren, sie könnten in ein Land geschickt werden, dass sie nicht kennen und dessen Sprache sie eventuell nicht sprechen. Menschen, deren Familien seit Generationen in Deutschland leben, deren Großeltern jedoch beispielsweise aus der Türkei oder Vietnam stammen, werden in dieser Vorstellung trotz ihres deutschen Passes nicht als echte Deutsche angesehen. Dabei wurde die Staatsbürgerschaft aus gutem Grund nach den Verbrechen der NS-Zeit nicht mehr ausschließlich an die Abstammung geknüpft. Das Grundgesetz schützt diesen Grundsatz ausdrücklich: „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden“  heißt es in Artikel 16. Eine zusätzliche Staatsangehörigkeit schmälert nicht das Deutschsein. Ein straffällig gewordener Deutscher bleibt ein straffällig gewordener Deutscher – unabhängig von weiteren Pässen. Doch genau an diese Grundannahme rüttelt die mögliche nächste Koalition.

Was bewirkt diese Forderung?

Auch wenn dieser Punkt des Sondierungs-Papiers in der Öffentlichkeit nicht sonderlich viel Aufmerksamkeit erfährt, so verstehen Betroffene, also Menschen mit Migrationsbiografien diese Aussage: Egal wie lange du und deine Vorfahren bereits in Deutschland leben, ihr werdet nie echte Deutsche sein.

Besonders perfide ist dieser Punkt Staatsangehörigkeitsrecht auch, weil er mit dem vorgeschobenen Schutz jüdischen Lebens daherkommt. Denn das ist offenbar nur durch vermeintlich importierten Antisemitismus gefährdet. Ein Hubert Aiwanger, dem vorgeworfen wurde, als Schüler ein antisemitisches und NS-verharmlosendes Pamphlet verfasst zu haben, muss keine Konsequenzen fürchten, er ist stellvertretender bayerischer Ministerpräsident. Wie wichtig den potentiellen Koalitionären der Kampf gegen Antisemitismus tatsächlich ist, lässt sich aber auch daran ablesen, wie oft das Thema abseits der rassistischen Abschiebefantasien im Sondierungspapier vorkommt: gar nicht.

Antisemit*innen auszubürgern sei eine „Nebelkerze“, warnt daher auch Nikolas Lelle, Leiter der Aktionswochen gegen Antisemitismus der Amadeu Antonio Stiftung. „Antisemitismus bekämpft man nachhaltig, wenn man begreift, wie sehr Judenhass in alle politische Milieus ragt und damit auch ins Eigene.“

Der Vorstoß im Papier ist ein autoritäres Instrument, das Menschen mit Migrationsgeschichten abermals vorhält, keine echten Deutschen zu sein. „Terrorunterstützern, Antisemiten und Extremisten“: Es sind schwammige Begriffe, die je nach politischer Wetterlage unterschiedlich ausgelegt werden können. Unter einer AfD-Regierungsbeteiligung, die in den kommenden Jahren durchaus wahrscheinlich ist, wäre dieses Instrument fatal. Viele Menschen kategorisiert die AfD unter Extremismus kategorisiert, „Linksextremismus“.

Der Weg, den die Koalition mit diesem Vorhaben einschlägt, ist brandgefährlich und bedroht zahlreiche Menschen. Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit verstehen das. „Ich werde nie eine richtige Deutsche sein – das ist mir jetzt klargeworden“, so eine in Deutschland geborene Ärztin, deren Eltern ehemals aus der Türkei als sogenannte „Gastarbeiter*innen“ nach Deutschland kamen. Statt wie ursprünglich geplant, eine Immobilie in Brandenburg zu suchen, sucht sie jetzt nach einem Land zum Auswandern. 

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