Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Studie Hass im Netz bedroht Meinungsfreiheit

Von|
Familienministerin Lisa Paus (Die Grünen) bei der Präsentation der neuen Studie „Lauter Hass - leiser Rückzug“. (Quelle: picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen)

Besonders für junge Frauen sind sexualisierte Übergriffe in den sozialen Netzwerken Alltag. Auch Personen mit sichtbarem Migrationshintergrund und queere Menschen sind Gewaltandrohungen und Beleidigungen ausgesetzt. Das belegt die Studie „Lauter Hass – leiser Rückzug“, die am 13. Februar veröffentlicht wurde.

Es ist die „umfassendste Erhebung zu Hass im Netz seit 2019“ erklärt Hanna Gleiss, Co-Gründerin der Organisation das NETTZ, die die Studie zusammen mit der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, HateAid und den Neuen deutschen Medienmacher*innen durchgeführt hat. Familienministerin Lisa Paus, bei der Präsentation der Studie zugegen, nennt Hass im Netz „allgegenwärtig“ und macht auf die Folgen aufmerksam: „Aus digitalem Hass kann analoge Gewalt werden“, so die Ministerin.

Die Ergebnisse der Studie sind tatsächlich äußerst besorgniserregend. „Hass im Netz kann alle treffen, trifft aber nicht alle gleich“, sagt Elena Kountidou von den Neuen Deutschen Medienmacher*innen und macht deutlich: Sehr viele Menschen sind mittlerweile von Hass im Netz betroffen, aber er richtet sich vor allem gegen diejenigen, die ohnehin schon diskriminiert oder ausgegrenzt werden. Fast jede zweite Person (49 Prozent) wurde schon einmal online beleidigt. Ein Viertel der Befragten wurde mit körperlicher Gewalt und 13 Prozent mit sexualisierter Gewalt bedroht. Besonders häufig betroffen sind aber Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund (30 Prozent), junge Frauen (30 Prozent) und Homo- (28 Prozent) und Bisexuelle (36 Prozent). Fast jede zweite junge Frau (42 Prozent) erhielt bereits ungefragt Nacktfotos von Männern. „Hass im Netz hat eine eindeutige frauenfeindliche Dimension“, erläutert Gleiss.

Was das ganz real bedeutet, fasst Kountidou zusammen: „Die Konsequenzen sind, dass sie sich aus dem öffentlichen Diskurs zurückziehen. Dieser Diskurs verengt sich und es gibt viel mehr Raum für extreme Positionen“. Hass im Netz gefährdet die Meinungsfreiheit. Das zeigen auch die Zahlen: Mehr als die Hälfte der Befragten bekennt sich aus Angst im Netz seltener zur eigenen politischen Meinung (57 Prozent), beteiligt sich seltener an Diskussionen (55 Prozent) und formuliert Beiträge bewusst vorsichtiger (53 Prozent). 82 Prozent der Befragten fürchten, dass Hass im Netz die Vielfalt im Internet gefährdet. Mehr als drei Viertel sind besorgt, dass durch Hass im Netz auch die Gewalt im Alltag zunimmt. Der Großteil der Befragten (89 Prozent) stimmt zu, dass Hass im Netz in den letzten Jahren zugenommen hat. Und nur fünf Prozent haben schon einmal Hass gegen sich selbst bei der Polizei angezeigt.

Antonia Graf, Referentin von Civic.Net, einem Projekt der Amadeu Antonio Stiftung, ordnet diese Zahlen für Belltower.News ein: „Die Studie belegt, was uns zivilgesellschaftliche Organisationen und engagierte Einzelpersonen seit Jahren schildern: Digitaler Hass führt dazu, dass sich Menschen aus den sozialen Medien zurückziehen.“ Auf die Frage, was die Gesellschaft gegen diesen Angriff auf die digitale und gleichzeitig die analoge Zivilgesellschaft tun kann, hat Graf eine Antwort: „Für vulnerable Gruppen ist es besonders wichtig, dass Online-Kommentarspalten moderiert werden. Es liegt aber an allen, Hetze zurückzudrängen: Plattformen, Politik, Strafverfolgungsbehörden und Bürger*innen können und müssen dazu beitragen, das Netz endlich zu einem Ort zu machen, wo niemand Angst haben muss.“

Tatsächlich fordert eine überwältigende Mehrheit der Befragten einen härteren Umgang mit Hass im Netz. 86 Prozent finden, dass Social-Media-Plattformen mehr Verantwortung übernehmen müssen. 79 Prozent stimmen der Aussage zu, dass diese Plattformen auch finanzielle Verantwortung für die durch Hass im Netz entstehenden gesellschaftlichen Schäden tragen sollten. Denn die Unternehmen verdienen damit auch Geld. Anna-Lena von Hodenberg, Mitgründerin von Hate Aid stellt fest: „Alles was empört, geht auf den Plattformen viral, denn das ist gut fürs Geschäft.“

Aus den Ergebnissen der Studie leiten die Herausgeber*innen mehrere politische Forderungen ab. Vor allem bräuchte es bessere Unterstützung für Betroffene von Hass im Netz. Dazu gehört ein bundesweites Netzwerk von spezialisierten Beratungsstellen sowie geschulte Strafverfolgungsbehörden, die Betroffene ernst nehmen und nicht abweisen. Notwendig sei auch die konsequente Anwendung bestehender Gesetze, eben auch für Taten, die im Internet begangen werden. Der europäische Digital Services Act (DSA) müsse schnell umgesetzt werden. Von Social-Media-Plattformen verlangen die Organisationen ein konsequentes Vorgehen gegen Hass sowie Verstöße gegen den Jugendmedienschutz. Für die durch Hass und Desinformation verursachten gesellschaftlichen Schäden müssten insbesondere sehr große Online-Plattformen künftig auch finanziell Verantwortung übernehmen. Außerdem fordern die Organisationen eine nationale Bildungsoffensive Medienkompetenz, die mit Mitteln in mindestens gleichwertiger Höhe des Digitalpakts von Bund und Ländern (6,5 Milliarden Euro) ausgestattet werden sollte. Zudem müssten die Zivilgesellschaft besser gefördert und Hassdynamiken im Netz kontinuierlich erfasst werden.

Weiterlesen

solen-feyissa-Yaw9mfG9QfQ-unsplash

Anleitung Wie melde ich Hate Speech auf TikTok? 

Wie melde ich ein Video, einen rassistischen Kommentar, einen gewaltverherrlichenden Sound, einen antisemitischen Livestream oder einen Kanal auf TikTok, der gegen die Community Guidelines verstößt? Ein praktischer Leitfaden für die Kurzvideo-App.

Von|
Eine Plattform der