Am m 6. Mai 2023 findet ein unter Rap-Fans lang erwartetes Event statt: Der Box-Kampf zwischen den Rappern Manuellsen und Bözemann, ausgetragen vom Veranstalter GMC (German MMA Championship). Unter den Gästen: Steven Feldmann. Begleitet wird der Boxkampf von einem Pressetermin mit weiteren Kämpfen und Ankündigungen weiterer Kämpfer. Nach dem Sieg des Rappers Amar47 wendete er sich direkt nach dem Kampf vor laufenden Kameras an Steven Feldmann:
„Steven, du bist ja unser politischer Freund, du bist ja Boxer. Wallah, kommst du nicht in den Knast, wir beten für dich. Weil dich will ich richtig kaputt schlagen, ich will dir alles brechen wegen deiner Meinung.“
Feldmann ist mittlerweile so etwas wie ein Neonazi-Influencer aus der militanten Dortmunder Szene. Nach der Kampfeinladung wird Feldmann dann noch vom GMC-CEO, Deniz Haciabdurrahmanoglu, auf die Bühne gebeten. Falls er nicht Ende des Jahres in den Knast gehe, würde er die Kampfeinladung annehmen, so der Neonazi. Später rudert der CEO zurück. Er habe nichts über die rechtsextreme Ideologie seines Gesprächspartners gewusst. Der Herausforderer, Amar47, will den Kampf trotzdem austragen, zur Not in einem dunklen Keller, wie er auf Instagram ankündigt. Doch wie kam es dazu, dass bei einem derart großen Medien-Spektakel ein militanter Neonazi auf die Bühne der GMC gebeten wurde?
Feldmanns Influencer-Karriere beginnt Anfang Januar 2023. Der muslimischer YouTuber Sharif (Sharo) interviewt den Dortmunder Neonazi auf seinem Kanal mit 343.000 Follower*innen. Die beiden treffen sich in der Emserstraße in Dortmund-Dorstfeld, im sogenannten Nazi-Kiez und essen gemeinsam in einem Döner-Imbiss. Feldmann wird von Kameraden begleitet. Der Neonazi kann vollkommen ungefiltert seine rechtsextreme Ideologie verbreiten. Kritische Rückfragen und Kontextualisierung gibt es kaum. Die YouTube-Kommentator*innen feiern Sharif für den „Respekt“, mit er dem Nazi begegnet und dass er ihm nicht ins Wort gefallen sei. Das Video wurde bisher über 778.000 Mal gestreamt.
Sharif hat die Büchse der Pandora geöffnet: Denn seither ist Feldmann regelmäßiger Gast in Formaten, die hauptsächlich ein junges und migrantisches Publikum ansprechen. In einem Video von STRG_F bereut Sharif, das Video mit Feldmann gemacht zu haben: „Wenn du mich heute fragst, ob ich heute noch mal ein Video mit einem Nazi oder Steven Feldmann drehen, dann würde ich dir ganz klar nein sagen.“
„Vorab erst mal, damit es keine Missverständnisse gibt: Hier bei uns wird auch ein bekennender Neonazi respektvoll behandelt“ (Bözemann mit Feldmann, YouTube am 02.Februar 2023)
Es folgen Einladungen zum Gespräch mit dem Rapper Bözemann (Bözasound TV mit 36.500 YouTube-Abonnenten), das mittlerweile über 166.300 Klicks hat, mit Manuellsen und Jihado (Manuellsen Stream Highlights, mit 28.300 Abonnenten und auf der Streaming-Plattform Twitch und über 82.400 Follower*innen), das mittlerweile über 65.000 Aufrufe hat. Seither ist „Habibi Steven“ (arabisch für „Liebling Steven“), wie er seither in jener migrantischen Szene genannt wird, immer wieder Thema. Auf die Interview-Videos mit dem Nazi folgten wiederum Reaktion-Videos weiterer großer YouTuber – die diese neue Form „mit Rechten zu reden“ durchaus kritisieren.
„Ich habe Fotos von euch gesehen. Ihr seid stabile Kerle, ihr seid stabile Jungs. Ich feiere das. Ihr haltet zusammen.“ (Manuellsen im Live-Talk mit Feldmann auf TikTok, YouTube und Twitch (7. Mai 2023))
Diese merkwürdige Kooperation zwischen organisierten Rechtsextremen und als extrem männlich auftretenden Rappern und YouTubern mag vielleicht auf den ersten Blick unmöglich erscheinen. Doch es gibt ideologische Schnittmengen.
Verschwörungsideologie als Kitt
Im Stream mit dem Rapper Manuellsen und Jihado ist man sich einig, dass weder Feldmann, noch „die Ausländer“ die Feinde seien. Sondern ein gerauntes, „die da oben“. Die Gegner würden uns etwas aufdrücken wollen. „Die tun uns Masken ins Gesicht, die sperren uns ein“, raunt Manuellsen. Aber wenn das Volk aufbegehrt, dann müsse sich etwas ändern.
Dabei ist es nicht ungewöhnlich, dass Menschen, die seit frühester Kindheit mit verschiedenen Diskriminierungsformen, wie Rassismus und Klassismus konfrontiert waren, eine skeptische Haltung gegenüber staatlichen Institutionen wie der Polizei haben. Ein eventuelles Zweifeln an demokratischen Grundwerten kann aus verletzenden Erfahrungen resultieren. Bei Neonazis wie Feldmann ist diese Haltung Teil ihrer Ideologie. Sie zweifeln nicht an einzelnen demokratischen Prozessen oder Institutionen, sie wollen die Demokratie und alles wofür sie steht durch ein faschistisches Regime ersetzen, in dem weiße Menschen als Herrenrasse allen anderen übergeordnet sind.
Männerbündische Gewaltmilieus
Ein weiter, vielleicht der zentralere Faktor, ist Männlichkeit. Beide Szenen nehmen für sich in Anspruch, richtige Männer zu sein. Hier treffen zwar zwei Milieus aufeinander, die auf den ersten Blick wenig Gemeinsamkeiten zu haben scheinen, die jedoch besonders in ihrem Ideal von Männlichkeit große Schnittmengen aufweisen. Echte Männlichkeit zeichnet sich in ihren Augen durch Gewaltausübung aus. Das geht einher mit Ablehnung von Queerness und Homosexualität.
Ein Schlag ins Gesicht für alle Opfer rassistischer Gewalt
Die Frage bleibt: Wieso kumpeln Menschen, die aufgrund ihrer zugeschriebenen Merkmale immer Opfer rechter Gewalt sein können, plötzlich mit einem gewaltbereiten Nazi?
In einem YouTube Video versucht sich Manuellsen zu erklären: Er habe gehofft, Feldmann von seiner Ideologie abzubringen. Erstens, merkt man davon in dem Video nichts, zweitens, ist es ein langwieriger Prozess, Menschen mit einem geschlossen rechtsextremen Weltbild beim Ausstieg zu begleiten – kein 20-Minuten-Talk.
Die Motive des Neonazis und seiner Kameraden aus Dortmund dürften klar sein: Sie nutzen die neuen Gelegenheiten, ihre faschistische Ideologie zu verbreiten. Scheinbar auch mit Erfolg, wie die Kommentare unter dem Video zeigen. Um einen echten Dialog geht es ihnen nicht.
In den Kommentaren zum Bözemann-Video heißt es etwa: „Stabiles Interview.“, „2 ehrliche stabile Männer die sich unterhalten“, „ich finde Steven hat halt mit vielen Sachen Recht“, „Man muss dem Gast aus Dortmund folgendes mitteilen: ich verstehe deine Sichtweise in manchen Punkten.“ und „Steven eigentlich ein sehr stabiler Typ“.
Volle Solidarität für Wohlleben und trotzdem bleibt er „Habibi Steven“
Feldmann sagt seinerseits ganz offen in einem Video, dass er sich zu 100 Prozent mit der Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck und Ralf Wohlleben solidarisiert. Wohlleben unterstütze den NSU und war maßgeblich dafür verantwortlich, dass die rechtsextreme Mörderbande alles hatte, was sie brauchte. Er war, so sieht es der Generalbundesanwalt, die „steuernde Zentralfigur der gesamten Unterstützerszene“ des NSU. Der NSU tötete zwischen 2000 und 2007 acht türkisch- und einen griechischstämmigen Menschen.
Eine unheilige Allianz
Genau wie die neuerliche Kooperation in großen Teilen der Rap-Community kritisiert wird, so fordern auch Kamerad*innen von Feldmann, nicht weiter mit den vermeintlichen Migranten zu paktieren. Doch scheinbar testet besonders die Dortmunder Neonaziszene derzeit eine neue Strategie aus. In Dortmund und in Bochum gehen Neonazis gemeinsam mit rechtsextremen Migranten auf die Straße, um politische Feinde anzugreifen.
Vielleicht auch aus Ermangelung an weiß-deutschem Rekrutierungs-Potential versuchen Neonazis mit migrantisch Rechtsextremen ein junges gewaltaffines Publikum anzusprechen. Und da passt es gut in die Strategie, dass Steven Feldmann derzeit wie ein Wanderpokal durch YouTube-Formate gereicht wird.
Vielleicht ist den Leuten, die Feldmann in ihre Formate geladen haben, die Konsequenz seiner Ideologie gar nicht bewusst. In den Gesprächen macht der Nazi immerhin Witze und er spricht „unsere Sprache“, wie es immer wieder heißt. Aber: Rechte Ideologie tötet. Seit 1990 wurden mindestens 219 Menschen Opfer rechter Gewalt.
Und Feldmann ist auch kein einfacher Mitläufer, er ist ein mehrfach vorbestrafter Gewalttäter – ein rechtsextremer Intensivtäter. Im März 2023 wurde er wegen mehrere Straftaten zu einer Haftstrafe verurteilt. Auch wegen rechtsextremer Gewalt. Er soll unter anderem einen Sinto gewalttätig angegriffen und dem Opfer auf den Kopf getreten haben. Wenn sich YouTuber und Rapper mit dem vermeintlich netten Nazi von nebenan hinsetzen und plaudern, während er seine rassistische und faschistische Ideologie verbreiten kann, ist das respektlos der eigenen Community gegenüber. Neonazis gehören in keine Talk-Formate, sondern gehören ausgegrenzt.