Um die Mittagszeit drängen sich an der Fachhochschule Frankfurt am Main die Studenten an den Stellwänden in der Eingangshalle, die zum Fachbereich vier „Soziale Arbeit und Gesundheit“ gehört. Junge Frauen und Männer unterschiedlichster Hautfarben und Herkunftsländer in dicken Wintermänteln, Wollschals und Mützen lachen und diskutieren lautstark, während sie gleichzeitig Aushänge wie „Brauche dringend Wohnung“ oder „Praktikanten gesucht“ lesen. Hier gibt auch die Studienberatung für die Fächer „Pflege, Sozialarbeit und Sozialpädagogik“ ihre Angebote bekannt: „Einführung in das Studium“ oder „Wie nutze ich die Bibliothek“. Der graue DIN A3-Zettel mit der Ankündigung: „Arbeits- und Koordinationstreffen der AGs gegen Rechtsextremismus an der FH für alle Interessierten“ fällt unter dem gelben Plakat der Studienberatung kaum auf.
Debatten im Fachbereich
Dabei sorgt das Thema „Rechtsextremismus“ seit einem halben Jahr für heftige Debatten im Fachbereich. Der Auslöser: Ein Foto, aufgenommen bei einer Neonazidemonstration in der hessischen Kleinstadt Gladenbach im April 2004. Ein stämmiger Mann, Anfang dreißig, die blonden Haare kurzgeschoren, das Gesicht wutverzerrt, die Fäuste in Angriffsposition geballt in Richtung einer Reihe von Polizeibeamten. Über den muskelbepackten Armen und Oberkörper spannt sich ein schwarzes T-Shirt mit dem dunkelroten Aufdruck „Schwarze Division“ in altdeutscher Schrift. Als das Foto Monate nach dem Aufmarsch auf den Lokalseiten einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet erscheint, erkennen einige Studenten ihren Kommilitonen Sören B. wieder ? den Mann mit der auffälligen „Schwarzen Sonne“-Tätowierung, dem Symbol der nationalsozialistischen SS am Ellenbogen. Sie fragen nach: bei Kommilitonen, die ein widersprüchliches Bild zeichnen: von gelegentlichen rechten Sprüchen ebenso wie von einem durchschnittlich freundlichen, selbstbewussten Vater einer kleinen Tochter.
Kurz darauf taucht ein zweites Bild auf: Mit nacktem Oberkörper steht derselbe Mann Anfang August 2004 mitten unter den rund 6.000 Besuchern des so genannten „Pressefestes“ der Neonazipartei NPD in dem sächsischen Dorf Mücka an einem Biertisch. Das in altdeutschen Buchstaben tätowierte Wort „Arier“ auf seinem Bauch ist nicht zu übersehen. „Neonazis haben im Sozialen Bereich nichts verloren“, schreiben daraufhin Unbekannte in einem Flugblatt, das im Oktober vergangenen Jahres am Fachbereich vier verteilt wird. Dort finden Studenten und Lehrende auch Informationen über die „Schwarze Division Germania“.
Der hessische Verfassungsschutz erwähnte die „Freie Kameradschaft“, die sich nicht nur in ihrer Namensgebung positiv auf die schwarzuniformierten Totenkopf-Divisionen der SS bezieht, bereits vor zwei Jahren in seinem Jahresbericht unter der Rubrik „Neonazis“. Auch das militante Selbstverständnis der Kameradschaft ist Anlass zur Sorge: Für ein Gruppenfoto posierte man ganz in schwarz: Mit schwarzen Sturmhauben, Handschuhen, Lederjacken und Kameradschaftsemblem. Im Internet wird mit Ordner- und Sicherheitsdiensten geworben.
„Ich war überrascht und schockiert,“ sagt Hans-Volker Happel, Psychologe und Professor für Sucht und Drogen am Fachbereich vier, der seit mehr als einem Jahrzehnt auch beim Verein der „Integrativen Drogenhilfe e.V.“ aktiv ist. Einige Jahre lang hatte Sören B. bei ihm studiert, und schien sich vom Gros der Studenten nicht zu unterscheiden. Happel betreut auch seine Diplomarbeit.
Dass Sören B. auf Nachfrage keinen Hehl aus seiner rechtsextremen Einstellung macht, erfuhr der Professor erst, als er den Studenten nach der Veröffentlichung des Flugblattes zur Rede stellte. Jetzt fragt sich Happel, was passieren wird, wenn B. seine Diplomarbeit fertig gestellt hat und dann „als Sozialarbeiter in den Osten geht“.
Keine Ahnung vom Doppelleben
Denn allein aufgrund „seiner ideologischen Identität“ oder Zugehörigkeit zu einer Gruppierung, die weder kriminell noch verboten sei, könne er niemandem den Studienabschluss verwehren, betont Happel. Eine Haltung, die auch Eva-Maria Ulmer vertritt, die Dekanin des Fachbereichs. Ratlos sei er, weil er nichts von dem Doppelleben des Studenten gemerkt habe, sagt der Professor mit den grau-weiß melierten Haaren und der schwarzen Strickjacke und schüttelt erneut den Kopf. „Unsere Studenten sind eigentlich ein buntes Völkchen.“
Fragt man Studenten in der Eingangshalle nach der Art und Weise, wie sie über den „Fall Sören B.“ informiert wurden, sind die Meinungen polarisiert. „Was jemand außerhalb der FH macht, ist Privatsache. Darum kümmern sich staatliche Stellen“, sagt ein Sozialpädagogik-Student im 4. Semester. Eine Kommilitonin nickt zustimmend: „Solange der an der FH nichts gemacht hat, soll er hier in Ruhe sein Studium zu Ende bringen.“ Beide sind der Ansicht, die Flugblattverfasser sollten „ihr Gesicht zeigen“. Sie können nicht verstehen, dass die Autoren Angst vor Drohungen durch Rechte haben.
Andere Studenten betonen dagegen, dass sie ein „derart menschenverachtendes Weltbild wie es die ?Schwarze Division? vertritt“ als eine reale Bedrohung empfinden. „Ich will, dass Studenten aus anderen Herkunftsländern hier angstfrei studieren können“, sagt eine 25-jährige. Sie kritisiert, dass es zwar Lehrveranstaltungen zum Sozialwesen im Nationalsozialismus am Fachbereich gibt, die modernen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus und effektive Handlungsstrategien für Pädagogen aber zu wenig thematisiert würden. „Schließlich müssen doch heute Sozialpädagogen einfach damit rechnen, dass sie in Jugendeinrichtungen mit Rechten konfrontiert sein werden.“ Ihre Freundin meint, die Hochschulleitung solle Neonazis vom Fachbereich verweisen.
Dekanin Eva-Maria Ulmer widerspricht. Für einen Verweis gäbe es derzeit keine rechtliche Handhabe, Sören B. habe alle Prüfungen absolviert und sei nicht vorbestraft. Gleichzeitig ist sie froh, dass „die Studierenden an dem Thema dran bleiben und uns als Lehrende fordern“. Ein bisschen Stolz auf die Studenten schwingt durchaus mit, wenn die Dekanin betont, dass „der Fachbereich sich insgesamt durch einen gesellschaftskritischen Blick“ auszeichne.
Ratlosigkeit und Ohnmacht
Die Zeit der Selbstverständlichkeiten jedoch, die ist trotz aller Seminare, in denen hier interkulturelle Kompetenz im Sozialwesen gelehrt werden, vorbei: Ulmer, die noch 1968 studiert hat, fragt sich derzeit häufiger, ob das „alte Image der Sozialpädagogik als alternativer Bereich, der die Welt verbessern will“ nicht endgültig überholt ist. „Warum sollten ausgerechnet wir eine Insel der Glückseligen sein, wenn die Rechten die Strategie der Unterwanderung unterschiedlicher gesellschaftlicher Bereiche schon seit längerem umsetzen?“, fragt sie.
Sie weiß, dass Sören B. nicht der erste bekennende Rechtsextremist und Sozialarbeiter wäre. Einige Jahre lang war beispielsweise der Mitbegründer der inzwischen verbotenen Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) bei der Arbeiterwohlfahrt in Pirna als Sozialarbeiter angestellt. Die militante Neonaziorganisation gründete in der Zeit eigens eine „Aufbauorganisation“ für Jugendliche ab 14 Jahren. „Die extreme Rechte hat Sozialarbeit längst als ein offenes Feld entdeckt, das auch von Rechts besetzt werden kann,“ sagt Michael Weiss vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum.
Dekanin Ulmer will ein Modul „Nationalsozialismus und moderner Rechtsextremismus“ konzipieren, um so der Alltagsrealität Rechnung zu tragen. „Ein ?Aufstand der Anständigen? sieht anders aus“, kritisieren dagegen die beiden Studentinnen in der Eingangshalle. Etwas ratlos sind sie auch: Nach einigen gut besuchten Informationsveranstaltungen und Arbeitsgruppentreffen zum Fall Sören B. kämpfen sie mit dem Gefühl der Ohnmacht und dem sinkenden Interesse auch im Bekanntenkreis. Niemand werde Sören B. mehr daran hindern, Sozialpädagoge zu werden. Heike Kleffner
Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus: Erziehung & Wissenschaft, Zeitung der Bildungsgewerkschaft GEW, Ausgabe 3/2005